Annette Kuhn – Vorstand der Annette-Kuhn-Stiftung, Förderung frauenhistorischer Forschung und Bildung

Bonn, 9.10.2011

Innovatives zur Weltgestaltung. Da kommen mir Worte der
Hannah Arendt zur Hilfe: das Böse ist banal, oberflächlich. Das Gute ist
radikal.

In diesem Sinne will ich 7 Minuten lang über die Kraft
der Radikalität des Guten sprechen, eine nie versiegende , oft übersehene Kraft
zur innovatorischen Weltgestaltung, eine den Frauen der Welt vertraute und von
ihnen stets ausgeübte Welt gestaltende Kraft.

Erinnerungsfetzen aus meiner eigenen Erfahrungsgeschichte
kommen mir in den Sinn, die für mich immer wieder neue Fragen zu dieser
Radikalität des Guten hervorrufen.

Ich bin 1934 geboren und im gleichen Jahr in der Anna
Kirche in der Bekennenden Kirche von Pastor Niemöller als Kind deutsch –
jüdischer Eltern getauft worden. Ich wuchs als Kind mit der Überzeugung auf,
dass ich es dieser evangelischenTaufe
zu verdanken hätte, dass ich den NS Tötungswahn entkommen bin.

Als ich mich in den 50ziger Jahren als
Geschichtsstudentin in Heidelberg von dem nüchternen Protestantismus abwandte
und mich nochmals – diesmal katholisch – taufen ließ, gab mir mein neuer
Taufpate, der katholische Weltpriester Romano Guardini die Worte auf den Weg:
„Vergiss nicht, dass Du Protestantin bist.“Ich war enttäuscht. Was sollte ich mit diesen Worten anfangen?

Nach dem Tod meiner Mutter im Jahre 1971 entdeckte ich
die Liebesbriefe meiner Eltern. Den Vermerk meiner Mutter: nach meinem Tod
verbrennen beachtete ich nicht. Die Briefe an meine Mutter waren an Fräulein
Käthe Lewy gerichtet. Plötzlich begriff ich, dass ich jüdisch bin. In allen mir
bekannten Dokumenten nannte sie sich: Käthe Lanke, ein unverfänglicher,
„germanischer“,imaginativer Name.

Was haben diese Erinnerungsfetzen mit unsere Frage zu –
Ideen zur innovativer Weltgestaltung und Frauen und zur Radikalität des Guten
im Sinne von Hannah Arendt zu tun?

Auf meine Ausgangsfrage: wodurch bin ich gerettet worden,
finde ich nur eine Antwort: Vertrauen in die Radikalität des Guten. Frauen der
Bekennenden Kirche setzten sich für die Rettung jüdischer Kinder ein. Entgegen
derLehre ihrer Kirche hielt viele
dieser Frauen die Rettung des Lebens, nicht die Taufe als eine Voraussetzung
zur Hilfe für entscheidend. An diese Frauen denke ich heute.

Mein Lebensweg ist durch diese stille Radikalität von
Frauen geprägt. Etwadie Radikalität von
Gerda Scharffenorth, die vor 50zig Jahren in der Forschungsstätte der Evangelischen
Kirche in Heidelberg zu einer Konfessionen – und politische Parteien
übergreifenden Treffen zum Thema: Frauen als Innovationskraft einlud. Gerda
Scharffenorth hat meinen Weg zur Frauengeschichte entscheidend bestimmt.

Späte Ungehorsamkeit gehörte zu der Entdeckung meiner
jüdischen Wurzeln. Heute verstehe ich mein Judentum nicht im Sinne einer
staatlich sanktionierten jüdisch-christlichen Leitkultur. Vielmehr entdecke ich
in der Botschaft meiner jüdischen Mutter die Radikalität, die Universalität und
die Menschlichkeit der Liebesbotschaft – die entscheidendenOrientierungen für meinen Alltag und mein
Denken.

Frauen wie Katharina Zell führten nicht theologische
Streitgespräche, nicht Männerdiskurse, deren inhaltlicher Kern uns heute völlig
fremd ist. Frauen wie Katharina Zell, wie Gerda Scharffenorth und viele, viele
andere haben mich belehrt über die tatkräftige Radikalität des Guten.

Hannah Arendt sprach hier von der Natalität, von der
Gebürtigkeit des Menschen, von der lebenslangen Chance des einzelnen Menschen
zum Neubeginn. In ihrem Leben hatte Hannah Arendt den Mut ihre „Gebürtigkeit“,
ihre Liebe zur Welt und zu den Menschen zu leben und allen Widerständen zum
Trotz immer wieder öffentlich zu machen.

Diese Lebensgeschichte und viele, viele Frauen Geschichten mehr spiegeln für mich Wege
zu einer friedlichen, humanen Menschheit der Gleichheit und der Achtung der
Differenz. Sie sind eine innovative, Welt gestaltende Kraft.

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