40 Jahre Gleichstellung von Männern und Frauen im Pfarramt – ist damit alles erreicht? – Impuls beim Frauenmahl Hamm, 5.9.2014
„2014 ist das Jahr der Jubiläen der Theologinnen und Pfarrerinnen in der Evangelischen Kirche von Westfalen. – Mit dem Synodenbeschluss vom 18. Oktober 1974 sind in der Evangelischen Kirche von Westfalen Pfarrerinnen und Pfarrer gleichgestellt. Damit öffnete sich Frauen der Weg in die Gemeindeleitung und in andere kirchliche Leitungsämter.“
1974 – da war ich 16. Ich hatte einen Freund mit Motorrad und E-Gitarre, las philosophische Bücher – vornehmlich Religionskritik und war in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv. Pfarrerinnen kannte ich nicht. Für mich war das Pfarramt männlich. Darum kam mir die Theologie auch nicht als Studienfach in den Sinn.
1984 hatte ich Erstes Theologisches Examen und begann mein Vikariat. Ich war verheiratet und hatte eine Tochter, und ich war aktiv in der Theologinneninitiative. Feministische Theologie und Friedensbewegung hatten mich geprägt. Nun begann der Marsch durch die Institutionen. Und da war ich eifrig mit dabei. Als Theologinneninitiative beklagten wir die ungerechten Ausgangsvoraussetzungen für Frauen und Männer und forderten ein Frauenreferat.
1994 war ich seit 4 Jahren Gemeindepfarrerin. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass Frau Muhr-Nelson war, während mein Kollege mit „Herr Pfarrer“ angeredet wurde. Auch konnte ich darüber schmunzeln, wenn es bei Geburtstagsbesuchen immer noch hier und da enttäuscht hieß: „Ach, Frau Pfarrer, wir hatten eigentlich gehofft, das Ihr Mann persönlich kommt.“ Der Unterschied zwischen „Frau Pfarrer“ und „Frau Pfarrerin“ war noch nicht allen deutlich, auch wenn mein Mann sich gelegentlich mit „Herr Pfarrerin“ vorstellte. Als Synodale wirkte ich mit an der Hauptvorlage „Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche“. Das Thema war brisant und emotional besetzt.
2004 wurde ich Superintendentin, nach 17 männlichen Amtsvorgängern war in Unna die Zeit reif für eine Frau im Leitungsamt. In Westfalen gab es damals außer mir noch 3 Frauen in diesem Amt und 27 Männer.
Heute, 2014, sind wir sieben Superintendentinnen, und wir haben eine Frau an der Spitze. Auch die Anzahl der Pfarrerinnen ist enorm gestiegen und liegt über 30%. Damit hat die ev. Kirche einen höheren Anteil an weiblichem Führungspersonal als die meisten Wirtschaftsbranchen.
Ist damit alles erreicht? Brauchen wir also über Geschlechterverhältnisse im Pfarrberuf nicht mehr zu sprechen? Brauchen wir also über Geschlechterdifferenzen im Pfarrberuf nicht mehr zu sprechen?
Ich antworte darauf mit einem differenzierten Nein.
1. Nein, es ist nicht alles erreicht, aber vieles. Und darüber sind wir froh. Erreicht wurde die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern. In den 40 Jahren vor 1974 gab es auch Theologinnen, aber sie unterlagen bestimmten Regeln. Sie durften sich nicht Pfarrerinnen nennen, sondern Vikarinnen, sie durften keine Gemeinde leiten, sie wurden eher in der Seelsorge oder in der Arbeit mit Kindern eingesetzt etc. Und sie verloren ihre Anstellungsfähigkeit, sobald sie heirateten. All das wurde in Westfalen 1974 aufgehoben. Das war ein großer Schritt in die richtige Richtung. Seitdem ist die Pfarrerin nach und nach zur gesellschaftlich anerkannten Realität geworden. Ich habe Ihnen das anhand meines Werdeganges skizziert. – Allerdings sagt auch die neueste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung immer noch, dass für Menschen, die keine Pfarrerin persönlich kennen, das Bild vom Pfarramt immer noch männlich geprägt ist.
2. Und dabei bin ich bei meinem zweiten Nein. Nein, es ist noch nicht alles erreicht, weil wir gerade erst anfangen, uns mit den Auswirkungen der veränderten Geschlechterverhältnisse auf den Pfarrberuf zu beschäftigen. Die Forderung der Gleichstellung war theologisch begründet. „Gott schuf den Menschen als Mann und als Frau.“ Gleichberechtigung auf allen Ebenen bis in die Spitzenämter – das entspricht unserem protestantischen Selbstverständnis. Die tatsächliche Gleichstellung hat es ermöglicht, dass innerhalb von 40 Jahren Frauen im Pfarramt nicht mehr in der Minderheitenposition sind.
Nun stellt sich die interessante Frage: „Was hat es gebracht?“ Die radikale Veränderung der Kirche, die die einen ersehnt und die anderen befürchtet hatten, ist ausgeblieben. Geblieben ist aber eine Ausdifferenzierung des Pfarramts, auch für die Männer, verschiedene Teilzeitmodelle, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, gegensätzliche Rollenbilder. Vieles ist im Schwange. Dabei treten auch Konkurrenzen auf im Amtsverständnis, zwischen Ökonomie und Ethik, zwischen verschiedenen Lebensentwürfen usw. Das ist für die Wahrnehmung evangelischer Kirche in der Öffentlichkeit durchaus ambivalent, aber ich glaube, was alle merken, ist, dass wir in unserer Kirche und auch im Pfarrberuf die gesellschaftlichen Diskussionsprozesse führen und versuchen unter dem Oberbegriff der Freiheit und Individualität glaubwürdige und passende Modelle zu finden, die dem Auftrag und den Menschen gerecht werden.
Es ist doch interessant, dass die beiden bekanntesten evangelischen Persönlichkeiten eine zurückgetretene Bischöfin und ein Ex-Pfarrer im Bundespräsidialamt sind.
Es ist nicht alles erreicht. Wir sind mitten im Prozess. Es geht um Differenzierung und Diversität. Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Gaben bringen sich ein und repräsentieren die Vielfalt der Schöpfung – auch im Pfarrberuf. So ändert sich das Pfarrbild. Die Geschlechterrollen sind ein Aspekt unter anderen. Es weitet sich der Blick von der Polarisierung Mann- Frau hin zur Fülle und gegenseitigen Ergänzung.
Wir müssen weiterhin kritisch hingucken und darauf achten, dass die Gleichberechtigung zur Gleichstellung wird. Aber vor allem müssen wir darauf achten, dass wir nicht wieder zurückfallen in Rollen-zuschreibungen aufgrund des Geschlechts. Die Weiterentwicklung der Vielfalt der Lebensmuster ist eine spannende Zukunftsaufgabe für unsere Gesellschaft. An ihr wollen und werden wir in der Kirche partizipieren, auch im Pfarrberuf. Und das finde ich eine wirklich spannende Herausforderung.