Ariane Kareev – Regisseurin und Autorin

Essen, 28.10.2012

Guten Abend.

Was ist mir heilig?

Das ist keine einfache Frage – weil sie viele weitere aufwirft.  Zu allererst: Was ist überhaupt "heilig"? Was bedeutet "heilig"?

Zieht man das Lexikon zu Rate, findet man folgende Definition:

Heilig stammt wortgeschichtlich von "Heil" ab, was etwas "Besonderes" bezeichnet und sich abgeschwächt noch in "heil"  wiederfindet, also etwas ist "heil geblieben, unversehrt, ganz".

Formuliert man nun die ursprüngliche Frage um, erhalten wir: "Was ist für mich besonders?"

Das macht die Fragestellung beileibe nicht einfacher.

Als man mich nun bat, hier eine Rede zu dem Thema "Was ist mir heilig?" zu halten, kam mir als erstes ein Gedicht in den Sinn, das ich sehr liebe:

„Die gemalte Madonna spricht“ von Berta Lask:

 "Was tat er mir? Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.

Ein dichter Nebel umlagerte meinen Sinn.

Was träufelte langsam in mein Hirn und Herz?

Es tat nicht weh und war doch wie tiefer Schmerz.

Einst war ich ein Mädchen und schritt durch Sonne und Sturm,

Nun bin ich in Linien und Farben gebannt wie in Ketten und Turm.

Was tat er mir? Hat er all mein Menschsein verzehrt?

Ich sitze gekrönt auf Wolken und lächle verklärt.

Die Menschen blicken anbetend verzückt zu mir hin.

Mir aber ist arm und trotzig und traurig zu Sinn.

Wie schön war eignes Schreiten in wehender Luft.

Er hat mich begraben in seines Traumes Gruft.

Nun bin ich erstarrt in meinen Farben und meinem Glanz.

Und draußen wirbelt jauchzend des Lebens Tanz."

Was vermisst diese Frau? Was wünscht sich diese Frau? Was ist ihr heilig? Was ist für sie besonders?

Freiheit. Glücklich sein. Das Leben genießen. Eigene Träume verwirklichen. Keinem vorgegebenen Muster entsprechen. Wissen wer man ist, woher man kommt. Eine liebende Familie. Sie selbst sein zu dürfen.

Dies sind Dinge, die wir uns alle wünschen. Die wir teilweise genießen – teilweise vielleicht auch nicht. Dies sind Werte, Zustände und Bedürfnisse, die uns heilig sind. Die mir heilig sind.

Aber warum präsentiere ich Ihnen gerade dieses Gedicht?

Dieses Gedicht fand ich mit sieben Jahren in einem Gedichtband meiner Mutter, seitdem begleitet es mich. Es hängt in meinem Zimmer bei meinen Eltern und auch in meiner eigenen Wohnung hängt es an der Wand. Es feuerte meine Liebe zu Texten und Worten weiter an; Die Faszination für ihre Wirkung, ihre Macht, ihre Einfühlsamkeit, ihre Schwäche, ihre Kraft, ihr Wandlungstalent.

Der Umgang mit Sprache, die Analyse, das Auseinandernehmen und trotzdem noch von ihrer Wirkung überrannt zu werden erfreut mich. Es ist für mich etwas Besonderes, es ist für mich heilig.

Und so ist auch meine Arbeit am Theater als Regisseurin, Autorin, Schauspielerin, Assistentin und „Mädchen für alles“ für mich etwas Besonderes.

JA! Man verdient sich dabei nicht gerade eine goldene Nase. JA! Es ist anstrengend und nervtötend und schweißtreibend. JA! Manchmal gehe ich morgens im Dunkeln ins Theater und komme abends wenn es dunkel ist wieder heraus und weiß nicht, ob die Sonne geschienen hat oder nicht. JA! Manchmal streite ich mich drei Stunden lang um drei Sätze. JA! Manchmal renne ich zwölf Stunden durch die Gegend um acht Kostüme zu kaufen und würde am liebsten alles hinschmeißen.   Aber ich tu es nicht.

Und warum? Weil ich es liebe. Weil es psychisch wie physisch eine schwere Arbeit ist. Weil es mich fasziniert, dass das Endprodukt, was der Zuschauer erlebt, nur einen Bruchteil der Arbeit darstellt; dass man Menschen beeindrucken darf und vielleicht auch ein bisschen beeinflussen; dass man Menschen zum Nachdenken bringt, zum Fühlen; dass man provoziert und dass sich dann auch hoffentlich Jemand darüber aufregt und man auch dadurch Gedanken angestoßen hat; dass man sich mit Worten auseinandersetzt, mit Sprache, mit Text; dass es eine ganz eigene Welt ist.

Seit meinem Abitur, welches ich dieses Jahr gemacht habe, arbeite ich jeden Tag im Theater. Jeden Tag. Es gibt kein Wochenende. In den Jahrgangsstufen 12 und 13 habe ich ein eigenes Stück geschrieben und inszeniert. In den Jahren davor habe ich parallel zur Schule mindestens vier Stücke pro Jahr geprobt und gespielt. Teilweise war ich von acht bis 15 Uhr in der Schule und habe lückenlos bis zwölf Uhr nachts Proben gehabt.

Ich sage das hier nicht um für mich Anerkennung zu bekommen. Sondern ich verlange Anerkennung für den Beruf des Künstlers.

Viele Menschen gehen gerne ins Theater, ins Konzert oder in eine Ausstellung. Meist in ihrer Freizeit, zur Entspannung, es ist für sie eine „Freizeitbeschäftigung“. Und so gesehen gestalten Künstler die Freizeit anderer Menschen.

Mit viel Schweißarbeit, viel Herzblut.

Ich möchte hier gerne einen Schauspieler des Bochumer Schauspielhauses zitieren, mit dem ich diesen Freitag ein Gespräch über die Anerkennung und Schwierigkeit seines Berufes hatte:

„Es gibt Leute, die machen Theater und andere, die dabei zuschauen und danach darüber reden. Das Machen ist immer schwieriger als das Zuschauen und das danach Darüberreden. Diejenigen, die machen, müssen mit Kritik, Gedanken, Wut und Enttäuschungen derer, die zuschauen und danach darüber reden, umgehen und das auch aushalten, denn unsere Arbeit ist nun mal eine öffentliche und daher ungeschützter als manch andere. Aber Arbeit ist Arbeit.“

Was ist mir also heilig? Anerkennung für den künstlerischen Beruf.

Und – um auf die Umformulierung zurückzukommen: Ist es für mich etwas Besonderes?

Ja, weil nicht Jeder diese Arbeit zu würdigen weiß.

Und in diesem Sinne verlange ich von Ihnen jetzt einen Applaus für Karin Velinova und meinen Vater, Atanas Kareev, deren musikalisches Können Sie heute genießen dürfen.

Vielen Dank.

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