Beate Hochhut – Mitarbeitervertreterin Diakonische Dienste Hannover

Hannover, 07.03.2013

Liebe Frauen,

ich freue mich sehr, heute Abend hier sein zu dürfen!

Wie sieht es aus mit dem Respekt für Pflegekräfte?

Am 19. Februar 2013 führte ver.di eine Befragung ganz besonderer Art durch. Es wurden 200 Krankenhäuser besucht und die Beschäftigten nach ihrer Personalsituation befragt.

Es wurde gefragt:  „Wie viele Kolleginnen seid ihr? Und wie viele müsstet ihr sein, um die Arbeit in der notwendigen Qualität machen zu können?“ Eine Antwort aus der Pflege dazu:

„Als ich 1999 anfing, waren wir morgens noch 8 Kolleginnen, heute sind es nur noch vier, obwohl die Arbeit viel mehr geworden ist.“

Bei den konkret befragten Abteilungen und Bereichen zeigte sich ein Fehlbedarf von 19,6 Prozent oder 8.300 Personalstellen quer über alle Beschäftigtengruppen. Hochgerechnet auf alle 2045 Krankenhäuser in Deutschland bedeutet das einen Bedarf von 162.000 zusätzlichen Stellen, davon rund 70.000 in der Pflege.

Ich finde, das sind beeindruckende Zahlen!

Oft wird das Gesicht eines Krankenhauses durch das Pflegepersonal bestimmt. Und dabei in der großen Mehrheit durch Frauen. Bei den Gesundheits- und Krankenpflegerinnen lag der Anteil 2011 bei 86 Prozent.

Während das Personal in den letzten Jahren immer weniger wurde, erhöhte sich der Patientendurchlauf erheblich. Das heißt,  immer weniger Personal betreut immer mehr Fälle.

Pflegekräfte erzählen mir, dass sie Angst haben, in dem Dauerstress und der Hektik etwas zu vergessen, dass sie darunter leiden, die notwendige Fürsorge nicht geben zu können, der hohen Verantwortung und ihrem eigenen Anspruch an die Arbeit nicht gerecht zu werden. Der Zeitdruck ist permanent spürbar.

Eine junge Gesundheits- und Krankenpflegerin hat mir neulich unter Tränen geschildert, wie sie morgens nach einem Nachtdienst – allein verantwortlich für 36 schwer kranke Patientinnen und Patienten – dafür dankt, dass niemand gestorben ist, weil sie einfach nicht alles schaffen und nicht überall sein konnte. Mich hat das sehr berührt.

Dieses Spannungsfeld kostet Kraft. Nicht zuletzt folgen aus der physischen und psychischen Überlastung oft genug gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Deshalb brauchen Pflegende eine gute Unterstützung in Konfliktsituationen und ethischen Fragen. Sie brauchen eine Arbeitszeitgestaltung, die familiäre Verpflichtungen der Beschäftigten ernst nimmt. Auch eine gute Zusammenarbeit im Team hilft, Durststrecken zu überstehen.

Wo allerdings die Personalbemessung so knapp ist, dass jeder Urlaub, jede Weiterbildung oder Krankmeldung Löcher in die Personaldecke reißt und nur durch weitere Arbeitsverdichtung oder Überstunden ausgeglichen werden kann, wird es eng.

Tatsächlich ist es dann auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Pflegekräfte frühzeitig aus dem Beruf aussteigen. Und immer weniger junge Menschen wollen in den Beruf einsteigen. Damit droht ein nachhaltiger Fachkräftemangel.

Neben den schlechten Arbeitsbedingungen ist es aber auch die geringe Entlohnung, die mangelnde Wertschätzung zum Ausdruck bringt.

In den vergangenen Jahren hat sich die Tariflandschaft der Krankenhausbranche stark ausdifferenziert. Der finanzielle Druck führte in vielen Krankenhäusern zu Bemühungen um Kostensenkungen vor allem im personellen Bereich.

Wer nun hofft, in christlichen Krankenhäusern sähe die Wirklichkeit anders aus, wird enttäuscht sein!

Längst haben die diakonischen Arbeitgeber vieles von dem übernommen, was in anderen Wirtschaftsbetrieben auch genutzt wird, um die Kosten zu senken. Dazu gehören befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit mit möglichst flexiblen Anpassungen, Arbeitsverdichtung durch Personalabbau, Leiharbeit und Abbau sozialer Standards.

Doch was in anderen Wirtschaftsbetrieben – auch in sozialen Betrieben -  zum gerechten Ausgleich von Arbeitgeber– und Arbeitnehmerinteressen längst zur Selbstverständlichkeit gehört und dort auch funktioniert, nämlich der Tarifvertrag und das Streikrecht, werden in der Diakonie abgelehnt.

Um aber den Wettbewerb über die Löhne endlich zu unterbinden, benötigen wir einen Tarifvertrag, der für möglichst viele soziale Einrichtungen gilt. Auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel sind vergleichbare Bedingungen wichtig. Deshalb besteht jetzt die große Chance für Kirche und Diakonie, sich gerade mit ihren theologischen und ethischen Kriterien für einen Tarifvertrag Soziales zu engagieren.

Ein erster Schritt wäre ein Tarifvertrag Diakonie. Dies hätte Vorbildfunktion und eine breite Signalwirkung. Dabei muss man die kirchlichen Besonderheiten akzeptieren, ohne das Streikrecht völlig aufzugeben. Dafür gibt es gute Gründe, die sich auch aus dem christlichen Menschenbild ableiten lassen.

Immerhin haben sich die Kirchen in ihrem Wirtschafts-und Sozialwort selbst den Anspruch gestellt:

„Das kirchliche Engagement für Änderungen in der Gesellschaft wirkt umso überzeugender, wenn es innerkirchlich seine Entsprechung findet.“

Aber ich frage auch nach dem Respekt gegenüber den zu Pflegenden:

Längst haben die Spardiskussionen im sozialen Bereich doch auch Auswirkungen auf die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Die Arbeitsstunde in einer Autowerkstatt ist doppelt so teuer als die Arbeitsstunde eines ambulanten Pflegedienstes. Da kann doch etwas nicht stimmen, oder?

Wir benötigen dringend eine gesellschaftliche Diskussion – und auch da haben die Kirchen eine hohe Verantwortung, sich einzumischen – um die Frage: „ Welchen Wert hat soziale Arbeit? Welchen Stellenwert soll sie Zukunft haben und was ist uns dies als Gesellschaft wert?

Wir benötigen ein breites Bündnis aus Menschen aller Generationen:

Frauen und Männer,  Beschäftigte, Interessensvertretungen und Gewerkschaften, Einrichtungsträger und Patientenverbände, Sozialverbände und Kirchen, die sich dafür einsetzen:

Soziale Arbeit ist mehr wert!

Vielen Dank!

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