Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt

Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen
Eine schaffensreiche Liederdichterin Susanne Schuster
Lebensdaten
von 1637 - bis 1706
Unter weiteren Namen bekannt als:
Aemilie Juliane Gräfin zu Barby und Mühlingen
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Copyright Wir photographieren selbst II
Beziehungen

In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges kam Aemilie Juliane von Barby und Mühlingen am 19. August 1637 in Rudolstadt zur Welt. Ihre Eltern, Albrecht Friedrich Reichsgraf zu Barby und Mühlingen (1597-1641) und Sophie Ursula, geborene Gräfin von Oldenburg und Delmenhorst (1601-1642) waren von Barby, das am Zusammenfluss von Saale und Elbe liegt, vor den Kriegsereignissen nach Rudolstadt zur Verwandtschaft geflohen. Das Delmenhorster Gemach auf dem Schloss Heidecksburg in Rudolstadt zeugt heute noch von diesem Aufenthalt.

Vierjährig erlebte Aemilie Juliane innerhalb eines halben Jahres den Tod ihres Vaters und ihrer Mutter. Sie und ihre vier Geschwister fanden Aufnahme bei verschiedenen verwandten Familien. Aemilie Juliane kam nach Rudolstadt, dort hatte 1638 die Schwester ihrer Mutter, Aemilie Antonie von Oldenburg und Delmenhorst (1614-1670), den Grafen Ludwig Günther von Schwarzburg (1581-1646) geheiratet. Die Tante war zugleich Patin bei Aemilie Juliane.

In Rudolstadt wuchs Aemilie Juliane mit den fünf Kindern des Grafenpaares auf. Als Neunjährige erlebte sie den Tod des Pflegevaters Ludwig Günther von Schwarzburg-Rudolstadt. Aemilie Antonie übernahm vormundschaftlich die Regierung und sorgte für eine solide und gründliche Ausbildung ihrer Kinder und ihres Patenkindes. Zu den Inhalten des Unterrichtes gehörten die Lektüre der Heiligen Schrift sowie theologischer und geistlicher Schriften, Unterricht in Latein, Rhetorik, Geschichte, Genealogie und Poesie. Aus der Jugendzeit Aemilie Julianes findet sich im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt noch ein Gebetbuch der Gräfin, dessen Deckblatt ist mit ihren Initialen versehen und auf den 20. Juni 1652 datiert. Möglicherweise hat dieses Gebetbuch als Übungsbuch für den Poesieunterricht gedient aber es ist zugleich ein Hinweis auf ihre spätere Frömmigkeitspraxis der regelmäßigen Andacht.

1665 heiratete die Gräfin ihren Pflegebruder und Cousin Albrecht Anton von Schwarzburg-Rudolstadt. Zwei Jahre später wird der Sohn Ludwig Friedrich geboren. 1668 erblickte die Tochter Albertine Antonie das Licht der Welt, starb aber zwei Tage nach der Geburt.

Die Todeserfahrungen, die Aemilie Juliane machen musste, reisen nicht ab. Zu den Toten gehören ihre Tante Aemilie Antonie, ihre vier Pflegeschwestern und Cousinen und ihre vier leiblichen Geschwister. All diese Erfahrungen verarbeitete Aemilie Juliane in ihrem Lied Werde munter mein Gemüthe. Den Trost über die zahlreichen Verluste fandt die Gräfin bei Gott und Jesus Christus. Am Schluss des Liedes bedenkt sie ihren eigenen Tod, dem sie in glaubensvoller Hoffnung entgegensieht.

Der Tod als ihr großes Thema begleitete sie das ganze Leben. Die Gräfin beschäftigte sich intensiv mit dem eigenen Tod und dem erlösenden Tod Jesu Christi. So hielt sie gegen Ende ihres Lebens jeden Freitag zur Todesstunde Jesu eine Andacht. In ihren Leichenpredigten wird die besondere Gnade, die der Gräfin wiederfahren ist, hervorgehoben, dass sie selbst an einem Freitag zu Sterbestunde Jesu starb. Nachdem Aemilie Juliane die Beichte abgelegt hatte und das Heilige Abendmahl ein letztes Mal empfangen hatte, starb sie am 3. Dezember 1706 in Rudolstadt. »Als es Nachmittags gegen 3. Uhr kam/ ließ sichs immer mehr und mehr zum Ende an/ und nach einem kurtzen/ wiewohl hefftigen Kampff/ den Sie mit den eintzigen und letzen Worte/ so man aus Dero Hochseligen Munde gehört: Auffgelöst/ auffgelöst! beschlossen/ wurde Sie stille.«

Ihre Beisetzung erfolgte am 30. Dezember 1706 in der Stadtkirche St. Andreas in Rudolstadt. Vier Jahre später wurde auch ihr Mann, Albrecht Anton von Schwarzburg-Rudolstadt, in diesem Sarkophag beigesetzt. Der Doppelsarkophag – die »Zwiefache Höhle« – befindet sich heute noch in der Krypta im Turmuntergeschoss der Stadtkirche.

Wirkungsbereich

Die Gräfin Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt kann als die schaffensreichste Liederdichterin des Protestantismus bezeichnet werden. Die meisten ihrer Lieder sind in Vergessenheit geraten. Doch zwei Lieder haben bis heute ihren festen Platz im Evangelischen Gesangbuch Bis hierher hat mich Gott gebracht (EG 329; siehe dazu das youtube Video) und Wer weiß, wie nahe mir mein Ende (EG 530). Das zweite Lied, das im Original um vier Strophen länger ist, trägt das große Thema der Gräfin vor – den Tod. Die Lebensgeschichte Aemilie Julianes hat dazu beigetragen, dass der Tod zum Lebensthema der Gräfin wurde. Die zahlreichen Todeserfahrungen, die Aemilie Juliane machen musste, haben sie zu einer ars moriendi – Kunst des Sterbens – geführt, die ihr Leben prägte.

Die Lieder der Gräfin entstanden während der privaten Andachtsstunden, waren jedoch nicht ausschließlich für den Privatgebrauch bestimmt. Viele ihrer Lieder sind bereits zu Lebzeiten in verschiedene Gesangbücher aufgenommen worden. So wirkte die Frömmigkeit der Gräfin auf ihre Umgebung. Aemilie Juliane tat dies sehr bewusst. Zu ihrem Engagement als christliche Landesmutter gehörte die Unterstützung der Mädchenschule in Rudolstadt aber auch die verschiedenen Stiftungen für Waise, Witwen und Arme sowie die finanzielle Mitwirkung bei Kirchenbauten.

Ein Engagement verdient besondere Beachtung, weil die Gräfin hierbei nicht nur als christliche Landesmutter hervortrat, sondern auch als Seelsorgerin und Theologin. 1683 veröffentlichte sie ein Gebetbuch unter folgendem Titel Geistliches Weiber=Aqua=Vit/ Das ist/ Christliche Lieder und Gebete/ Vor/ bey und nach Erlangung Göttlichen Ehe=Segens/ Wie auch Bey andern darbey sich begebenden Fällen zu gebrauchen/ Aus Landes-Mütterlichen Hertzen/ Mund und Hand Ihren Landes=Kindern zu erwünschter/ kräftiger Erbauung aus Gottes H. Wort zubereitet und mitgetheilet. Das Besondere an diesem Gebetbuch ist, dass die für Frauen zentralen Themen von Schwangerschaft und Geburt von einer Frau bedacht wurden. In die Gebete und Lieder fließen die Erfahrungen Aemilie Julianes mit ein – sie wurde erst zwei Jahre nach der Eheschließung schwanger und sie war durch den Tod ihrer Tochter mit dem Thema des Kindstodes konfrontiert. Neben diesen Erfahrungen, schwingen aber auch Bemühungen mit, die darauf ausgerichtet sind das christliche Leben der Untertanen zu befördern – wie es auch im Titel anklingt. So erinnerte die Gräfin die Frauen und Familien an das regelmäßige Gebet am Morgen und Abend und versuchte ihre Frömmigkeitspraxis unter der Bevölkerung zu etablieren. Ein weiteres Augenmerk dieses Gebetbuches liegt auf der Arbeit der Hebammen. Es geht Aemilie Juliane um die Verchristlichung von Schwangerschaft und Geburt. Alle Personen und Geschehnisse, die mit diesen Ereignissen in Verbindung stehen, gilt es, allein Gott anzuvertrauen und sie damit den immer noch vorhandenen magischen Vorstellungen und Praktiken zu entziehen. Die Gräfin betreibt hier im Horizont des Priestertums aller Getauften christliche Erziehung in einer besonderen Weise. Sie bezieht, neben den Frauen, Vätern, Familien und Paten, die Hebammen, die immer wieder im Verdacht standen, magische Praktiken anzuwenden und damit auch die Gebärenden zu beeinflussen, in ihr christlich-seelsorgerisches Konzept mit ein. In dem täglichen Lied für die Hebamme kommt die Bitte um Bewahrung vor Zauberei explizit zur Sprache. Genannt werden außerdem die für den Beruf der Hebamme erforderlichen christlichen Tugenden und die alleinige Hingabe des eigenen Tagewerks in die Obhut Gottes wie sie es auch für sich praktizierte.

Ihre Frömmigkeit zielte auf die Vereinigung von gläubiger Seele mit Jesus, dem Seelenbräutigam. Um dies zum Ausdruck zu bringen, griff sie auf die Sprache der Mystik und des Hohenliedes zurück. Die Vereinigung zwischen Seele (Braut) und Seelenbräutigam geschieht in Zeit und Raum begrenzt im Abendmahl und losgelöst von Zeit und Raum im eigenen Sterben. Durch den Tod kommt es zur ewigen Vereinigung von Braut und Bräutigam. Die Vereinigung im Abendmahl beschreibt das folgende Lied der Gräfin.

„1. Mein JEsu! ich bin eins mit dir, verlobet und vertrauet;

ich bin in dir und du in mir, mein Glaubens=Aug dich schauet,

mein Herz im Leibe hüpft und springt,

mein Mund nun Halleluja singt, daß ich mit dir vereinet.

2. Mein Schatz! laß unauflöslich seyn, was jetzt aufs neu verbunden;

du bist in meines Herzens Schrein, und ich in deinen Wunden:

hilf, daß wir bleiben so vergnügt,

wie GOtt zusammen uns gefügt, ein Herz und eine Seele.

3. Mein Freund! gieb deinen Freund nicht auf, der dir gekost’t dein Leben,

dem du dich ganz zu eigen drauf im Abendmahl gegeben;

bleib ferner bey ihm alle Tag,

im Wohl und Weh, in Freud und Klag, im Leben und im Sterben.

4. Dir ist mein Herze, Seel und Leib zur Wohnung eingeräumet,

behalts und ewig drinnen bleib, und laß mich unversäumet,

wenn fehlt Herz, Aug, Ohr, Hand und Fuß,

bey Zeiten greifen zu der Buß, eh es zur Trennung kömmet.

5. So stärke mich denn für und für, daß ich dich nimmer lasse,

an dich mich hange mit Begier, doch immer fester fasse,

und geh mit dir hin durch die Welt,

als dein Glied, in das Himmels=Zelt, da ich bey dir bleib ewig.“

(Neuvermehrtes Rudolstädtisches Gesangbuch 1783, Nr. 456)

Ihre intensive Jesusfrömmigkeit ließ die Gräfin auch ikonographisch in zwei Bildern Aemilie Juliane als Jesusbraut und Aemilie Juliane als Lammfreundin durch den Hofmaler Seivert Lammers (1648-1711) umsetzten. Eine Inszenierung ihrer Frömmigkeit – auch wenn die Gemälde zu Lebzeiten der Gräfin nicht öffentlich zugänglich waren. Für die Nachwelt repräsentieren sie die Frömmigkeit Aemilie Julianes.

Reformatorische Impulse

Was an der Gräfin Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt beeindruckt, ist ihre Verbindung von Gott und Welt. Hier spiegelt sich Luthers Hochschätzung des weltlichen Berufslebens eines jeden Christenmenschen. Die Gräfin nahm für sich das klösterliche Motto ora et labora – bete und arbeite – in Anspruch. In ihrem Oeconomia und Haushaltungsbüchlein heißt es: »Nachdem alle Ding durch Gottes Segen, sofern sie in seinem namen angefangen, regiert werden, also muß vor allen Dingen in der Haushaltung das gebet vorher gehen, daß es recht heißt; ora et labora.« So begann die Gräfin ihren Tag mit einer Andacht, einer weitere folgte zur Mittagszeit und wie sie den Tag begonnen hatte, beschloss sie den Tag wieder mit einer Andacht. Auch in dieser Gliederung des Tages durch Gebete, greift sie Luthers Vorgaben auf, die im Luthertum zur Frömmigkeitskultur gehörten. In den Gebetszeiten sind ihre Lieder entstanden, die die Gräfin vorerst für ihren privaten Gebrauch verfasst hat. Aemilie Juliane griff dabei auf bekannte Melodien zurück und teilweise nutzte sie auch die erste Zeile oder erste Strophe eines Liedes und dichtete es weiter. In ihren Liedern reflektiert die Gräfin aktuelle Ereignisse und Erlebnisse, kaum eine Lebenssituation ist von ihr nicht bedacht worden.

Mit dem Lied greift Aemilie Juliane eine Gattung auf, die durch die Reformation, besonders in Bezug auf den Gemeindegesang, einen neuen Impuls erhielt und die aktive Mitwirkung der Gemeinde am Gottesdienst ermöglichte. Das 17. Jahrhundert ist die Blütezeit des geistlichen Liedes, das nun auch zum Ausdrucksmittel der neuen verinnerlichten Frömmigkeit wurde. Das Lied wurde – auch für die Gräfin – zum geistlichen Erfahrungsraum der Begegnung mit Jesus Christus. In einer Art Stundengebetsbuch stellte sie Lieder zusammen, die ihr zur täglichen Andacht dienten. Darin nahm die Gräfin sowohl eigene Lieder als auch Lieder anderer Dichter auf. Gegliedert ist dieses private, handschriftlich angelegte Gebetbuch nach den drei Tageszeiten, zu denen sie ihre Andacht hielt. Unter diesen fügte Aemilie Juliane für jeden Wochentag vier Lieder zusammen. So konnte dieses Buch innerhalb eines Monats komplett durch gebetet werden.

Kommentar

Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Von dieser Erfahrung war das Leben der Gräfin geprägt, doch die führte für Aemilie Juliane nicht in Resignation und Mutlosigkeit. Ihr Leben steht unter einer anderen Perspektive, sie betrachtet es vom Ende her – mitten im Tod sind wir vom Leben umgeben. Aus dem Vertrauen auf Gott und der Botschaft, dass Jesu Tod Sünde, Tod und Teufel zunichte gemacht hat, lebte sie und gestaltete die Gräfin ihr politisches und diakonisches Engagement. Die Gottesbeziehung auf der Basis einer zeitgemäßen Frömmigkeit führte sie zur Weltverantwortung und -gestaltung. In der gegenwärtigen Zeit, in der der Mensch so stark über das, was er tut und schafft (labora) definiert wird, gewinnt die Frage nach einer zeitgemäßen Gestaltung des ora wieder an Bedeutung.