Agnes von Mansfeld

Erzbischöfin und Kurfürstin in Köln – im Jahr 1583
Erzbischöfin und Kurfürstin in Köln Heidemarie Wünsch
Lebensdaten
von ca. 1550 - bis 1615
Agnes in Molitor Das Erzbistum Köln.jpg
Copyright Molitor: Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1515-1688), Köln: Bachem Verlag 2008 (S. 213)
Beziehungen

Der Ort Mansfeld ist ein geschichtsträchtiger Ort. Martin Luther ist dort aufgewachsen, sein Vater war im Bergwerk der Grafen Mansfeld beschäftigt, die sich schon früh als Anhänger und Förderer der Reformation erwiesen.

Agnes ist eine „ganze“ Mansfeld – ihre Mutter Catherine war eine Tochter von Albrecht VII, eines engen Vertrauten Luthers, der aus der hinterortischen Linie stammt. Catherine war verheiratet mit ihrem Großcousin Johann Georg I aus der vorderortischen Linie – die väterliche Linie hat sich erst 1540, aber vor Agnes Geburt vom alten Glauben abgewendet. Ihre Eltern waren bei Luthers letztem Besuch im Jahre 1546 beide um die 30 Jahre alt und hatten bereits drei Kinder. Das erste Kind, ein Sohn, wurde 1542 geboren. Agnes war das sechste von 13 Kindern; der ihr nachfolgende Bruder wurde 1554 geboren. Also ist für sie ein Geburtsdatum um 1550 anzunehmen.

Familiäre Bande gab es auch nach Kurköln, wo Agnes zweiter Lebensschwerpunkt war. Ein Bruder ihres Vaters, Johann Gebhard war bereits 1538, also vor der Wende der Familie zum Luthertum, Domherr in Köln geworden und dort von 1558 bis 1562 Erzbischof. Auch die Familie ihrer Großmutter, das Grafengeschlecht Solms kam aus Westdeutschland. Hermann Adolph von Solms war mit einer Cousine von Agnes verheiratet und ein enger Vertrauter ihres späteren Mannes. Ihre Schwester Maria war in zweiter Ehe mit dem Freiherrn Peter Ernst von Kriechingen verheiratet und lebte in Brühl, als Agnes im Jahre 1577, ca. 27-jährig, als Kanonisse in das weltliche Damenstift Gerresheim bei Düsseldorf eintrat. Im Stift Gerresheim lebte außer ihr nur noch die Äbtissin Felizitas von Eberstein. Die Urkunde ihres Eintrittes mit beider Unterschrift ist erhalten. Agnes verspicht, der Äbtissin Ehre zu erweisen und Gehorsam zu leisten und sich soweit wie möglich an die Statuten und Gewohnheiten des Klosters zu halten.

Über Schwester und Schwager kam sie in den Wirkungskreis des Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg. Er entstammte einem einflussreichen katholischen schwäbischen Adelsgeschlecht und gehörte seit langem zum Domkapitel von Köln wie von Straßburg. 1577 war er, 30-jährig, zum Erzbischof und Kurfürsten von Köln gewählt worden.

1579 sind sich Agnes von Mansfeld und Gebhard Truchseß von Waldburg in Köln begegnet und zwar bei Festlichkeiten anlässlich des Friedenskongresses zwischen Spanien und den Niederlanden. Über den Beginn ihrer Beziehung ist viel gemunkelt und geschrieben worden. Heute würde man vielleicht sagen, es war Liebe auf den ersten Blick – die ein Leben lang gehalten hat. Aber angesichts der kirchenpolitischen Folgen hat es viel Häme und manche böswillige Deutung ihrer Beziehung gegeben. Bei einer Prozession soll der Erzbischof die „schöne Gräfin“ gesehen und sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt haben. Aber es heißt auch, die schöne Gräfin habe ihn verführt. Am 16. Dezember 1579 war Agnes – wie quellenmäßig belegt ist – in Brühl, um Schwester und Schwager zu verabschieden, die sich auf eine Reise nach Thüringen begeben wollten. In dem Zusammenhang lud Gebhard die Gesellschaft zu einem Mittagsmahl ein, das bis in den späten Abend dauerte. Agnes übernachtete im bischöflichen Schloss und blieb – beide sollen sich zeitweise in der Residenz Kaiserswerth aufgehalten haben –, bis Schwester und Schwager zurückkehrten. Gebhard stellte ihnen die am Rhein in Bonn gelegene Kanzlei zur Verfügung und Agnes zog zu ihnen. Er selbst lebte nicht weit entfernt auf Schloss Poppelsdorf. Drei Jahre war sie seine Geliebte und lebte in seiner Nähe, was in seiner Umgebung vielleicht zu Spott Anlass gegeben haben mag, aber nicht ungewöhnlich war. Für die Verwandtschaft der Agnes dagegen war es nicht tragbar, aus protestantischer Moral heraus, vielleicht aber auch, weil eine solche Beziehung einer Reichsgräfin unwürdig sei. Im Jahre 1582 sollen zwei Brüder gekommen sein und Gebhard gedrängt haben, die Schwester zu heiraten.

Er entschloss sich zur Heirat und wollte zunächst auf sein Amt verzichten, wie es dem Geistlichen Vorbehalt des Augsburger Religionsfriedens von 1555 entsprach. Danach musste ein Kirchenfürst nach Heirat von seinen Ämtern zurücktreten. Gestärkt durch andere Beispiele, z.B. des Erzbischofs von Bremen, und aufgewiegelt, wohl aber auch theologisch geprägt durch protestantische Fürsten seiner Umgebung, entschied er anders. Als im Erzstift bekannt wurde, dass er heiraten wollte, wurde das nicht zu Unrecht mit einem Religionswechsel gleichgesetzt, der auch erhebliche reichspolitische Konsequenzen haben würde. Der Streit war eröffnet, zunächst mit dem Domkapitel und der Stadt Köln; Bonn stand hinter ihm.

Am 19. Dezember 1582 erklärte der Erzbischof Religionsfreiheit und dass die Ausübung der augsburgischen Konfession in seinem Territorium zugelassen sei, am 16. Januar gab er seine Konversion bekannt. Er schreibt, dass er sich intensiv damit beschäftigt habe, weshalb die vornehmsten Kurfürsten und andere Stände von der „papistischen“ Religion abgefallen seien und er sei zu der Überzeugung gekommen, dass sie Gottes Wort folgen. Zu seiner Eheschließung sagt er, dass er es vor Gott und allen Ständen mehr verantworten könne, im Ehestand zu leben als mit der Gefahr seines Seelenheils einen ärgerlichen und sträflichen Lebenswandel zu führen (vgl. Wünsch 1998/1999: 252).

Am 2. Februar 1583 heirateten Agnes und Gebhard in Bonn. Ein protestantischer Geistlicher vollzog die Trauung. Danach begaben sie sich in festlichem Aufzug zur Kanzlei, wo die Heirat öffentlich bekanntgemacht wurde. Das anschließende Hochzeitsessen fand in einem Bonner Gasthaus statt.

Unmittelbar danach wurde mit den Vorbereitungen für die Abreise begonnen. Aber es war keine „Hochzeitsreise“: Das junge Paar war sich wohl bewusst, dass schwere Auseinandersetzungen auf sie zukamen. Sie nahmen allerlei Schätze und wertvolle Gegenstände mit auf die Reise, die Regentschaft in Bonn übergab Gebhard seinem Bruder Karl, ebenfalls Domherr in Köln und Straßburg. Ziel war der westfälische Teil des Kurfürstentums, das Herzogtum Westfalen. Dort konnten sie mit Unterstützung rechnen, insbesondere in den Grenzgebieten zu Hessen. Unterwegs machten sie Station in befreundeten Fürstenhäusern, in Homburg und Dillenburg. Kurzzeitig trennten sie sich und Gebhard begab sich allein nach Marburg, um sich der Unterstützung des Landgrafen von Hessen zu vergewissern. Der aber sah die Heirat als verfrüht und unpassend an, weil es so aussähe, als sei es ihm um die Frau und nicht in erster Linie um die Religion zu tun. Er sprach aus, was allgemeines Urteil war – und ist –, gab ihm Geleit bis zur westfälischen Grenze, aber keine Unterstützung. In Brilon/Hochsauerland, wo es seit langem eine starke protestantische Bewegung gab, wurden sie begeistert empfangen. In dem Zusammenhang sollen sie nach örtlicher Überlieferung auf Schloss Tinne bei Alme übernachtet haben (vgl. Wünsch 1998/1999: 252-253). Dort gibt es eine besondere Erinnerung an ihren Besuch: Ein Fries eines sich küssendes Paares an der Freitreppe im Garten soll die beiden darstellen.

(Zum Foto: Fries an der Gartentreppe von Schloss Alme; Copyright: Heidemarie Wünsch)

Im März kamen sie im Zentrum des kurkölnischen Westfalens an, in Arnsberg, wo vom 10. bis 15. März ein Landtag abgehalten wurde, der sich hinter Gebhard stellte. Im Juni und Juli 1583 wohnten sie mehrere Wochen auf Schloss Bilstein und reformierten die Stadt Attendorn . Gerhard Kleinsorgen, ein kurfürstlicher Schreiber, der aber nicht auf ihrer Seite stand, hat in einem Tagebuch manche kleine Beobachtung dieser „Reise“ mitgeteilt, die auch Agnes betreffen (vgl. Bruns 1987).

So berichtet er, dass der Truchseß in Attendorn schon des Tages gewaltig soff und des Abends mit seiner Frau über den Markplatz und den Kirchhof getanzt und anzügliche Lieder gesungen habe. Andere, wohlgesonnene Quellen sprechen aber durchaus auch davon, dass sie Gottesdienst besuchten und miteinander Psalmen sangen und beteten.

Bereits am 22. März 1583 hatte der Papst seine Absetzung ausgesprochen und seinen ehemaligen Konkurrenten Ernst von Baiern eingesetzt. Der sammelte ebenfalls Truppen und Gelder und es begannen die langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen – die bis 1590 dauern sollten. Ende Januar 1584 hatte sich die Situation so zugespitzt, dass das Kurfürstenpaar Arnsberg und das kurkölnische Territorium verließ. Truchseß empfahl seine Frau dem Fürsten von Nassau, der aber bat, ihr einen sichereren Aufenthaltsort zu geben. So hielt sie sich eine Weile in Berleburg auf, während Truchseß sich an den Niederrhein begab, wo er eine vernichtende Niederlage einstecken musste und mit seinen verbliebenen Truppen zu den Generalstaaten überging. Am 26. April war Agnes wieder an seiner Seite, sie hatten Zuflucht gefunden beim Prinzen von Oranien, dem einzigen einflussreichen Fürsten, der auf ihrer Seite stand. Sie lebten zunächst in Delft, dann bis 1589 in Utrecht, wie Briefe der beiden bezeugen. Ob Gebhard sich von da aus immer noch mal wieder in Kampfgebiete begeben hat, ist nicht klar. Agnes berichtet in einem Brief vom 13. September 1586 an eine Frau Steinborn, dass die Truppen ihres Herrn Doesburg erobert hätten. Offenbar hatten sie die Hoffnung wohl nicht aufgegeben, in das Kurfürstentum zurückzukehren. Aber die Hoffnungen erfüllten sich nicht.

Anfang August 1589 begaben sich Agnes und Gebhard nach Straßburg, das der dritte Lebensschwerpunkt von Agnes wurde. Straßburg, die mächtige protestantische Reichsstadt bot sich geradezu an. Es gab dort eine lange Tradition, verfolgten Geistlichen Zuflucht zu gewähren, vor allem aber war Gebhard das Amt des Dekans des dortigen Domkapitels verblieben, und verheiratete Domherren waren eine Selbstverständlichkeit. Dennoch waren sie nicht wirklich willkommen. Man hatte Sorge, er würde die kölnischen Probleme nach Straßburg bringen und die katholischen Domherren waren natürlich gegen sein Kommen. Das veranlasste Gebhard, seinen Schritt zu rechtfertigen und seinen Wohnungswechsel zu begründen. Er gibt gesundheitliche Gründe an, das feuchte Klima der Niederlande sei ihm nicht bekommen – er leidet stark an Gicht. Auch wolle er durch den Wohnungswechsel deutlich machen, dass die noch anhaltenden Kämpfe nicht in seinem Sinne seien. Vor allem aber gibt er an, dass ihm der jüngere Bruder das Erbe streitig macht, wodurch er und seine „….freundliche  geliebte unnd getrewe Gemahelin nach  unser ableibung Ingleichen weren beraubt worden“ (zitiert bei Molitor 2012: 587). Er gibt an, dass er noch immer Domherr sei und die Einkünfte aus diesem Amt  von den evangelischen Domherren in seinem Namen eingezogen worden seien, sodass seine Frau und er ein Auskommen hätten. Ihm wurde schließlich der Zuzug bewilligt unter der Voraussetzung, dass er sich jeglicher kirchenpolitischer Aktivität enthielte. So zogen sie in den Bruderhof des Kapitelhofes.

In Straßburg gibt es auch wieder einen Bezug zu Agnes Familie: ihr jüngerer Bruder, Peter Ernst war ebenfalls Domherr in Straßburg gewesen, war aber 1587 verstorben. Ihm hatte Gebhard ursprünglich seine Einkünfte überlassen.  Die dürften ihm wieder zur Verfügung gestanden haben, als Agnes und Gebhard nach Straßburg kamen.

Anders verhielt es sich mit der Familie Gebhards. Mit seinem jüngeren Bruder Christoph kam es zu einem sich lange hinziehenden Erbstreit. Auf lange Sicht konnte sich Christoph durchsetzen, auch da also eine Niederlage.

1593 zog auch sein Bruder Karl nach Straßburg, der zunächst mit der Erbregelung einverstanden war, sich dann aber auf Gebhards Seite stellte. Er wohnte, wohl von Anfang an schwerkrank, im Haus von Agnes und Gebhard, wo er im Juni 1593 verstarb. Agnes war bei ihm und berichtete über seine letzten Stunden der Familie in Schwaben. Im Testament machte er Agnes und Gebhard zu Erben. Aber das Erbe bestand einzig aus Schulden.

Dabei hatten sie schon selbst Schulden genug aus dem kölnischen Krieg. Ihre finanzielle Situation war verheerend. Die Pfründe war nicht ertragreich, der Erbstreit erbrachte nichts für sie. In vielen Schreiben Gebhards wird immer wieder und vor allem die Sorge laut, wie seine liebe Frau nach seinem Ableben versorgt sein könne. Um seine Gesundheit war es schlecht bestellt. Dennoch scheint er, soweit möglich, Aufgaben im Rahmen seines Amtes wahrgenommen zu haben, während Agnes die Hausfrauenpflichten wahrnahm.

Gemessen an dem, was früher war, war es sicher ein ruhigeres und ein beschaulicheres Leben für sie. Gebhards Sorge für sie und ihre Pflege zeigen, dass sie einander immer noch sehr zugetan waren und zueinander standen. Die schweren Jahre und Erlebnisse hatten sie wohl noch enger zusammengeschmiedet. Sie hatten keine Kinder, aber es scheint, als hätten sie sich immer welche gewünscht und die Hoffnung lange nicht aufgegeben, denn im Nachlass befindet sich u.a. ein Kinderbett, eine Trinkflasche, ein Kindertischchen und -stühlchen. In einem Brief an seinen Bruder Karl vom 13. Juli 1588 hatte Gebhard den Kinderwunsch auch ausdrücklich erwähnt: „Wenn wir uns nach Verordnung des Allmächtigen ehelich verheiratet und wiewohl wir noch zur Zeit keine Leibeserben, aber mit unserer Gemahlin noch nicht so alt, daß wir nicht noch solche zeugen möchten“ (zitiert bei Molitor 2012: 592).

Am 21. oder 31. Mai 1601 ist Gebhard verstorben. Er bekam ein fürstliches Begräbnis. Mehrere Grabreden sind erhalten, die ihn würdigen, aber auch von den Vorbehalten gegenüber seiner Person etwas anklingen lassen. Ein Licentiat dankte im Namen der Witwe, dass die Anwesenden den Leichnam des großen Fürsten mit ihrer Gegenwart geehrt haben. Er wurde im Dom beigesetzt – sein Bruder Karl wurde umgebettet und kam ins selbe Grab. Agnes bestellte eine Grabinschrift, die noch einmal ihre große Wertschätzung zeigt und den Verstorbenen preist.

Nach dem Tod ihres Mannes blieb sie nur noch wenige Monate in Straßburg. Sie schrieb Bittbriefe an Friedrich von Württemberg, den ihr Mann zum Erben bestellt hatte und bat, das Erbe anzunehmen, was eben auch Sorge für sie beinhaltete. Der zögerte lange, nahm es aber schließlich an und sorgte dafür, dass die Witwe, die aus dem Kanonikerhaus ausziehen musste, im Württemberger Hof Unterkunft fand. Aber bereits Ende des Jahres 1601 hat sie Straßburg fluchtartig verlassen, nachdem ihr unterstellt wurde, dass sie Gesindel als Untermieter aufgenommen habe, vermutlich aus der finanziellen Notsituation heraus. Womöglich floh sie auch vor dem Ansturm von Gläubigern. Den größten Teil des Hausrates ließ sie im Württemberger Hof, nur wenige ausgewählte Dinge hat sie mitgenommen. Der Nachlass wurde erst nach ihrem Tode im Jahre 1620 dokumentiert (vgl. dazu Molitor 2012: 598). 

Sie begab sich nach Metz, wo sie sich nach Briefen zu urteilen ca. 3 Jahre aufgehalten hat. Der Inhalt eines Briefes lässt vermuten, dass sie schon da bei Verwandten lebte. Die letzten Lebensjahre lebte sie aber vermutlich auf dem rheingräflichen Schloss Grumbach in der Pfalz; es gibt einen handgeschriebenen Brief von ihr an den Magistrat der Stadt Straßburg, datiert Grumbach, den 24. Dezember 1612. Ihre Schwester Dorothea war mit dem Rheingrafen Joachim Christoph verheiratet. Ein Sohn dieser Schwester hatte nach dem Tod die Herrschaft Grumbach übernommen und war wiederum mit einer Gräfin Mansfeld verheiratet. So fand Agnes in der letzten Phase ihres Lebens wieder Geborgenheit in ihrem Familienkreise. 1615 ist sie verstorben und wurde in der Familiengruft der Rheingrafen in der Kirche von Herrensulzbach beigesetzt.

Wirkungsbereich

Stift Gerresheim war, wenn man so will, der erste Wirkungsbereich von Agnes von Mansfeld. Sie war ca. 27 Jahre alt, als sie dort Stiftsdame wurde. Gerresheim, seit Ende des 9. Jahrhundert als Kloster bezeugt, war seit langem ein weltliches Damenstift, die Zahl der Kanonissen war 1335 auf zwölf festgelegt worden. Aufgenommen wurden nur Jungfrauen aus hochadeligen Häusern, ein Gelübde gab es nicht. Die Kanonissen behielten ihren Besitz und mehrere Kanonissen heirateten. Ihr Platz wurde dann einer neuen Anwärterin überlassen. Im 16. Jahrhundert war das Stift in einem schlechten Zustand, wie ein Visitationsbericht urteilt. Die Zahl der Kanonissen war geschrumpft und eine Äbtissin weigerte sich, neue Stiftsdamen aufzunehmen, um die reduzierten Einkünfte für die wenigen Stiftsdamen zusammenzuhalten. So gab es beim Eintritt von Agnes nur noch die Äbtissin Felizitas von Eberstein als Stiftsdame. In der schon genannten Urkunde ihres Eintrittes heißt es, dass Agnes einen Stiftsplatz mit Anteil an den Pfründen bekommt, dass die wirtschaftliche Leitung allein der Äbtissin zusteht. Aus dem Jahr 1577 gibt es ein Dokument in den Akten von Gerresheim, in dem sie in einer Pachtangelegenheit zusammen mit der Äbtissin unterschreibt. Solche Angelegenheiten wird es sicher mehrere gegeben haben. Aber wie die genaue Verteilung von Aufgaben und Pflichten aussah, kann man sich nicht recht vorstellen, auch nicht wie die Gottesdienste in der altehrwürdigen Stiftskirche gefeiert wurden. Felizitas von Eberstein, die zugleich Äbtissin von Herford war, war dort 1578 in einem protestantischen Gottesdienst inthronisiert worden. Sicher ist, dass das Stift Gerresheim nicht nur aus den beiden verbliebenen Stiftsdamen bestand. Es hat Bedienstete und Pächter mit Familien gegeben, die dazu gehörten und eingebunden waren in Stiftangelegenheiten und -aufgaben, in Versorgung, Landarbeit und Gottesdienste.

Wie das Leben an der Seite des Erzbischofs in Köln aussah, ist auch nicht recht vorstellbar. Gebhard Truchseß soll gern gefeiert haben. So mag es manche Feste gegeben haben, an denen die schöne Gräfin, wie sie überall genannt wird, an seiner Seite repräsentiert hat. Es war eine kurze Zeit – in der Adelsgesellschaft der Weltstadt Köln oder im erzbischöflichen Schloss Bonn.

Als Ehefrau sah ihr Leben um vieles unsteter aus. Sie wird ebenso wie ihr Mann Hoffnung gehabt haben, dass die Sache zu ihren Gunsten ausginge und sie Landesfürstin blieb, aber angesichts der Mitnahme von allerlei Schätzen dürfte auch ihr nicht verborgen geblieben sein, dass Gefahren drohten. Und trotz mancher Lustbarkeiten auf dem Weg ins und im Herzogtum Westfalen war Zwietracht, Gefahr und Krieg spürbar. Der schon genannte kurkölnische Rat Gerhard Kleinsorgen erwähnt Agnes aktive Teilnahme an verschiedenen „Freveln“, z.B. beim Abreißen der Kirchendächer, die die Truchsessischen zur Waffenherstellung verwenden wollten und insbesondere bei der Entfernung von Altären und Bildern aus den Kirchen. Er schreibt: „Dweil sonderlich des Truchseß hausfrau Agnes von Mansfeld, die gar keine bilder und altäre leiden mogen“ (zitiert bei Wünsch 1998/1999: 254).

Aus den überlieferten Quellen ist ersichtlich, dass sie als Hausfrau für den Haushalt zuständig war. Kleinsorgen berichtet von der schlechten Versorgungslage in Arnsberg. Man habe im Winter außer Speck und Schweinefleisch wenig Vorräte gehabt, weder Wein noch Bier. Das war für die Verantwortliche eines vermutlich großen Haushaltes sicher nicht einfach. Als das Ehepaar Arnsberg verlassen hatte, Gebhard an den Niederrhein zog und Agnes kurze Zeit allein auf Schloss Berleburg weilte, schrieb sie an den Verwalter, dass der ihr zustehende Flachs noch nicht ausgeliefert worden sei und er sich darum kümmern möge. Auch daran herrschte offensichtlich Mangel. Auch bat sie um Information über die Kämpfe am Niederrhein, d.h. sie wollte informiert sein.  

Ab 1584 lebte sie wieder mit ihrem Ehemann gemeinsam in Delft, wo sie Zuflucht beim Prinzen von Oranien fanden. Nun war sie nicht mehr verantwortliche Hausfrau, sondern eine „adelige“ Asylantin. Neben dieser Enge bedeutete Delft aber auch, dass sie teilhatte an der Weltpolitik. Von dort aus schrieben beide zahlreiche Briefe mit Bitte um Hilfe. Nach einer Quelle soll Agnes nach London gereist sein, um Unterstützung von der englischen Königin zu erlangen. D.h. eine solche Mission muss man ihr zugetraut haben.

Der Weg nach Straßburg und das Leben dort war ein Rückzug, wenngleich der Krieg in Köln nicht zu Ende war und seine Folgen noch das Leben prägten. Aber besonders für Agnes war es wohl trotz allem ein Rückzug aus Krieg und Politik ins Private. Lange nach dem Tod ihres Mannes, im Jahr 1612, wurde sie von den protestantischen Domherren nach den Rechenschaften ihres verstorbenen Mannes gefragt. In der Antwort spricht sie von möglichen Irrungen in seinen Rechnungen, sagt aber, dass er ihr in dergleichen hohen Sachen insbesondere Stiftsangelegenheiten nichts offenbart habe. Ob sie immer noch Angst vor den Schulden hatte und taktisch reagierte, ist nicht auszumachen. Insgesamt scheint sie schon informiert gewesen zu sein. Aber natürlich war sie wohl immer zuerst die Frau an seiner Seite, zuständig für den Haushalt und Krankenfürsorge.

Letzteres nahm sie in Straßburg sehr in Anspruch. Gebhard war schwer an Gicht erkrankt und konnte sich zeitweise nicht mehr erheben. Seine „liebe Frau“ soll sein einziger Trost gewesen sein, wohl nicht nur angesichts der schwierigen finanziellen Lage. Der Schwager Karl kam schwerkrank nach Straßburg. Sie kümmerte sich um ihn und stand ihm bis zum Tode bei, leistete „begleitende Seelsorge“. Der Bericht darüber, den sie offenbar an die Familie von Waldburg geschickt hat, ist ergreifend. Eine genaue Transkription dieses Berichtes verdanke ich Prof. Dr. Hansgeorg Molitor, der ihn im Staatsarchiv Sigmaringen eingesehen hat. Weil ein solcher Bericht über eine Sterbebegleitung dieser Zeit so selten ist und Agnes menschliche Größe, Glaubens- und Bibelfestigkeit in bemerkenswerter Weise deutlich wird, soll er hier ausführlich aufgenommen werden (in sprachlicher Modernisierung und Bearbeitung durch H.W.). Agnes schreibt:

Am Freitag um 1 Uhr bin ich, Agnes, eilends gerufen worden und habe meinen Bruder schwach vorgefunden. Ich bin zum Bett gegangen und habe gefragt habe ob es ihm gefalle, wenn wir dem Allmächtigen, der der beste Arzt der Seele und des Leibes sei, zu Füßen fallen und um Barmherzigkeit bitten. Er hat geantwortet „Ja“, und ich bin mit allen Anwesenden auf die Knie gefallen und habe aus dem Katechismus und der Heimsuchung der Kranken und Gebete gelesen.

Ich habe den Arzt gerufen, der veranlasst hat, was vonnöten war für den Leib. Ich habe ihn unterdessen ermahnt, ritterlich zu kämpfen und habe etliche Bibelsprüche gesagt […] (sie zitiert die Bibelstellen, passend für die Stunde des Todes, Anm. HW). Da hat er die Hand gehoben und mehrmals gesagt: „Ach Jesus“. Ich habe ihm gesagt, der werde uns bald helfen, er solle wie Jesus treu sein Kreuz tragen und sagen: Ach Vater ists möglich, so nimm diesen Kelch von mir, doch nicht mein Wille geschehe. Darauf habe ich ihm Verse aus einem Trostbüchlein gelesen. [Dann folgt eine Gesprächsphase in der es offenbar um seinen Bruder geht und er um ein ganz einfaches Begräbnis auf dem Gottesacker bittet. Sie hat ihn ermahnt, sich keine Sorgen zu machen sondern zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten und wiederum passende Bibelverse gesagt.] Dann habe ich gefragt, ob er meinen Herrn (Anm. H.W: seinen Bruder) bei sich haben möchte. „Nein, was soll ich ihm viel Mühen machen“. Dann habe ich geantwortet: So will ich bei ihm bleiben. Um 3 Uhr ist der Atem leiser geworden; wir haben Gott gedankt, dass wir denselben Tag erleben konnten und der Arzt hat ihm Brei zur Stärkung gegeben. Darauf hat er gesagt: „Wenn ich das Leben mit Suppe erhalten kann, will ich viel Brei essen.“ Da habe ich geantwortet: wir wollen die Mittel gebrauchen, solange wir können. Denn Gott hat sie geordnet, aber der Mensch lebt nicht von Brot allein etc. Denselben Tag, (Anm. H.W.: den nächsten?) und die Nacht hat er ziemlich gut geschlafen. Und als um 3 Uhr der Doktor zu ihm gekommen ist, hat er befohlen, man soll auch mich holen lassen. Da haben der Doktor und ich lange vor dem Bett gesessen. Weil er eingeschlafen war, wollte ich aus der Kammer gehen. Da hat er gerufen und gefragt, ob ich ihn verlassen wolle. Da habe ich geantwortet, dass ich ihn ruhen lassen wollte und ihn nicht verlassen werde, so lange ich Atem in meinem Leibe habe. Und um 7 Uhr habe ich gesagt, es sei ein Prädikant aus Zweibrücken hier. Wenn es ihm, meinem Bruder, recht sei, solle er morgens und abends das Gebet mit ihm tun. „Gern“, sagte er. Und er hat nach dem Hauptmann Georg Heinrich von Eißenhansen gefragt. Da habe ich ihm gesagt, sie seien heimgegangen, wollten aber um 8 Uhr wieder kommen. Und als ich zum Essen ging, wurde ich um 8 Uhr gerufen und fand ihn sehr schwach vor. Ich habe gefragt, ob ich den Prädikanten kommen lassen solle, dass wir Gott anrufen möchten, der habe uns alle Zeit gnädig erhört, er werde uns auch jetzt nicht verlassen, da sagt er „ja“, und als man ihn rief, fragt er „Wo bleibt er denn so lange?“ Er ist alsbald gekommen und hat seine Hand gehalten. Und als es 2 Uhr wurde, hat er gefragt: „Was ist mit dem Kurfürst, weiß er auch, dass ich so große Schmerzen habe?“ Ich sagte, er weiß es wohl mein Bruder, und er liegt jetzt auf Knien und bittet Gott mit Tränen für Euch. Und ich habe ihn gefragt, ob er meinen Herrn bei sich haben möchte, so soll man ihn holen. Aber er hat gesagt „Nein“. Mit dem ist es Tag geworden, und er hat gerufen: „Ach Jesus, Jesus, ich will gerne sterben“. Darauf habe ich ihm gesagt, er möge getrost sein, denn Gott würde ihm nicht mehr aufladen als er tragen könne. Da hat er gesagt: „Ich will ritterlich kämpfen“. Darauf habe ich gesagt: Das tut mein lieber Bruder, so werdet ihr euch rühmen mit dem lieben Paulus: Ich habe einen guten Kampf getan hinfort wird mir die Krone der Gerechtigkeit gegeben. Danach haben wir mit Beten und Ermahnen nachgelassen, bis er um halb vier selig entschlafen ist. Gott verleihe es uns allen. Amen.

Reformatorische Impulse

Es ist merkwürdig, wie wenig von Agnes von Mansfeld und auch von Gebhard Truchseß „Reformation“ in protestantischen Kreisen bekannt ist und in kirchengeschichtlichen Publikationen Erwähnung findet. Der Name „Mansfeld“, so sollte man meinen, hätte aufmerksam machen müssen. Die katholische Geschichtsschreibung, zumindest die kölnisch-rheinische, ist da ausführlicher – wenn auch deutlich tendenziös. Sie berichtet aus der Siegerperspektive: so wird z.B. vom Kurkölnischen Krieg als von den truchssesischen Wirren gesprochen.

Dass seine Frau an Gebhard Truchseß Reformationsversuch beteiligt war, ist unumstritten. Ob er jedoch den Glauben um der Liebe zu ihr gewechselt hat – oder sogar durch sie beeinflusst worden ist, bleibt im Nebel der Vergangenheit verborgen.

In der nachgelassenen Bibliothek befanden sich etliche theologische Werke, Werke reformierter Theologen, aber auch Luthers Hauspostille und seine Kirchenpostille, also durchaus Werke für Laien. (vgl. Molitor 2012: 592). Ob die evtl. aus Agnes Besitz stammen oder durch sie angeschafft wurden, muss dahin gestellt bleiben.

Es wird deutlich geworden sein, dass „protestantisch-evangelische Haltung“ in Agnes steckt, z.B. wenn Kleinsorgen berichtet, dass insbesondere Agnes die vielen Altäre und Bilder in den Kirchen nicht schätze und bei deren Entfernung eifrig beteiligt gewesen sein soll.

Und wenn Agnes in einem zeitgenössischen Spottgedicht (HstA Düsseldorf, Akte Kurköln II 5196; siehe auch weiter unten), als Bischöfin bezeichnet wird, so ist das aus evangelischer Sicht durchaus korrekt. Die Frau eines Bischofs wurde jahrhundertelang als Bischöfin bezeichnet. Dass ihre Verwandtschaft eine Liebesbeziehung mit einem Erzbischof nicht akzeptieren kann, entspricht evangelischen Moralvorstellungen. Und auch wie sie ihre Ehe leben und gestalten, passt in diese Vorstellungen: Beide verband lebenslang ihre Liebe und Wertschätzung. Agnes war ihrem Mann Hausfrau, aber auch Partnerin und Mitgestalterin. Und darin kann sie schon als wegweisend reformatorisch gelten. Aus den wenigen erhaltenen eigenen Briefen spricht eine Frau, die eigenständig denkt und handelt, natürlich nicht an ihrem Mann vorbei. Das wird auch in der eindrücklichen Sterbebegleitung ihres Schwagers deutlich, wo sie mehrfach anbietet, ihren Mann zu holen. Aber der Schwager erwartet sich offenbar eine hilfreichere Begleitung durch sie. Vor allem zeigt sich an dem Bericht ihre Bibelfestigkeit – auch das sozusagen typisch evangelisch. Sie kennt sich aus in den „richtigen“ Bibelstellen für die jeweilige Situation, und man spürt die eigene Überzeugung, ihren Glauben und ihre menschliche Festigkeit und Stärke in dieser Situation.

Kommentar

Seinem Aufsatz über die Straßburger Jahre„ Agnes von Mansfeld und ihr Gemahl 1589-1601“ gibt Hansgeorg Molitor den Untertitel: „Die Kurfürstin und der Kurfürst von Köln in Straßburg“.

Das erinnert an das oben genannte Spottgedicht, in dem behauptet wird, dass Agnes u.a. gesagt habe „ego dei gratia – colonie episcopa“ (Ich bin von Gottes Gnaden – Bischöfin von Köln). Molitor stellt auch im dritten Band der „Geschichte des Erzbistums Köln“ (vgl. Molitor 2008) Gebhard Truchseß, seine Zeit und auch seine Ehe mit Agnes von Mansfeld dar und kommt bzgl. des Reformationsversuches zu dem Schluss: Der Reformationsversuch des Gebhard von Truchseß war ein kirchenpolitischer Versuch ohne theologisches Konzept. Man könnte aber fragen, ob Gebhard vielleicht gerade angesichts seiner Beziehungen zu Lutheranern und Calvinisten und seines eigenen Verwurzeltseins im katholischen Glauben gegen konfessionelle Eingrenzungen war. In dem berühmt berüchtigten Plakat von 1582 verkündet er in seinem Territorium ja „Glaubensfreiheit“. Und so führte seine Haltung letztlich zum Scheitern der Reformation in Kurköln, denn keine Seite vertraute ihm wirklich.

Doch diese objektive Darstellung ist recht selten und populärwissenschaftliche aktuelle Darstellungen stehen mit ihren griffigen „Skandalgeschichten“ bis heute in der einseitig negativ wertenden Tradition (Zander 1995, Fischer 2013). Der Artikel von Rafaela Matzigkeit (1996), ebenfalls „nur“ in einer lokalen Zeitschrift veröffentlicht, hat dagegen eine objektive und wissenschaftliche Perspektive.

Ein Blick ins Internet unter: www.de.wikipedia.org/wiki/Agnes_von_Mansfeld-Eisleben zeigt, dass insbesondere das 18./19. Jahrhundert interessiert an ihr war. Das Verhältnis der schönen Gräfin zum Erzbischof regte offenbar zu romantischer Ausdeutung und Romanen an, wie die Titel andeuten. Der einzige der Verfasserin vorliegende Artikel aus dieser Zeit von R. Goecke, Vier Spottgedichte auf den Erzbischof Truchseß Gebhard von Waldburg, 1876, ist da eher eine Ausnahme. Er ordnet das Scheitern des Reformationsversuches politisch ein – ein weiterer protestantischer Kurfürst musste um jeden Preis verhindert werden – und sieht die vier Spottgedichte als derbe Beispiele dafür, wie die Gegenseite mit Erfolg versuchte, Gebhard zu verunglimpfen. Das genannte Spottgedicht, in dem Agnes Bischöfin von Köln tituliert wird, sei „ein der Gräfin Mansfeld unterlegter Brief an den […] Pfalzgrafen von Zweibrücken“ (Goecke: 77).

Agnes selbst wird sich wohl nie Bischöfin genannt haben. Sie unterschrieb ihre Briefe mit: Agnes Erbtruchsessin zu Waldburg, geborene Gräfin von Mansfeld.