Sowohl durch ihre Stellung als fürstlicher Reichsstand als auch durch ihre Herkunft aus dem Haus Stolberg-Wernigerode unterhielt Äbtissin Anna II. von Quedlinburg, geboren am 28. Januar 1504, ein reichsweites Netz von Beziehungen, die ihr Leben und ihre Regierung prägten. Den wohl wichtigsten Rückhalt fand sie bei ihrer Familie, das heißt bei ihrem Vater Botho von Stolberg-Wernigerode, sowie bei den später regierenden Brüdern und Neffen. Diese standen ihr mit Rat und personeller Unterstützung insbesondere bei der Erstellung einer eigenen Kirchenordnung als auch der Verteidigung der Rechte des Stiftes gegenüber den (kur)sächsischen Erbschutzvögten bei. Indem Anna Vorsteherin des Stiftskapitels war, das neben ihr aus einer Pröpstin, einer Dechantin und mehreren Kanonissinnen bestand, sind Beziehungen zu diesen anderen Kapitularinnen mit Sicherheit anzunehmen, auch wenn sie durch die räumliche Nähe des Zusammenlebens kaum schriftlich dokumentiert sind. Über jene Stiftsdamen bestanden weiterhin bislang kaum untersuchte Verbindungen zu den jeweiligen Herkunftsfamilien, etwa den Grafen von Schwarzburg, den Grafen von Regenstein-Blankenburg oder den Grafen von Gleichen.
Im Hinblick auf die innere Verwaltung des Stiftes stand die Äbtissin selbstverständlich in regem Austausch mit dem jeweiligen Stiftshauptmann als dem Vertreter des Erbschutzvogts, den Bürgermeistern, Ratsherren, Priestern/Pfarrern, Schulmeistern, Richtern, Schöffen, Pächtern, Gutsverwaltern u.v.m.
Die wohl intensivsten Beziehungen unterhielt Äbtissin Anna jedoch zu den sächsischen Erbschutzvögten ihrer Amtszeit (Herzog Georg der Bärtige [1471-1539], Herzog Heinrich der Fromme [1473-1541], Herzog/ Kurfürst Moritz [1521-1553] und Kurfürst August [1526-1586]). Bedingt war diese Intensität einerseits dadurch, dass jene Fürsten den weltlichen Schutz des Stiftes de jure zu gewährleisten hatten. De facto kam es allerdings besonders unter den Herzögen und Kurfürsten Heinrich und Moritz von Sachsen zu bedeutenden Eingriffen in die kaiserlich garantierten Rechte der Äbtissin und gar zu Versuchen, das Stift ganz unter sächsische Landesherrschaft zu ziehen. Während jene Vögte also einerseits den dringend benötigten weltlichen Schutz garantierten, stellten sie andererseits besonders seit der obrigkeitlichen Reformation des Stiftes 1539 die größte Gefahr für den Fortbestand Quedlinburgs als eines weiblich geführten immediaten Reichsstandes dar. Insofern war Äbtissin Anna auf den Kaiser als ihren Oberlehns- und Oberschutzherrn, wie auch auf ihren Vertreter am Kammergericht angewiesen, mit denen sie besonders in der Zeit der schwersten Bedrohung durch Herzog/Kurfürst Moritz in regem Briefverkehr stand. Durch einen Vertreter am Reichstag nahm Anna selbstverständlich auch ihren Sitz im Reichstag wahr und wies selbigen wiederholt darauf hin, dass er als erster unter den Damenstiften des Reiches seine Stimme abzugeben habe, was auf die besondere Bedeutung des Stiftes Quedlinburg hindeutet.
Der Wirkungsbereich von Äbtissin Anna II. erstreckte sich ausgehend von ihrer Herkunft aus dem Geschlecht der Grafen von Stolberg-Wernigerode und ihrer Erziehung im Kloster Ilmenau seit ihrer (wohl durch ihren Vater arrangierten) Wahl zur Äbtissin des Reichsstiftes Quedlinburg seit 1515 hauptsächlich auf die dortige aktive Ausübung einer Landesherrschaft im reichsfürstlichen Rang. Mit dieser Stellung verbanden sich jedoch eine Vielzahl öffentlich wirksamer Aufgaben, die von der Güter- und Finanzverwaltung des Stiftes über Grenzstreitigkeiten mit angrenzenden Territorien, die Aufsicht über die ihr zustehenden niederen Gerichte im Stift und weiterhin über die Kirchen, Pfarren, Klöster, Bruderschaften sowie deren Ordnungen bis hin zur Einholung der Huldigung ihrer Untertanen, des Stiftshauptmanns und auch des Erbschutzvogts aus dem Hause der Wettiner (Albertiner) reichten. Als fürstlicher Reichsstand hatte die Äbtissin weiterhin Sitz und Stimme im Reichstag und korrespondierte auch mit dem Kaiser. Aus der umfangreich erhaltenen Korrespondenz der Äbtissin mit den genannten Personen und weiterhin mit ihren Vertretern beim Reichstag und beim Kammergericht, mit einzelnen Geistlichen im Stift und anderen Untertanen kann geschlossen werden, dass Äbtissin Anna durch die volle Ausnutzung sowohl des verfassungsrechtlichen wie auch des familiären und gesellschaftlichen Wirkungsbereichs die Rechte des Stifts und damit ihren eigenen Wirkungsbereich erfolgreich verteidigte.
Während ihr am Anfang ihres bereits mit zwölf Jahren angetretenen Abbatiats wohl Stiftspröpstin Anna von Schwarzburg beigestanden hat, übte sie bereits während des Bauernkrieges 1525 im Alter von nur 21 Jahren die Regierung des Stiftes selbst aus, indem sie mit den anrückenden Bauern geschickt verhandelte und somit die Stadt und das Stift vor der Erstürmung bewahrte (vgl. Kettner: 151). Während der ersten (teils konfessionell geprägten) Unruhen in den beiden Städten Quedlinburg (Alt- und Neustadt) in den 1520er und 1530er Jahren reagierte sie auf die wiederholten Befehle des katholischen Schutzvogts Georg von Sachsen abwartend. Wohl erst in den späten 1530er Jahren, jedoch nach eigener Aussage noch zu Lebzeiten Georgs konnte sie den Schritt der offenen Konversion wagen und gewährte daraufhin auch offiziell die Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt. Den Visitationsbestrebungen des neuen Erbschutzvogts Herzog Heinrich von Sachsen vom September 1540 kam die Äbtissin bereits am Anfang desselben Jahres mit einer eigenen Visitation und der Aufrichtung einer eigenen Kirchenordnung zuvor. In den nun folgenden Jahren musste sie mit Hilfe ihrer Familie diese Errungenschaften gegen die neuen Machtansprüche Heinrichs und besonders gegen dessen Sohn Moritz verteidigen, welche beide Annas Rechte an den Schulen, Kirchen, Klöstern und den zugehörigen Kleinodien in ihrem Stift bestritten und selbige unter ihre Schutzvogtei ziehen wollten. Der Streit zwischen Anna und Kurfürst Moritz von Sachsen gipfelte in mehreren Klagen Annas vor dem Kammergericht und gar einem Schutzbrief Kaiser Karls V. für Anna und das Stift Quedlinburg. Doch nicht nur im Verhältnis zum Erbschutzvogt zeichnete sich Anna durch eine besondere Hartnäckigkeit und einen sehr langen Atem aus, wie ein mehr als 20 Jahre tobender Streit zwischen Anna als Stiftsvorsteherin, zwei sächsischen Kurfürsten und zwei Kaisern zeigt. Grundlage hierfür war die für das Stift sehr hohe Summe von 8.000 Gulden, welche die beiden Städte Quedlinburg im Auftrag des Reiches Kurfürst Moritz von Sachsen für die Belagerung der Stadt Magdeburg liehen. Das Reich versprach im Gegenzug die Rückzahlung dieser Summe. In den folgenden zwei Jahrzehnten rechnete Äbtissin Anna nach ausbleibender Rückzahlung des Geldes durch das Reich einige der zwischenzeitlich zu zahlenden Reichssteuern entgegen mehrfachen nachdrücklichen Verboten des Kaisers und des sächsischen Kurfürsten auf die noch ausstehenden Schulden des Reiches an, welche sie als eine Art stiftisches Guthaben beim Reich betrachtete. Schließlich konnte sie sich mit diesem sehr mutigen Handeln gegenüber ihrem Schutzvogt und ihrem Oberlehnsherren durchsetzen und erreichte 1574 kurz vor ihrem Tod am 4. März desselben Jahres die Rückzahlung, obgleich die zwischenzeitlich angefallenen Schulden Quedlinburg weiterhin schwer belasteten. Besonders die während der gesamten Regierungszeit Annas andauernden Streitigkeiten mit dem Rat der Städte Quedlinburg und den Schutzvögten Heinrich und Moritz von Sachsen haben eine immense Belastung für das Stift wie für seine Finanzen bedeutet. Nach dem Tod Annas am 4. März 1574 übernahm ihre Nichte und Nachfolgerin Äbtissin Elisabeth, geborene Gräfin von Regenstein-Blankenburg, ein mit 15.000 Gulden völlig überschuldetes Stift. Allerdings war es Äbtissin Anna unter diesen enormen Anstrengungen gelungen, die Reichsstandschaft jenes reformierten Stiftes zu erhalten, das unter anderem auf dieser Grundlage bis zum Ende des Alten Reiches fortbestand.
Erste reformatorische Strömungen traten in Quedlinburg bereits in der ersten Hälfte der 1520er Jahre auf und setzten sich in einer schleichenden „Reformation von unten“ fort. Nach dem zeitgenössischen Quedlinburger Chronisten Johannes Winnigstedt gingen erste reformatorische Bestrebungen dabei von einem Mönch des Augustinerklosters aus und wurden durch verschiedene Pfarrer beider Städte Quedlinburg aufgegriffen, die jedoch zunächst von „Münch[en]“ vergiftet oder anderweitig getötet wurden (vgl. Abel: 403). Der Aufstand Quedlinburger Bürger im Jahr 1523 führte zur Erstürmung mehrerer Klöster innerhalb und vor der Stadt und wurde durch den Schutzvogt Georg energisch verfolgt, wobei Äbtissin Anna nachfolgend bei Herzog Georg um Milde bei der Bestrafung der Quedlinburger Bürger bat. Gegen Ende der 1530er Jahre ging Anna nach eigener Aussage noch zu Lebzeiten Herzog Georgs zur obrigkeitlichen Reformation über, visitierte die Geistlichkeit und arbeitete mit dem stolbergischen Superintendenten Tileman Platner eine eigene Kirchenordnung aus, woran die Bedeutung ihrer Verwandtschaft bei diesem für das Stift hochbedeutenden Vorgang ersichtlich wird. Die Einführung der Reformation hatte für das Stift Quedlinburg und damit besonders für seine Vorsteherin Anna bedeutende Auswirkungen. Zunächst betrafen diese den Stiftsbesitz, dessen Erträge unter anderem der Versorgung der Stiftsfrauen, Stiftsgeistlichen und der Dienerschaft dienten. Die im Streubesitz des Stiftes befindlichen Klöster Wendhausen (bei Thale), Teistungenburg (auf dem Eichsfeld), Walbeck (bei Hettstedt) und Michaelstein (bei Blankenburg) wurden von den jeweils angrenzenden Landesherren besetzt und gingen dem Stift teilweise auf Dauer verloren. Das südsüdwestlich der Altstadt auf dem Münzenberg gelegene Benediktinerinnenkloster fiel bereits kurz nach dem Bauernkrieg wüst und wurde sodann dem Stift mit seinem Vorwerk und anderen Ländereien unterstellt. Die durch Vertreibung oder Klosterflucht in beiden Städten leerstehenden Klöster der Franziskaner und Augustiner wurden ab den beginnenden 1540er Jahren säkularisiert, wodurch im ehemaligen Franziskanerkloster wohl auf die Initiative Annas und des Rates eine neue Schule eingerichtet wurde (vgl. Laeger: 131). Auf der Suche nach einem Rektor für diese Schule sandte Anna ihren Stiftsbeamten Valentin Herbort in das nahe gelegene reformatorische Zentrum Wittenberg. Neben dieser Lateinschule für Jungen kann mit Laeger auch eine in der Literatur sonst unbekannte Bildungseinrichtung für Mädchen bereits ab 1540 angenommen werden (vgl. Laeger: 158-159), deren Gründung auf bürgerliches Engagement zurückging.
Im Zusammenhang mit der (kur)sächsischen Territorialisierung bildeten der Besitz der Stiftskleinodien und -privilegien ein zentrales Interesse der Herzöge/ Kurfürsten Moritz und Johann Friedrich von Sachsen. Allerdings konnte Anna diese geschickt bei ihrer weitverzweigten Verwandtschaft zunächst in Wernigerode später auf der fernen Dillenburg in Sicherheit bringen und weigerte sich gegenüber Kurfürst Moritz standhaft, den Aufbewahrungsort jener legitimatorisch wie finanziell wichtigen Gegenstände einem anderen als ihrem Oberlehnsherren, dem Kaiser, bekanntzugeben.
Im Zuge der obrigkeitlichen Einführung der Reformation schaffte Äbtissin Anna weiterhin in einem für die Stiftsverfassung bedeutenden Schritt die Memorien für die ottonische Herrscherfamilie ab. Jenes liturgische Totengedenken bildete einerseits einen Kernbestandteil der bisherigen katholischen Frömmigkeitspraxis der Stiftsdamen. Andererseits war es quasi die Herrschaftslegitimation der Äbtissin und des Stiftskapitels, da eben zu diesem Zweck das Stift ursprünglich von König Heinrich I. im 10. Jahrhundert gegründet wurde. Bley vermutet in der Folge jedoch den Versuch Annas, jenes liturgische Totengedenken durch eine „stete Ventilation der Fama des vermeintlichen Stiftgründers“ König Heinrich I. ersetzt zu haben. Dabei seien ab 1540 willkürlich Stücke aus dem Stiftsschatz mit König Heinrich in Verbindung gebracht worden (vgl. Bley: 60). Neben dem reformationsbedingten Wandel konnte Bley auch altgläubige Kontinuität nachweisen. So beispielsweise im Introduktionsritus künftiger Äbtissinnen, in der Beibehaltung des Servatiusfestes am 13. Mai zu Ehren des Stiftspatrons und in der weiterhin hohen Bedeutung der Tugend der Keuschheit für die Stiftsfräulein, die ihnen eine transzendentale Herrschaftslegitimation verlieh (vgl. Bley: 56, 58, 65). Anhand der bisher bekannten Literatur- und Quellenlage ist ein überzeugendes Bild der reformatorischen Impulse Annas kaum möglich, wofür besonders die fehlenden egodokumentarischen Belege verantwortlich sind. Statt einer Bewertung ihrer Stellung bei der Reformation des Stiftes kann vielmehr ihre bedeutende Rolle bei der Bewältigung der für das Stift und ihre Herrschaft aus der Reformation erwachsenden Gefahr betont und nachgewiesen werden. Neben ihrem mit 59 Jahren zweitlängsten Abbatiat in der Stiftsgeschichte war es besonders der geschickte und vor allem hartnäckige Umgang mit den verschiedenen Obrigkeiten wie mit den Untertanen, der den Fortbestand Quedlinburgs als Evangelisches Damenstift sicherte.
Die Forschungslage zur Biographie von Anna von Quedlinburg wurde seit den Beiträgen von Eduard Jacobs (1868) und Karl Janicke (1875) beinahe kaum erweitert. Janicke ist auch 120 Jahre später noch die einzige Quelle für den biographischen Artikel in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie, welcher wiederum ohne jeglichen Beweis auf Reformationspläne Annas zu Lebzeiten Herzog Georgs hinweist. Auch der Deutsche Biographische Index aus dem Jahr 1998 führt den Suchenden unter dem Stichwort ‚Anna Gräfin von Stolberg‘ eher in die Irre, wenn er sie als „Theologin“ anspricht.
In den historischen Überblicksdarstellungen zur Quedlinburger Geschichte von Gottfried Christian Voigt (1786-1791) über Johann Heinrich Fritsch (1828) bis hin zu Hermann Lorenz (1922) erfährt Äbtissin Anna eine im Urteil sehr weit auseinandergehende Bewertung, wobei keine der drei Stadt- und Stiftsgeschichten heutigen geschichtswissenschaftlichen Maßstäben gerecht wird und besonders jene Chronik Voigts hoch tendenziös gegen die Äbtissin ausgerichtet ist, was bereits späteren Autoren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auffiel. Der hier nur skizzierte Stand der biographischen Forschung verweist gerade im Hinblick auf die derzeitige Lutherdekade auf die dringende Notwendigkeit einer neuen Biographie, die sowohl den großen Leistungen jener Äbtissin, als auch den heutigen geschichtswissenschaftlichen Standards entspricht.