Sie gehört zu jenen Täuferinnen und Täufern, die in den Märtyrerspiegeln ihrer Glaubensgemeinschaft eine feste Bleibe gefunden haben. Anders als manch weniger leidensbereiter Kandidat, der angesichts einer harten Strafe oder gar des Todes letztlich doch zur Umkehr bereit war und sich vom täuferischen Glauben lossagte, sind diese hingerichteten Männer und Frauen zu Vorbildern für eine bis in den Tod hinein währende Glaubensfestigkeit geworden. Sie waren bereit, das irdische Leben hinter sich zu lassen: Ehepartner, Familie und Kinder, kurz alles, woran sie vielleicht hingen. Claus-Peter Clasen schätzt, dass zwischen 1525 und 1618 in den von ihm untersuchten Gebieten (Schweiz, Österreich, Mähren, Süd- und Mitteldeutschland) etwa 843 Täuferinnen und Täufer hingerichtet wurden (Clasen: 437). Dies geschah überwiegend in katholischen Gebieten. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dafür waren Gesetze verantwortlich. Spätestens seit dem Zweiten Speyerer Reichstag (1529) gab es keinen Zweifel mehr daran, dass den Täufern Verfolgung und Tod drohten. So war es im „Wiedertäufermandat“, das dem Reichsabschied einverleibt worden war, festgelegt. Dabei sollte nicht nur diejenigen eine harte Strafe treffen, die die täuferischen Lehren verbreiteten, sondern auch all jene, beiderlei Geschlechts, die dem täuferischen Glauben lediglich anhingen. Mag Anna Jansz auch nur eine unter etlichen Märtyrerinnen gewesen sein, so ragt sie dennoch unter ihren angeblich freudig in den Tod gegangenen Glaubensgenossinnen hervor. Ein Blick in Teleman van Braghts „Märtyrerspiegel“ zeigt, dass, gemessen an dem ihr eingeräumten Platz, es speziell über diese Frau viel zu sagen gab. Konkret handelt es sich um nahezu drei Seiten in dem großformatigen Werk. Andere beispielsweise, wie jene zwei Glaubensschwestern, die 1529 „um der Wahrheit Gottes willen verurteilt und ertränkt“ (20) worden waren, mussten sich mit weniger Raum begnügen. Neun Zeilen reichten. Dass Anna Jansz mehr Aufmerksamkeit erfuhr, liegt weniger an ihrem ausführlicher dokumentierten Leben und Sterben als vielmehr an von ihr hinterlassenen Zeugnissen, die ebenfalls Eingang in den Märtyrerspiegel fanden. Da ist zunächst einmal ein Brief, der etwas über ihre Nähe zu dem bekannten Täuferführer David Joris (ca. 1501-1556) verrät und vor allem jenes Testament, das sie im Angesicht des Todes für ihren fünfzehnmonatigen Sohn Isaiah verfasst hatte. Zeigt schon die Aufnahme in den Märtyrerspiegel, dass Anna Jansz‘ Leben und Sterben sich völlig auf die täuferische Glaubensgemeinschaft bezogen hatte, so wird diese unzerstörbare Nähe durch den kompromisslosen Abschied von ihrem Sohn noch deutlicher. Die Beziehung zu ihrem Kind war letztlich nicht so stark, dass sie sich genötigt fühlte, zu widerrufen, um auf diese Weise vielleicht ihr Leben zu retten und mit ihrem Sohn eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Sorgen machte sie sich dennoch. Anna Jansz fühlte sich für ihren Sohn verantwortlich. Dabei ging es nicht nur um das leibliche Wohlergehen, sondern vor allem um den geistlichen Wandel, die rechte Beziehung ihres Sohnes zu Gott. In diesem Sinne erklärt sie Isaiah, warum sie selbst so und nicht anders handelt. „Siehe, heute gehe ich den Weg der Propheten, Apostel und Märtyrer, um den Kelch zu trinken, den sie getrunken haben […]“. (Märtyrerspiegel: 36) Anders als mancher ihrer Leidensgenossen macht sie keinen Hehl daraus, auch Angst zu haben. Sie sagt, dass ihr solange bange sei, bis die Stunde vollendet ist. In diesem Zusammenhang spricht sie auch von der Taufe, wobei sie weniger die bei den Täufern übliche Glaubenstaufe als vielmehr die sogenannte „Bluttaufe“ meinte, das Martyrium. Ein Weg, den Jesus Christus als erster ging. Es sind viele Stellen aus der Bibel, mit denen Anna Jansz sich und ihr Tun rechtfertigt. Immer wieder verweist sie auf andere, die ihr vorausgegangen seien. Ihnen folgt sie, und ihnen soll auch ihr Sohn nacheifern: „Siehe, mein Sohn, hier hörst du, daß Niemand zum Leben kommt, als durch diesen Weg. Darum gehe ein durch die enge Pforte, und nimm des Herrn Züchtigung und Unterweisung an, und beuge deine Schultern unter Sein Joch, und trage es wohlgemut von deiner Jugend an, und danke darum mit großer Ehre und Freude; denn er empfängt und nimmt seinen Sohn […].“ (Märtyrerspiegel: 37) Isaiahs, so der mütterliche Wunsch, möge sich nicht mit der großen Menge gemein machen, sondern sich lieber dem von der Welt verachteten und verstoßenen „Häuflein“ zuwenden. Hier wird auf die leidensbereiten Täufer angespielt, ohne sie ausdrücklich zu benennen. Sie waren es, die sich als arme, verfolgte Gottesfürchtige verstanden, ein Häuflein, das von der „Welt“ nur Verachtung, Verfolgung und Tod zu erwarteten hatte. Viele dachten so, aber nicht alle, es gab keineswegs nur friedfertige, leidensbereite, sondern auch militante Täufer. Anna Jansz‘ „Testament“ scheint zwar keine Gewaltbereitschaft anzudeuten, dennoch darf nicht vergessen werden, dass sie in einer Zeit lebte, in der radikales und militantes Gedankengut so manchem Täufer nicht fremd war. Hinzu kommt der Kontakt zu David Joris (ca. 1501-1556), der unterschiedliche Entwicklungsphasen hin zu einer charismatischen Führergestalt durchmachte und Anna Jansz beeinflusst haben dürfte. In ihrem von einer apokalyptisch-revolutionären Stimmung getragenen „Posaunenlied“, das die Stimmung nach dem Fall des Münsteraner Täuferreichs einfängt, lässt Anna Jansz jedenfalls eine andere Grundhaltung als im Testament erahnen. In ihm herrschen friedliche Töne vor, Gott gehorchen, ihm nachfolgen und lieber sein Leben lassen als von der Wahrheit abzuweichen, das ist die Botschaft, die Anna Jansz ihrem Sohn mit auf den Weg gibt. Ganz zum Schluss bittet sie Gott persönlich darum, dass er den Sohn seiner „Dienstmagd“ heiligen und ihn vor Argem bewahren möge. Über den Tod hinaus wollte Anna Jansz ihr Kind auf dem rechten Glaubensweg sehen. Auch wenn ihr gerade an diesem Aspekt viel lag, so reichte er nicht aus, um Isaiahs Leben zu gewährleisten. Das Kind musste versorgt werden. Im „Märtyrerspiegel“ wird davon berichtet, dass Anna Jansz sich kurz vor ihrer Hinrichtung noch um das Überleben ihres Kindes gesorgt habe. Unmittelbar bevor sie ertränkt wurde, habe sie sich mit einer Bitte an das umstehende Volk gewandt. Würde jemand bereit sein, ihren Sohn an Kindesstatt anzunehmen? Geld war vorhanden, Anna Jansz konnte das Säckchen letztlich einem Bäcker übergeben, der bereits sechs eigene Kinder hatte und trotz leidlichen Auskommens bereit gewesen sei, Jesaja großzuziehen. Die Szene hat Jan Luyken in einem von insgesamt 104 Kupferstichen festgehalten, die Tieleman van Braghts „Märtyrerspiegel“ illustrieren sollten und mehrfach gedruckt wurden. Er zeigt Anna Jansz, eine schlanke Gestalt, die an einer Kette geführt wird, auf ihrem Weg zur Hinrichtung. Um sie herum viel Volk, das sich das Spektakel nicht entgehen lassen möchte. Dargestellt wird, wie die Verurteilte kurz vor ihrem Ende ihren Sohn einem Mann übergibt, der ihr entgegentritt. So oder ähnlich könnte es sich zugetragen haben, aber genau wissen wir es nicht. Angeblich soll des Bäckers Frau wenig begeistert gewesen sein, schließlich ging es der Familie in materieller Hinsicht nicht sonderlich gut. Das sollte sich bald ändern, denn wie nicht anders zu erwarten, hielt Gott seine schützende Hand über die Familie. Alles glückte dem Bäcker, der auch noch eine Brauerei erwerben konnte und seine Kinder einschließlich Isaiah auf diese Weise materiell gut versorgt wusste. Es gehört zu den üblichen Erscheinungsbildern im „Märtyrerspiegel“, dass Gott persönlich eingreift, um seine Getreuen entweder zu schützen oder zu rächen. Während er in diesem Fall dafür sorgt, dass es dem Sohn einer Blutzeugin gut geht, so bestraft er in anderen Fällen die Brutalität der Verfolger. Gott konnte beispielsweise dafür sorgen, dass die Herzen von Täufern auf dem Scheiterhaufen nicht verbrannten oder Peiniger, sei es ein Geistlicher oder der Henker, für ihre Tat bestraft wurden. So fiel dem einen vielleicht die Hand ab und einem anderen die Nase, während ein dritter von einer schweren Krankheit befallen wurde oder umgehend sein Leben aushauchte.
Anna Jansz entstammte einer Familie aus dem südholländischen Brielle. Über ihre Eltern ist wenig bekannt, der „Märtyrerspiegel“ weiß allerdings zu berichten, dass sie „reich an Mitteln“ gewesen sei. Die Familie lebte auf der niederländischen Insel Putten, auf der sich Ende 1533 Männer einfanden, die eine zentrale Rolle im zukünftigen Münsteraner Täuferreich spielen sollten, darunter Johann Bockelson (Jan Beukelz), der spätere Täuferkönig Jan van Leiden. Anna hatte 1509 oder 1510 das Licht der Welt erblickt und später Arent Jansz, einen Barbier, geheiratet. Im Februar oder März 1534 empfingen sie die Glaubenstaufe und wurden so Mitglieder einer täuferischen Gemeinschaft. Getauft wurden Anneke und Arent Jansz im Februar oder März 1534 von Meindert (Meynaart) van Emden, einem jungen Weber und Anhänger Bockelsons, angeblich in ihrem eigenen Haus. Er gehörte zu jenen, die der festen Überzeugung waren, dass ein gläubiger Ehepartner sich von seinem ungläubigen zu trennen habe, was in diesem Fall keine Rolle spielte, da beide Ehepartner sich den Täufern zugewandt hatten. Die Taufe der beiden fiel in eine unruhige Zeit des Aufbruchs, als viele niederländische Täufer sich auf den Weg nach Münster machten, um so dem drohenden Weltende zu entfliehen. Im Februar 1534 hatten die Täufer in Münster die Macht übernommen und Andersgläubige vertrieben. Anfang März erging noch einmal ein Aufruf, in die Stadt zu kommen, die als neues Jerusalem verherrlicht wurde. Tausende folgten der Aufforderung. Sicherlich ist davon auszugehen, dass diese Entwicklungen und Ereignisse bei der Taufe des Ehepaars Jansz eine Rolle spielten, zumal derjenige, durch den sie die Taufe empfingen, selbst eine positive Haltung gegenüber Münster eingenommen habe (Packull 1996, 337). Dass aus dieser westfälischen Stadt der Hoffnung für viele Einheimische und Zugewanderte letztlich ein Ort des Schreckens wurde, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Die Belagerung mit all ihren Nöten und der anschließende Fall Münsters am 24. Juni 1535 kosteten viele Menschenleben. Anders als tausende ihrer Landsleute hatten Anna Jansz und ihr Mann sich nicht nach Münster begeben. Kurz nach ihrer Taufe begann auf Putten die Verfolgung einzusetzen, die für viele Glaubensbrüder und -schwestern auch in anderen Regionen fast schon zum Alltag gehörte. Etliche Täufer flohen nach England. Unter ihnen befand sich Annas Ehemann. Ihr selbst gelang es, sich bis zum Herbst 1538 den Verfolgungen zu entziehen. In dieser Zeit gewährte sie dem Täuferführer David Joris Unterschlupf. Diese nicht klar zu definierende Beziehung hat zu vielerlei Spekulationen Anlass gegeben, wie so mancher Aspekt in Anna Jansz’ Leben. Welche Rolle spielte sie in der täuferischen Gemeinschaft? Ist ihr Testament überhaupt echt? Unterhielt sie evtl. eine Beziehung zu David Joris, die über den beide verbindenden täuferischen Glauben hinausreichte? Der in der Ferne weilende Ehemann entschloss sich jedenfalls, zu Hause vorbeizuschauen, kehrte aber bald nach England zurück, wo er später vermutlich auch verstarb. David Joris sei nahegelegt worden, zu Haus und Frau nach Delft zurückzukehren, während Anna Jansz sich nach England begab. Im November 1538 kehrte sie dann mit ihrem fünfzehnmonatigen Sohn zurück. Für diesen Schritt könnte es laut Märtyrerspiegel mehrere Gründe geben. Vielleicht habe sie einige Dinge in Delft erledigen wollen, es könnte aber auch sein, dass sie sich „mit David Joris oder mit seiner Gesellschaft“ habe treffen oder unterreden wollen (Märtyrerspiegel, 35). Wie auch immer geartet, ihr Kontakt zu dem bedeutendsten niederländischen Täuferführer dürfte mit dazu beigetragen haben, dass Anna Jansz als bemerkenswerte Persönlichkeit in die Täufergeschichte eingegangen ist. Von ihrer Verbindung zu ihm zeugt einerseits ein an ihn gerichteter Brief aus dem Jahr 1536 oder 1538, in dem sie nicht nur Gott preist, sondern auch David Joris. Weise sei er, ein tapferer Führer und Hirte, ein Geheiligter des Herrn, dem Gott noch mehr Verstand und Weisheit geben möge. Anna Jansz beschreibt in dem Brief auch ihr eigenes, verzweifeltes Ringen um Reinheit. Auch sie will alles tun, um Gott zu gefallen. Über dieses Schriftzeugnis hinaus zeugt ein Lied von ihrer Nähe zu David Joris. Es handelt sich um das von Anna Jansz verfasste „Posaunenlied“, das Eingang in eine Liedersammlung David Joris‘ fand. Anders als im Testament herrscht in diesem Lied eine radikale Grundstimmung vor, die Rache einschließt. Nachdem Anna Jansz am 23. Januar 1539 in Rotterdam als Ketzerin zum Tode verurteilt worden war, wurde sie einen Tag später ertränkt. Mit ihr ging ihre Begleiterin Christina Michael Barrents in den Tod, die Frau eines Arztes. Beide waren von Ijselmonds nach Rotterdam unterwegs gewesen. Es sollte ihnen zum Verhängnis werden, dass sie geistliche bzw. täuferische Lieder sangen, vielleicht sogar das „Posaunenlied“. Sehr unvorsichtig, da Häscher überall lauerten. Wenn Anna Jansz gelegentlich auch als Anneke von Rotterdam in die Täufergeschichte eingegangen ist, so hängt diese Ortsbezeichnung nicht mit der Herkunft, sondern dem Schauplatz ihres Todes zusammen. Der „Märtyrerspiegel“ weiß zu berichten, dass man beide Frauen mit einem Schiff ein Stück hinausgefahren und dort ertränkt habe. Ihre Leichname seien dann in der Stadt auf dem roten Sand begraben worden. Gemeinhin wurden die Leiber hingerichteter Täufer nicht in geweihter Erde bestattet. Sie waren als Ketzer gestorben, als Ausgestoßene, die irgendwo am Rande des Friedhofs verscharrt wurden. Manchem Täufer wurde sogar mit einem unehrenhaften Begräbnis gedroht, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Bewirkt haben dürfte es wenig, überzeugte Täufer ließen sich durch derartige Perspektiven kaum abschrecken, schließlich wussten sie Gott auf ihrer Seite. Es existiert noch ein Lied, das mit dazu beigetragen haben dürfte, Anna Jansz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es handelt sich um eine poetische Fassung ihres Testaments, die als 18. Lied in den „Ausbund“ Eingang fand, dessen ältester Druck aus dem Jahr 1583 stammt, wobei der zweite Teil bereits 1564 erschienen war: „Ein ander Marter=Lied von einem Weib, sammt ihrem Sohne, welche zu Rotterdam ihren Abschied gethan.“ Das 22 Strophen umfassende Lied endet mit folgenden Worten und einer falschen Angabe zum Todesjahr:
„Ein tausend und fünf hundert Jahr,
In dem ein und dreyßigsten gar,
Galts Annelein ihr Leben.
Welche in Tugend sanft und mild
Den Christen ein gar schön Vorbild
In Tod und Leben geben.“ (Ausbund: 110-115)
Das Lied, das über Anna Jansz‘ Schicksal in den „Ausbund“, das älteste Gesangbuch Schweizer Täufer und oberdeutscher Mennoniten eingegangen ist, zeugt zunächst einmal von ihrer Bedeutung für die Glaubensschwestern und -brüder im Rahmen des reformatorischen Geschehens. Als täuferische Märtyrerin bezeugte sie mit ihrem Tod die Rechtmäßigkeit und hohe Qualität des täuferischen Glaubens, für den sie bereit war, ihr Leben zu lassen. Der Tod wird zum Garanten für den rechten Weg zu Gott, mag er auch noch so steinig sein und von anderen als Irrweg verachtet werden. Wie andere täuferische Märtyrer und Märtyrerinnen war Anna Jansz in ihrer kompromisslosen Standhaftigkeit ein Vorbild für ihre Glaubensgeschwister. Andererseits zeigte der Märtyrertod allen Außenstehenden und Beobachtern, dass gerade dieser von Alt- und Neugläubigen oftmals zutiefst verpönte und verachtete täuferische Glaube einer reformatorischen Minderheit keine leichtfertige, oberflächliche Angelegenheit war, sondern etwas zutiefst Ernstes. Anna Jansz‘ Schicksal konnte Andersgläubige zum Umdenken anregen. Dies bedeutet nicht, dass alle, die ihren Märtyrertod verfolgten, sich den Täufern anschlossen, aber eine derartige Bereitschaft stimmte vielleicht nachdenklich und trug dazu bei, verhärtete Frontstellungen zu hinterfragen. Im Märtyrerspiegel finden sich immer wieder Hinweise darauf, dass die Zuschauer Mitleid mit den Verurteilten empfunden hätten. Den Märtyrern dürfte am Mitgefühl Außenstehender hingegen wenig gelegen haben. So soll ein1549 in Leeuwarden hinzurichtender Täufer namens Fye kurz vor seinem Tod zwei weinenden Weibern entgegnet haben: „Weinet nicht über mich, sondern über eure Sünden.“ (Märtyrerspiegel: 64).
Angesichts der derzeitigen islamistischen Bedrohung besteht die Notwendigkeit, den Märtyrertod in Vergangenheit und Gegenwart äußerst differenziert zu betrachten. Keinem Täufer und keiner Täuferin war daran gelegen, andere mit in den Tod zu reißen. Es ging ihnen nicht darum, Andersgläubige zu vernichten, um dafür belohnt zu werden und ein besseres Plätzchen im Himmel zu ergattern. Im Gegenteil, diese Menschen gingen allein für sich und ihren Glauben in den Tod. Gott verlangte von ihnen keine Gewalt gegen vermeintlich Ungläubige. Neben dem Martyrium ist es der Umgang mit dem eigenen Kind, der nachdenklich stimmt. Anna Jansz‘ Liebe zu Gott war größer und intensiver als die zu ihrem Sohn. Aus heutiger Sicht ist eine derartige Einstellung vielleicht schwer nachvollziehbar, aber für überzeugte Täufer gab es oft keine Alternative. Es ging darum, alles Irdische zu verlassen, um allein Gott zu dienen und ihm nahe zu sein. Das oft beklagte „irdische Jammertal“ war düster im Vergleich zur überirdischen Herrlichkeit, in die Verstorbene eingingen. Anna Jansz verließ ihr Kind dennoch nicht ohne Sorge um seine geistige und materielle Zukunft, aber weiter reichte die mütterliche Liebe auch nicht in einer Zeit, in der eine hohe Kindersterblichkeit zum Alltag gehörte. Auch in dieser Angelegenheit verließ Anna Jansz sich auf Gott. Er würde es schon richten, und so geschah es auch. Ihr kleiner Sohn fand Aufnahme in einer fremden Familie und lebte geachtet und ohne Nöte.