Anna Nitschmann

Generalältestin, Priesterin, Missionarin, Mutter und Jüngerin der Herrnhuter Brüdergemeine
Poinierin der Diakonie Andrea König
Lebensdaten
von 1715 - bis 1760
Unter weiteren Namen bekannt als:
Anna Gräfin von Zinzendorf
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Beziehungen

Anna Nitschmann war Generalältestin, Priesterin, Missionarin, Mutter und Jüngerin der Herrnhuter Brüdergemeine. Am 24. November 1715 in Kuhnewald in Mähren – im heutigen Osten Tschechiens – geboren, floh sie im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie nach Sachsen und fand dort Zuflucht bei den Herrnhutern. Ihre Eltern, Anna und David Nitschmann, gehörten zur Unitas Fratrum, die in der Nachfolge von Jan Huss (1371-1415) unter permanenter Verfolgung ihren Glauben im Untergrund praktizierten. Nach mehrmaligen Verhaftungen sowohl ihres Vaters als auch ihres älteren Bruders Melchior, brachte sich die Familie Anfang 1725 in Sicherheit und floh aus den von den Habsburgern besetzten Gebieten nach Sachsen, das durch eine Gleichberechtigungspolitik von römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Konfession für die Tolerierung Exilsuchender bürgte. Die Familie schloss sich einer kleinen mährischen Gruppe an, die auf dem Grund der Adeligen Henriette Katharina von Gersdorff (1648-1726) eine Siedlung zu erbauen begonnen hatte. Für diese Siedlung setzte sich die Bezeichnung „Herrnhut“ durch, die nicht nur wegen der Nähe zum Hutberg gewählt wurde, sondern weil die Flüchtlinge ausdrücklich unter der „Hut des Herrn“ stehen und leben wollten.

Anna Nitschmann wurde frühzeitig in das Herrnhuter Gemeinesystem integriert, das unter der Leitung des Enkels der adeligen Grundbesitzerin Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) neue Formen eines christlich-sozialen Gemeindewesens erprobte. Für Zinzendorf gehörten Gemeinde und Gemeinschaft untrennbar zusammen. Für ihn waren alle Christen und Christinnen dazu berufen, ihre Fähigkeiten und Begabungen in den Dienst der Gemeinde zu stellen. Hautfarbe, Standes- und auch Geschlechtsunterschiede wurden bedeutungslos angesichts der alle verbindenden Pflicht, Menschen zu lieben und in die Nachfolge Jesu Christi zu rufen. Dabei sollte kein Lebensbereich vom Dienst am Nächsten ausgeschlossen bleiben. Anders als in den Franckeschen Anstalten in Halle wurde diakonisches Handeln als Lebensaufgabe für alle Gemeinemitglieder in das Gemeindeleben integriert und nicht an professionelle Hände übergeben. Zur praktischen Umsetzung dieses Gemeindeideals führte Zinzendorf für alle Mitglieder eine Vielzahl verschiedener Ämter und Versammlungen ein. Ein Novum war dabei, dass sowohl Männer als auch Frauen gleichermaßen mit öffentlichen Ämtern betraut wurden. Damit kam es nicht nur erstmals seit der Reformation zur praktischen Umsetzung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, sondern wurde auch erstmals im Protestantismus aus der biblischen Erkenntnis, dass die Frau in der Urchristenheit gleichberechtigte Mitarbeitern in der Gemeinde war, die praktische Konsequenz gezogen. Anna Nitschmann und den Frauen in Herrnhut stand damit eine Vielfalt von Betätigungsfeldern offen.

Bereits im Alter von vierzehn Jahren wurde Anna Nitschmann das Amt der Ältesten aller Frauen in der Gemeine übertragen. In den nachfolgenden Jahren etablierte sie in dieser Funktion gewissermaßen ein erstes protestantisches Frauenkloster in Herrnhut. Der Ausbau dieses so genannten „Ledigen Schwestern Chores“ bereitete ihren weiteren Aufstieg in die oberste Verwaltung vor. Als Zinzendorf aufgrund zunehmender Kritik seitens der Landeskirche 1736 aus Sachsen verbannt wurde und eine Pilgergemeine gründete, schloss sich Anna Nitschmann an und beteiligte sich an der Gründung einer neuen Siedlung in Herrnhaag, die in kürzester Zeit um die 1000 Mitglieder umfasste und BesucherInnen aus der Schweiz, Holland, England, Amerika und Skandinavien anzog. Ab diesem Zeitpunkt vertrat Anna Nitschmann als Ältestin die Brüdergemeine auch international. Administrative Verhandlungen führten sie nach England, Frankreich und Holland. Ab 1740 widmete sie sich verstärkt der Mission, reiste mit Zinzendorf nach Amerika und wirkte dort beim Aufbau der neuen Siedlung Bethlehem mit. Dabei beschränkte sich ihre Tätigkeit nicht nur auf seelsorgerliche Gespräche mit Frauen und Kindern, sondern umfasste auch das Predigen in einer Zeit, in der das öffentliche Reden von Frauen verboten war. Von Pennsylvania aus unternahm sie weitere Missionsreisen zu den Indianern. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1743 wurde sie aufgrund ihrer Leistungen zur Generalältestin und damit zur verantwortlichen Leiterin aller Frauen der weltweiten Brüdergemeine ernannt.

1757 heiratete Anna Nitschmann den fünfzehn Jahre älteren Grafen Zinzendorf, nachdem dessen Ehefrau verstorben war. Knapp drei Jahre waren sie verheiratet, als beide fast zur selben Zeit schwer erkrankten und im Mai 1760 kurz hintereinander starben. Anna Nitschmann starb am 21.05.1760 zwölf Tage nach Zinzendorf im Alter von 44 Jahren. Sie hatte am Ende ihres Lebens die höchste Leitungsposition innerhalb der weltweiten Herrnhuter Brüdergemeine inne und mehr Macht als jede andere Person neben Zinzendorf. Dennoch lässt sich konstatieren, dass es trotz ihrer Bedeutung nach wie vor nur wenig Forschung zu ihrer Person gibt. Dies liegt mitunter daran, dass die Brüdergemeine nach ihrem und Zinzendorfs Tod zunehmend unter Druck seitens der Landeskirche geriet und Schwierigkeiten hatte, ihren hohen Status als Frau zu erklären. In der Folge wurden viele ihrer Schriften vernichtet und ihre Bedeutung weitgehend marginalisiert. Unbestritten bleibt allerdings, dass sie in der Herrnhuter Brüdergemeine die Frau mit dem höchsten Rang war.

Wirkungsbereich

Als Anna Nitschmann im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie am 24. Februar 1525 nach einem dreiwöchigen Fußmarsch in Herrnhut ankam, hatte Zinzendorf die Leitung der Gemeine übernommen und war darum bemüht, Strukturen und Regeln einzuführen. Dies war notwendig geworden, da die religiöse Toleranz, die Zinzendorf und auch seine Großmutter propagierten, eine große Anziehungskraft auf Flüchtlinge unterschiedlichster religiöser Couleur ausübte, deren verschiedene Bekenntnisse und Auffassungen in der Gemeine aufeinanderprallten und immer wieder Streit verursachten. Neben einer Vielzahl neuer Versammlungsformen und der Einteilung in verschiedene Gruppen, führte Zinzendorf diverse apostolische Ämter ein, in der Hoffnung die Streitigkeiten dadurch zu beseitigen. So wurde auch Anna Nitschmann nur kurze Zeit nach ihrer Ankunft und obwohl erst neun Jahre alt das Amt der Helferin und Ermahnerin übertragen. In dieser Funktion hatte sie die Aufgabe, geistige Diskussionen unter den jungen Mädchen zu leiten und deren gutes Benehmen sicherzustellen. Nur drei Jahre später wurde Anna Nitschmann im Alter von nur vierzehn Jahren mit dem Amt der Ältesten aller Frauen in der Gemeine betraut. Dieses Amt sah die seelsorgerliche Betreuung aller Frauen sowie die Repräsentation ihrer Belange in verschiedenen Gemeinegremien vor.

Dass Anna Nitschmann mit der Übertragung dieser Verantwortung auch schon in jungen Jahren gestalterisch umzugehen wusste, zeigte sich nur kurze Zeit später. Zusammen mit siebzehn anderen jungen Mädchen gründete sie den sog. „Jungfernbund“, der ein freiwillig eheloses Leben im Dienst Christi vorsah. Nach etwa drei Jahren nahm dieser Jungfrauenbund als „Lediger Schwestern Chor“ institutionalisierte Form an und die Frauen zogen unter der Leitung Anna Nitschmanns in ein gemeinsames Schwesternhaus ein. Die Struktur ähnelte einem Kloster und war vollständig auf diakonischen Dienst ausgerichtet. Die Etablierung eines protestantischen Frauenklosters, für das Anna Nitschmann verantwortlich gezeichnet werden kann, erzeugte vor allem aus theologischer Sicht Widerspruch. Dem Ehestand wurde im Protestantismus eine hohe Bedeutung beigemessen. In Herrnhut wurde dieser Bedeutung durch die besondere Form der so genannten Streiterehe Ausdruck verliehen. Dabei handelte es sich um eine durch das Losverfahren arrangierte Ehe, deren Funktion ganz im Dienst Christi und der Gemeine gesehen wurde. Mann und Frau  sollten sich gemeinsam auf gleicher Augenhöhe mit allen Fähigkeiten zusammen in den Dienst Christi stellen. Dies wurde vor allem angesichts der zunehmenden Missionsarbeit, die die Herrnhuter zu entwickeln begannen, relevant, denn die Brüder- und eben auch Schwesternhäuser sollten explizit für die Ausbildung der Missionsarbeiter und Missionsarbeiterinnen zuständig sein.

Das von den Herrnhutern praktizierte Losverfahren bereitete vor allem Anna Nitschmann und den Schwestern des Ledigen Chores Probleme. Sie wollten sich ausdrücklich der keuschen Ehe mit Christus verschrieben wissen. Da die Gewissensfreiheit jedoch über dem Losentscheid stand, hatten die durch das Los füreinander Bestimmten durchaus die Möglichkeit, eine Eheschließung abzulehnen. So gelang es auch Anna Nitschmann, das ihr zugedachte Ehelos mehrfach abzuwenden. In einem von ihr selbst verfassten Lebensbericht aus dem Jahre 1737 schildert sie diese Zeit als schwere Belastung, die sie mit Demut zu ertragen suchte. Wie Lucinda Martin allerdings in einem Aufsatz über Anna Nitschmann zeigen konnte (vgl. Martin: 396-399, bes. 399), stimmt das Bild, das sie von sich selbst in ihrem Lebensbericht zeichnet nicht ganz mit zeitgenössischen Schilderungen über ihre Person überein. Dort wird sie eher als sehr eigenwillig, ehrgeizig und auch streitlustig charakterisiert. So teilte sie beim ersten Ehevorschlag der Gemeine offenbar deutlich mit, dass sie nicht heiraten wolle und beim zweiten Ehevorschlag einigte sie sich mit dem Auserwählten hinter den Kulissen über eine Korrespondenz. In ihrem Lebensbericht hielt sie fest: „So war ich wieder frei, und ich dankte dem Heiland, der es so wohl gemacht hatte.“

Mit dieser neu gewonnenen Freiheit konnte sich Anna Nitschmann von da an voll und ganz ihrer Arbeit widmen. Im Jahre 1740 übergab sie ihren Posten als Älteste in Herrnhut an eine andere Schwester, um sich der Mission zu widmen. 1741 begleitete sie Zinzendorf mit einer kleinen Delegation, zu der auch ihr Vater gehörte, nach Pennsylvania, um dort beim Aufbau einer neuen Siedlung zu helfen. Dabei predigte sie auch öffentlich, was in einigen amerikanischen Gemeinden Proteste hervorrief. Einige Gruppierungen, wie zum Beispiel die Quäker, die Frauen das Predigen erlaubten, hießen Anna Nischmann dagegen herzlich willkommen. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Verweis von Peter Vogt auf ein zeitgenössisches Gemälde, das Anna Nitschmann in der Quäkergemeinde zeigt, abgebildet vor der Ältestenbank, die bei den Quäkern ausschließlich Predigerinnen und Predigern vorbehalten war. Dies zeigt, dass Anna Nitschmann auch über die Brüdergemeine hinaus als Predigerin wirkte und Anerkennung fand.

Gemäß ihrer Überzeugung der Gleichstellung von Mann und Frau im Amt, praktizierten die Herrnhuter auch die Ordination von Frauen für das Amt der Priesterin, hielten dies jedoch aus Angst vor öffentlicher Kritik vor allem seitens der Landeskirche jahrelang geheim. Eine erste offizielle Ordination von Frauen ist in den Dokumenten für den 12. Mai 1758 überliefert. Bei dieser ersten feierlichen Ordination nahmen laut Quellen Zinzendorf und Anna Nitschmann gemeinsam die Einsegnung der Schwestern vor. Demnach musste sie zu denjenigen Frauen zählen, die schon vorher im Geheimen in das Amt der Priesterin ordiniert worden waren. Manche Autoren und Autorinnen vermuten sogar, dass sie wohl auch das Amt einer Bischöfin innehatte, das in dem Titel „Mutter der Brüdergemeine“ ihren Ausdruck fand.

Reformatorische Impulse

Welche weitreichenden Folgen eine soziale Neuerung bedingt durch den christlichen Glauben haben konnte, erfuhr Anna Nitschmann am 17. März 1730, als das Los zur Wahl der Ältestin auf sie als 14-jähriges armes Bauernmädchen fiel und damit den Grundstein für eine stetig aufsteigende Karriere innerhalb der Herrnhuter Brüdergemeine legte. Das Losverfahren war ein im 18. Jahrhundert weit verbreiteter Brauch, der beispielsweise bei der Aushebung von Soldaten Verwendung fand und als Gottesurteil interpretiert wurde. Bei den Herrnhutern erhielt das Losverfahren sehr früh öffentliche Geltung, wurde bei allen wichtigen Entscheidungen praktiziert und brachte im Laufe der Jahre eine regelrechte Losordnung hervor. Durch das Los wollte sich die Brüdergemeine versichern, dass der Herr ihr gnädig war. Ein Losentscheid wurde nach dem Glauben der Herrnhuter somit direkt durch Jesus bestätigt. Dabei stand die Gewissensfreiheit jedoch über der Losentscheidung, die vor der Berufung in ein Amt als nicht bindend verstanden wurde, sondern ein ausdrückliches Ja zur Annahme des oder der Gelosten erforderte. Diese Praxis brachte eine Demokratisierung mit sich, die bei der Ämtervergabe keinen Unterschied machte zwischen Herkunft, Stand, Vermögen, Alter oder aber auch Geschlecht, sondern einzig und allein nach Eignung. Darüber hinaus half das Losverfahren mit, dass Männer und Frauen im gemeinsamen Glauben an Jesus Christus die Gleichheit aller auch im Lebensalltag unbeirrt umsetzten.

Der auf Jesus konzentrierte Dienst am Nächsten wurde für Anna Nitschmann zur obersten Priorität. In sehr jungem Alter übernahm sie die Verantwortung und baute den Ledigen Schwerstern Chor in Herrnhut auf. Die von den Herrnhutern praktizierte Doppelbesetzung aller Ämter mit Männern und Frauen brachte gleichzeitig eine geschlechtssegmentierte Aufgabenzuteilung mit sich. Eine Lebensgestaltung in weiblicher Gemeinschaft wurde daher für sie zur Normalität. So erstaunt es nicht, dass das ihr mehrmals zugedachte Ehelos als bedrückend empfunden wurde. Sie agierte in der Gemeine offen dagegen und betitelte ihren Erfolg als die Wiedergewinnung einer verlorengeglaubten Freiheit.

Besonders beeindruckend ist, dass sie auch als Predigerin in Erscheinung trat und dabei auch über die Brüdergemeine hinaus Anerkennung fand. Während ihrer Missionsreisen nach Amerika scheute sie nicht die Gefahr, öffentlich zu predigen, obwohl dies in vielen amerikanischen Gemeinden Protest hervorrief. Erst im Jahr 1999 wurden im Archiv der Herrnhuter Brüdergemeine 37 unbekannte Reden und Predigten von Frauen entdeckt, von denen allein 21 von Anna Nitschmann stammen. Diese Dokumente sind bisher nicht publiziert und stellen ein Forschungsdesiderat dar, das wichtige Auskunft über Anna Nitschmanns reformatorischen Impulse liefern könnte.

Kommentar

Zinzendorfs Hochschätzung der menschlichen Individualität hatte zur Folge, dass in der Brüdergemeine – über Hierarchien und Geschlechtsunterschiede hinweg – Begabungen hervortraten und gefördert wurden, wie es dies bis dahin innerhalb der Kirche noch nicht gegeben hatte. Beispielhaft dafür steht Anna Nitschmann, die als einfaches Bauernmädchen in die höchsten Ämter und Positionen innerhalb der Brüdergemeine aufstieg. Zusammen mit Zinzendorf wirkte sie am Aufbau des einzigartigen Systems der Brüdergemeine mit und stellte ihr Leben von frühester Kindheit an in den Dienst der Diakonie als Dienst am Nächsten für Christus. Über ihr Verhältnis zueinander ist viel spekuliert wurden. Als Zinzendorfs Frau 1756 verstarb, heiratete der Graf direkt ein Jahr später nach Ablauf des Trauerjahres auf den Tag genau die fünfzehn Jahre jüngere Anna Nitschmann im Beisein weniger eng Vertrauter. Merkwürdigerweise wurde die Eheschließung erst einmal geheim gehalten. Anna Nitschmann änderte weder ihren Namen noch ihre Lebensgewohnheiten. Knapp drei Jahre waren sie verheiratet, als beide fast zur selben Zeit schwer krank wurden. Zinzendorf litt an einer Lungenentzündung, hatte schweren Husten und verstarb im Alter von 60 Jahren am 9. Mai 1760. Zwölf Tage später verstarb auch Anna Nitschmann im Alter von 44 Jahren. Viele der Herrnhuter Gemeinemitglieder erfuhren erst zu diesem Zeitpunkt, dass die beiden heimlich geheiratet hatten. Der Tod seiner ersten Ehefrau und der dadurch bedingte unverheiratete Stand ließen die seelsorgerlichen Pflichten Zinzendorfs, denen er auch bei den Ledigen Schwestern nachkommen musste, innerhalb der Gemeine problematisch erscheinen. Zinzendorf selbst gab im Protokoll bei seiner Hochzeit mit Anna Nitschmann ausdrücklich an, dass seine Motivation zur Heirat nicht seinem eigenen Wunsch, sondern dem der Gemeinde entspringe. Warum er die Eheschließung dann aber wiederum angesichts der seelsorgerlichen Notwendigkeit in der Brüdergemeine geheim hielt, bleibt rätselhaft. Dies spiegelt sich noch mehr in der Beisetzung Anna Nitschmanns und ihrer Grabstätte wider. Auf dem Friedhof der Herrnhuter Brüdergemeinde, dem sog. Gottesacker am Hutberg in der sächsischen Oberlausitz, finden sich im Zentrum die Grabstätten des Grafen und seiner Familie, die sich durch erhöhte Grabplatten von den übrigen – für die Brüdergemeine typischen – flachen und genormten Grabsteinen unterscheiden. Steht man vor der monumentalen Grabplatte Zinzendorfs, so fällt auf, dass zu seiner Rechten Zinzendorfs erste Ehefrau Erdmuthe Dorothea Gräfin von Zinzendorf, geborene Gräfin Reuß zu Ebersdorf (1700-1756) ruht. Neben dem Adelsgeschlecht, dem sie entstammte, ist auch die Rolle, die ihr in der Brüdergemeine zukam, vermerkt. Sie war die „Amme“ innerhalb der Gemeine. Blickt man zur Linken, so ruht dort ebenfalls unter einer monumentalen Grabplatte Anna Nitschmann. Die eingemeißelte Inschrift nennt weder Titel noch irgendeine Funktion, die der Verstorbenen in der Brüdergemeine zukam. Lediglich, dass sie mit einem Ordinarius der Brüdergemeine verheiratet gewesen ist, lässt sich ablesen. Dass es sich bei diesem Ordinarius um den Grafen Zinzendorf selbst gehandelt hat, geht aus der Grabplatte allerdings nicht hervor. Unwissende FriedhofbesucherInnen mögen sich wohl etwas irritiert die Frage stellen, wer diese Frau zur Linken Zinzendorfs war, die weder als bedeutende Repräsentantin der Herrnhuter Brüdergemeine noch als Zinzendorf-Familienmitglied ausgewiesen ist und dennoch auf dem Gottesacker mitten im Zentrum unter einer besonderen Grabplatte ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Ihre Grabplatte wurde erst sechs Jahre nach ihrem Tod zur linken Seite des Grabes Zinzendorfs errichtet. Wo Anna Nitschmanns Leichnam in den dazwischenliegenden Jahren bestattet war, ist bis heute ungeklärt. Sehr wahrscheinlich sah sich die Brüdergemeine nach dem Tod Zinzendorfs aufgrund des zunehmenden Drucks seitens der Landeskirche gezwungen, die Bedeutung und Stellung Anna Nitschmanns innerhalb der Gemeine zu vertuschen und gleichzeitig auch den Dienst der Frauen einzuschränken. Dies führte leider dazu, dass in der Nachfolgezeit nicht nur Anna Nitschmann in Vergessenheit geriet, sondern Frauen innerhalb der Herrnhuter Brüdergemeine zunehmend aus leitenden Positionen verschwanden.