Anna Olevian

Die Mutter des Reformators Caspar Olevian, eine tapfere evangelische Frau im Trier der Gegenreformation und Mittelpunkt einer bedeutenden calvinistischen Familie
Die Mutter des Reformators Gunther Franz
Lebensdaten
von 1513/14 - bis 1596
Unter weiteren Namen bekannt als:
Anna Olevianus, Anna Sinzichin, Anna Sinzig
Beziehungen

Die Beziehungen von Anna Olevian in Trier

Anna ist die Enkelin des Trierer Metzgers Gerhard Syntzygk (Sinzig) und der Barbara sowie die Tochter des Metzgerzunftmeisters Anton(ius) Sinzig (gest. vor dem 29. Juli 1551) und der Margarethe. Anton Sinzig war lange Jahre 1524/25 bis 1535/36 und 1537/38 Obermetzgermeister (Amtsmeister). Der Amtsmeister der Metzger kommandierte die Stadtschützen, und 15 Metzger beteiligten sich an der Verteidigung Triers. Anna Sinzig heiratete um 1533 Gerhard von der Olewig, wie sein Vater Thiso von der Olewig Bäckermeister. Sie nannten sich nach dem Vorort, aus dem sie stammten. Die Familie hieß später latinisiert Olevianus, die Namensform, die zwei studierte Söhne angenommen hatten. Gerhard wurde Zunftmeister der Bäcker und Rentmeister (Stadtkämmerer). Die Metzger und Bäcker bildeten neben Webern und Gerbern-Schuhmachern die vier „großen Ämter“ (Zünfte) im Stadtrat, die besonders bei der Besetzung eines der beiden Bürgermeister (des Zunftbürgermeisters) und der Rentmeister eine wichtige Rolle spielten.

Das Ehepaar lebte in dem 1533 von Thiso von der Olewig erworbenen Haus „Wittlich“ Am Graben (heute Grabenstraße 13 in der Nähe des Hauptmarktes). Beziehungen des Ehepaars bestanden zur städtischen Führungsschicht, darunter der Bürgermeister Johann Steuß, der evangelisch gesinnt war und Caspar Olevian 1559 eine Stellung an der Universität zur Einführung der Reformation verschaffte. Nach dem Tod ihres Mannes Gerhard von der Olewig 1559 und Ausweisung der Evangelischen aus der Stadt Trier im folgenden Jahr blieb Anna „gut vernetzt“ inmitten der Stadt wohnen und führte die Bäckerei weiter.

Eine besondere Beziehung unterhielt Anna Olevian wahrscheinlich zu den einzelnen Evangelischen, die bis 1584/85 in Trier bleiben konnten: der Stadtsyndikus Dr. Wilhelm Kyriander (1569-1577 in Trier, Verfasser einer Stadtgeschichte, vertrat die Stadt im Prozess um die Reichsunmittelbarkeit), Stadtarzt Dr. Heso Meyer (konvertierte 1585 unter Zwang), mehrere Goldschmiede. Es ist nicht bekannt, wer sich im großen Keller unter dem Haus der Bäckerei zu Versammlungen oder Gottesdiensten traf.

Anna Olevian als Zentrum einer bedeutenden Familie

Ihre Kinder:

Dr. med. Friedrich Olevian, 1560 aus Trier ausgewiesen, 1565 Leibarzt des Herzogs Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken, heiratete Felicitas Windecker, die Tochter des Leibarztes des Pfalzgrafen Johann Casimir.

Dr. jur. Caspar Olevian, geb. 10. August 1536 in Trier, 1559 Dr. jur. in Bourges, kehrte in seine Heimatstadt zurück, um bei der Einführung der Reformation zu helfen. Seine Predigten fanden bei etwa einem Drittel der Bürgerschaft Anklang. Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 hätte die Reformation in Trier nur eingeführt werden können, wenn es freie Reichsstadt gewesen wäre. Am 26. Oktober 1559 zog der Kurfürst mit Reitern und Landesknechten in Trier ein. Alle evangelisch gesinnten Bürger, die nicht zur katholischen Religion zurückkehren wollten, mussten die Stadt und das Kurfürstentum Trier verlassen. Caspar Olevian wurde von Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz in dessen Hauptstadt Heidelberg berufen, Professor der Dogmatik und als Mitglied des Kirchenrates beteiligt am Heidelberger Katechismus (seit 1618/19 Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen). Graf Johann VI. der Ältere von Nassau-Dillenburg berief Olevian 1584 nach Herborn. Dort erhielt er die erste Pfarrstelle und wurde Professor und Gründungsrektor der Hohen Schule, die als calvinistische Universität große Bedeutung erlangte. Er hatte auch auf die Kirchenordnung anderer reformierter Territorien Einfluss und gilt als führender evangelisch-reformierter Theologe. 1584 zog nach der Ausweisung aus Trier seine 70-jährige Mutter Anna nach Herborn. Caspar starb am 15. März 1587 als Folge eines Sturzes, seine Mutter 1586.

Auch der älteste Bruder von Caspar Olevian, Matthias, war reformierten Bekenntnisses. Er arbeitete als Goldschmied und Mechaniker in Nassau-Dillenburg und in der Kurpfalz und heiratete Maria von Roomen aus der wallonisch-reformierten Exulantengemeinde in Frankenthal.

Die nach der Mutter benannte Tochter Anna Olevian heiratete um 1578 den Frankfurter Arzt Dr. med. Johann Bechtold (Berthold) Bach (Rivius), der 1589 bis zu seinem Tod 1622 Stadtarzt (Physicus) der Reichsstadt Frankfurt am Main war.

Sonstige Verwandte:

Die Schwester der Mutter Anna, Margarete (geb. Sinzig) lebte nach dem frühen Tod ihres Ehemannes mit dem Sohn Michael Loefen (Loefenius, 1546-1620) im Haus „Wittlich“ in Trier, bis sie 1564 wegen der Verfolgung der Protestanten nach Düsseldorf fortzog. 1575 promovierte Loefenius zum Dr. jur. in Basel und heiratete Agnes van Est, Enkeltochter des Reformators Caspar Hedio. Bald nachdem Loefenius von Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz als Hofgerichtsrat nach Heidelberg berufen wurde, entließ ihn 1577 der lutherische Kurfürst Ludwig VI. Nach dem erneuten Konfessionswechsel der Kurpfalz war Loefenius Mitglied des Oberrats, 1598 evangelischer Administrator des Stiftes Kastl in der Oberpfalz und 1604 geadelt.

Annas Tochter Irmina ist die Mutter von Ottilie Sinzig, die 1574 in Heidelberg den Theologieprofessor Johannes Piscator (Fischer, 1574-1624) heiratete. Er war als Calvinist aus Straßburg vertrieben worden und wurde 1577 auch aus der Pfalz ausgewiesen. 1584 wurde Piscator mit Olevian zusammen Professor in Herborn, und zwar für Philosophie. Piscator wurde bekannt durch seinen Bibelkommentar und eine Bibelübersetzung (Piscatorbibel).

So hatte die Bäckerswitwe eine große Familie mit bedeutenden Vertretern in den verschiedenen reformierten Territorien Deutschlands. Dass neben ihrem Sohn Caspar zwei weitere Verwandte in Heidelberg 1577 als führende Calvinisten entlassen wurden, unterstreicht das eindrucksvoll. In der Herborner Stadtkirche sind drei gleichartige Grabplatten aus Eisen erhalten für Caspar Olevian, Anna Sinzig und das Ehepaar Johannes Piscator und Ottilie Sinzig.

Wirkungsbereich

Wirkungsstätte von Anna war von 1533 bis 1584 ein halbes Jahrhundert lang die Bäckerei im Haus „Wittlich“ in der Nähe des Trierer Marktplatzes. Nach dem Tod ihres angesehenen Mannes 1559 konnte sie die Bäckerei mit Gesellen weiterführen.

Es ist bemerkenswert, dass das Ehepaar Anna und Gerhard von der Olewig (später Olevianus), das zur Führungsschicht der Stadt Trier aus dem Handwerk gehörte, den weiteren Aufstieg der Familie plante und mit hohen Kosten zwei Söhne lange Zeit im Ausland studieren und sogar beide promovieren ließ. Bei der gegenüber heute geringen Zahl der Doktoren der Rechte oder der Medizin hatten diese Aussicht auf angesehene und einträgliche Stellungen. Nach der Rückkehr aus Bourges verzichtete Caspar aber auf die juristische Laufbahn mit einem Praktikum (Referendariat) beim Reichskammergericht in Speyer, um in Genf und Zürich Theologie zu studieren und in seiner Heimatstadt Trier bei der Einführung der Reformation zu helfen.

1584 wurde im Protokoll betont, dass Anna Olevian sich besonders auf die medizinische Behandlung von Frauen verstünde. Vielleicht war es für sie eine Rettung, dass sie in – nach damaligen Lebensverhältnissen – hohem Alter von etwa 70 Jahren ausgewiesen worden ist. Kurz danach, 1586, begann die große Prozesswelle in Trier gegen “Hexen“ und „Zauberer“. Daraus ist besonders die Verbrennung des Trierer Schultheißen Dr. Dietrich Flade als Zauberer 1589 bekannt. Eine ungewöhnliche und unangepasste alte Frau wie die Mutter des Reformators, die an der angeblichen Häresie festhielt (das Teufelsbündnis der Hexen galt auch als Abfall von Gott und Häresie) und die Heilkunst praktizierte, hätte leicht das Opfer von „Besagungen“ werden können. Es sind unter dem Zwang der Folter erpresste Bezichtigungen, wen man auf dem Hexentanzplatz gesehen habe.  Wenn eine Frau unter den damaligen hygienischen Verhältnissen anderen helfen wollte, gab es natürlich auch Fehlgeburten und Todesfälle bei den Müttern. Im damaligen Weltbild dachte man nicht an eine natürliche Krankheit oder eine übernatürliche Strafe Gottes, sondern überlegte als erstes, welche Frau – vielleicht auch welcher Mann – diesen Schadenszauber verübt haben könne. Das Gerücht verbreitete sich schnell, und wenn jemand unter dem Zwang der Folter Namen nennen musste, nannte er verständlicherweise Berüchtigte.

Erinnerungsorte an das Wirken von Anna Olevian

(Abbildung 1: Haus „Wittlich“, Copyright: Dr. Jörg Weber, Trier)

Das Haus „Wittlich“ in der Grabenstraße 13, in der Nähe des Trierer Hauptmarktes, in dem Anna fünfzig Jahre lang von 1533 bis 1584 lebte und wirkte, ist erhalten. Für den dort 1536 geborenen Sohn Caspar Olevian ist eine Gedenktafel angebracht. Die gotische Fassade hat die Zerstörung des 2. Weltkriegs überstanden. Im Inneren kann ein Architekturbogen eines großen Backofens angesehen werden (Modegeschäft). Die großen Keller, in denen die steinerne Kanzel stand, können nur mit einer speziellen Führung besichtigt werden. Ein Kapitell dieser Kanzel mit dem eingravierten Namen CASP.OLEVIAN. wurde als ungewöhnliches Zeugnis der Reformation vor dem Predigtpult im Caspar-Olevian-Saal aufgestellt. Dieser Saal im kurfürstlichen Palais ist nur bei Veranstaltungen geöffnet.

In der Stadtkirche Herborn (Nassau) ist die Grabplatte für Anna neben zwei weiteren Platten für Caspar Olevian, Johannes und Ottilie Piscator erhalten.

(Abbildung 2: Grabplatte von Anna Sinzig in der Herborner Stadtkirche; Copyright: Ronald Lommel, Herborn)

Reformatorische Impulse

Welche Auswirkungen hatte die Reformation auf das Leben und Wirken von Anna?

Es ist nicht bekannt, seit wann Anna evangelisch gesinnt war. König Philipp II. von Spanien schrieb als luxemburgischer Landesherr 1558 an den Trierer Kurfürsten, er habe mit Sorgen vernommen, dass etliche Einwohner der Stadt Trier das Sakrament unter beiderlei Gestalt empfangen würden. Bürgermeister Johann Steuß schrieb 1559 an den Kurfürsten und Erzbischof, dass seit längerer Zeit viele Trierer Bürger evangelische Predigt und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt von Brot und Wein empfangen wollten. Caspar Olevianus kam beim Studium in Orléans und Bourges in Kontakt mit den evangelischen Gemeinden (Hugenotten). Entscheidend wurde (nach einem stilisierten Bericht) ein spektakuläres Unglück am 1. Juli 1556. Prinz Hermann Ludwig von der Pfalz, der in Bourges studierte, ertrank bei einer Bootsfahrt. Olevian geriet in Lebensgefahr und legte ein Gelübde ab, in seiner Vaterstadt das Evangelium zu verkündigen.

1559 war ein Schicksalsjahr für die Stadt Trier und viele Bürger, besonders auch für Anna Olevian. In der ersten Jahreshälfte starb ihr Mann Gerhard. Caspar hielt am 10. August, seinem 23. Geburtstag, vor großem Publikum eine engagierte evangelische Predigt. Die Ratsminderheit wies Olevian die Kirche des Bürgerspitals St. Jakob an, wo er eine ständig wachsende Zuhörerschaft hatte. Da der Anspruch der Stadt Trier auf Reichsunmittelbarkeit nicht anerkannt war, erklärte der Kurfürst und Erzbischof Johann von der Leyen am 2. Oktober 1559, die Augsburgische Konfession nicht zuzulassen. Er belagerte die Stadt bis zu deren Kapitulation am 25. Oktober 1559. Um den Widerstand zu brechen, wurden in die Häuser der Evangelischen Truppen gelegt – in das Haus der Bäckerswitwe sogar zehn Landesknechte. Caspar Olevian, Johann Steuß und andere führende Protestanten wurden verhaftet und sollten wegen Aufruhrs angeklagt werden, was zur Hinrichtung hätte führen können. Die Bedeutung, die man den Ereignissen in Deutschland beimaß, kann man daran sehen, dass eine 26köpfige Gesandtschaft von Kurfürst Friedrich von der Pfalz und anderen evangelischen Fürsten eintraf, um die Trierer Glaubensgenossen zu unterstützen. Auf ihre Fürsprache wurde Caspar am 19. Dezember 1559 mit den anderen Gefangenen freigelassen, musste aber Trier verlassen.

Von den 1560 nach Trier gekommenen Jesuiten wurde tatkräftig die Gegenreformation und katholische Reform gefördert. Erstaunlicherweise konnte Anna Olevian mitten in der Trierer Innenstadt in aller Öffentlichkeit ihren Handwerksbetrieb weiterführen. Es war bekannt, dass sie evangelisch war und nicht die Messe besuchte; sie musste aber zurückhaltend sein.

Da eine Anzahl Bürger und etliche Frauen nicht in Trier, sondern in evangelischen Gemeinden außerhalb des Kurstaates (am nächsten lagen Veldenz und Trarbach an der Mosel) das Abendmahl empfangen hatten, stellte der Trierer Stadtrat im Juni 1564 die Betreffenden vor die Wahl, entweder Ostern in Trier „sub una“ (mit einer Gestalt Christi, der Hostie, ohne Wein) zu kommunizieren und eine diesbezügliche Bescheinigung eines Priesters vorzulegen oder innerhalb drei Wochen mit Weib und Kind die Stadt zu verlassen. Der Laienkelch, der durch die Betonung bei den Hussiten und in der Reformation zum Unterscheidungsmerkmal geworden war, konnte nach katholischer Lehre in bestimmten Fällen durchaus zugelassen werden, so im Augsburger Interim Kaiser Karls V. von 1548. Papst Pius IV. hatte unter dem Datum des 16. April 1564 den Erzbischöfen und Bischöfen im Reich den „Kelchindult“ (die Genehmigung zum Reichen des Laienkelches) erteilt, um evangelisch Gesinnte wieder mit der Kirche zu vereinen. Der Trierer Erzbischof wollte in seinem Kurstaat nicht auf dieses Unterscheidungsmerkmal verzichten, war also „päpstlicher als der Papst“.

Anna Olevian wurde von zwei Priestern, darunter sogar dem Domdechanten (einem der höchsten Geistlichen des Erzbistums), verhört, die am 6. Juni 1564 darüber berichteten: „Item die alte Bäckermeisters, nämlich Doktor Kaspars Mutter, und ihr Schwester Margarete, die dieser Zeit hinab gen Düsseldorf mit ihrem Sohn gezogen, haben sich durch seine Unterweisung dahin verwiesen, dass sie angezeigt, dass sie ohne gewisse Beschwernis ihrer Gewissen von ihrer Kommunion nit abstehen könnten.“ Anna erbat sich Bedenkzeit und erklärte dem Domdechanten am Nachmittag: „Aber so jemands ihrenthalben sollt oder mögt geärgert werden, wäre ihr viel lieber auszuziehen, denn allhie zu bleiben“ (zitiert aus Fröhlich: 242). Anna blieb in Trier.

Am 25. und 28. Juni 1575 beschwerte sich Kurfürst und Erzbischof Jakob von Eltz, dass im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den Kurfürsten um die Reichsunmittelbarkeit der Stadt Trier die evangelische Partei um den Syndikus Kyriander erstarke. „Doctor Caspar Olevianus sei mit Wissen etlicher des Rats neulich in der Stadt gewesen.“ Der Rat wolle einen calvinistischen Prädikanten annehmen und etliche Landsknechte anstellen, die den Prädikanten schützen sollten. Es hieß auch, einige Trierer Bürger hätten den Kurfürsten von der Pfalz um Hilfe gebeten und als Gegenleistung die Einführung der calvinischen Lehre (wie das Simultaneum in oberdeutschen Reichsstädten) in Aussicht gestellt. Der Rat der Stadt bestritt den  Besuch von Caspar Olevian und bezeichnete das Gerücht als unverschämte Lüge. Aber warum sollte jemand so etwas erfinden? (vgl. dazu Franz 2012: 116-117)

Wenn Olevian noch einmal in Trier war und bei seiner Mutter gewohnt hat, bekommt die Überlieferung, dass er im Kellergewölbe der Bäckerei gepredigt habe, einen Sinn. In den zwei Monaten vom 10. August bis 11. Oktober 1559 hat Olevian vor großem Publikum öffentlich gepredigt und brauchte keine Kanzel im Keller. Die verbliebenen wenigen Protestanten haben sich aber in den folgenden 25 Jahren bis 1584 dort heimlich versammeln können. Dafür hätte man keine steinerne Kanzel gebraucht. Es hatte wohl symbolische Bedeutung, dass man eine richtige christliche Gemeinde sein wollte.

Mit dem Verlust des Prozesses um die Reichsunmittelbarkeit 1580 war die letzte Chance zur Einführung der Reformation in Trier dahin. Kurfürst und Erzbischof Jakob von Eltz erließ die neue Stadtverfassung („Eltziana“), in der bestimmt war, dass ein Nichtkatholik „in der Stadt und Bürgerschaft nicht geduldet“ werden solle. Sein Nachfolger Johann von Schönenberg wurde 1582 von den Jesuiten gelobt, weil er keine Anhänger einer anderen Religion dulde und deswegen alle Pfarrer nach Namen und Zahl derselben befragt habe. Am 10. Januar 1583 erschien er höchstpersönlich im Trierer Stadtrat und brachte zur Sprache, dass etliche Bürger nicht katholischer Religion seien und an anderen Orten kommunizieren. Bereits am folgenden Tag erfolgte die Inquisition (Befragung) der Verdächtigen. In dem Ratsprotokoll heißt es: Anna, Bäckermeisterin zu (im Haus) Wittlich sagt und bekennt, dass sie eine Christin und getauft sei. Sie habe nun etliche Jahre lang nach der Einsetzung Christi (unter beiderlei Gestalt) das hochwürdige Sakrament zu Frankfurt, Straßburg und an anderen Orten empfangen. Wenn sie wüsste, dass sie es anders soll empfangen, wollte sie nicht so lange leben. Sie habe eine (lange) Zeit hier gelebt, keinem Menschen etwas anderes denn Ehre und alles Gute getan, erzeigt und erwiesen, ohne Lob zu reden. Was ihr nunmehr begegnen soll und will, wolle sie dem lieben Gott anbefehlen.

Obwohl Caspar Olevian ein Schüler der Schweizer Reformatoren Calvin und Bullinger war und von Genf zur Reformation nach Trier entsandt wurde, war der Reformationsversuch 1559 nicht calvinistisch. Man bekannte sich zur Augsburger Konfession und zum Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Mehr kann man über das Glaubensbekenntnis von Anna auch nicht sagen. In Frankfurt konnte Anna seit 1578 ihre gleichnamige Tochter, verheiratet mit dem Arzt Bach (Rivius) besuchen. Es ist bemerkenswert, dass eine ältere Frau so weite Reisen unternahm.

Obwohl bei dem Verhör auf den ernsten Befehl des Kurfürsten hingewiesen wurde, schritt man nicht sofort zur Tat, weil man sich durch die wenigen, angesehenen evangelischen Mitbürger nicht gestört fühlte. Der Stadtrat war also – im Unterschied zu anderen Jahren – tolerant. Ein Jahr später, am 7. Januar 1584, heißt es im Ratsprotokoll: Die Konfessionisten (Anhänger der Augsburger Konfession) sollen sich uns gemäß verhalten, sonsten bis zum Sonntag Reminiscere die Stadt räumen, und am 13. September desselben Jahres, dass die „Religionsverwandten“ (die Anhänger der evangelischen Religion) endlich ausgewiesen werden sollen. Am 9. Oktober wurde schließlich beschlossen, dass die Konfessionisten nochmals ernstlich vermahnt werden und – wenn sie hartnäckig bleiben – nach dem Befehl des Kurfürsten Bürgerschaft und Stadtrechte verlieren sollen. Diese Zeitfolge – die in den erhaltenen Ratsprotokollen dokumentiert ist – zeigt, welch anhaltender Druck auf dem Stadtrat und auf der Bäckerswitwe Anna Olevian lastete. Sie zog zu ihrer Tochter nach Frankfurt und dann zu Caspar nach Herborn in Nassau. Ihren Besitz in Trier und in dem Vorort Olewig konnte Anna behalten. Die Grundstücke in Olewig verkaufte sie 1587, das Haus „Wittlich“ im folgenden Jahr an das weltliche Hochgericht Trier. Anna Olevian starb am 4. Juli 1596 in Herborn.

Kommentar

Wenn wir so viele Nachrichten über eine Frau der Reformationszeit und ihre Familie haben, dass man darüber einen Roman schreiben könnte, liegt das keineswegs nur an dem bedeutenden Sohn Caspar Olevian. Von dessen Frau Philippina wissen wir im Gegensatz nicht einmal den Nachnamen, nur, dass sie eine „fromme Witwe“ aus Metz war, die Caspar in Straßburg kennenlernte, 1561 heiratete und die 1611 in Amberg gestorben ist.

Anna war eine ganz ungewöhnliche Frau, die mit ihrem Ehemann zusammen den Aufstieg der Familie plante und zwei Söhne unter großer finanzieller Belastung jahrelang im Ausland studieren ließ. Sie tolerierten, dass Caspar nach der juristischen Promotion noch einmal ins Ausland zum Studium ging, um sich auf die Mitwirkung bei der Reformation in Trier vorzubereiten. Anna hat die Schicksalsschläge des Jahres 1559 (Tod ihres Mannes, Scheitern der Reformation, Gefahr der Hinrichtung von Caspar, Verbannung der beiden Söhne) getragen. Sie ist 25 Jahre lang als Protestantin in Trier geblieben, nicht versteckt, sondern mit einem Geschäft mitten in der Stadt, hat das Drängen auf Konversion zum Katholizismus standhaft abgelehnt und trotz Gefahren ihr Haus für eine „Katakombenkirche“ zur Verfügung gestellt. Sie wurde von den katholischen Mitbürgern geachtet, war selber hilfsbereit und hat Kenntnisse der Frauenheilkunde eingesetzt. Reisen, bei denen sie am evangelischen Abendmahl teilnahm, zeugen von der Energie dieser Frau.