Ovena Hoyers war die Tochter einer sehr reichen und gebildeten Bauernfamilie in der Landschaft Eiderstadt. Ihr Vater Hans Ovens (1560-1584) starb schon vor ihrem Tod, ihre Mutter Wenneke Hunnens (1567-1587) überlebte ihn nur für drei Jahre. Anna wuchs seitdem bei ihrem Onkel Meves Ovens (1555-1630) auf, der ein gebildeter Mann war und z.B. die von Iven Knutzen begonnene Chronik von Eiderstedt fortsetzte. Bei ihm muss Anna eine gute Erziehung genossen haben, wie sie eine Frau zu ihrer Zeit im Privatunterricht nur erhalten konnte. Sie heiratete 1599 Hermann Hoyer, der als Staller das höchste Verwaltungsamt des Landes innehatte und für die Kirchenpolitik, Justiz und Wirtschaft verantwortlich war. Sie veröffentlichte 1617 eine versifizierte Form der italienischen Novelle Euryalus und Lucretia, die 1478 Niklas Wyle ins Deutsche übersetzte hatte, aber kein Exemplar davon ist erhalten. 1628 veröffentlichte sie ihr erstes Gedicht, den Vers-Dialog Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter (ein Exemplar des Einzeldrucks ist erhalten). Sie pflegte nach dem Tod Hoyers 1622 viele Beziehungen mit protestantischen Reformatoren und Wiedertäufern, erwarb sich dadurch eine gute Bibelkenntnis und entwickelte hierbei eine stark kritische Perspektive über den protestantischen Klerus im Norden Deutschlands, insbesondere diejenigen, die die Stellen von Landpfarrern innehatten und denen sie höchst kritisch einen ganz ungeistlichen, verwerflichen Lebenswandel (Trunksucht und Streitsucht), vor allem aber mangelnde theologische Bildung vorwarf. Wegen der daraus erstehenden Feindseligkeiten und persönlichen Verfolgungen, abgesehen von großen finanziellen Schwierigkeiten und vielen Konflikten mit ihren Gläubigern begab sie sich mit ihren fünf fast erwachsenen Kindern um 1632 ins schwedische Exil, wo sie schließlich, nach Jahren großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten, von der Königinmutter Maria Eleonora, der Witwe Gustav Adolfs und der Mutter Christinas, 1649 ein kleines Gut als Eigentum erhielt. Allerdings genoss sie bestimmt nicht hohe Anerkennung am schwedischen Hof, war sie ja nicht adliger Herkunft, wirkte in ihrer religiösen Gesinnung eher eigenbrötlerisch und verfasst eigentlich nur sehr schlichte und traditionell ausgerichtete Gedichte. Ihre Werke, Geistliche und Weltliche Poemata fanden trotzdem durchaus Zuspruch unter ihren Glaubensgenossen und wurden zuerst 1650 (also nicht in Stockholm!) in Amsterdam von Elzevier gedruckt, die aber in ihrer schleswigen Heimat sofort strengstens als ketzerisch verboten wurden. Erst 1986 erschien diese bedeutende Sammlung wieder im Nachdruck, hrsg. von Barbar Becker-Cantarino. Seitdem 1577 die Konkordienformel für die protestantische Kirche publiziert und 1580 ins Konkordienbuch aufgenommen worden war, hatte sich der Altprotestantismus in strenger Absetzung von den Reformierten durchgesetzt, was vor allem die Laientheologie unterband und somit die Wiedertäufer und andere Sektierer grundsätzlich ausschloss, weil Laien nicht mehr berechtigt waren, die Bibel selbst für sich auszulegen (dies war seitdem nur noch den Theologen an den Universitäten erlaubt). Anna Hoyers geriet in den heftigen Streit gegen diese orthodoxe und autoritäre Interpretation des Lutheranismus und zog sich daher nach dem Tod ihres Mannes viele Feindschaften zu, nahm sie ja wortwörtlich kein Blatt vor den Mund und äußerte sich sehr kritisch über die rigide Kirchenpolitik, wie z.B. in ihrem Text „Schreiben an die Herrn Titulträger von Hohen Schulen“ von 1625 (Poemata: 67-75).
Solange Hoyers Ehemann lebte, scheint sie sich freilich nicht zu theologischen oder politischen Fragen geäußert zu haben, vor allem weil ihr Mann in seiner administrativen Stellung mit juristischen Mitteln sogar gegen Mennoniten und andere Sektierer (Wiedertäufer) vorging und sie zu unterdrücken versuchte. Sie selbst verfolgte weit bis in die 30er Jahre des 17. Jahrhunderts sehr traditionelle Vorstellungen von der Position der Frau, wie ihr Traktat Frawen Pflicht: Zu lernen Gott und jhre Männer zu gehorsamen, und nach Gottes Willen zu leben (Amsterdam 1630) vor Augen führt. Allerdings muss sie bereits vorher die protestantische Geistlichkeit kritisch beurteilt haben, ohne sich schriftlich darüber zu äußern. Bereits 1624 hatte sie den aus Flensburg vertriebenen Laientheologen, den Arzt Nicolaus Teting in ihr Haus aufgenommen, was als erste Kampfansage gegen die Kleriker anzusehen ist. In ihrer niederdeutschen Satire De Denische Dörp-Pape von 1630 (nachgedruckt 1885 in der Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburg Geschichte, Bd. 15) verspottete und verdammte sie die Dummheit, bornierte Buchgelehrsamkeit und mangelnde Tugendhaftigkeit des lokalen Klerus. Insbesondere hinterfragte sie dessen Anspruch auf geistige Autorität und insistierte auf ihr eigenes Recht, mittels Inspiration vom Heiligen Geist ihren persönlichen Weg zu Gott zu finden. Wenngleich ihre Gedichte erst 1650 gesammelt in den Druck kamen, scheinen viele von ihnen frühzeitig in handschriftlichen Kopien kursiert zu haben, begrüßten ja gerade viele der lokalen Wiedertäufer und Sektierer ihre heftigen Attacken gegen die orthodox werdende lutherische Kirche. Dabei berief sie sich selbst auf Luther und bediente sich sogar paralleler rhetorischer Strategien, nur diesmal selbst gegen die lutheranischen Autoritäten gerichtet, was letztlich unverzeihlich war. Ähnlich wie Schwenkfeld oder Weigel vertrat Anna die Lehre, dass Christus nicht menschlicher Natur gewesen sei, aber in ihren religiösen Reflexionen verfolgte sie überwiegend pragmatische Aspekte, warnte vor der verführerischen Macht dieser Welt, vor allem des Geldes und gemahnte ihre Leser, an das zukünftige Kommen Christi zu denken (siehe ihr „New-Jahrs-Liedlein“ von 1627, Poemata: 302-304 oder „Posaunenschall“ von 1645, Poemata: 181-230) und hier im Leben bereits Buße zu üben.
Ausgwählte Werke von Anna Ovena Hoyers sind in dem folgenden online zugänglichen Buch von A. Classen (Hg.): Frauen in der deutschen Literaturgeschichte: Die ersten 800 Jahre. Ein Lesebuch (Women in German Literature 4), ausgewählt, übersetzt und kommentiert von A. Classen, New York/Washington, DC, et al. 2000 [bes. S. 250-273] zu lesen: Frauen_in_der_deutschen_Literaturgeschichte.pdf
Ovena Hoyers reihte sich ein in die Tradition der Sektierer (Caspar Schwenkfeld, Johann Arndt, David Joris, Valentin Weigel etc.), die sich dem Druck bzw. der Autorität der protestantischen Kirche nicht zu beugen bereit waren. Ihre scharfen Angriffe auf individuelle Pfarrer und auf den gesamten Klerus zeugen von wacher Beobachtungsgabe, großem Mut und tiefer innerer Glaubensüberzeugung. Obwohl aus einem sehr reichen Elternhaus stammend, lehnte sie am Ende den Materialismus gänzlich ab und entwickelte z.B. in ihrem Gedicht “Posaunenschall” erstaunlich radikal eine Konzeption des Vorsozialismus, wonach kein Mensch mehr über Eigentum verfügen solle, weil alle Güter auf Erden von Gott herrühren und daher gemeinsam zu teilen seien. Sie entwarf sogar eine Utopie, indem sie prophezeite, dass in der Zukunft kein Tier einem anderen mehr schaden und die Erbsünde Adams überwunden sein werde: “O Gülden zeit / Voll frölichkeit / O Tag gemachete vom Herren!” (V. 259-261).
Diese Dichterin setzte mit erstaunlicher Tatkraft und mit beeindruckendem Wagemut die Tradition der protestantischen Kirchenkritik, nun aber selbst gegen die orthodox gewordene protestantische Kirche gerichtet, energisch fort. Sie besitzt in Argula von Grumbach (1492-ca. 1568) eine wichtige Vorläuferin; beide Frauen erlebten nach kurzem Publikationserfolg, mitbedingt durch die Tatsache, dass sie als Frauen schrieben, eine heftige Gegenreaktion des männlichen Klerus. Während Argulas Schicksal nach ca. 1530 weitgehend im Dunkel der Geschichte verschwindet, wissen wir, dass Ovena Hoyers jedenfalls Unterstützung im freidenkerischen Amsterdam und am schwedischen Königshof genoss. Solange sie noch in Schleswig lebte, erhielt sie außerdem die Unterstützung der Herzogsmutter Augusta (gest. 1639), Johann Adolfs Witwe. Wenngleich Ovena Hoyers, erneut parallel zu Argula, meistens einen schlichten, parataktischen Stil einsetzte und eine einfache Sprache benutzte, scheint sie mit ihren satirischen und theologischen Texten doch genau die Schwachpunkte des protestantischen Klerus getroffen zu haben, wie die heftige Gegenreaktion verrät. Wäre sie männlich gewesen, hätte sie sogar mit wesentlich schärferen Konsequenzen zu rechnen gehabt. Trotzdem litt sie erheblich im späteren Leben, weil sie wegen der großen Wechselschulden ihres verstorbenen Mannes einen wesentlichen Teil ihres Vermögens verlor, schließlich nach Schweden ins Exil gehen und dort die ersten Jahre in ziemlicher Armut verbringen musste. Erst als Gustav Adolfs Witwe Maria Eleonora von Brandenburg 1648 mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nach Schweden zurückgekehrt war, verbesserte sich Annas Situation erheblich. Sie äußerte sich seitdem recht selbstbewusst und beanspruchte sogar die Autorität, als geistige Lehrerin ihre ‘Gemeinde’ z.B. in England durch eine Publikation anzusprechen: Ein Schreiben über Meer gesandt an die Gemeine in Engeland auß einer alten Frawen handt die ungenandt/ Gott ist bekandt (1649).