Anna Paulsen wurde am 29. März 1893 in Hoirup, Nordschleswig geboren, sie wuchs als älteste von vier Töchtern im Pfarrhaus auf. Ihr Vater war ein Vertreter der Indre Mission, einer Erweckungsbewegung, die sich seit ca. 1890 in Nordschleswig ausgebreitet hatte. In ihren Kindheitserinnerungen beschreibt sie den Vater als großen Förderer ihrer Wissbegierde, er weckt ihr Interesse insbesondere im Bereich der Biblischen Theologie und für die Theologie Søren Kierkegaards. Über ihre Mutter erfahren wir nichts.
Anna Paulsen gehörte zur ersten Generation von Studentinnen in Deutschland, die Theologie studierte, ohne dass damit zunächst eine Berufsaussicht verbunden gewesen wäre.
1916 begann sie in Kiel zunächst Religion, Deutsch und Geschichte zu studieren, 1917 wechselte sie nach Tübingen, dann folgte eine kurze Zwischenstation in Münster. In Kiel legte sie 1921 das Fakultätsexamen ab. Da es noch keine zweite kirchliche Ausbildungsphase für Theologinnen gab, entschloss sie sich zur Promotion. 1923 wurde sie von der Theologischen Fakultät in Kiel zur Lizentiatin der Theologie promoviert mit einer Arbeit zum Thema: „Die Überwindung des protestantischen Schriftprinzips durch einen historischen Offenbarungsbegriff unter dem Einfluß des Württembergischen Biblizismus mit besonderer Betonung seines theosophischen Gedankenkreises“. Anna Paulsen war in Deutschland die sechste Frau, die im Fach Evangelische Theologie promoviert wurde.
Ab 1926 baute sie mit anderen Mitarbeiterinnen des Burckhardthauses in Berlin-Dahlem das Seminar für Kirchlichen Frauendienst auf, in dem Gemeindehelferinnen ausgebildet wurden. Im Jahre 1940 wurde sie Mitglied des sogenannten Vikarinnenausschusses der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union, der die Frage der Frauenordination in der Bekennenden Kirche klären sollte.
1951 wurde sie in die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen, wo sie für die kirchliche Frauenarbeit zuständig war. Dort war sie bis zum Jahre 1959 tätig.
1953 wurde ihr von der Theologischen Fakultät in Kiel der Titel einer Ehrendoktorin der Theologie verliehen.
Im Ruhestand widmete sich Anna Paulsen noch einmal ihrer schriftstellerischen und wissenschaftlichen Arbeit. Prägend war für sie die Auseinandersetzung mit der Theologie Søren Kierkegaards. In ihre theologische Anthropologie integrierte sie ihre Überlegungen zur Bedeutung von Geschlechtlichkeit.
Am 30. Januar 1981 stirbt Anna Paulsen in Heide, Nordschleswig.
Im Jahre 1994 wird das Frauenstudien- und -bildungszentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland nach ihr benannt.
Anna Paulsen war ihren Mitarbeiterinnen und Studentinnen im Burckhardthaus immer sehr verbunden gewesen. Sie wird von Käthe Hoehn, einer ihrer ehemaligen Studentinnen allerdings auch als distanziert wirkende Lehrerin wahrgenommen: „Zu Paulsens Person möchte ich sagen, sie war für sich selbst ein Einzelgänger mit Verantwortung für das Ganze. Es war immer ein Abstand da. Eine Ferne, eine Höhe. Sie dozierte ohne Manuskript, stand vorn auf dem Podium mit Lehrerblick. Sie sah eigentlich über uns hinweg. […] Helene Lange erwähnte sie als Mitstreiterin in Frauenfragen.“
Ab 1926 Leitung des Seminars für Kirchlichen Frauendienst im Burckhardthaus im Berlin-Dahlem; dort leitete sie die Ausbildung von Gemeindehelferinnen. Seit 1951 Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland; dort war sie zuständig für die kirchliche Frauenarbeit.
Hier ist auf Anna Paulsens Engagement für die Frauenordination zu verweisen, für die sie sich nach anfänglichem Zögern stark macht. Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema der Frauenordination findet maßgeblich im sogenannten Vikarinnenausschuss der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union statt, der in den Jahren 1942/43 darüber befinden sollte, ob aufgrund des akuten Pfarrermangels, Frauen nicht nur ein bis dato eingeschränktes Amt sui generis innehaben dürften, sondern ins volle Pfarramt ordiniert werden sollten. Nachdem der Vikarinnenausschuss drei Sitzungen lang von November 1941 bis April 1942 diskutiert hatte, verfasste eine kleine Gruppe der Ausschussmitglieder ein Memorandum als Vorschlag für die Synode. Danach sollte die Vikarin auf den Gemeindegottesdienst und die Leitung verzichten. Nur in Zeiten der Not sollte sie predigen und in ihrer praktischen Arbeit unter dem Pfarrer stehen. Dieses Memorandum, wurde zunächst auch von Anna Paulsen unterzeichnet. Später aber zog sie ihr Votum wieder zurück.
Innerhalb des Vikarinnenausschusses versuchte sie, durch die Herausarbeitung des neutestamentlichen Verständnisses von diakonia und der Charismen sowie durch die Rekonstruktion der Arbeit der Frauen in den urchristlichen Gemeinden als auch über eine Neuinterpretation der Texte, die immer wieder gegen das Amt der Theologin herangezogen wurden (vgl. 1 Kor 14; 1 Kor 11; 1 Tim 2), der Theologin zu einer geordneten Stellung in der kirchlichen Arbeit zu verhelfen. Anna Paulsen konnte diese Argumentation zugleich einbetten in die Auffassung, dass die Unterordnung der Frauen eine schöpfungsgemäße Ordnung sei. Auch führte sie Beispiele aus der Apostolischen Konstitution an, die ihres Erachtens gegen die Frauenordination sprechen. Ihre Arbeit in diesem Ausschuss reflektiert eine unabgeschlossene, widersprüchliche Meinungsbildung. Die Inkonsistenzen in ihrer Argumentation lösten sich in den folgenden Jahren auf, bis sie schließlich zu einer Verfechterin der Ordination von Frauen wurde.
Anna Paulsens Werk ist durch eine Vielzahl von Ambivalenzen gekennzeichnet. Ihre Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen in der Zeit des Nationalsozialismus kann dies verdeutlichen: In der Zeit, als die bürgerliche Frauenbewegung längst mundtot gemacht worden war, ihre Organisationen aufgelöst waren und die „Emanzipation von der Frauenemanzipation“ heraufbeschworen wurde, wurde Anna Paulsen zu deren Fürsprecherin. Noch im Jahre 1940 verwies sie auf die großen Verdienste der Frauenbewegung in der Mädchenbildung und der Sozialpolitik. Anna Paulsens theologisches Ordnungsdenken hatte in der Zeit des Nationalsozialismus eine ambivalente Funktion. Zunächst akzeptierte sie die Nationalsozialisten als neue Ordnungsmacht, zugleich aber distanzierte sie sich von der nationalsozialistischen Rasseideologie, die ein rein funktionales Interesse an der Gebärfähigkeit der sogenannte „arischen“ Frau innerhalb oder außerhalb der Ehe artikulierte. Grundsätzlich vertrat sie aufgrund ihrer Schöpfungsordnungstheologie die These, dass die Frau am Aufbau des Volkstums und des Staates durch ihre Berufung zur Mutterschaft mitzuwirken habe. Die Familie sollte wieder zur Grundzelle des Volkslebens werden und die Plätze, die auch sie dem weiblichen Geschlecht zuordnet, sind dem Mutterschaftsideal zugeordnet: Als Mutter, als Erzieherin der Jugend, Führerin der kommenden Generation: „Der Mutterberuf ist von Uranfang der nächste Beruf für die Frau und der köstlichste Weg.“ Die Nähe, die sich hier zu nationalsozialistischen Auffassungen finden lässt, ist jedoch ambivalent. Sie kann selbstverständlich keinesfalls Überlegungen unterstützen, nach der arische Frauen im sogenannten Lebensborn zu Gebärmaschinen degradiert würden. Diese Form der Loslösung der Mutterschaft von Ehe und Familie war für sie völlig inakzeptabel.
Zugleich unterstütze sie die Programmschrift „Die Frauenfrage und ihre Lösung durch den Nationalsozialismus“, in der die Nationalsozialistin Paula Siber für die Erwerbstätigkeit der Frauen eintrat, damit die deutsche weibliche Jugend nicht „enttüchtigt“ würde. Anna Paulsen schreibt: „Mit Recht weist sie [Paula Siber] auch darauf hin, daß mit der einfachen Lösung ‚Stellt die Frauen an die Kochtöpfe!‘ heute keine Frauenfrage zu lösen ist, da der Weg der wirtschaftlichen Entwicklung in allen Völkern zu einer Umstellung der Hauswirtschaft geführt hat, die die Frauenkraft von vielen Aufgaben entlastet, die ihr sonst zugefallen wären. Es muß daher nach wie vor auch im Raum des Volkslebens und der Volkswirtschaft für die berufliche Mitarbeit der Frau Platz geschaffen werden und es gibt große Gebiete, die nach wie vor auf den Einsatz der Frau warten.“
Anna Paulsen plädierte in den Jahren 1932/33 zugleich für eine kritische Distanz in Bezug auf die „nationale Bewegung“. Dabei wendet sie sich besonders gegen bestimmte Ausführungen des Rassegedankens, der ihrer Ansicht nach in fundamentaler Weise Aussagen des christlichen Glaubens entgegenstehen. So kritisiert sie in der Zeitschrift „Jugendweg“ im Februar 1932 den deutsch-christlichen Pfarrer Friedrich Wienecke, der in seiner Schrift „Christentum und Nationalsozialismus“ zu einer Verabsolutierung und einer religiösen Überhöhung des Rassegedankens gelangt. Gegen Wienecke, der die Neugewinnung rassischer Erkenntnis mit dem Einmünden in die Schöpfungsordnung gleichsetzt, schreibt Anna Paulsen: „Im Rassegedanken, d.h. in der einseitigen Wertung der eigenen Rasse, liegt ein Moment der Selbstbehauptung gegen den Schöpfergott, der nach der Bibel der Richtergott ist, der über alles Menschtum ohne Unterschied das letzte Wort zu sagen hat. Man macht die eigene Rasse und ihre Geschichte zum Mittelpunkt aller Geschichte. Gewiß liegt in dieser rassischen Erkenntnis ein Wahrheitsmoment, das lange übersehen worden ist. Das ist das Recht und die besondere Gegenwartsbedeutung der Bewegung. Wenn ein Gesichtspunkt verabsolutiert wird, führt er zu Einseitigkeit und zu einer schiefen Sicht auf die Geschichte.“
Für Anna Paulsen ist hier nicht nur die Selbstbehauptung gegenüber dem Schöpfergott, sondern auch eine Verleugnung der Bedeutung des Kreuzesgeschehens durch die Vermischung von nationalsozialistischer Ideologie und christlichem Glauben zu entdecken: „Christenkreuz und Hakenkreuz stehen auf einmal nebeneinander als gleichberechtigte Symbole. Das Kreuz als das Zeichen des Gerichtes über jegliches menschliches Verhalten und über alle ‚Volkstümer‘ der Welt wird verleugnet. Jede völkische Selbstvergötzung ist im Kreuz Christi verneint, um den Menschen seine neue Geltung beizulegen durch das Ja der Rechtfertigung.“ Mit dieser Auffassung positioniert sich Anna Paulsen in der Mitte der Bekennenden Kirche. Das Bekenntnis zum gekreuzigten Christus erhält so eine ideologiekritische Spitze gegen eine Rasseideologie, die idolatrische Züge hatte. Ihre Aussagen zur nationalsozialistischen Geschlechterpolitik implizieren sowohl Momente der Zustimmung als auch der Kritik an Exzessen, die sie als unchristlich charakterisieren würde. In dieser ambivalenten Haltung spiegelt sie Auffassungen des moderaten Flügels der Bekennenden Kirche wider. Ihre Texte müssen also im weiteren zeit- und kirchengeschichtlichen Kontext interpretiert werden.