Annemarie Grosch

Der kirchlichen Frauenarbeit ein Gesicht geben
Ein Leben für die Frauenarbeit Gerhildt Calies und Susanne Sengstock
Lebensdaten
von 1914 - bis 2005
Unter weiteren Namen bekannt als:
Annemarie Schilling
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Beziehungen

Annemarie Grosch wurde als Annemarie Schilling am 3. Juli 1914 in Freiburg im Breisgau in eine wohlhabende, liberale und komplett kirchenferne Bankiersfamilie geboren. Abitur machte sie 1933 in Krefeld. In ihrem Zeugnis stand noch als Berufswunsch „Bakteriologin“, doch sie hatte sich unter dem Einfluss ihrer engagierten Religionslehrerin längst für Theologie entschieden. Allerdings gegen den Wunsch ihrer Eltern: Sie selbst sagte rückblickend dazu: „In Wirtschaftskreisen war es damals üblich, dass die Frauen studierten, aber was ordentliches und nichts so weltfremdes wie Theologie, das war nicht standesgemäß, das war verrückt. Nur weil meine Eltern so liberal waren, haben sie es mir gestattet“ (aus: Calies/Penz: 80).

Sie ging zum Studium nach Berlin und kam dort im Rahmen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirchen-Gemeinde sofort in Kontakt mit der Bekennenden Kirche und wurde schon 1933 Mitglied im Pfarrernotbund.

Ihre gesamte theologische Ausbildung sowie alle Prüfungen absolvierte sie in der Bekennenden Kirche in Berlin, immer mit der Gestapo auf den Fersen, immer in Gefahr verhaftet zu werden, die Lehrer zu verlieren – wie z.B. Martin Niemöller, der 1937 ins KZ kam – oder die Freunde – z.B. Dietrich Bonhoeffer, ein guter Freund ihres späteren Mannes Götz Grosch.

Immer auch ein doppeltes Leben führend: hier die Dienstverpflichtungen durch den verhassten Staat, dort die Vorlesungen an der offiziellen theologischen Fakultät, und daneben dann das eigentlich Wichtige, das Studium in der Bekennenden Kirche. 1942 heiratete sie den Pfarrer Götz Grosch, der als „illegaler“ Pfarrer – weil zur Bekennenden Kirche gehörend – in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis Gemeinde arbeitete.

Götz Grosch wurde noch 1942 eingezogen und fiel ein Jahr später in Russland.

Als eine der ersten ordinierten Theologinnen Deutschlands wurde ihr bei ihrer Ordination durch den Bruderrat der Bekennenden Kirche  im Oktober 1943 das Wort aus dem 31. Psalm mitgegeben „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Da war sie 29 Jahre alt, sie war Witwe, es war Krieg, es herrschte eine brutale Diktatur und sie war nichts als eine illegale Vikarin.

Im Rückblick zu ihrer Situation dieser Jahre hält Annemarie Grosch fest: „[…] als mein Mann gefallen war, hatte ich wenigstens meinen Beruf. […] Ich sah einfach den Sinn (im Leben) darin, das Erbe meines Mannes zu übernehmen, und in Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis war ja auch viel zu tun“ (aus: G. Calies/Penz: 81).

Sie hat in ihren 81 Lebensjahren von dieser Zeit erzählt, immer voller Lebendigkeit, Witz und Engagement, denn sie war eine mutige und starke Frau. Die großen Ängste, die ihr die letzte Lebenszeit verdunkelt haben, haben hier möglicherweise ihren Ursprung.

Wirkungsbereich

Neben Ihrer Tätigkeit in der Bekennenden Kirche wirkt Annemarie Grosch ab 1953 prägend für die kirchliche Frauenarbeit in Schleswig-Holstein.

Sie sagt zu ihrer Situation in Berlin: „Ich blieb (in Berlin) Vikarin ohne richtige gesetzliche Regelung, während die anderen Pastoren jetzt legalisiert wurden […] und dann hatte ich einen Kollegen, der war so ablehnend gegen Theologinnen und Frauen, dass da nichts zu machen war. Da dachte ich: Entweder bin ich am Ende total deprimiert, oder ich bekomme solche Haare auf die Zähne, werde also verbittert [….] da suche ich mir lieber was anderes. Deshalb ging ich nach Schleswig-Holstein“ (aus: Calies/Penz: 81).

Bei ihrer Einstellung 1953 als Leiterin der schleswig-holsteinischen Frauenarbeit erhielt sie von Bischof Wester den Auftrag: „Geben Sie der Frauenarbeit ein Gesicht. Sie sind alle furchtbar fleißig, aber sie haben kein Gesicht.“ Dazu sagt sie rückblickend „Ich bin dem sehr gerne nachgekommen.“

In folgenden Bereichen und mit folgenden Zielen hat Annemarie Grosch diese Aufgabe angepackt, der sie so gern nachgekommen war.

1. Arbeitsbereich Bildungsarbeit:

So hat sie – oft Jahre vor der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion – brisante oder tabuisierte Themen aufgegriffen und sie der Frauenarbeit in ihrer Bildungsarbeit zugemutet – von der Frage „Juden und Christen“ über „Heimatvertriebene – Versöhnung mit dem Osten“, „Entwicklungspolitik“, „Friedenspolitik“ bis zu „Familienplanung“ und „§ 218“ – die großen Jahrestagungen in Glücksburg waren in Bezug darauf legendär.

Ganz besonders muss dabei die Arbeit mit biblischen Texten auf der Grundlage der historisch-kritischen Forschung genannt werden, denn das Ziel Selbständigkeit galt bei Annemarie Grosch auch für die theologische Arbeit.

In diesem Zusammenhang ist auch Pastorin Inge Sembritzki erwähnen, die ab 1964 mit Annemarie Grosch gemeinsam diesen theologischen Arbeitsbereich vertrat. Inge Sembritzki selbst sagt dazu in der Festschrift: „Wir haben versucht, die Kluft zwischen der wissenschaftlichen Forschungsarbeit an den Universitäten und dem Wissen um die Bibel in unseren Gemeinden […] zu verringern. Für uns beide bedeutete das – 20/25 Jahre nach unserem Studium – einen neuen Einstieg in die historisch-kritische Forschung, und wir erlebten ihn fasziniert, oft in langen nächtlichen Telefongesprächen, vor uns die aufgeschlagene Bibel“ (Sembritzki: 107).

Dass ab den 80iger Jahren in der Frauenarbeit die feministische Theologie eine so breite Resonanz erhielt, hat m. E. hier ihren Ursprung: In der Frauenarbeit war das eigenständige theologische Arbeiten von kompetenten Bibelleserinnen selbstverständlich.

2. Arbeitsbereich Müttergenesung:

Die Bildungsarbeit war jedoch nur ein Bereich in der Frauenarbeit. Das landeskirchliche Frauenwerk mit Annemarie Grosch engagierte sich von Anfang an in der Arbeit des Müttergenesungswerks.

Müttern, die von ihren vielfältigen Familienaufgaben erschöpft waren, eine Atempause zu verschaffen, war ihr großer diakonischer Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation von Frauen. Kur-Häuser in Schleswig-Holstein, in Timmendorfer Strand, später in Büsum, Schmalensee und Dahme waren Orte für dieses Ziel.

Dabei war die Zusammengehörigkeit von leiblicher und seelischer Gesundheit von Anfang an Grundlage der Konzeption von Mütterkuren, später dann auch der Mutter-Kind-Kuren. Annemarie Grosch hat die Kurgemeinschaft der Frauen als eine Gemeinde auf Zeit angesehen, genauso wie Seminargemeinschaften in der Bildungsarbeit und so wurden Kur- und Bildungsarbeit entsprechend gestaltet.

3. Arbeitsbereich Familienbildungsstätten:

Dasselbe galt für sie auch in den Kursen der Mütterschulen, später dann Familienbildungsstätten, die sie ins Leben gerufen hatte: Hier aus christlicher Perspektive Lebenshilfe anzubieten, war ihr angesichts vieler Probleme junger Mütter und Familien ein wichtiges Anliegen.

Bedeutsam und originell erscheint mir dabei die Idee der „Wandermütterschulen“ – man störe sich nicht an dem seltsamen Namen: Mitarbeiterinnen der „Mütterschule“ in Neumünster und Honorarkräfte in verschiedenen Orten Schleswig-Holsteins bildeten jeweils den Kern von Mütterschulen in Dörfern und Städten überall im Land.

4. Arbeitsbereich: Ökumene

Ein weiterer wichtiger Bereich war für Annemarie Grosch die Ökumene. Sie hat insbesondere den Weltgebetstag von Anfang an gefördert, er hat die Arbeit des Frauenwerkes dank Annemarie Grosch bis heute geprägt und entscheidend dazu beigetragen, die Frauenarbeit zu profilieren und ihr ökumenische Weite und interkulturelle Offenheit zu geben: Einmal in Bezug auf die Länder, aus denen die Ordnung jeweils kam und zum anderen in Bezug auf die Denominationen und Kirchen in den Gemeinden hier, mit denen zusammen der Weltgebetstag vorbereitet und gefeiert wurde.

Aus etlichen Weltgebetstagen haben sich zudem Projekte entwickelt, denn es gab in vielen Kirchenkreisen ein großes Engagement, Brücken zu bauen zu den fernen Schwestern.

5. Die Networkerin Annemarie Grosch

Neben dieser inhaltlichen Arbeit war es Annemarie Grosch wichtig, ein Netzwerk zu bilden für die Verbreitung und den Zusammenhalt der Arbeit. Sie selbst beschreibt das so:

„Als ich anfing waren wir ja in der Landesstelle ganz wenige Mitarbeiterinnen, und die waren bisher damit beschäftigt gewesen, unentwegt im Land herumzureisen und hier mal ein Referat zu halten, da mal ein Frauenhilfsjubiläum zu gestalten. Das war ein Fass ohne Boden und ich fragte mich gleich: Wie kann die Wirksamkeit einer solchen Zentrale vervielfältigt werden? Das geht nur durch das Schneeballsystem, d. h., dass man überall Leute hat, die die Dinge ein bisschen in die Hand nehmen“ (aus: Calies/Penz: 85).

Reformatorische Impulse

Die Bekennende Kirche, die Annemarie Groschs theologisches Zuhause war, sammelte sich um das Bekenntnis „Christus allein (ist Herr)“ und leitete daraus ihren kirchlichen Widerstand gegen den Zugriff der Nationalsozialisten auf kirchliche Inhalte und Institutionen ab. Für Annemarie Grosch galt dabei, dass sie sehr viel weiterreichende politische Konsequenzen daraus für unabdingbar gehalten hatte als die meisten Mitglieder in der Bekennenden Kirche. Und als Bekennende Kirche (und eben nicht als Bekenntnis-Kirche) musste es immer um das Bekennen in actu gehen, wie Annemarie Grosch sagte: Jetzt, in diesem Augenblick, in dieser Situation, in dieser Weltlage geht es um das Zeugnis der Christen.

Eine Konsequenz aus diesem theologischen Ansatz war für Annemarie Grosch die berühmte Aussage: „Man muss links die Zeitung aufgeschlagen liegen haben und sehen, was an aktuellen Fragen dran ist und rechts die Bibel, um herauszufinden, was dazu christliches Zeugnis ist.“

Dabei war für Annemarie Grosch Selbständigkeit der Frauen ein wichtiges Ziel: Frauen sollten „innerlich, geistig, und äußerlich selbständig sein“, so sagte sie es selbst, eine eigene Identität, ein eigenes Profil haben, mithin ein eigenes Gesicht. Denn nur dann sind sie in der Lage, die notwendige Diskussion um das christliche Zeugnis in welcher gesellschaftlichen Situation oder angesichts welcher Fragen und Probleme auch immer als mündige Christinnen und Bürgerinnen zu führen.

Und Annemarie Grosch war eine Menschenfischerin: Wenn ihr Frauen begegneten, erkannte sie oft deren Potenzial und sprach sie an, ob sie nicht Lust hätten, mitzuarbeiten in der Frauenarbeit, in den Familienbildungsstätten. So hat sie viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen gewonnen, besonders aus den Reihen der „Pastorenfrauen“, eine Zielgruppe, die ihr besonders am Herzen lag.

Annemarie Grosch hat weitergedacht. Deshalb vermachte sie nach ihrem Tode ihr Haus dem Nordelbischen Frauenwerk, das mit dem Erlös die Annemarie-Grosch-Stiftung gründete. Diese Stiftung unterstützt im Sinne von Annemarie Grosch Frauen- und Mädchenprojekte weltweit.

Kommentar

Immer wieder wird Annemarie Grosch charakterisiert als temperamentvoll, kämpferisch, hartnäckig, humorvoll, glaubwürdig, fordernd, anspornend, großzügig, warmherzig und vieles mehr. In der Festschrift zu ihrem 70. Geburtstag heißt es: „Wir haben den Anspruch an die Arbeit, der von einem so großen Geist ausging immer gespürt, auch manchmal als Belastung. Aber es war stets ein Ansporn und sowieso ein großer Stolz, zu einer solch wichtigen Arbeit zu gehören und sie mitzugestalten“ (Penz: 17).

Annemarie Grosch hat, als sie 1977 – da schon als Leiterin des neuen Nordelbischen Frauenwerkes – in den Ruhestand ging, ein wohlbestalltes Haus übergeben an ihre Nachfolgerinnen und die nächste Generation von Referentinnen und Mitarbeiterinnen. Sie alle haben eine Arbeit weiterentwickeln können, die fest in der Kirche verankert war und nicht nur bei den Frauen als unverzichtbar galt und noch immer gilt.