Antje Brons

„Die Kraft eines Menschen ist auch seine Schwäche…“
Gottes Geist – Pfand des Lebens Katja Beisser-Apetz/Maite Beisser
Lebensdaten
von 1810 - bis 1902
Unter weiteren Namen bekannt als:
Antje Cremer ten Doornkaat, Von Frauenhand, Th. B.
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Copyright Familie Brons und Schardt-Verlag
Beziehungen

Trauer bestimmt den Beginn des Lebens von Antje Brons, die am 23. November 1810 in Norden geboren wird, und prägt ihr Heranwachsen; ihre Mutter verstirbt im Kindbett. Antje ist das erste Kind des Paares, erprobte Familienstrukturen sind von daher nicht vorhanden. Der Vater, Jan ten Doornkaat Koolman, gibt das Kind in seiner Not in die Familie der wohlhabenden Verwandten Cremer. Antje kehrt aber nie in die väterliche Obhut zurück, auch nicht als dieser erneut heiratet und sechs weitere Kinder geboren werden. Sie sieht eine Familie heranwachsen, zu der sie eigentlich gehört. Doch früh erfährt sie durch eine Verwandte, dass die Religion ihr helfen kann. Sie erlernt das Beten. Im Cremerschen Hause wächst Antje in der Glaubenstradition der Mennoniten auf, die für eine Minderheit stehen. Ostfriesland ist seit der Reformation Heimat verschiedenster religiöser Strömungen, die im Sinne friesischer Toleranz geduldet werden und ihren Glauben ausüben dürfen. Die Mennoniten vertreten insbesondere den Grundsatz der bedingungslosen Feindesliebe, lehnen Krieg, Wehrdienst, staatlichen Zwang und Eidesleistungen ab, ebenso die Säuglingstaufe und fordern stattdessen eine Bekenntnistaufe. Dieser Glaube, der sowohl für die Familie von Antje Brons als auch für die ihres späteren Mannes seit Generationen prägend war, bildet zu dieser Zeit auf der einen Seite eine Barriere in einer engen Glaubens- und Lebenswelt, auf der anderen Seite fordert er neben anderem die Eigenverantwortung vor Gott und die Anerkennung der alleinigen Autorität Christi. Hier kommen nicht nur die Ideale der friesischen Freiheit und der Reformation zum Tragen, sondern auch eine dadurch geprägte Mentalität.

Antjes tägliche Gebete erhellen und erwärmen ihre mutterlose Kindheit und lassen sie ihre Mutter finden, die in ihrer kindlichen Vorstellung auf dem funkelnden Abendstern lebt. Der Verlust der unbekannten Mutter begleitet sie, ebenso leidet sie unter der Zurücksetzung der erziehenden Tante gegenüber ihren beiden Cousinen. Zudem erfährt sie Geringschätzung und Spott von anderen Kindern wegen ihrer Religionszugehörigkeit, wogegen sie sich mit Zitaten aus der Bibel zur Wehr setzt und dabei ein Siegesgefühl empfindet. Jeden Sonntag geht sie zur Kirche, aber nicht nur in die Gottesdienste der eigenen mennonitischen Gemeinde, sondern auch in die der lutherischen. Leid scheint sie anzuziehen, sie besucht Beerdigungen und geht in die Wohnungen Bedürftiger, wodurch sie Ehrfurcht vor dem Leiden erfährt. Der Schrecken wird ihr genommen, und sie glaubt an ein Wiedersehen nach dem Tode.

Mit 16 Jahren überkommen sie starke Selbstzweifel, sie beginnt zu schreiben. Das Leben ordnet sie in einem Album unter 41 Begriffen wie Selbstkenntnis, Bescheidenheit, Ergebung sowie Glaube und Weisheit. Danach führt sie ein Tagebuch, in dem sie sich mit der Sehnsucht nach der geliebten Mutter, aber auch mit ihren eigenen Gemütslagen auseinandersetzt. Sie arbeitet an sich, liest Bücher über die Selbstbeherrschung und strebt nach dem Ziel des Daseins: die Vervollkommnung des Ichs. Ein hohes Ziel für eine junge Frau, was aber auch Aufschluss über ihre Reife gibt, die sich nur durch eigenes, schmerzhaftes Erleben erklären lässt. Sie sucht Antworten und stürzt sich mit Heißhunger auf Bücher jeder Art, das einzige Mittel der Frauen dieser Zeit, ihre intellektuellen Fähigkeiten zu nutzen. Der Onkel gewährt seinem Ziehkind Zugang zur häuslichen Bibliothek und fördert es so in einer Weise, die in dieser Zeit ungewöhnlich ist. Antje dankt ihm dies bis an sein Ende mit inniger Liebe, denn Wissen und Bildung vor dem Hintergrund ihres religiösen Glaubens sind von ihr als Schlüssel zum Leben erkannt. Anlässlich ihrer Taufe mit 18 Jahren verfasst sie ihr persönliches Glaubensbekenntnis, die Grundlagen ihrer Überzeugung werden hier deutlich: keine still duldende Frömmigkeit unter Dogmen, sondern ein aktives Arbeiten an sich selbst als Christin. Diesen Anspruch erfüllt Antje Brons ein Leben lang.

Die Heirat mit dem acht Jahre älteren, mennonitischen Emder Kaufmann, Reeder und Politiker Ysaac Brons aus Emden bedeutet für die 19-jährige Antje einerseits eine totale Pflichterfüllung als Frau, wozu Kinder, Haushalt und Gesellschaften zählen, aber auch die Rolle der Gefährtin. Sie geht diese Liebesehe ein mit der Vorgabe, nicht Sklavin des Mannes zu werden. Sie bringt elf Kinder auf die Welt, deren Erziehung sie sehr engagiert betreibt, wobei sie auch entsprechende Literatur liest und sich selbst als „Kinderadvokat“ bezeichnet – sie möchte jeden Schaden an der Kinderseele verhindern, wie sie ihn selbst erlebt hat. Sie erkennt, dass man von Kindern lernen kann, da sie der göttlichen Abkunft doch näher seien.

Neben ihren häuslichen Verpflichtungen nimmt sie gemeinsam mit ihrem Mann in der über 55 Jahre dauernden Ehe regen Anteil an religiösen und philosophischen Fragen ihrer Zeit. Für die Studien benötigt sie viel Kraft, ebenso, um ihre geistige Selbständigkeit gegenüber der Macht von Ysaacs überlegenen Verstand und rastloser Beharrlichkeit zu bewahren. Beide Menschen messen sich in ihrem Geist und erkennen sich gegenseitig an. Gleichstellung nach heutiger Vorstellung bedeutet dies sicher nicht, dennoch trägt die Ehe moderne Züge. Antje wird ihrem Mann eine emotionale wie geistige Stütze. Während seiner Tätigkeit als Abgeordneter der Nationalversammlung in Frankfurt 1848, steht sie in unruhigen Zeiten der Familie vor und begleitet ihren Mann in Briefen, wobei sie eine große Weitsicht in politischen und geschichtlichen Fragen zeigt. Mit dem Scheitern der Nationalversammlung kehrt nach über einem Jahr Abwesenheit ein gealterter Mann zurück, der sich zurückzieht in tägliche Studien und darüber fast erblindet. Antje beginnt, ihm wissenschaftliche und religiöse Werke vorzulesen und arbeitet sich damit zu weiterer geistiger Höhe auf, wobei sie sich in der Mittagszeit, ihrer persönlichen „Auszeit“, eigenen Studien widmet, um ihr seelisches Gleichgewicht zu bewahren.

Wirkungsbereich

Sie schreibt. Mit 51 Jahren hat sie ihr erstes Buch, „Stimmen aus der Reformationszeit“, zum 300-jährigen Todestage Menno Simons (1496-1561) vollendet. Dieses Buch wird in Danzig nicht unter ihrem Namen veröffentlicht, sondern unter dem Kürzel Th. B. Später wird sie mutiger, nicht so sehr, dass sie ihren Namen preisgibt. „Von Frauenhand“ – so lautet der schlichte Urhebervermerk künftiger Werke. Bedeutet dies Bescheidenheit oder Provokation in einer Zeit, in der Bücher aus der Feder einer Frau eher kritisch betrachtet werden? Bis ins hohe Alter wird Antje Brons vier weitere Bücher schreiben, wobei zwei Werke bis heute beeindruckende Zeugnisse dieser besonderen, willensstarken Frau sind. 1884 erscheint ihr Buch „Ursprung, Entwicklung und Schicksale der altevangelischen Taufgesinnten oder Mennoniten“; Von Frauenhand. Ein großes, geschichtliches Werk über 444 Seiten, mit dem sie ihren Ruf als Kirchenhistorikerin begründet. Es wird noch heute in Fachkreisen erwähnt als erste deutschsprachige Gesamtdarstellung der Geschichte der Mennoniten. Lange Zeit wird dieses Werk die wichtigste Publikation in diesem Bereich bleiben. Das große Interesse macht auch in den kommenden Jahrzehnten zwei weitere Auflagen erforderlich. Sie selbst bezeichnet diese mehrjährige Arbeit als „die Frucht der Mußestunden einer Großmutter“. Ihr geht es nicht darum, wissenschaftliche Anerkennung zu ernten, vielmehr wendet sie sich an ihre Glaubensgenossen, deren mangelndes Geschichtsbewusstsein sie beklagt und deren Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigene Geschichte sie wecken möchte.

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Mennonitischen Erziehungs- und Bildungsvereins wird 1892 ein Büchlein „Gedanken und Winke über die Frage, wie wir das Wohl unserer Kinder fördern können“ veröffentlicht. Antje ist zu diesem Zeitpunkt das einzige weibliche Mitglied des Vereins und wird um eine Festgabe gebeten. Die hier festgehaltenen Gedanken lassen einen noch heute staunen, wie umfassend, klar und der Zeit vorausschauend sie grundlegende Erziehungsfragen beschreibt. So hat der Satz „Jeder einzelne Mensch kann zu einem selbständigen Individuum entwickelt werden“ an Aktualität nichts eingebüßt. In einem Punkt ist sie unerbittlich: Alle Bemühungen um Kinder und Heranwachsende müssen jedoch scheitern, wenn sie nicht „in dem Geiste des Erziehers der ganzen Menschheit und jedes Einzelnen, in dem Geiste des Heilandes, in der Persönlichkeit Jesu Christi wurzeln“.

Schreiben ist ihr Mittel, um Menschen zu erreichen, der Umfang ihrer Korrespondenz ist imposant, ihre Briefe gehen von Osten nach Westen, von Kanada bis Russland, sie nimmt Anteil an allem und wird zu allem hinzugezogen. Bis ins hohe Alter ist sie eine der eifrigsten Mitarbeiterinnen der „Mennonitischen Blätter“, dem Publikationsorgan der Mennoniten, das sie 1854 mitbegründet hat. Sie schreibt über die mennonitischen Grenzen hinaus, wenn sie nur einen gesunden, lebendigen Menschen erreichen kann, der nach oben strebt, bemüht um das Leben, den sittlichen Ernst und die geistige Kraft.

Aber Antje Brons schreibt nicht nur, sie ist darüber hinaus stark sozial engagiert: Armenspeisungen bietet sie selbst vor ihrer Haustür an, sie leistet ihren Beitrag zur Gründung einer Bedürftigenorganisation, sie sammelt Gaben und verpackt diese im Frauenverein zur Unterstützung der verwundeten Soldaten der Kriege 1850 und 1866. Die Bildung der Mädchen ist ihr ein besonderes Anliegen: Während der Nationalversammlung beteiligt sie sich aktiv an der Gründung einer Höheren Töchterschule in Emden. Die Schule ermöglicht eine höhere schulische Bildung für Frauen und Mädchen, auch wenn dies zunächst auf einen privilegierten Sektor des Bildungsbürgertums beschränkt bleibt. Gleichwohl ist damit ein früher Schritt zur Gleichstellung der Frau gelegt und ihre festgelegte Rolle in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft überwunden. Schließlich schafft sie eine frühe Form des „Frauenhauses“, indem sie einer misshandelten Frau Unterschlupf in ihrem Teehaus im Garten gewährt.

Reformatorische Impulse

Fundament des außergewöhnlichen Lebens Antje Brons’ bilden die ostfriesische Heimat und der tief verwurzelte mennonitische Glaube, die einen Freiheitsgedanken in ihr wachsen lassen, der sie ihren Weg durch das 19. Jahrhundert gehen lässt. Die Ablehnung der Mennoniten jeder menschlichen und staatlichen Autorität und die damit verbundenen geschichtlichen Verfolgungen und zu Antjes Zeit spürbare Zurücksetzung erfüllen sie mit Stolz und schaffen gleichzeitig das Bewusstsein, die protestantische „Freiheit“ zu bewahren. Schon früh erkennt sie die Bedeutung der Eigenverantwortung vor Gott und die damit verbundene Aufgabe des Lebens, die es zu erfüllen gilt. Dafür nutzt sie das Angebot der Bildung, was für sie keine Freizeitbeschäftigung ist, sondern sie spürt und nutzt das Privileg, als Mädchen nach dem Besuch der Volksschule weiter an sich zu arbeiten, um das hohe Ziel der Vervollkommnung zu erreichen. Die dafür nötige Freiheit und Anerkennung als eigenverantwortlicher Mensch gewährt ihr auch ihr Ehemann, Ysaac Brons, der ebenfalls seit Generationen der mennonitischen Glaubenswelt verbunden ist. Im Hause Brons herrscht die Überzeugung, dass die Gemeinde in Emden als älteste in Deutschland mit so reicher Vergangenheit eine wichtige Aufgabe zu leisten hat. So wie Ysaac Brons vor Ort im Kirchenvorstand seinen Beitrag leistet, sieht Antje die Gesamtheit. Sie ist es, die die Wiederbelebung des deutschen Mennonitentums mit trägt und gestaltet. Antje fördert und stützt die Gründung der „Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden“ 1886, mit der eine erste gemeinschaftliche Vertretung gegenüber dem Staat und anderen Kirchen geschaffen wird. Neben dieser organisatorischen Förderung hat sie durch ihre Schriften und Bücher das Bewusstsein der protestantischen wie mennonitischen Ideale immer wieder bearbeitet, um Menschen zu erreichen, zu gewinnen und in aller Konsequenz zu überzeugen. Der Geist des christlichen Humanismus erfüllt sie auf ihrem Lebensweg, der am 2. April 1902 endet, und gibt ihr gleichzeitig die Kraft, ihren Weg mit allen Mühen und Freuden zu gehen.

Kommentar

Mit fast 75 Jahren wird Antje Brons Witwe, zwei Monate nach dem Tod ihres Mannes beginnt sie, ihr gemeinsames Leben in 24 Briefen an ihren Sohn Claas niederzuschreiben; sie schafft damit ein Dokument, das nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist und somit, wenn auch oft zwischen den Zeilen, geprägt ist durch Offenheit und einer Fülle von geschichtlichen und täglichen Begebenheiten des 19. Jahrhunderts. Beeindruckend ist dabei, wie ihre freudlose, mutterlose Kindheit Kräfte in ihr weckt. Antje gestaltet früh ihren Weg über ihren starken Glauben, lässt aber auch Fragen und Zweifel zu, ihr Leben lang hält sie bewusst ihr seelisches Gleichgewicht in der Waage. Früh erkennt sie, dass neben dem täglichen Dasein Raum ist für weitere Entfaltung. Sie selbst ist dafür das beste Beispiel. Doch sie sieht die Gesamtheit und versucht, den heranwachsenden Frauen ihrer Zeit ebenso bessere Möglichkeiten zur Entwicklung zu geben. Antje Brons ist keine Frauenrechtlerin im kämpferischen Sinne, aber sie setzt selbstbewusst und vorausschauend Leistungen um, die erst in der Folge in der Frauenbewegung eingefordert werden. Auch wenn sie ein privilegiertes Leben führt, geht sie neben gesellschaftlichen Verpflichtungen bewusst einen arbeitsreichen Weg, sowohl als praktische Hausfrau und Mutter wie auch als kirchenhistorisch-wissenschaftliche Schriftstellerin. Die Anerkennung von außen ist ihr dabei nicht wichtig, sondern jedes Engagement leistet sie aus eigenem Antrieb und in der Eigenverantwortung vor Gott. Die Inschrift auf dem Grabstein des Paares drückt dies aus: „Gott hat uns das Pfand des Lebens, den Geist, gegeben“. Dieser Geist hat sie erfüllt und bestimmt, sie hat ihn nicht nur erkannt, sondern auch genutzt. Antje Brons hat sich über ihren Geist in den Dienst des Geistes gestellt, ihr Leben und Wirken haben für immer Spuren hinterlassen.

„Erfüllen“ ist ein Wort, das in ihrem Leben eine große Rolle gespielt hat, inwieweit sie in Herzensangelegenheiten zugänglich war, ist eine offene Frage. Da sie nie mütterliche Wärme empfangen durfte oder bedingungslose Elternliebe, liegt ein kleiner Schatten über ihrem Leben, wobei daraus auch ihre Schaffenskraft entstanden sein dürfte. Dazu ein Fragment aus einem von ihr verfassten Gedicht von 1869: „Die Kraft eines Menschen ist auch seine Schwäche…“.