Antonie Nopitsch

Mutter der Mütter
Mutter der Mütter Beate Hofmann
Lebensdaten
von 1901 - bis 1975
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Copyright FrauenWerk Stein
Beziehungen

Antonie Nopitsch wurde am 3. August 1901 geboren und gilt als eine Pionierin der evangelischen Sozialarbeit im 20. Jahrhundert. Wichtige Prägungen erhielt Nopitsch zum einen durch ihre Mutter, die ihr den Weg zum Abitur erkämpfte und ihr soziales Engagement unterstützte, die aber auch ein exemplarischer Fall einer durch den Tod ihrer Söhne erschöpften Mutter bot, die Nopitsch zu ihrer Arbeit für erschöpfte Frauen anstachelte.

Als Jugendliche gründete sie mit einer katholischen Freundin eine gemischtgeschlechtliche und ökumenische Jugendgruppe namens „Heimat“, die Nopitsch über 50 Jahre lang zur spirituellen und familiären Heimat wurde. Das gemeinsame Erleben von Kultur, Natur, Spiritualität und sozialem Engagement waren für Nopitsch prägend. Später hat sie wichtige Prinzipien der Jugendbewegung auf ihre soziale Arbeit übertragen, nämlich den Gedanken der Selbsttätigkeit und Autonomie sowie die Ablehnung äußerer Organisationsformen zugunsten einer inneren Verbundenheit.

Neben der Jugendgruppe war der Kreis der Mitarbeiterinnen und vor allem die Freundschaften zu Liselotte Nold und Maria Weigle  eine tragende Säule in ihrem Leben und Arbeiten. Im Zusammenwirken der drei Frauen entstand der Bayerische Mütterdienst in Stein als ein Ort, der Frauen Erholung, Bildung, theologische Anregung und Ermutigung für kirchliches und soziales Engagement bot.

Nopitsch war eine Netzwerkerin, politisches Agieren über persönliche Beziehungen und Begegnungen gehörte zur primären Strategie Nopitschs in der Durchsetzung von finanziellen oder politischen Interessen: durch die persönliche Beziehung zu Elly Heuss-Knapp bot sich die Möglichkeit zur Gründung des Deutschen Müttergenesungswerkes; nach dem Tod von Elly Heuss-Knapp im Jahr 1952 nutzte Nopitsch die Verbindung zu Theodor Heuss, dem Bundespräsidenten, um die Müttergenesung in das Bundessozialhilfegesetz einbauen zu lassen. Für ihre kirchliche Wirkung war die Verbindung zu Hanns Lilje zentral, der 1945 als Kriegsgefangener in Nürnberg strandete und so die Arbeit von Nopitsch kennen und schätzen lernte. Über ihn bekam sie Verbindungen in die internationale Ökumene, die den Aufbau des Mütterdienstes unterstützte.

Obwohl Nopitsch von ihren Mitarbeiterinnen „die Doktorin“ genannt wurde, war sie keine intellektuelle Vordenkerin, sondern eine soziale Pragmatikerin. Sie wollte Not lindern und zwar konkret die Not von Frauen, deren Erschöpfung sie täglich beobachten konnte – in der Straßenbahn, auf dem Markplatz, im Wohnhaus wie bei der eigenen, vom Tod zweier Söhne tief deprimierten Mutter. Nopitsch war ein Original und eine charismatische Persönlichkeit, die einerseits als charmant, herzlich und mütterlich, daneben auch als schüchtern und mädchenhaft naiv beschrieben wird, die andererseits durch ihre Hartnäckigkeit und ihre emotionale Argumentationsweise erstaunlich viel erreichte.

Wirkungsbereich

Nopitsch studierte als eine der ersten Frauen in Deutschland Nationalökonomie und promovierte 1925. Nach Praktika und einem Englandaufenthalt wurde sie Lehrerin für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege in der Ausbildung von Fürsorgerinnen in Nürnberg. 1933 arbeitslos geworden, gründete sie die Mütterhilfe der Vereinigung evangelischer Frauenverbände in Bayern (Bayerischer  Mütterdienst, seit 2002 FrauenWerk Stein). Müttergenesung, Frauen- und Familienbildung und gemeindebezogene Frauenarbeit waren die drei Standbeine dieser Arbeit. Nach anfänglicher Kongruenz mit der nationalsozialistischen Mütterpolitik distanzierte sich Nopitsch vom NS-Regime und wirkte am Scheitern der Gleichschaltung der Evangelischen Frauenarbeit mit.

Zu dieser Veränderung haben mehrere Faktoren beigetragen: Erstens hat die Einschränkung der evangelischen Frauenarbeit durch die Gründung entsprechender staatlicher Organisationen wie des Reichsmütterdienstes und des Hilfswerkes „Mutter und Kind“ den anfänglichen Enthusiasmus und die Aufbruchsstimmung der evangelischen Frauen erheblich gedämpft, da durch diese Maßnahmen die kirchliche Mütterarbeit beschnitten wurde und sichtbar wurde: der Nationalsozialismus wird die kirchliche Frauenarbeit nicht – wie erhofft – fördern, sondern beschneiden. Auch der Konflikt um die Leiterin des Frauenwerkes der Deutschen Evangelischen Kirche, Agnes v. Grone, hat Nopitschs Haltung beeinflusst. V. Grones Versuch, den NS-Staat zu bejahen und gleichzeitig die institutionelle Unabhängigkeit der evangelischen Frauenarbeit zu bewahren, scheiterte an dem uneingeschränkten Machtanspruch des totalitären Regimes. Nopitsch erkannte daran den Gegensatz zwischen Christentum und NS-Ideologie. Dadurch musste ihr auch klar geworden sein, dass die Hinwendung zur Kirche und das Ringen um deren Unabhängigkeit eine Abwendung vom NS-Staat und seinen Zielen bedeutete, auch wenn sie dies nicht als politische Opposition verstanden wissen wollte. Diese Erkenntnis und die erfahrene Beschränkung und Bedrohung der kirchlichen Arbeit haben Nopitsch kirchenpolitisch aktiv werden lassen. Schließlich hat die Begegnung mit Menschen wie Maria Weigle und Friedrich von Bodelschwingh Nopitsch und ihren Mitarbeiterinnen geholfen, die eigene theologische Position zu klären und hilfreiche Kriterien an die Hand zu bekommen. Das kommt zum Ausdruck, wenn Nopitsch in ihrer Biographie rückblickend schreibt:

„[Die Frauen] lernten sich auseinanderzusetzen mit dem, was gegen ihren Glauben stand. Dabei wurde ihr Urteil auch in den übrigen Lebensfragen reifer, sicherer, nüchterner. Sie wurden gefeit gegen politische Parolen und Phrasen. Die bayerische Landeskirche hatte in dieser für sie so schweren Zeit mündige und selbständig denkende Mitarbeiterinnen bekommen. Sie mögen mit dazu beigetragen haben, daß die `Deutschen Christen` im bayerischen Raum kaum Fuß fassen konnten“ (Nopitsch 1995: 85.)

Die weltanschauliche Distanzierung fand ihren Ausdruck in einer engeren Anbindung an die Kirche, die Nopitsch als Bereicherung ihrer sozialen Arbeit empfand, ohne sie zur treibenden Feder der Arbeit werden zu lassen. Sie wollte nicht vorrangig Unglauben bekämpfen, sondern Frauen und Kindern Wegweisung und Wegzehrung in einer schwierigen Situation geben.

Zur inhaltlichen und finanziellen Unterstützung ihrer Arbeit gründete Nopitsch eine eigene „Schriftenreihe für die evangelische Mutter“ und 1946 den Laetare-Verlag.

Nach 1945 baute sie ihr Werk zu dem Zentrum evangelischer Frauenarbeit in Bayern aus. 1946 initiierte sie die Gründung der Bibelschule in Stein, dem späteren Gemeindehelferinnenseminar. Im Rahmen ihres ökumenischen Engagements brachte sie 1949 den Weltgebetstag nach Deutschland und kämpfte für die Beteiligung von Frauen in kirchlichen und diakonischen Gremien.

Ihr großes Lebensthema war die Hilfe für Mütter. Dieses Engagement fand durch die Gründung und Entwicklung des Deutschen Müttergenesungswerkes seinen Höhepunkt und seine bundesweit wirksame Form, wozu sie als Initiatorin und Geschäftsführerin entscheidend beigetragen hat. Wo immer sie als Rednerin oder zur Mitarbeit in Gremien gebeten wurde, engagierte sie sich für dieses Thema, z.B. im 1946 tagenden Bayerischen Vorparlament, in das sie als Vertreterin der evangelischen Frauen berufen wurde, oder von 1949-51 im Verwaltungsausschuss und im Wiederaufbauausschuss des Hilfswerkes der EKD, später im Diakonischen Rat und der diakonischen Konferenz und von 1949 bis 1961 als EKD-Synodalin. Auch bei ihren Reden vor dem Frauenkongress in Frankfurt 1948 oder vor dem Fürsorgetag 1963 waren die wirksame Hilfe für Mütter genauso wie die Aufgabe der Frauen und Mütter in der Gesellschaft ihre Themen (vgl. Nopitsch 1995: 222ff.). Durch ihre Position als Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes erhielt Nopitsch 1958 einen Sitz im Hauptausschuss des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, so dass sie auch an der Gestaltung der Wohlfahrtspolitik Anteil hatte. Doch war sie keine Theoretikerin oder intellektuelle Vordenkerin, sondern eine sozialpolitische Pragmatikerin, deren Ziel es war, Not zu beseitigen und Menschen umfassend zu helfen. In späteren Jahren sah Nopitsch zunehmend die Notwendigkeit, die Bildungschancen für Frauen zu verbessern, doch überließ sie diese Aufgabe weitgehend ihrer Partnerin Liselotte Nold. Nopitschs Beiträge in der „Schriftenreihe für die evangelische Mutter“ oder der Arbeitshilfe „Der Mütterdienst“ bzw. „Laetare“ beschäftigten sich häufig mit der Arbeit für das Müttergenesungswerk oder mit ihren „Hobbies“, dem Garten, den Tieren oder den Krippen.

In der Ökumene übernahm sie 1952 bei der Tagung des Lutherischen Weltbundes die Leitung der Sektion VI „Verantwortliche Frauen in einer verantwortlichen Kirche“ und war von 1952 bis 1963 Mitglied der „Kommission für Haushalterschaft und Gemeindeleben“ des Lutherischen Weltbundes und Mitglied des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes. Sie gab die für sie befruchtenden Erfahrungen in der Ökumene in der Form des Weltgebetstags, den sie auf ihrer USA Reise 1948 kennengelernt hatte und 1949 in Deutschland einführte, an die Frauen in den Kirchengemeinden weiter.

Reformatorische Impulse

Antonie Nopitsch war von einer lebensfrohen Spiritualität geprägt, in die auch katholische Elemente aus ihrer oberbayerischen Heimat einflossen. Sie war und blieb selbstverständlich evangelisch mit ökumenischer Weite; Konfession war für sie keine primäre Leitkategorie, wie ihre Arbeit im Müttergenesungswerk als erster interkonfessioneller Wohlfahrtsorganisation zeigt. Sie wollte Frauen in ihrer Lebensgestaltung unterstützen und ihnen Gestaltungsräume eröffnen. Dafür wollte sie auch  in Kirche und Politik etwas bewegen.

Aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus zog Nopitsch nach 1945 klare politische Lehren. So erklärte sie 1946 auf einer Sitzung der gesamtdeutschen evangelischen Frauenarbeit (am 25.3.1946 in Bethel, BMD B III-1, EFB Berichte, allg. Schriftwechsel 1944-48):

„Wir müssen heute die Mütter schulen, auch in der Politik. Die Urteilslosigkeit der Deutschen bedroht ihre Existenz“.

Dies geschah durch Informationen über bevorstehende Wahlen und über Kandidatinnen für öffentliche Ämter. Nopitsch selber wurde 1946 als Vertreterin der evangelischen Frauen in das sog. bayerische Vorparlament berufen. Dessen Hauptfunktion war der Kontakt zwischen Bevölkerung und Regierung. Entsprechend berichtete sie von den elenden Zuständen in den Flüchtlingslagern, die der Mütterdienst betreute, und erkämpfte bauliche Verbesserungen.

Ihre Auffassung von der politischen Aufgabe der Frau nach 1945 tritt in einigen ihrer Reden aus dieser Zeit zutage. Dabei zeigt sich, dass Nopitsch – ausgehend von einem bestimmten Verständnis der Geschlechterrollen – den Einsatz der Frauen für soziale Aufgaben betonte und die „Stunde der Frauen“ gekommen sah. So sagte sie als evangelische Vertreterin auf dem Frauenkongress in Frankfurt 1948:

„Es ist eine einzige unerhörte Gelegenheit, daß die Frauen eines ganzen Volkes sich vom Haß zur Liebe wenden, daß sie, die Gott der Herr vom innersten Wesen her anders geschaffen hat als den Mann, daß sie wirklich als Frauen handeln und entscheiden, daß sie es nicht mehr ertragen können, daß die einen alles haben und die anderen nichts. […] Wir schauen zurück in die Jahrhunderte. Immer wieder haben die Männer in aller Welt ihr Schwert erhoben und haben gekämpft um Ideen, um Programme, um Freiheit. Und da stehen wir Frauen und sehen die heilige, ewige Ordnung in der Schöpfung Gottes. Wir hören Programme und Ideen und sehen hinter ihnen die wahre Wirklichkeit, das Kind, seinen Hunger, sein Weinen, sein Lachen, sein bißchen Glück“ (Nopitsch 1995: 225f).

An dieser Passage wird deutlich, wie Nopitsch ihr Frauenbild durch die Figur der Schöpfungsordnung theologisch legitimiert und daraus die besondere Aufgabe der Frauen ableitet, nämlich den Einsatz für die Linderung der Not und die praktische, nicht ideologische Arbeit für den sozialen Frieden im Land.

Der Ruf nach mehr Verantwortung für Frauen kennzeichnet auch das kirchenpolitische Engagement von Nopitsch. In der EKD-Synode, der sie ab 1948 als Vertreterin der Frauenarbeit angehörte, trat sie vor allem als Initiatorin und Vorsitzende des „Synodalausschusses für Arbeit und Stellung der Frau in der Kirche“ auf. Auf der Synode 1950 in Berlin-Weißensee gab sie einen Bericht über die Situation der Frau in der Kirche, der zeigt, mit welchen Argumentationslinien sie in einer männerdominierten Kirche Handlungsspielräume für Frauen erkämpfen wollte:

„Die Frau kann nur dann wirklich arbeiten, wenn sie eine Verantwortung hat und wenn man ihr etwas zutraut. Wir stehen in der Kirche immer zwischen zwei Sätzen. Der eine Satz heißt: Da war noch nie da, – und der andere Satz heißt: Das haben wir alles schon. Zwischen diesen zwei schrecklichen Sätzen müssen wir uns unsere Arbeit irgendwie erkämpften. Nun ist es so, daß es vielen Frauen gar nicht liegt, sich so etwas zu erkämpfen. Sie ziehen leider Gottes die andere Konsequenz und gehen in die Welt, wo sie nicht so um Mitarbeit kämpfen müssen. Es ist eine Tragik, daß eine ganze Menge begabtester und tüchtigster und auch christlicher Frauen nicht in der Kirche mitarbeiten, und zwar einfach deswegen nicht, weil es ihnen so schwergemacht wird. So muß ich also jetzt das Groteske tun und Sie um das bitten, was Ihnen sicher schwerfällt, nämlich daß sie uns ermutigen sollen, mitzuarbeiten“ (Bericht über die zweite Tagung der ersten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 23.-27. April 1950, hrsg. im Auftrage des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover (o.J.), 346-349).

Nopitsch benannte auch konkrete Forderungen:

„Gott hat der Frau eine ganz besondere Fähigkeit mitgegeben – das, glaube ich, muß man einmal sagen dürfen -, und das ist die, daß sie in den karitativen Dingen vielleicht einen etwas anderen und manchmal vielleicht auch tieferen Blick hat. Bitte, warum werden wir hier nicht verantwortlich eingesetzt? Wir möchten nun ernstlich darum bitten, daß bei der Neuordnung der Fragen des Hilfswerks und der Inneren Mission von allem Anfang an wir nicht nur zum Mitdienen, sondern auch zum Mitlenken eingeschaltet werden“ (a.a.O., 347).

Am Ende ihrer Rede forderte sie:

„Geben Sie uns mehr Raum, geben Sie uns mehr Verantwortung. Wir bitten nicht um Recht, wirklich nicht, sondern darum, daß wir einen Dienst, zu dem wir uns berufen fühlen, ausführen dürfen“ (a.a.O., 349).

Nopitsch hatte mit diesen flammenden Appellen, die immer – im Sinne der Geschlechterpolarität – die besondere Rolle der Frau betonten, erstaunlichen Erfolg, weil ihre männlichen Adressaten sich in ihrer Ritterlichkeit angesprochen fühlten. Da Nopitsch nicht Rechte einforderte, sondern mit dem Dienstgedanken, der Schöpfungsordnung und den gottgegebenen Gaben der Frau argumentierte und sich damit in den theologisch damals akzeptierten Denkmustern bewegte, waren ihre Forderungen schwer abzuweisen. Sicher hat auch der erhebliche Erfolg des Mütterdienstes – im Blick auf die soziale Leistung und die Mobilisierung der Frauen in den Gemeinden –  dazu beigetragen, dass Nopitsch nicht einfach überhört werden konnte. Nopitschs Sorge galt der Abwehr von Versuchen, den Mütterdienst unter kirchliche Kontrolle und männliche Leitung zu stellen. Das zeigt z.B. ihre Handlungsweise in einer großen Krise 1948: Als durch die Währungsreform und große Baumaßnahmen der finanzielle Ruin drohte, bestellte der Landeskirchenrat ein Kuratorium zur Finanzaufsicht über den Mütterdienst. Durch die Gründung des unabhängigen Deutschen Müttergenesungswerkes 1950 und die dadurch erfolgte Absicherung der Arbeit gelang es Nopitsch, dieses Gremium nach kurzer Zeit überflüssig zu machen und die Autonomie des Mütterdienstes zu sichern.

Als Geschäftsführerin des Deutschen Müttergenesungswerkes (MGW) trat Nopitsch nach 1950 auch in der Rolle einer gesellschaftlichen Lobbyistin für Frauenfragen jenseits der kirchlichen Kreise auf. Sie nahm diese Aufgabe vor allem bei den jährlichen Pressekonferenzen zur Muttertagssammlung und bei dem Kampf um die finanzielle Absicherung der Müttergenesung im Bundessozialhilfegesetz wahr. Doch hatte die Funktion im MGW auch eine interessante Rückwirkung auf Nopitschs Frauenbild – es entidealisierte und entideologisierte sich. Dazu ein Beispiel: In einem Referat auf dem Fürsorgetag 1963, das Nopitsch in ihrer Biografie als Lebensbilanz wertet, greift Nopitsch Vorwürfe gegen Mütter, z.B. im Blick auf deren Berufstätigkeit, auf und kontrastiert sie mit Daten aus der Praxis der Müttergenesungskuren (vgl. Nopitsch 1995: 235-255). Sie führt die besondere gesundheitliche Gefährdung vieler Frauen auf die „Überforderung, die in der Situation der Mutter in der modernen Gesellschaft begründet ist“, zurück. So wüssten viele junge Menschen wenig über die „inneren und äußeren Aufgaben einer Ehefrau“, weil sie keine Gelegenheit gehabt hätten, sie kennenzulernen; die Ehe sei so oft nicht „Ort der Zuflucht“, sondern erfordere viel Arbeit und „Hintanstellung der persönlichen Wünsche“. Die Aufopferung vieler Frauen wird nicht mehr unkritisch gesehen. Vielmehr betont Nopitsch, wie wichtig es sei, „in aller Verantwortung für die Familie einen kleinen Bezirk eigenen Lebens [zu] bewahren“ (a.a.O., S.244). 

Kommentar

Antonie Nopitsch ist eine Pionierin evangelischer Sozialarbeit, die durch die Gründung des Bayerischen Mütterdienstes einen frauenbestimmten Raum geschaffen und verteidigt hat, der Frauen Bildung, Gesundheit und Spiritualität bot. Durch die Gründung des Müttergenesungswerkes, durch die flächendeckende Verbreitung des Weltgebetstags und durch die Gründung des Laetare-Verlags hat sie über ihren Tod (am 10. Januar 1975) hinaus bleibende Spuren in der evangelischen Frauenarbeit hinterlassen. Ihr Frauenbild war zeitbedingt geprägt, trägt aber wichtige emanzipatorische Impulse.