Barbara Cordula von Lauter

„Ich seh’ den Himmel offen“. Eine lutherische Pietistin weiß sich eins mit ihrem Heiland
„Ich seh’ den Himmel offen“ Konrad Minkner
Lebensdaten
von 1670 - bis 1711
Unter weiteren Namen bekannt als:
Barbara Cordula Astmann, Barbara Cordula Kalckberner
Beziehungen

Dem „selbst aufgesetzten Lebenslauf“ von Barbara Cordula von Lauter ist zu entnehmen, dass sie am 25. Juli 1670 geboren wurde in der Nähe von Bamberg, wahrscheinlich in Hallstädt. Sie war einzige Tochter vom Bamberger Rat Johannes Ernst von Lauter und seiner Ehefrau Anna Maria, geb. Ebersbergerin, gen. von Weyhers. Weil die Eltern katholischer Konfession waren und, wie sich die Lauterin ausdrückte, „in der dicken Finsternis des Papsttums lebten“, meinten sie, Barbara Cordula auf dem Altar des eigenen Seelenheils opfern zu müssen und brachten das neunjährige Kind ins Kloster Unterzell bei Würzburg, wo sie nach der Zeit der Vorbereitung die Profess ablegen sollte. Doch dazu kam es nicht, denn der Vater starb 1681, und der eingesetzte Vormund beendete ihre Vorbereitungszeit im Kloster. Sie kehrte nach Bamberg zur Mutter zurück, die nun Witwe geworden war. Sie fand wieder Geschmack an und in der Welt. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr wandelte die junge Frau nach eigenem Bekunden „in Liebe, Lust und Torheiten der Welt“. Doch dann wurden die Wolken der Weltenlust vertrieben, und der Glaubenshimmel tat sich über Barbara Cordula auf. Lernte sie doch durch Vermittlung des Bruders die Lutheranerin Frau von Ostheim auf deren Gut Rochenbach im Frankenland kennen. „Gott lenkte bald mein Herz in besonderer Weise zu dieser neuen Freundin“, die ihr die Bibel zu lesen gab, und an deren Seite sie pietistische Gebetskreise besuchte, wodurch „der Verdacht der Ketzerei der lutherischen Lehre allmählich in meinem Herzen zerfiel, zumal ich Gelegenheit bekam, mit etlichen guten Leuten umzugehen, die mir die Gräul des Papsttums zeigten“ (Johann Henrich Reiz: Historie Der Wiedergebohrnen, Zweiter Band: Teile IV und V [1716/1717], S.231).

Nach Barbara Cordulas Empfinden tat sich der Glaubenshimmel wieder auf, als sie ihren späteren Ehemann Paul Astmann (1660-1690) kennen lernte, einen pietistischen Prediger. Eine seiner Predigten überzeugte sie so sehr, dass sie beschloss, zur lutherischen Lehre überzutreten. Leider hat sie in ihrer Autobiographie keine Auskunft darüber gegeben, wie ihre Konversion dokumentiert wurde. Da die „frischgebackene“ Konvertitin den mütterlichen Einspruch fürchtete und sich nach Bayreuth absetzte, ist es denkbar, dass ihr Konfessionswechsel im dortigen Kirchenbuch vermerkt wurde. In anderen Regionen des Deutschen Reichs, etwa in Elsaß-Lothringen, hatte sich die Eintragung ins Kirchenregister schon durchgesetzt.

In Bayreuth fand sie eine Anstellung als Hofdame bei der dort residierenden Markgräfin. Freilich wurde ihr, der verarmten Adligen, das Einleben in dieser gehobenen Gesellschaftschicht erschwert, vielleicht sogar zunichte gemacht. Die Lauterin spricht in ihrem Dossier von „Kaltsinnigkeitt“, mit der man ihr begegnete und kritisierte damit die Art des Mobbings, dem sie sich ausgesetzt sah. Der Lichtblick in der Bayreuther Zeit war, dass Paul Astmann um ihre Hand anhielt. Zwar hatte zwischendurch noch ein Beamter aus dem markgräflichen Hofstaat um sie geworben, doch hatte sich „mein Herz mehr dem zugeneigt, welcher durch die Gnade Gottes zum Werkzeug meiner Errettung aus der Finsternis geworden war“. Kurz entschlossen verlobten sich die beiden, zumal Paul Astmann eine Anstellung als Stadtpfarrer bekam, was für ihn Voraussetzung genug war, Barbara Cordula von Lauter am 8. Oktober 1693 zu heiraten. Sie „wird nun seine des Predigers Frau“, heißt es  in ihrem Selbstzeugnis. Fortan ist sie Frau Barbara Cordula Astmann, geb. von Lauter.

Die Heiratsurkunde Kalckbrenner – von Lauter ist in digitalisierter Form unter folgendem Link zugänglich:

http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000B0AB00000000

Wirkungsbereich

Zwei Jahre blieben die Frischvermählten in Bayreuth. Dann tat sich der Glaubenshimmel wieder auf, aber nicht nur über Barbara Cordula, sondern auch über Paul, denn dieser erhielt 1695 einen Ruf nach Berlin an die legendäre St. Nikolai-Kirche des Liederdichters Paul Gerhardt (1607-1676) und des Kantors Johann Crüger (1598-1662) mit dem Beinamen „Der Spielmann Gottes“. Das Ehepaar hat diese Berufung als eine hohe Verpflichtung verstanden. Hatte sich doch der Lutheraner Paul Gerhardt standhaft geweigert, das Toleranzedikt des reformierten Großen Kurfürsten (1620-1699) zu unterschreiben, das eine Zusammenfügung von lutherischem und reformiertem Glaubensgut zu einem neuen Bekenntnis vorsah. Weil der Liederdichter bei seiner Weigerung blieb, wurde er des Amtes enthoben und nach Lübben versetzt. Von Barbara Cordula und Paul erwartete die lutherisch gebliebene Gemeinde, dass sie sich als Nachfolger des „Befiehl du deine Wege“-Dichters würdig erwiesen, Paul von der Kanzel, Barbara Cordula als Mutter von drei Kindern, welche die Zwei inzwischen bekommen hatten. Sechs Jahre währte die Ehe. Dann erkrankte Paul und starb im Alter von 38 Jahren 1699.

Trost wurde der Witwe mit den Kindern von Philipp Jacob Spener (1635-1705) zuteil, der seit 1691 ebenfalls Pfarrer an St. Nikolai geworden war und dieses Amt bis zu seinem Tod versehen hat. Speners Seelsorge an der Familie Astmann öffnete immer wieder über Barbara Cordula den Glaubenshimmel, so dass sie auch in dieser Zeit von „Wohltaten sprach, die Gott ihr gewährt hat“. Spener hat sich zudem um die Kinder gekümmert, als ihre Mutter in den folgenden Jahren oft krank gewesen war und Blutstürze erlitten hat. War sie deshalb mal nicht in St. Nikolai zum Gottesdienst, eilte er in ihre Wohnung, um mit ihr zu beten oder ihr eine seiner Schriften zum Lesen zurückzulassen. Weiter führt sie in ihrer Autobiographie aus, überzeugend und nachhaltig habe der Hallenser Theologe vom Wittenberger Reformator gesprochen und sie, die einstige Katholikin, in ihrer Hinwendung zum lutherischen Pietismus bestärkt. Spener war es auch, der Barbara Cordula zur Wiederverheiratung mit Peter Kalkberner riet, seines Zeichens Pastor und Inspektor zu Meseberg. Die „Eheliche Einsegnung“, wie es in der Heiratsurkunde heißt, fand am 15. April 1704 im Hause vom Königlichen Konsistorialrat und Propst Philipp Jacob Spener statt, der dazu predigte über Sprüche 18,22: „Wer eine Ehefrau gefunden, der hat etwas Gutes gefunden und hat Gunst erlangt von dem Herrn“. Obwohl die Lauterin lange Zeit nicht noch einmal heiraten wollte, war sie nachträglich für Gottes Führung dankbar: „Gott hat mich einen treuen und rechten Vater für meine drei Kinder, die er als seine eigenen liebt, finden lassen“. Ihre Kinder, zu denen sich aus der Verbindung mit Peter noch ein Sohn gesellte, ließ die Lauterin auf eine öffentliche Schule gehen. Kamen sie dann nach Hause, wartete schon ein Hauslehrer auf sie, der ihre Hausaufgaben überwachte und sie während der Freizeit beaufsichtigte. Aber die Unterweisung im Kleinen Katechismus  und die Gestaltung der Hausandacht übernahm die Frau Kalckberner selbst. So „betete sie mittwochs und  sonnabends Nachmittag mit ihren Kindern auf den Knien zu Gott und bat nachdrücklich, den Sinn Christi in sich zu pflanzen“. Angesichts des Todes, der nach schwerer Krankheit am 12. Februar 1711 eintrat, betete Barbara Cordula voller Inbrunst: „Ich seh’ den Himmel offen, will nun auf Gott jetzt hoffen. Laßt mich in Ruh! Fragt nicht, was ich tu. Bin durch den Vorhang  gangen und will meinen Heiland  umfangen“. (Johann Henrich Reiz: Historie Der Wiedergebohrnen, Zweiter Band: Teile IV und V [1716/1717], S.241). „Und so weit geht dieser von der gottseligen Frau verfertigte eigene Aufsatz“, wie der Herausgeber Jacob Baumgarten (1706-1757) anmerkt.

Reformatorische Impulse

Mit vielen anderen adligen Frauen im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert leistete die Lauterin einen nachhaltigen Beitrag zur Erneuerung ihrer lutherischen Kirche, etwa im Sinne der Pietistinnen Anna Catharina Mahlerin, geb. von Friedeborn (1656-1717) und Sibylla Eleonora Brummerin von Bährenfeld (1682-1705). Sie war der kalten Frömmigkeit überdrüssig, die Einzug gehalten hatte in die Kirche der Reformation. Auch schämte sich die Lauterin dafür, dass von lutherischen Kanzeln „über den Nutzen und Wert der Stallfütterung“ informiert und nicht über Gott gepredigt wurde. Barbara Cordula von Lauter wehrte sich gegen solche Art der Verkündigung. Sie gründete mehrere Konventikel, um mit Gleichgesinnten zu beten und über Christus nachzudenken. Sie ließ sich auf eine neue Seinsweise mit ihrem Heiland ein und sprach in diesem Zusammenhang von „Wiedergeburt durch Christus“ und dichtete: „Ich liebe dich herzlich, o Jesus in allen. Du bist es, an dem ich hab’ mein Gefallen. Ich such’ dich, ich lieb’ dich. Ich will dich nicht lassen. Ich will dich mit reinster Liebe umfasen“. (Johann Henrich Reiz: Historie Der Wiedergebohrnen, Dritter Band: Teil VI [1730], S.279/S.280). Diese Christuserfahrungen, erlebt von der Lauterin und anderen Pietistinnen, sind wichtige reformatorische Impulse für die evangelische Kirche geworden und erfüllten die Verkündigung mit neuem Leben. Nie haben diese frommen Frauen beabsichtigt, die Kirche der Reformation zu verlassen und wie die Wiedertäuferinnen eine eigene Glaubensgemeinschaft zu gründen. Darin unterschieden sie sich ebenfalls von den Mitreformatorinnen des 16. Jahrhunderts, die vom Katholizismus zum Protestantismus konvertierten.

Als „Jüngerin Christi“, wie sich Barbara Cordula gern nannte, hat sie viel in Luthers Bibel gelesen und stellte dabei fest, auch dessen Übersetzung sei revisionsbedürftig. Dankbar hat sie den Vorschlag von Philipp Jacob Spener, ihrem geistlichen Mentor, aufgegriffen und sich um den Nachlass ihres ersten Mannes gekümmert. Darunter befand sich eine Bibelübersetzung, die Peter Astmann im Sinne des Pietismus angefertigt hatte, und die Barbara Cordula zwischen 1699 und 1702 in Berlin drucken ließ. Auf ihren Wunsch hin hat Spener eine Vorrede geschrieben.

Vor dem Hintergrund ihres Pietismus wird die Gesellschaftskritik verständlich, welche die damals noch ledige Lauterin bereits in Bayreuth vorbringt. Bekanntlich hatte sie am dortigen Hof der Markgräfin keinen leichten Stand. So übte sie Kritik an der Kleiderpracht und am „Entblößen der Glieder“, wie sie es nannte. „Als aber die Herrschaften begehrten zu wissen, was mich dazu bewegte, ich könnte doch selbst nichts Unschönes vorweisen, sagte ich frei heraus, dass mein Gewissen dagegen stritte, wie ich meinen Wandel bei Hofe führen müsse“. Da Barbara Cordula es in immer stärkerem Maße als unvereinbar erlebte, bei Hofe zu dienen und gleichzeitig ihrer Vorstellung von der Nachfolge Christi nachzukommen, bat sie schließlich um Entlassung aus dem Hofdienst. Ungern hat sie diese Reißleine gezogen. Lieber wäre sie am Hofe geblieben und hätte Gebetsgemeinschaft gehalten. Doch ein so gearteter reformatorischer Impuls misslang.

Kommentar

Dieser Beitrag basiert größtenteils auf einem Selbstzeugnis der Lauterin. Ihre und viele andere Autobiographien lassen sich nach der Karlsruher Literaturwissenschaftlerin Eva Kormann „erklären mit der protestantischen Praxis der biographisch orientierten Leichenpredigt und mit dem Selbstprüfungszwang, den die lutherische Rechtfertigungslehre ausübt“ (Kormann: 102). Angesichts des Todes hielt man inne, um sich und der Nachwelt Rechenschaft über sein Leben abzulegen. Da man als frommer Mensch zugleich das Gericht Gottes fürchtete, hielt sich die zu erwartende „Schönfärberei“ in Grenzen, im Gegenteil, die Reue, etwas verkehrt gemacht zu haben, ließ manchen Sachverhalt grauer erscheinen, als er in Wahrheit gewesen ist. Deshalb ist es vertretbar, solche Selbsteinschätzungen zur Niederschrift einer Biographie heranzuziehen, wie im Blick auf die Lauterin geschehen, zumal ihre Vorarbeit für die Leichenpredigt durchaus aussagekräftig ist und dementsprechend von dem Osnabrücker Kirchenhistoriker Martin H. Jung gewürdigt wird.

Freilich hat Barbara Cordula von Lauter ihre Selbstdarstellung publikumswirksam verfasst, so dass sie nicht nur als Exempel pietistischer Frömmigkeit zu werten ist, sondern zugleich zur religiösen Erbauung verlesen werden konnte. Der geistlich-pädagogische Charakter ihrer Autobiographie ist unverkennbar, und die Wichtigkeit eines Erweckungserlebnisses und einer Wiedergeburt wird von ihr betont. Gern bediente man sich um 1700 solcher geistlichen Beispielserzählungen, um auf diese Weise eine Gegenströmung zum erstarrten Dogmatismus der lutherischen Orthodoxie zu entwickeln. Im Zeitalter des Pietismus wurden derartige Lebensberichte zudem gesammelt und so vor Vernichtung bewahrt. Auch die Autobiographie von Barbara Cordula von Lauter fand Eingang in ein Sammelwerk, in die Historie der Wiedergebohrnen von Johann Henrich Reitz (1665-1720), dem die Entstehung dieses Beitrags letztlich zu verdanken ist.