Elisabeth Schmitz

Solidarisch mit den Juden, kritisch gegenüber ihrer Bekennenden Kirche
Solidarisch mit den Juden Sibylle Biermann-Rau
Lebensdaten
von 1893 - bis 1977
Copyright Dietgard Meyer
Beziehungen

Elisabeth Schmitz wurde am 23.8.1893 in Hanau/Main als dritte Tochter von Marie und August Schmitz geboren. Der Vater, ein Gymnasialprofessor, der Philosophie, Geschichte und Theologie studiert hatte und von seiner Herkunft  reformierten Bekenntnisses war,förderte die höhere Schulbildung seiner Tochter. Obwohl seinerzeit noch unüblich für Frauen, begann Schmitz 1914 mit dem Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Religion in Bonn. Mitten im ersten Weltkrieg wechselte sie 1915 nach Berlin, an jene Universität, die über die Grenzen Deutschlands hinaus einen herausragenden Ruf genoss.

Ihre wichtigsten Lehrer waren der Historiker Friedrich Meinicke, bei dem sie 1920 promovierte, und der liberale Theologe Adolf von Harnack. Diesen beiden und ihren Familien war  und blieb sie auch später noch persönlich verbunden, Elisabet von Harnack war zeitweilig ihre beste Freundin. Schmitz gehörte vermutlich als erste Frau dem „Kirchengeschichtlichen Seminar“ Adolf von Harnacks an, einem auserwählten Kreis von Eliteschülern, zu dem zuvor auch Karl Barth und später Dietrich Bonhoeffer zählten.

Nach ihrem ersten Staatsexamen 1921 absolvierte Schmitz parallel zu ihrem schulischen Vorbereitungsdienst  ein mehrjähriges Ergänzungsstudium an der Theologischen Fakultät. Damit wollte die Religionslehrerin und interessierte Christin ihre theologischen Kenntnisse vertiefen. Ab 1923 unterrichtete Schmitz an verschiedenen Berliner Schulen, ab 1929 als fest angestellte Studienrätin. 

Ob sie über das Unterrichten und Studieren hinaus auch am pulsierenden Berliner Leben teilgenommen hat, ist nicht bekannt und eher unwahrscheinlich.

Von 1915 bis 1931 wohnte Elisabeth Schmitz im Evangelischen Hospiz, einem Wohnheim für alleinstehende Damen in der Auguststraße 82 (heute Hotel Augustinenhof). Es lag mitten in einem von vielen Juden bewohnten Viertel und unweit der Großen Synagoge in der Oranienburger Straße und anderer jüdischen Einrichtungen. Elisabeth Schmitz hatte auch persönliche Kontakte zu Juden in ihrem Freundes-und Kollegenkreis.

 Bald nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bekam Schmitz wegen ihrer ablehnenden Haltung Schwierigkeiten an der Luisenschule in Berlin-Mitte und wurde 1935 an die Auguste-Sprengel-Schule (heute Beethoven-Gymnasium) in Berlin-Lankwitz versetzt. Ihre damalige Schülerin Dietgard Meyer, die ihrer Lehrerin später in jahrzehntelanger persönlicher Freundschaft verbunden blieb, schreibt im Rückblick:„[] Ihre den Nationalsozialismus ablehnende Gesinnung konnte niemandem verborgen bleiben. Statt des vorgeschriebenen strammen Deutschen Grußes eine verhuschte Handbewegung und ein gehauchter Hitler-Gruß …“ (Meyer, Exkurs, 208-209). Und über ihre Person: „leise auftretend, persönlich zurückgenommen, konzentriert auf den Unterrichtsstoff, sachlich und anspruchsvoll in ihren Anforderungen an uns.“ (Meyer, Mutter Elisabeth, 13).

 Nachdem Schmitz schon 1928 Mitglied im „Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“ geworden war und seit 1933 zur Gemeindevertretung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gehörte, wurde sie 1934 Mitglied der Bekennenden Kirche. Diese protestantische Kirchenbewegung ist im 3. Reich als Opposition zur nazitreuen protestantischen Bewegung der „Deutschen Christen“ entstanden.

Später nahm Schmitz an der Dogmatischen Arbeitsgemeinschaft von Helmut Gollwitzer in Berlin-Dahlem teil und besuchte den Mittwochkreis bei Anna von Gierke, in dem das Gespräch mit politisch zuverlässigen Menschen möglich war. 1935 schrieb Elisabeth Schmitz eine rund 20seitige  Denkschrift zur Judenverfolgung in Deutschland. Sie hoffte,  damit die Bekennende Kirche zu einem klaren Einspruch gegen die Judenpolitik der Nationalsozialisten  bewegen zu können. (siehe dazu auch die Ausführungen unter „Wirkungsbereich“, besonders Punkt B).

 Bald, nachdem ihre „nichtarische“ Freundin Dr. Martha Kassel zum 1.4.1933 ihre Praxis und damit ihre Existenzgrundlage verloren hatte, nahm Schmitz sie in ihre Wohnung in der Luisenstraße 67 auf. 1937 wurde sie deshalb wegen „Zusammenlebens mit einer Jüdin“ vom Blockwart der NSDAP denunziert und von der Partei vernommen, aber der Schulbehörde gelang es, die geforderte sofortige Entlassung aus dem Schuldienst zu verhindern. Das Unterrichten im nationalsozialistischen Geist wurde ihr aber immer mehr zur Belastung. Die Reichspogromnacht 1938 gab ihr den letzten Anstoß, aus dem Schuldienst auszuscheiden (siehe auch die Ausführungen unter „Wirkungsbereich“, besonders Punkt C). Fortan stellte sie sich der Bekennenden Kirche für ehrenamtliche Arbeit zur Verfügung.

Bemerkenswert, so Dietgard Meyer, ist auch die umfangreiche Korrespondenz, die Elisabeth Schmitz mit einem großen Freundeskreis geführt hat. Zu den Briefpartnern, die sie mit kirchlichen und politischen Nachrichten aus Berlin versorgt hat, gehörten auch  einige, die in die USA, nach Argentinien, Schweden und in die Schweiz emigriert sind. Bedeutende Dokumente sind ihre Briefe an Karl Barth und Helmut Gollwitzer (siehe die Ausführungen unter „Wirkungsbereich“, besonders Punkte A und C).

Die Berliner Zeit von Schmitz endete 1943. Im Zuge der allgemeinen Evakuierung Berlins zog sie im August 1943 nach fast 30 Jahren zurück nach Hanau und lebte fortan mit ihrer Schwester Maria im elterlichen Haus, in dem nach dem Krieg zunächst auch noch viele Fremde einquartiert waren.

Ab 1946 unterrichtete sie bis zu ihrer Pensionierung 1958 am dortigen Realgymnasium für Mädchen, der späteren Karl-Rehbein-Schule. Daneben war sie engagiert im Hanauer Geschichtsverein.

Elisabeth Schmitz war nie verheiratet gewesen, sprach dennoch von ihren drei Töchtern, „aus jeder Schülergeneration eine“: Dr. Renate Ludwig, Lydia Forsström und Dietgard Meyer (zitiert in Meyer, Mutter Elisabeth, 16-17). Mit ihnen pflegte sie intensiven Austausch und unternahm viele Reisen.

Am 10.9.1977 starb Elisabeth Schmitz im Alter von 84 Jahren in einem Offenbacher Krankenhaus. Dass nur sieben Menschen auf ihrer Beerdigung waren, was gerne als Beweis für das Vergessen durch ihre Umwelt herausgestellt wird, hatte vor allem damit zu tun, dass die Anzeige erst nach der Beerdigung veröffentlicht wurde und es außer ihren beiden ebenfalls unverheirateten Schwestern kaum Verwandte gab.

Pfarrerin Dietgard Meyer erhielt nach Schmitz‘ Tod von deren Schwester eine Aktenmappe. Darin befand sich auch die anonyme und bisher Marga Meusel zugeschriebene Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“. Zu Lebzeiten hatte Elisabeth Schmitz mit Dietgard Meyer darüber nicht gesprochen, aber diese  konnte nun erstmalig nachweisen, dass Elisabeth Schmitz die Verfasserin der außergewöhnlichen Denkschrift ist,  und hat diese 1999 veröffentlicht.

2004 fand dann auch noch Gerhard Lüdecke zufällig in einem Keller einer Hanauer Kirche eine Aktenmappe mit dem Vermerk: „Nachlaß Dr. Elisabeth Schmitz“ und in einem Briefumschlag „Zu meiner Denkschrift“ das handschriftliche Konzept – eine weitere Bestätigung. Fälschlicherweise wird aber in vielen Darstellungen dieser spektakuläre Dokumentenfund als Entdeckung der Verfasserschaft von Schmitz gewertet.

Wirkungsbereich

Sogleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erkannte Elisabeth Schmitz den Un-Geist der Nazi-Zeit. Sie versuchte insbesondere in den Jahren 1933 bis 1938, da war sie zwischen 40 und 45 Jahre alt, ihre Bekennende Kirche zur Solidarität mit den verfolgten Juden aufzurütteln.

Es ging ihr dabei nicht nur um Solidarität mit den evangelisch getauften Juden (insgesamt mind. 100000 getaufte Juden), für die sich die Bekennende Kirche durchaus engagierte, sondern um Solidarität mit allen Juden (über eine halbe Million).

Als Frau aber hatte Elisabeth Schmitz in der entstehenden Bekennenden Kirche keine Position inne – weder auf der Barmer Bekenntnissynode, die in ihrer bekannten Erklärung von 1934 die Kirche immer noch definiert als eine „Gemeinde von Brüdern“, noch sonst in der Bekennenden Kirche, die sich über sogenannte „Bruderräte“ organisiert, obwohl viele Frauen engagiert mitarbeiteten.

Die Berliner Studienrätin musste also unter den Kirchenmännern Verbündete finden, um kirchenpolitisch wirken zu können. Das versuchte sie auf folgende Weise:

 

A. Briefe an Barth in der Phase der Ausgrenzung der Juden, ab 1933

Bereits am 18. April 1933 sprach Elisabeth Schmitz in einem ersten Brief an Karl Barth von den „Folgen der Judenverfolgung“. Und sie berichtete von der Kirche, die Ostern feiert „in der Siegesstimmung, die augenblicklich durch unser deutsches Volk geht“. Sie bittet den Theologen, „dessen Stimme in Deutschland am meisten gehört wird“, die Gewissen in der theologischen Welt wachzurütteln (zitiert in Meyer, Briefwechsel, 332-333).

Und in ihrem langen Brief von Neujahr 1934 an Karl Barth heißt es:

 „Sollten die Gesetze, wie sie heute sind, längere Zeit bestehen bleiben, so würde das das glatte Todesurteil bedeuten für Hunderttausende von Menschen, vielleicht für Millionen […]. Zu alledem schweigt die Kirche. Ob sie überhaupt bemerkt, was vorgeht, ist nicht zu erkennen. Es sieht nicht so aus. […] Wir haben keine Zeit zu warten. […] Was die Kirche am nötigsten braucht, ist weder ein neues Bekenntnis, noch die Verfassung, noch theologische Auseinandersetzungen über Volk u. Rasse, sondern ganz einfache, schlichte, selbstverständliche christliche Liebe. Auf keinem Gebiet hat die Kirche u. die deutsche Christenheit so rettungslos versagt wie auf diesem […]“ (zitiert in Meyer, Briefwechsel, 337-339).

 Die Worte dieser klar sehenden Frau wurden in der entstehenden Bekennenden Kirche aber nicht gehört. Die wenige Monate nach diesem Brief entstandene Barmer Erklärung vom Mai 1934 setzte sich zwar mit den Irrlehren der Deutschen Christen auseinander, aber enthielt kein Wort zur Irrlehre des Antisemitismus.

Barth beantwortete diese beiden Briefe – sein Brief vom 18.1.1934 ist der längste, den er jemals an eine Privatperson geschrieben hat – allerdings reagierte er verhalten. Auf ihre späteren Briefe sind keine schriftlichen Reaktionen mehr bekannt, Schmitz hat ihn mehrmals  auch noch in Basel besucht zwischen 1936 und 1939. Der gesamte Briefwechsel ist erstmalig 2009 mit einem Anmerkungsapparat von Dietgard Meyer herausgegeben worden.

 

B. Denkschrift in der Phase der Entrechtung der Juden, ab 1935

Wenige Tage nach den „Nürnberger Gesetzen“ fand Ende September 1935 in Berlin-Steglitz eine große, öffentliche Synode der Preußischen Bekennenden Kirche statt (mit Delegierten aus der APU = Altpreußischen Union, der größten und gewichtigsten der 22 evangelischen Landeskirchen, die allein 8 Kirchenprovinzen umfasste). Mancher Synodale erwartete, dass die Kirche jetzt ein kritisches Wort zur Entrechtung der Juden sagt, andere wollten dem Staat ausdrücklich das Recht zu gesetzlichen Regelungen gegen Juden zugestehen.

Die Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz gab zu dieser Synode eine rund 20-seitige Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ ab, der sie im Mai 1936 noch einen ausführlichen mehrseitigen Nachtrag zu den Folgen der Nürnberger Gesetze anfügte. Auch Karl Barth in Basel hatte 1936 ihre Denkschrift erhalten und Bonhoeffer schaffte ein Exemplar nach London. Schmitz bemerkte 1947 dazu, dass sie eigenhändig 200 Exemplare abgezogen und diese sowohl Gremien als auch einflussreichen Einzelpersönlichkeiten der Bekennenden Kirche in ganz Deutschland zukommen ließ, um damit zum Widerstand zu rufen (Dokument 61 in Meyer, Exkurs, 264-265).

Da Schmitz zu ihrem Schutz ihren Namen nicht darunter setzte, wurde diese Denkschrift bis vor kurzem fälschlicherweise der Berliner Fürsorgerin Marga Meusel zugeschrieben, von der bereits eine Denkschrift vom Mai 1935 “Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern“ stammte. Wie aber schon im Titel deutlich wird, ging es Schmitz nicht  nur um die evangelischen Nichtarier, also um die evangelisch getauften Juden, sondern um die deutschen Nichtarier, das heißt, um alle Juden, die diskriminiert und verfolgt wurden.

Diese Denkschrift kann als der bedeutendste Text betrachtet werden, der im Dritten Reich auf evangelischer Seite zur Lage der Juden geschrieben wurde (erstmalig von Dietgard Meyer unter dem Namen Elisabeth Schmitz veröffentlicht in Dokument 56, dazu mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat und einer biographischen Einleitung versehen, in: H. Erhart/I. Meseberg-Haubold/D. Meyer: Katharina Staritz 1903-1954. Mit einem Exkurs Elisabeth Schmitz. Dokumentation Band I, Neukirchen 1999).

In den ersten beiden Kapiteln belegt Schmitz mit einer Vielzahl von drastischen Beispielen, die sie von überall her zusammengetragen hat, die Situation der Juden  und kommt zu dem Schluss: „Die Beispiele genügen um zu zeigen, dass es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird“.

Elisabeth Schmitz sieht bereits 1935(!) die Endlösung kommen.

In einem weiteren Kapitel „Die Stellung der Kirche“ mahnte sie eindringlich:

„Was soll man antworten auf all die verzweifelten, bitteren Fragen und Anklagen: Warum tut die Kirche nichts? […] Menschlich geredet bleibt die Schuld, dass alles dies geschehen konnte vor den Augen der Christen, für alle Zeiten und vor allen Völkern und nicht zuletzt vor den eigenen künftigen Generationen auf den Christen Deutschlands liegen. Denn noch sind fast alle Glieder des Volkes getauft, und noch trägt die Kirche Verantwortung für Volk und Staat, […].“

 Sie fordert nicht nur christliche Solidarität mit den Opfern, sondern spricht offen von der Mitverantwortung der Christen in Deutschland.

Auf der Synode gab es ein leidenschaftliches Ringen um ein Wort zur Judenfrage. Doch es ist davon auszugehen, dass die Denkschrift leider nicht besprochen worden ist – ob sie überhaupt allen Synodalen vorlag oder nur einigen, ist umstritten. Jedenfalls fand diese Bekenntnissynode vom September 1935 kein Wort zur Entrechtung der Juden, nicht zuletzt wegen der starken Differenzen innerhalb der Bekennenden Kirche, in der der entschiedene Flügel dem gemäßigten unterlag. 

 

C. Quittierung des Schuldienste, Engagement in der Bekennenden Kirche und Kontakt mit Gollwitzer in der Phase des Ausstoßens der Juden ab der Reichspogromnacht 1938:

Einzigartig war die Reaktion von Elisabeth Schmitz auf die Reichspogromnacht am 9.11.1938.

Sie erschien tags darauf nicht mehr in ihrer Schule und wollte ihren Dienst – mit 45 Jahren – sofort quittieren. Rückblickend beschrieb sie 1947 ihren Schritt so: „Ich beschloss, den Schuldienst aufzugeben und nicht länger Beamtin einer Regierung zu sein, die die Synagogen anstecken lässt.“ (zitiert in Meyer, Exkurs, 265-266)

In ihrem Antrag auf Frühpensionierung vom 31. Dezember 1938 hob sie nicht nur auf gesundheitliche Gründe ab, sondern schrieb auch:

Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen weltanschaulichen Fächern – Religion, Geschichte,  Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert. Nach immer wiederholter eingehender Prüfung bin ich schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass das nicht der Fall ist …“ (zitiert in Hensel, 67-68).

Das war mutig und gefährlich, aber Schmitz blieb dank der Deckung durch zwei höhere Beamte vor Repressalien verschont und erhielt eine Pension von rund 60% ihres Gehalts.

Fortan engagierte sie sich ehrenamtlich in der Bekennenden Kirche: Dazu gehörten Bibelarbeiten, Besuchsdienst, Religionsunterricht für Juden, die sich taufen lassen wollen – obwohl Hausbesuche bei Juden natürlich verboten waren. Zeitweilig nahm sie in ihrer Wohnung und in ihrem Wandlitzer Gartenhaus untergetauchte Personen auf. All das war lebensgefährlich. Unmittelbar nach der Reichspogromnacht aber hatte Elisabeth Schmitz auch Kontakt zu verschiedenen Pfarren der Bekennenden Kirche aufgenommen.

Offenbar hat Elisabeth Schmitz dann den von Gollwitzer gehaltenen Bußtagsgottesdienst am 16.11.1938 in Dahlem zusammen mit ihrer „nichtarischen“ Freundin und Wohngenossin Martha Kassel besucht, einen Monat, bevor sie diese in die Emigration verabschieden musste. Wenige Tage nach diesem Gottesdienst, am 24. November 1938, bedankte sich Schmitz bei Gollwitzer, der vermutlich auch ihre Denkschrift von 1935/36 kannte, mit einem langen Brief. Darin heißt es unter anderem:

“[…] Bitte, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch heute aus tiefstem Bedürfnis heraus für den Bußtagsgottesdienst danke. Es lässt sich wohl nicht mehr sagen als dies: dass man erfüllt war von dem Gefühl: So, und nur so kann und darf nach dem, was geschehen ist, eine christliche Gemeinde in Deutschland zusammen sein. […] Ich weiß nicht, ob Sie sich besinnen, dass ich vor einigen Wochen einmal bei Ihnen war, um mit Ihnen darüber zu sprechen, dass die Kirche ihren Gemeinden ein wahres Wort zur Behandlung  der Juden in Deutschland sagen müsse. Ich habe auf Ihren Rat hin an Niesel geschrieben. Das Wort ist nicht gekommen. Dafür haben wir das Grauenhafte erlebt und müssen nun weiterleben mit dem Wissen, dass wir daran schuld sind. […] Es scheint, dass die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überlässt, ob er etwa sagen will, und was. […] Wir haben die Vernichtung des Eigentums erlebt, zu diesem Zweck hatte man im Sommer die Geschäfte bezeichnet. Geht man dazu über, Menschen zu bezeichnen, so liegt ein Schluss nahe, den ich nicht weiter präzisieren möchte“ (zitiert in Gailus, Dokumentation II, 223-225).

 Ihre Vorschläge, die Bekennende Kirche möge alle Juden in ihre Fürbitten einbeziehen oder Kirchengebäude den Juden für Gottesdienste zur Verfügung stellen, wurden nicht umgesetzt.

Der ganze Brief ist ein herausragendes zeitgeschichtliches Dokument. Elisabeth Schmitz aber stand mit ihren deutlichen Worten ziemlich allein,  auch in der Bekennenden Kirche. Als Studienrätin hatte sie nicht die Position, um öffentlich wirkungsvoll zu protestieren.

Reformatorische Impulse

Wie sich die Reformation auf Leben und Wirken von Elisabeth Schmitz ausgewirkt hat, lässt sich m.E. nicht leicht beurteilen. Insbesondere Martin Luther war ja in seinen späten Jahren in die scharfe antijüdische Polemik des Mittelalters zurückgefallen. So hat sich die lutherische Reformation gerade nicht von der judenfeindlichen kirchlichen Tradition gelöst, im Gegenteil, sie hat diese z.B. auch durch die Einführung des jährlichen Judensonntags immer wieder bestärkt. In der Tradition der Schweizer Reformation waren zwar andere Töne zu hören, aber auch diese war nicht frei von judenfeindlichem Denken. Gerade aber die Judenfeindschaft Luthers, dieser großen Autorität im deutschen Protestantismus, hat die antijüdische Haltung in der evangelischen Kirche bis in die Zeit des Nationalsozialismus genährt, und das nicht nur bei den Deutschen Christen, sondern auch in weiten Kreisen der Bekennenden Kirche.

Dagegen gehört Schmitz zu den wenigen, die diese Judenfeindschaft überwunden haben.

Reformatorische Impulse können allenfalls darin gesehen werden, dass Schmitz die Chance zur umfassenden Bildung genutzt hat, dass sie ihrem Gewissen und nicht ihrer Kirche gefolgt ist, dass sie Zivilcourage gezeigt hat. In ihrer Überzeugung, dass sich Kirche auch einzumischen habe in das politische Geschehen, kommt ihre reformierte Prägung zum Vorschein, im Unterschied zum lutherischen Obrigkeitsdenken.

Können ihre Solidarität mit den Juden und ihre Kritik an der Bekennenden Kirche als reformatorische Impulse für uns verstanden werden?

Ihre Gedanken können auch heute noch dazu beitragen, unsere judenfeindliche Tradition zu überwinden, ein Prozess, der schon vor einigen Jahrzehnten begonnen hat, der aber noch lange nicht abgeschlossen ist und auch in der Kirche viele noch nicht erreicht hat.

Es gilt, uns zu unseren jüdischen Wurzeln zu bekennen, an der bleibenden Erwählung Israels festzuhalten und Gottes eigenen Weg mit Israel als Geheimnis zu akzeptieren, wie es schon Paulus in seinen Israelkapiteln Römer 9-11 schreibt.

Vor allem erinnert uns ihr Reden und Handeln an die Priorität des Liebesgebots insbesondere gegenüber Fremden und Verfolgten. Und das ist auch heute aktuell, wie Nachrichten und Umfragen aus unserem Land zeigen.

Kommentar

Die Denkschrift von Elisabeth Schmitz ergibt zusammen mit den Briefen an Karl Barth und Helmut Gollwitzer, zusammen mit ihrer Entscheidung, den Schuldienst zu quittieren und ihrer Bereitschaft, Juden Asyl zu gewähren, das Bild einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Von Anfang an hat sie mit klarem Verstand die Absichten der Nazis gegen die Juden durchschaut: Sie wollte ihre Bekennende Kirche zur Solidarität mit den Juden bewegen, weil ihr Judenfeindschaft fremd und vielmehr das Liebesgebot ihr Maßstab war. Sie hat persönlich viel riskiert.

Treffend heißt es in einem Brief vom Dezember 1946 von Kurt Theodor an Elisabeth Schmitz: “Wenn es mehr mutige Menschen wie Dich gegeben hätte, hätten wir wahrscheinlich nicht das Schlimmste auskosten müssen. Du bist zwar kein Opfer, aber ein Vorbild, und jeder Ehrung und Bevorzugung vor vielen anderen würdig“ (zitiert in Meyer, Exkurs, 214).

Als Autorin der Denkschrift ist Elisabeth Schmitz nach 1945 jahrzehntelang unbekannt geblieben. Auch an ihre Briefe hat man lange nicht erinnert. Dass weder Barth noch Gollwitzer noch Martin Niemöller zur Aufklärung beigetragen haben, bleibt ein Rätsel. Vielleicht waren die klaren und kirchenkritischen Worte von Schmitz auch nach 1945 noch unbequem und hätten zu sehr das Bild von der Bekennenden Kirche angegriffen. Die Frage, warum Elisabeth Schmitz sich nicht selbst als Verfasserin dieser Denkschrift offenbart hat, muss offen bleiben. Aber Dietgard Meyer erwägt:

Kannte sie überhaupt die Veröffentlichung von Wilhelm Niemöller, auf dessen Behauptung der Verfasserschaft Marga Meusels die wissenschaftliche Diskussion bis heute basiert?

War Elisabeth Schmitz erneut enttäuscht über das auch nach 1945 andauernde Desinteresse der Kirche am Schicksal der Verfolgten?

Hatte sie einfach nicht mehr die psychische Kraft, die für sie so belastende Zeit durch historische Richtigstellungen wieder aufleben zu lassen?

Oder hielt sie ihr Handeln für so selbstverständlich, dass sie auf einen Einspruch in eigener Sache verzichtete?“ (zitiert in Meyer, Exkurs, 212).

 Im Jahre 2007, zu ihrem 30. Todestag, wird erstmalig eine wissenschaftliche Schmitz-Tagung in Berlin durchgeführt. Die lesenswerten Beiträge sind dokumentiert in dem 2008 von Manfred Gailus herausgegebenen Band: „Elisabeth Schmitz und ihre Denkschrift gegen die Judenverfolgung, Konturen einer vergessenen Biografie (1893-1977)“.

2010 erscheint die von Manfred Gailus verfasste Schmitz-Biographie „Mir aber zerriss es das Herz“. Obwohl Gailus einiges dazu beigetragen hat, Elisabeth Schmitz bekannter zu machen, wird seine Biographie von Ilse Meseberg-Haubold sehr kritisch rezensiert. Eine abschließende wissenschaftliche Biographie steht noch aus.

Am 11.11.2011 wird Elisabeth Schmitz von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem posthum als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.