Elsbeth Oberbeck wurde am 19. August 1871 in Breslau als Tochter des Königlichen Eisenbahn-Bauinspektors Hermann Julius Albert Oberbeck und seiner Ehefrau Maria Alma geb. Schwedler geboren. Sie wuchs mit einer Schwester in einem warmherzigen und gepflegten Elternhaus auf. Der Vater wurde 1872 nach Berlin versetzt. Dort blieb er, von kurzer Zeit der Beschäftigung in Hannover abgesehen, bis zu seinem Tod im Jahr 1894 im Ministerium der öffentlichen Arbeiten und später im Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen. Die Tochter wurde die ersten Jahre in einer Privatschule unterrichtet, dann erhielt sie Einzelunterricht. Die Eltern, die keine enge Bindung zur Kirche hatten, versuchten „mit sanfter Hand den leisen pietistischen Neigungen meiner Kindheit zu wehren“, Naturfreude, Kunst und Wissenschaft zu pflegen und „das Sittliche in einer vorbildlichen Lebensführung zum Ausdruck zu bringen“. 1887 wurde sie vom Superintendenten Ernst von Dryander, dem späteren Oberhof- und Domprediger Kaiser Wilhelms II., in der Dreifaltigkeitskirche in Berlin konfirmiert. Es folgte eine Zeit der inneren Kämpfe bis hin zu „einem völligen Zusammenbruch“ ihrer „still gehüteten Glaubenswelt“. Nach dem Tod des Vaters (1904) lebte sie mit der Mutter zunächst in Weimar, danach in Kassel und wieder in Weimar.
Wie üblich für „Töchter aus gutem Haus“ widmete sie sich vorwiegend sozialen Aufgaben, bildete sich fort in „weiblichen Beschäftigungen“, trieb Studien in Musik und Vortragskunst, beteiligte sich an Vereinsarbeit, erlernte Buchführung, unterrichtete „gesunde Atem- und Sprechtätigkeit“, leitete arme Frauen in Handarbeit an, unterrichtete in Weimar in der „Paulinenstiftung für kunstgewerblichen Hausfleiß“. Voll Bedauern berichtete sie, es habe 25 Jahre gedauert, bis sie wieder aus Überzeugung „zum Tisch des Herrn nahen“ konnte. Es verstand sich für sie von selbst, dass sie ihre Mutter bis zu deren Tod pflegte („bis 1904 hielten mich liebe Pflichten fest im Zusammenleben mit meiner Mutter“). Danach litt sie unter dem Alleinsein, fühlte sich trotz vielfältiger Beschäftigungen unausgefüllt. Ihr Leben erschien ihr als ein „rastloses dilettantisches Vielerlei von Lehren, Lernen und Beteiligung an Vereinsarbeit“, das nicht „die Kraft eines einheitlichen Berufes“ ersetzt. Da lernte sie Latein und beschloss, Theologie zu studieren: „Leben zu einem rechten Gottesdienst zu gestalten, war der feststehende Grundgedanke für meine Entschlüsse.“ Obwohl auch sie mituntervonBedenken ergriffen wurde in Bezug auf ihren zukünftigen Berufsweg, schrieb sie: „[…] Ich weiß es, dass es gerade in Deutschland Anstoß erregen würde, das volle Amt des männlichen Theologen zu erstreben; ich war darauf gefasst, während des Studiums die Grenzen zu erkennen, über die hinaus die weibliche Fähigkeit nicht zu streben vermöchte, – ich habe sie nicht gefunden.“
Es finden sich keinerlei Nachrichten darüber, welche Ratgeber ihr die Übersiedelung nach Baden vorgeschlagen und geebnet hatten und wann genau diese erfolgt war. Fest steht nur, dass sie spätestens ab 1908/1909 in Malterdingen bei Riegel im Haus von Pfarrer Albert Karl Ahles lebte, später bei Prof. Dr. Steurer in Lahr. Dort wurde sie dreieinhalb Jahre lang in allen Fächern des humanistischen Gymnasiums unterrichtet. Auch erwarb sie die badische Staatsangehörigkeit. Trotzdem verweigerte ihr 1912 der Großherzoglich Badische Oberschulrat wegen vorgeschrittenen Alters die Zulassung zum Externen-Abitur am ersten humanistischen Mädchengymnasium in Karlsruhe. Sie aber ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abhalten; daraufhin „ging ich nach Preußen“; in Weilburg/Lahn konnte sie 1912 das Abitur ablegen. Es gab für sie keinen Zweifel: Sie wird ab Wintersemester 1912/13 studieren! Ein anderes Fach als Theologie war hierbei keine Wahl für sie. Es folgten sieben Semester, jeweils abwechselnd in Jena und Heidelberg bei den Professoren Ernst Troeltsch, Wilhelm Windelband, Hans von Schubert, Rudolf Eucken. Nach dem Ersten Theologischen Examen besuchte sie zwei Semester das Praktisch-Theologische Seminar in Heidelberg bei Professor Johannes Bauer.
Noch nie war zuvor eine Frau in einer deutschen Landeskirche zum Examen zugelassen worden. So hatte sich für Theologie studierende Frauen das kirchliche Examen als erste große Hürde erwiesen, die zu überspringen bis dahin nicht gelungen war. Auch Elsbeth Oberbeck musste in Thüringen, wohin sie gern zurückgekehrt wäre, die Ablehnung zum landeskirchlichen Examen hinnehmen. Mit diesen Erfahrungen ergriff sie bereits 1915 die Initiative, erbat frühzeitig vom Oberkirchenrat in Karlsruhe die Auskunft, ob sie damit rechnen könne, 1916 in der Evangelisch-Protestantischen Kirche in Baden zum Ersten Theologischen Examen zugelassen zu werden. Dies zu wissen sei für ihre Planung nötig. Ansonsten sei sie gezwungen, etwa in die Schweiz nach Zürich oder Basel zu gehen. Die Professoren der Heidelberger Theologischen Fakultät setzten sich für sie ein. Und der Badische Oberkirchenrat gab ihr kurzfristig die Zusage, sie zu beiden Theologischen Prüfungen zuzulassen, wenn sie die dazu nötigen Voraussetzungen erfülle. Betrachtet man den folgenden diesbezüglichen Briefwechsel zwischen dem Oberkirchenrat in Karlsruhe und dem Oberkirchenrat in Stuttgart oder auch mit dem Rektor der Theologischen Fakultät in Leipzig, so ist nicht zu verkennen, dass es dem Oberkirchenrat in Karlsruhe bei dieser Entscheidung selbst nicht ganz wohl war! Denn er legte stets Wert auf die Feststellung, dass die Zulassung Elsbeth Oberbecks zu beiden Theologischen Prüfungen nur eine Einzelfallentscheidung gewesen sei, um ihr die Möglichkeit zu geben, das Studium abzuschließen; es werde aber einer Frau trotz bestandener Prüfungenniemals die Berechtigung erteilt für die Aufnahme in den Dienst der Landeskirche.
So blieb Elsbeth Oberbeck nichts anderes übrig, als diese Bedingungen zu unterschreiben, die sie selbst als dem Oberkirchenrat nötig erscheinende „Verzichtforderungen“ bezeichnete, denen sich zu fügen, sie aber doch bereit war. Wie sehr jedoch dem Oberkirchenrat daran gelegen war zu verbergen, dass eine Frau die theologischen Prüfungen bestanden hatte und dass es, wie Journalisten sofort schrieben, womöglich bald ein „Fräulein Pfarrer“ in Baden gebe, ist daran abzulesen, dass die Behörde peinlichst genau darauf bedacht war, diese Tatsache nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, weder in örtlichen Zeitungen noch in kirchlichen Blättern noch beispielsweise durch die Berliner Illustrationsgesellchaft (heute Objektdatenbank im Deutschen Historischen Museum Berlin), die alle sofort das bestandene Examen eines „zukünftigen Fräulein Pfarrer“ freudig begrüßt hatten.
Elsbeth Oberbeck suchte sich Arbeit in einer Kirchengemeinde (Heidelberg, Konstanz, Freiburg). Alle waren bereit, sie als theologisch gebildete „weibliche Hülfskraft“ einzustellen. Elsbeth Oberbeck wählte Heidelberg, das sie bis zu ihrem Tod am 24. Oktober 1944 nie mehr verließ. Dekan Heinrich Schlier, der sie in all ihrem theologischen und seelsorgerlichen Wirken stets unterstützt hatte, beerdigte sie. Niemand weiß mehr die Stelle ihres Grabes.
Elsbeth Oberbeck hatte ihre Dienstzeit in Heidelberg begonnen, mit Privatvertrag als Angestellte der Kirchengemeinde. Dekan Schlier schrieb für sie an den Oberkirchenrat, ohne dessen Genehmigung sie keinerlei Dienste übernehmen durfte: „Wenn Gott so vorzüglich geeignete Menschen schenkt, die seine Gemeinde mit auferbauen können, da wäre es ein Unrecht, nicht zuzugreifen“. Von Anfang an war es ein umfangreicher Wirkungs- und Arbeitsbereich, den Elsbeth Oberbeck zu versehen hatte. Sie war beauftragt mit weiblicher Jugendpflege, Religionsunterricht, Arbeit mit Konfirmierten (nur Mädchen waren erlaubt!), Seelsorge in der Frauenklinik, in der Hautklinik und im Frauengefängnis. Sie hielt Andachten und Bibelstunden, war Vertreterin des Evangelischen Pressedienstes und der Badischen Landesbibelgesellschaft.
Da ihr die Aufnahme in den Dienst der Landeskirche verwehrt war, sie aber dennoch mit großer Freude und Hingabe alle pfarramtlichen Aufgaben erfüllte und hierbei Vertrauen und Anerkennung von Kollegen, Lehrkräften, Ärzten, Kranken erfuhr, wandte sich der Dekan immer wieder von neuem an die Behörde: „Frl. Oberbeck […] ist nicht blos eine Barmherzige Mitschwester, die Kranke besucht, sondern sie ist Theologin, weiblicher Pfarrer.“ Über Jahre hinweg stellte er für sie Anträge: um die Ordination, um die Dienstbezeichnung, um den Talar, um Rechtsgrundlagen für die Theologin, um die Anerkenntnis dessen, dass sie „Pfarrerin“, Geistliche, sei (letztlich sind diese Anträge erst Jahrzehnte später erfüllt worden, als in den einzelnen Landeskirchen Männer und Frauen im Pfarramt gleichgestellt, also Frauen zum „vollen Pfarramt“ zugelassen wurden.) Der Oberkirchenrat lehnte für Elsbeth Oberbeck alle Anträge ab: keine Ordination, auch keine Einsegnung, kein Talar, keine Vorstellung im Sonntagsgottesdienst. Nach mehreren Jahren wurde ihr lediglich Sakramentsverwaltung im Rahmen ihres begrenzten Seelsorgebereichs im Krankenhaus zugestanden, die Taufe nur im Rahmen des „Priestertums aller Gläubigen“. Als Dienstbezeichnung prägte Elsbeth Oberbeck selbst den Titel “Pfarrgehilfin“. Sie wollte damit die akademische Ausbildung der Frau zum Ausdruck bringen und Frauen zum Theologiestudium ermutigen („darum wagt es, Schwestern, den beschwerlichen, aber beseligenden Weg des theologischen Studiums zu beschreiten“). Der Oberkirchenrat lehnte auch den Titel „Pfarrgehilfin“ ab, erlaubte nur die Bezeichnung „Gemeindehelferin“, die sich jedoch für Theologinnen nirgendwo durchsetzte.
Für die Bezahlung ihres – niedrigen – monatlichen Gehaltes war die Kirchengemeinde Heidelberg zuständig; der Oberkirchenrat gab nur einmal einen geringen Zuschuss. 1944 trat Elsbeth Oberbeck 65-jährig den Ruhestand an und verbrachte auch diesen in Heidelberg, das ihre Heimat geworden war. Als Krankheit eintrat, geriet sie in finanzielle Schwierigkeiten, sodass sie befürchten musste, die Krankenhauskosten nicht aufbringen zu können. Ihre Ärztin, Dr. Marie Clauß, und Georg Beer, Professor für Altes Testament in Heidelberg, legten beim Oberkirchenrat Fürsprache für sie ein. Frau Dr. Clauß: „Die Kranke weiß nichts von meiner Bitte, ich aber weiß, dass sie sich große Sorgen macht.“ Prof. Beer brachte es auf den Punkt: Elsbeth Oberbeck habe über 20 Jahre der Kirche in Predigt, Seelsorge und Unterricht treu gedient; ihre Pension liege unter der einer Pfarrerin in gleicher Dienstzeit. „Sie war die erste Theologin im Pfarrdienst. Nun liegt sie krank […]“.
Erhalten ist von Elsbeth Oberbeck die schriftliche Examenspredigt über 2. Timotheus 2, 11-13, die sie jedoch – weil Frau – nicht halten durfte; außerdem eine Kurz-Ansprache über Johannes 6, 67-71 und eine weitere Examensarbeit, in der die Aufgabe gestellt war, aufzuzeigen, welche Grundsätze die Reformation für die Seelsorge gegeben hatte; weiterhin ein Unterrichtsentwurf für eine Religionsstunde in einer 6. Klasse. In diesen Arbeiten wie auch in zwei von ihr verfassten Lebensläufen und in einem Brief aus dem Jahr 1915 an den Prälaten der Badischen Landeskirche arbeitete sie gemäß reformatorischem Grundsatz „solus Christus“, „sola scriptura“, „sola fides“, „sola gratia“ die daraus folgende Eigenverantwortlichkeit des Menschen vor Gott heraus: der Mensch, Mann und Frau, als Gottes Ebenbild – in Christus unmittelbar Gott gegenüber und Gott verantwortlich – so wird das Leben zu einem Gottesdienst.
Im Blick auf die Berufstätigkeit der Frau hatte Elsbeth Oberbeck bereits 1915 an den Prälaten geschrieben: „Leichter ist es, einem wohlorganisierten Ganzen als ‚dienendes Glied‘ sich anzuschließen, als unter eigener Verantwortlichkeit selbständig Neues schaffen zu müssen; das rechtfertigt wohl den Wunsch, die Kirche möge sich der Arbeit der Frauen in mütterlicher Fürsorge auch dann annehmen, wenn sie von gebahnten Wegen in bisher unbebautes Arbeitsfeld hinüberstreben […] “.
Beim 500-jährigen Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 werden es genau 100 Jahre sein, dass erstmals eine Frau in Deutschland es wagte, beim Evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe den Antrag auf Zulassung zum Zweiten Theologischen Examen zu stellen. Es war dies Elsbeth Oberbeck, die aufgrund ihres Antrags auch schon ein Jahr zuvor zum Ersten Theologischen Examen zugelassen worden war und dieses mit glänzendem Erfolg bestanden hatte. Zwar wurde sie – weil Frau – 1917 nach Bestehen auch des Zweiten Examens nicht in den Dienst der Landeskirche aufgenommen. Aber es war in der evangelischen Kirche eine bahnbrechende Bewegung in Gang gekommen, die sehr langsam und mühsam, aber letztendlich doch zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche führte. Ein Novum in der Kirche der Reformation! Ecclesia reformanda?
Elsbeth Oberbeck sah ihren Weg in die kirchliche Arbeit als Ruf, „Menschen unter den Nöten dieser Zeit … das Evangelium Jesu Christi zu bringen“. Auch war es ihr ein großes Anliegen, Frauen zum Studium der Theologie zu ermutigen. „Die Pfarrer allein können die Aufgabe nicht bewältigen […] Frauenarbeit! nach dir wird gerufen!“ Stets sprach sie sich dafür aus, an männliche und weibliche Theologie Studierende die gleichen Anforderungen zu stellen, Frauen keinesfalls einzelne Studienfächer, zum Beispiel die alten Sprachen, zu erlassen. Obwohl der Weg zum Pfarramt der Frau noch weit und mühsam war und Frauen sich auf diesem Weg noch jahrzehntelang Schritt für Schritt vorwärts tasten mussten: Elsbeth Oberbeck hat diesen Weg 400 Jahre nach dem „Thesenanschlag“ Luthers eröffnet: Auch dies ein Zeichen der ecclesia semper reformanda?
In Baden wurden ab 1923 alle Theologinnen in den landeskirchlichen Dienst aufgenommen. Es entspricht Elsbeth Oberbecks Wesensart und wohl auch ihrer Glaubenshaltung, dass sie, stets sich gebunden fühlend an ihre 1915-1917 mehrfach gegebene Einverständniserklärung, nie selbst einen Antrag auf nachträgliche Aufnahme in den landeskirchlichen Dienst stellte. Das ist zutiefst bedauerlich und auch nur schwer nachzuvollziehen. Aber doch hat sie uns allen, die wir als Theologinnen nach ihr kamen den Weg in unserer Landeskirche und vielleicht auch in allen deutschen Landeskirchen geebnet.