Esther Grünbeck

Eine „judenchristliche“ Herrnhuterin
Eine „judenchristliche“ Herrnhuterin Elisabeth Schneider-Böklen
Lebensdaten
von 1717 - bis 1796
Unter weiteren Namen bekannt als:
Magdalena Augusta Kirchhoff, Magdalena Augusta Naveroffsky
Beziehungen

Magdalene Auguste Kirchhoff, geb. Naveroffsky, verwitwete Grünbeck, genannt Esther (im folgenden Esther Grünbeck) entstammte einer jüdisch-polnischen Familie und wurde am 21. Oktober 1717 in Gotha geboren:  ihr Vater  Isaak Naveroffsky (geb. 1672 in Posen) war der Sohn von Mosche bar Chaim und wurde ohne sein Zutun getauft. Nach unstetem Wanderleben  fand er in Gotha eine Stelle bei der Miliz und heiratete Anna Elisabeth Graff, Kinderfrau bei der Herzogin Magdalena Augusta.  Ihre Tochter Magdalena Augusta wurde nach ihrer Taufpatin, der Herzogin, genannt und wuchs mit den Gothaer Prinzessinnen (darunter die spätere Prinzessin von Wales) auf. 1734 heiratete sie den Bildhauer Michael Grünbeck in Gotha, da er ihr als „der Frömmste“ unter ihren Bewerber schien. Durch ihren Bruder  Johann Christian Naveroffsky in Frankfurt bekam sie Kontakt zur Herrnhuter Brüdergemeine, die ihren tiefreligiösen Einstellungen und ihrer Liebe zu Jesus Christus sehr entsprach. Besonders die Begegnungen mit Graf Zinzendorf, aber auch mit Anna Nitschmann, empfand sie als große Bereicherung und Motivation, sich mit viel Elan und ihren Begabungen entsprechend für die Seelsorge an Kindern und erweckten Frauen einzusetzen, was ihr erster Mann, der Bildhauer Michael Grünbeck, auch unterstützte.

 Die Brüdergemeine mit ihrem internationalen Netzwerk bot ideale Bedingungen für Frauen wie Esther Grünbeck: auch gegen viele Widerstände (z.B. der orthodox-lutherischen Pfarrer, die sie „scharf examinierten“) konnte sie ihre Wirksamkeit in der „Seelenpflege“ unter Frauen weiter ausbauen, ja, sie nahm auch als Älteste der Brüdergemeine Gotha an verschiedenen Konferenzen und Synoden der Brüdergemeine teil.  Ebenso bereiste sie viele Orte der Brüdergemeine in (Ost-)Europa, zusammen mit der Gräfin Zinzendorf  bis St. Petersburg, und besuchte später mit ihrem zweiten Ehemann, dem getauften Juden David Kirchhof Brüdergemeinen in Königsberg, Litauen und Polen. Bei diesen Dienstreisen  war es sinnvoll, dass Esther Grünbeck 1750 zur „Diaconissa“ und ihr Mann zum „Diaconus“ eingesegnet worden waren.

1752 bekam sie ihren Sohn Josua Jakob und 1755 ihr Sohn Samuel David, der aber leider schon Ende 1756 starb. Der tiefe Schmerz darüber verursachte ihr „süße Heimwehgedanken, mit welchen (sie) unablässig umging“, wie sie in ihrem Lebenslauf schreibt. 

In den Jahren ihrer Witwenschaft  (auch ihr zweiter Mann David Kirchhof starb vor ihr) hatte sie die Aufgabe, das „Witwen-Chor“ (die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft der Witwen innerhalb der Brüdergemeine) seelsorgerlich zu leiten und beim Aufbau von Witwen-Chorhäusern zu helfen; im letzten dieser Witwen-Chöre, dem in Zeist (Holland), starb sie am 13. Oktober 1796. 

(zum Bild: Grabplatte von Esther Grünbeck; Copyright: Markus Gill, Zeist/NL)

Wirkungsbereich

Auf Grund der internationalen Vernetzung der Brüdergemeine ergab sich für Esther Grünbeck ein großer Wirkungsbereich:

Zum einen durch ihre jüdische Herkunft und zum andern durch ihre Lieder, die bis heute im Gesangbuch der Brüdergemeine abgedruckt sind.

Als eine der wenigen Mitglieder der Brüdergemeine mit jüdischer Herkunft war Esther Grünbeck für Graf Zinzendorf sehr willkommen, um innerhalb der Brüdergemeine eine „Juden-Kehille“ (judenchristliche Gemeinschaft) zu bilden, die in einen Kontakt mit Juden gewissermaßen auf Augenhöhe treten sollte. Letztlich ist dieses Projekt zwar gescheitert, wohl am Widerstand der nicht-jüdischen Brüdergemeine, aber die Trauung der Schwester Esther Grünbeck mit dem ebenfalls judenchristlichen Bruder  David Kirchhof 1746 war in diesem Zusammenhang ein wichtiges Ereignis. Sie geschah mit vielfältigen Anlehnungen an den jüdischen Trauungsritus: synagogale Musik, Trauspruch auf hebräisch, mit dem sich David Kirchhof mit seiner Frau vermählte, die ab jetzt „Esther“ genannt wurde, hebräischer Trausegen des Paares durch Samuel Lieberkühn, (des Herrnhuters, der von den Juden in Amsterdam wegen seiner intensiven Kontakte mit ihnen  „Rabbi Schmuel“ genannt wurde).

Inwieweit Esther Grünbeck selbst bei den Reisen mit ihrem Mann nach Polen und Litauen Anteil an den Kontakten und Gesprächen zu dortigen Juden hatte, ist noch nicht erforscht.

Da die Herrnhuter Brüdergemeine bis heute eine singende Gemeinschaft ist und Graf Zinzendorf alle, besonders auch die Schwestern, immer wieder zum Dichten geistlicher Lieder anregte, dichtete auch Esther Grünbeck einige Lieder, zum Teil auch in Hinblick auf ihre jüdische Herkunft: „Du der Gott der Juden und der Heiden kennst alle Herzen: Mache sie zum Lohne deiner Schmerzen“ (Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, Hamburg 19822 , Nr. 441,5). Einige ihrer Lieder finden sich dazu auch in englischer Übersetzung unter http://www.hymnary.org/person/Gruenbeck_E1.

Reformatorische Impulse

In Leben und Werk (= den Liedern) der Esther Grünbeck zeigt sich eine starke Konzentration auf die Verbindung zu Jesus Christus (das reformatorische solus Christus), die sie sowohl in ihren Briefen als auch besonders in ihren Liedern zum Ausdruck bringt. Dabei zeigt sich aber auch die dem gesamten Pietismus eigene Ausrichtung zur Heiligung und zur Nächstenliebe : „Mach uns durch dein Blutversühnen, wie wir vor dir sollen sein“, „lass bestehen und erblühen, was von dir gesegnet ist: uns um andere zu mühen, weil du uns so nahe bist“ (Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, Basel 2007, Nr. 544).

Ihr lebenslanges Engagement in der Seelsorge an Frauen kann  als Teil des Priestertums aller Gläubigen verstanden werden, allerdings war dies nur möglich in der Struktur der Brüdergemeine, die den Frauen fast auf allen Ebenen die gleichen Ämter und Tätigkeitsfelder bot.

In Bezug auf die „Juden-Sache“, die Zinzendorf und Esther Grünbeck am Herzen lag, ist es schwierig, hier eine direkte reformatorische Ausprägung zu sehen. Leider war ja oft ein theologischer Anti-Judaismus bei Martin Luther und  in der Reformation überhaupt vorherrschend!

Kommentar

Esther Grünbecks Leben und Wirken bringt neue Einsichten, wie Frauen jüdischer Herkunft im 18. Jahrhundert in Europa lebten, wenn sie sich zur evangelischen Kirche (hier speziell der Herrnhuter Brüdergemeine) zählten. Ihre seelsorgerlichen Aufgaben führten sie (und ihre Ehemänner nacheinander) weit über den parochialen Tellerrand hinaus – unter schwierigsten damaligen Bedingungen reiste Esther Grünbeck zwischen Riga, St. Petersburg und Zeist, teilweise sogar bei kriegerischen Verhältnissen. Dass sie dies alles bewältigen konnte, lag wohl auch an ihrem „durchsätzigen“ Charakter, wie sie in ihrem Lebenslauf einmal von sich selbst schreibt, aber auch an ihrer Glaubensgewissheit. Trauer, Schwermut und Tränen blendete sie dabei nicht aus.