Fairy von Lilienfeld

„Alles Lesen in Büchern nützt nichts.“
„Alles Lesen in Büchern nützt nichts.“ Ruth Albrecht
Lebensdaten
von 1917 - bis 2009
Unter weiteren Namen bekannt als:
Fairy von Rosenberg
Fairy_von_lilienfeld.jpg
Copyright Ruth Albrecht
Beziehungen

Fairy Freiin von Rosenberg wurde am 4. Oktober 1917 als Sproß einer seit Jahrhunderten im Baltikum ansässigen deutschen lutherischen Familie geboren. Ihre Mutter kam in Tbilissi zur Welt, eine ihrer Tanten hatte als Hofdame am Zarenhof in St. Petersburg gedient. Für deutsch-baltische Adelsgeschlechter waren das gewöhnliche Vernetzungsstrukturen. So lernte Fairy von Rosenberg bereits in der Kindheit Russisch, Englisch und Französisch. Sie wurde in Riga geboren, wuchs aber in Stettin auf, da ihre Eltern vor den Unruhen der russischen Revolution nach Westen flohen. Fairy und ihr jüngerer Bruder besuchten einige Jahre lang die berühmte Baltenschule in Misdroy an der Ostsee. Im Alter erzählte Fairy von Lilienfeld gerne, wie sie zu ihrem ungewöhnlichen englischen Vornamen kam. Da sie während des Krieges geboren wurde, wählte ihre Mutter den Namen der Lieblingsstute ihres Vaters. Die Tochter setzte diese Leidenschaft ihres Vaters fort und wurde in ihrer Jugend eine begeisterte Reiterin. Ihre russischen Freunde nannten sie Vera, da es für Fairy kein russisches Äquivalent gibt.

Erst die Umwälzungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges – in deren Folge ihr Ehemann und ihre Tochter verstarben – brachten von Lilienfeld dazu, in Jena Slawistik, Germanistik und Philosophie zu studieren. Als Witwe eines U-Boot-Kommandanten und als Adlige hatte sie keine Chance, in der DDR der 1950er Jahre eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. Nach der Umorientierung auf das Fach Theologie unterrichtete v. Lilienfeld von 1962 bis 1966 Kirchengeschichte am Katechetischen Oberseminar in Naumburg. 1962 wurde sie in Magdeburg zur Pfarrerin ordiniert. 1966 folgte sie dem Ruf auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des christlichen Ostens an der Universität Erlangen. Von hier aus entfaltete von Lilienfeld ihre umfangreiche Tätigkeit in der akademischen Lehre und in der Ökumene. Sie gehört zu den Müttern und Vätern der Dialoge zwischen den orthodoxen und den lutherischen Kirchen, insbesondere setzte sie sich für den Kontakt mit der russischen orthodoxen Kirche ein. Daneben legte sie großen Wert darauf, dass diese Dialogbereitschaft im Austausch mit den katholischen Gesprächspartnern erfolgte. Die katholisch-theologischen Fakultäten in Würzburg und Wien, das Ökumenische Institut in Regensburg sowie die Benediktiner-Abtei Niederaltaich gehörten zu diesem Kreis.

Mehrere Veröffentlichungen beschäftigen sich mit der Biografie von Lilienfelds. Einigen liegen Interviews zugrunde, in denen sie ihren Lebensweg reflektiert und in die geschichtlichen Ereignisse einbindet. Zu besonderen Anlässen wurden ihr Festschriften gewidmet. Zudem erhielt sie akademische und kirchliche Ehrungen wie 1990 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki oder 2000 den Abt-Emmanuel-Heufelder-Preis der Abtei Niederaltaich. 2002 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Unter dem Titel Drei Leben gewann 2000/01 die Arbeit von Ines Rein-Brandenburg und Ruth Koch über Fairy von Lilienfeld den ersten Preis beim Wettbewerb um den Argula von Grumbach-Preis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Veröffentlicht wurde dieser Beitrag 2004. Das Motto verwendete von Lilienfeld selbst, um ihr eigenes Leben zu deuten: Sie hatte erwartet, wie ihre weiblichen Vorfahren vor allem für Familie dazu sein. Unter dieser Perspektive besuchte sie die Schule und absolvierte Haushaltsschulungen bei befreundeten Gutsbesitzerfamilien. Der erhoffte Höhepunkt dieses ersten Lebens fand bereits unter Kriegsbedingungen statt: die Eheschließung mit Erich von Lilienfeld. Gleiches gilt für die Geburt ihrer Tochter. Das zweite Leben nahm Gestalt an in Jena: der Überlebens-Zusammenhalt mit Mutter und Tante, deren russische Sprachkenntnisse sich bewährten. Lilienfeld schlug eine nie vorher in Betracht gekommene Ausrichtung ein und begann, Slawistik, Philosophie und Germanistik zu studieren. Ihre hervorragenden Talente hätten zu einer wissenschaftlichen Karriere führen können, jedoch als Adlige und als Witwe eines U-Boot-Kommandanten war ihr dies verwehrt. Das dritte Leben begann: Sie orientierte sich auf das Fach Theologie um und stellte sich darauf ein, unter den Bedingungen des sozialistischen Staates ihre Interessen an Slawistik und Kirchengeschichte für die Kirche einzusetzen. Mit Leidenschaft unterrichtete sie in den begrenzten Möglichkeiten. Sie nahm in Kauf, dass sie nur unter Schwierigkeiten am internationalen wissenschaftlichen Austausch teilnehmen konnte. 1966 erhielt sie die Berufung zur ordentlichen Professorin an eine westdeutsche Universität. Mit fast fünfzig stellte sie sich diesen Herausforderungen. Ihre DDR-Erfahrungen ließen sie hellhörig bleiben für die Zwischentöne des ökumenischen Dialogs mit den Partnerkirchen des Ostens. In vielfacher Hinsicht – nicht nur in sprachlicher – galt sie als hervorragende Übersetzerin. Im Jahr 2000 sprach von Lilienfeld von drei großen Lebensabschnitten, dann kam noch der vierte hinzu: das lange Alter mit abnehmenden Fähigkeiten. Das allmähliche Herausfallen aus dem wissenschaftlichen Diskurs fiel ihr zunächst schwer, sie konnte nicht mehr an Veranstaltungen und Konferenzen teilnehmen, keine Vorträge mehr halten und auch keine Beiträge mehr publizieren. Auch in dieser Lebensphase eröffneten sich ihr positive Perspektiven. Fairy von Lilienfeld verstarb am 12. November 2009 in einem Pflegeheim in Höchstadt a.d. Aisch, begraben wurde sie auf eigenen Wunsch neben ihrer Mutter in Hemhofen.

Wirkungsbereich

Das oben zitierte Motto stammt aus Interviewpassagen, in denen Fairy von Lilienfeld Einblick in ihre Geschichte gab. Eine Frau, die leidenschaftlich las und Bücher produzierte, sah gleichzeitig die Begrenzung einer rein intellektuellen Annäherung an andere Kirchen und Frömmigkeitspraktiken. Sie trat überall dafür ein, Wissen und konkrete Wahrnehmung miteinander zu verbinden. Unter dieser Programmatik können viele ihrer Arbeitsprojekte zusammengefasst werden. So pflegte sie lebenslang ihre umfangreichen Sprachkenntnisse, um mit den Menschen anderer Länder, Kulturen und Kirchen in einen möglichst unverstellten Kontakt kommen zu können.

Als Fairy von Lilienfeld zur Professorin in Erlangen berufen wurde, gab es nur sehr wenige Frauen als Lehrstuhlinhaberinnen an Theologischen Fakultäten in Deutschland. 1969/70 war sie die erste Dekanin einer Theologischen Fakultät. Ein Kuriosum bestand darin, dass sie zwar Kirchengeschichte an einer bayerischen Universität unterrichten durfte, jedoch in der Bayerischen lutherischen Landeskirche nicht als ordinierte Geistliche tätig werden konnte. Erst als die Frauenordination 1975 auch von dieser Kirche eingeführt wurde, konnte von Lilienfeld das verbinden, was ihr am Herzen lag: Theologie als Wissenschaft und als gelebte Praxis. Obwohl sie den frühen feministischen Aufbrüchen in den Kirchen kritisch gegenüber stand, da diese in ihren Augen oft zu unreflektiert und einseitig agierten, unterstützte sie die Öffnung der wissenschaftlichen Forschung in Richtung auf eine stärkere Wahrnehmung der Frauen in Geschichte und Gegenwart. Ihre eigenen Forschungen über die heilige Nino von Georgien reflektieren diese Perspektive.

Fairy von Lilienfeld wurde an die Theologische Fakultät Erlangen berufen mit dem Auftrag, einen Lehrstuhl auf- und auszubauen. Die Grundlage für dessen Einrichtung bildete ein für die Forschung ausgesprochen seltener und wichtiger Bibliotheksbestand, der kurz nach der Oktoberrevolution auf vielen verschlungenen Wegen nach Bayern geraten war. Diese sog. Synodalbibliothek bildet nach wie vor das Kernstück des Lehrstuhls in Erlangen. Durch diese Bücher war der eine Schwerpunkt ihres künftigen Lehrens und Forschens vorgegeben: die Beschäftigung mit Geschichte und Theologie der russischen orthodoxen Kirche. Da von Lilienfeld die Auffassung vertrat, dass orthodoxe Kirchen nur auf der Grundlage der Überlieferungen der Alten Kirche verstanden werden können, bildete die Patristik einen weiteren Schwerpunkt. Bedingt durch ihre guten Kontakte zu orthodoxen Würdenträgern und Theologen lud Lilienfeld oft Gäste an die Fakultät ein, um den Studierenden – und auch den Kollegen und Kollegen – lebendige Begegnungen zu ermöglichen. Russische Bischöfe und Mönche vom Berg Athos mit ihren schwarzen Gewändern waren keine Seltenheit auf den Gängen der Fakultät in der Nähe des Büros der Lehrstuhlinhaberin.

Kommentar

Die Verfasserin dieser Zeilen studierte bei Fairy von Lilienfeld in der Mitte der 1970er Jahre. Aus den Seminaren und Vorlesungen bei dieser ungewöhnlichen Professorin entstand die Idee zu einer Promotion nach Abschluss des Studiums. Daraus erwuchs langsam eine wissenschaftliche und persönliche Freundschaft. Beim Rückblick auf das Leben Fairys – wie alle, die ihr nahestanden, sie nannten – scheint mirbesonders beeindruckend, dass sie sich die Fähigkeit erhielt, neugierig zu bleiben. Solange es ging, bewältigte sie die Brüche ihres Lebens durch eine bemerkenswerte Konzentration auf ihre Arbeit. Als ihr das zunehmend im Alter schwer fiel, nahm sie ihre alten Interessen an Exegese und Systematischer Theologie wieder auf. Sie las exegetische Kommentare und verstand diese gleichzeitig als geistliche Bibellektüre. Eines der letzten Bücher, mit dem sie sich beschäftigte, stammte aus der Feder von Papst Benedikt XVI. Neben ihrem wissenschaftlichen und kirchlichen Engagement nahm von Lilienfeld als engagierte Zeitgenossin zu politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung. Ihre Leserbriefe in an das Erlanger Tagblatt verdienten eine eigene Untersuchung. Das letzte Interview gab sie, als sie bereits im Pflegeheim lebte. Es wurde überschrieben: „In der Seniorenkiste“. Sie beklagte hierin die Vernachlässigung der hochbetagten Menschen insbesondere auch von Seiten der Kirchen. Die Neugierde dem Leben gegenüber zeigte sich bis ins hohe Alter daran, dass sie Freundschaften mit Menschen unterschiedlicher Generationen pflegte. Neben ehemaligen Studentinnen und Studenten gehörten die Kinder und Enkel ihrer Freunde zu dem Personenkreis, den sie mit lebhaftem Anteil begleitete.

Zu den schönsten Erinnerungen gehören die Vorlesungen der Sommeruniversität am Ohrid-See – so nannten wir unsere Urlaubsreise mit Fairy. Im Sommer 1979 brachen wir zu viert zu einer Balkanreise auf, das südlichste Ziel war Ohrid, heute in Makedonien gelegen. Wir zelteten an dem malerischen See, auf der gegenüberliegenden Seite die Berge des damals noch völlig verschlossenen Albanien. Die feministische Sommeruniversität in Berlin brachte uns, drei Theologiestudentinnen, auf die Idee, Fairy um Vorträge zu bitten. Im Laufe des Tages teilten wir ihr unsere Wünsche mit, und abends lagerten wir uns mit einer Flasche Rotwein vor die Zelte.Unsere Professorin referierte aus dem Stegreif: über die Entstehung des christlichen Mönchtums, den Panslawismus des 19. Jahrhunderts, die Geschichte der orthodoxen Kirchen auf dem Balkan, die russische Religionsphilosophie und über die orthodoxen Gottesdienste, die Göttliche Liturgie und die Stundengebete sowie die Rolle der Frauen in der Alten Kirche und den orthodoxen Kirchen.

Reformatorische Impulse

Etliche der Forschungsthemen von Lilienfelds können als innovativ bezeichnet werden. Ihre Unterrichtsmethoden waren stets kommunikativ ausgerichtet. Als evangelische Kirchengeschichtlerin bewegte sie sich stets in ökumenischen Kontexten. Seit ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit dem Mönchtum der orthodoxen Kirchen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die Überlieferungen aus der ägyptischen Wüste, die Apophthegmata Patrum und Matrum, verfolgte sie in den verschiedenen sprachlichen Traditionen des christlichen Ostens. Wenn irgend möglich suchte sie Kontakte zu gegenwärtigen Gesprächspartnern dieser geistlichen Traditionen. So leitete sie sowohl mit Studierenden als auch mit ökumenisch Interessierten zahlreiche Studienreisen nach Russland, um orthodoxe Gemeinden und Klöster zu besuchen. Nach ihrer Emeritierung hielt sie für die Gemeinschaft der Beschuhten Karmelitinnen in Erlangen jahrelang Vorträge. Die ökumenische monastische Gemeinschaft im norditalienischen Bose verfolgte sie bis zuletzt mit großem Interesse. Weitere Freundschaften verbanden sie mit den Schwestern der Kommunität Casteller Ring.

Die Gestalt der göttlichen Weisheit, der Sophia, verfolgte von Lilienfeld sowohl in der Ikonenmalerei als auch in der Literatur des Ostens und des Westens. Bei einigen der russischen Religionsphilosophen des 19. Jahrhunderts wie Pawel Florenskij und Sergej Bulgakow kommt dieser göttlichen Gestalt ebenfalls eine große Bedeutung zu.

Im Oktober 1982 berichtete das Erlanger Tageblatt (Nr. 43/1982, S. 11) zum 65. Geburtstag der Fairy von Lilienfelds, dass sie von einem Gesandten des Moskauer Patriarchats den Orden des heiligen Sergius von Radonesch erhalten habe. Der Artikel erwähnt ihre vielen Reisen in die Länder der Sowjetunion: „Immer ging es ihr darum, den Kontakt von Mensch zu Mensch, von Christ zu Christ oder auch von Christ zu Atheist zu pflegen.“ Ferner ist hier zu lesen, dass die Professorin „den wissenschaftlichen Austausch über alles“ liebe.

Bis 1992 engagierte sich Lilienfeld für die Dialoge mit den orthodoxen Kirchen, sowohl den bilateralen als auch dem Dialog zwischen Lutherischem Weltbund und der Gemeinschaft der orthodoxen Kirchen unter der Schirmherrschaft des Ökumenischen Patriarchats. Sie warb in ihrer Fakultät, in ihrer Landeskirche und auch bei der EKD um eine Sensibilität für die nicht einfache Aufgabe der Verständigung über viele Gräben hinweg. Zu den von ihr angeregten Projekten gehört das Wohnheim für orthodoxe Stipendiaten, das in Zusammenhang mit dem Martin-Luther-Bund 1984 in Erlangen eröffnet werden konnte. Eine orthodoxe Kapelle sollte den Gästen ein Gefühl von Heimat vermitteln, so dass sie in der Lage waren, ihre eigene liturgische Tradition aufrechtzuerhalten. Lilienfeld trug ebenfalls entscheidend dazu bei, dass 1990 in der Akademie Tutzing eine internationale wissenschaftliche Veranstaltung stattfinden konnte, deren Anlass in dem Millennium der Christianisierung Russlands bestand. Als die Vorbereitungen hierfür begannen, war noch nicht abzusehen, dass die Perestroika auch den orthodoxen Kirchen eine bis dahin nicht für denkbar gehaltene Öffnung ermöglichte.