Felicitas von Münch entstammt einem hoch angesehenen thüringischen Adelsgeschlecht. Sie wurde 1488 geboren. Ihr Vater, Hans von Münch, saß in Würchhausen an der Saale und war Vogt zu Bürgel, Jena, Gleisberg und Eisenberg. Über ihre Kindheit ist nichts bekannt. Am 26. Januar 1507 heiratet sie den verwitweten kursächsischen Schlosshauptmann Wolf von Selmenitz. Die Hochzeit wird prunkvoll auf Schloss Allstedt gefeiert. Kurfürst Friedrich der Weise ist selbst anwesend und finanziert das Fest in alter Freundschaft zu Felicitas verstorbenem Vater Hans von Münch. Die Familie von Selmenitz hatte bis 1499 ihren Stammsitz in Söllmnitz, einem kleinen Flecken zwischen Gera und Zeitz. 1464 kaufte die Familie Schloss Vitzenburg, hoch über der Unstrut gelegen. Es blieb bis 1521 in ihrem Besitz. In Allstedt, auf der Vitzenburg und in Glaucha bei Halle, wo die Familie einen Hof erwarb, werden dem Ehepaar sieben Kinder geboren, 5 Knaben und 2 Mädchen.
Das Jahr 1519 wird zum Schicksalsjahr der jungen Felicitas von Selmenitz. In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar wird ihr Mann nach einer Hochzeitsfeier auf den Stufen des ‚Goldenen Rings‘ in Halle von Moritz Knebel, erzbischöflicher Marschall am Hof Kardinal Albrechts, erstochen. Er stirbt unweit in der Märkerstraße. Grund für diesen Mord sind alte Familien-Fehden. Der Leichnam wird nach dem Halsgericht auf der Moritzburg durch die Stadt nach Glaucha getragen und vor dem Altar der Kirche St. Georgen beim Zisterzienser-Nonnenkloster bestattet.
Felicitas von Selmenitz ist 31 Jahre alt. Vier Kinder hat sie bereits verloren. Mit drei Kindern flieht sie vor der Pest nach Weißenfels. Hier sterben die beiden jüngsten Kinder und werden vor dem Portal der Marienkirche begraben. Herzog Georg von Sachsen unterstützt die Witwe, indem er ihr die Hälfte des Schlosses Vitzenburg zusammen mit dem Dorf Liederstedt als Wittum überschreibt. Aber die Neffen ihres Mannes machen ihr das Leben schwer. Sie wollen sie aus ihrem Witwensitz vertreiben und die ihr als Leibzins verschriebenen Güter entreißen. Ihr Schwager Sebastian von Selmenitz tritt ihr tatkräftig zur Seite und verteidigt ihre Ansprüche. Nach Beilegung der Streitigkeiten ziehen Felicitas und ihr einzig überlebender Sohn Georg von Selmenitz (1509-1578) in das Anwesen nach Glaucha zurück. Hier hat Felicitas Kontakt zum Kloster der Zisterzienserinnen bei der Kirche St. Georgen, der sog. Marienkammer. Es wird berichtet, dass Thomas Müntzer Nachfolger des dortigen Kaplans und Vertrauensperson der Felicitas von Selmenitz geworden sei. Er habe ihr in der nächtlichen Weihnachtsmesse 1522 das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht. Die Darreichung des Kelchs galt als eindeutiges Bekenntnis zur ‚Neuen Lehre‘. Offensichtlich hat Felicitas von Selmenitz über Thomas Müntzer und ihren Schwager Bastian von Selmenitz Zugang zu den Schriften der Wittenberger Reformatoren bekommen. Mit ihrem Bekenntnis zur ‚Neuen Lehre‘ hat sie sich in der Stadt Halle, dem Lieblingssitz Kardinal Albrechts, großen Anfeindungen ausgesetzt. Im Januar 1523 kommt es zu Unruhen gegen den Bau des Neuen Stifts, den Ablasshandel und die öffentliche Demonstration des Reliquienschatzes. Kardinal Albrecht reagierte darauf mit Verhaftungen und Ausweisungen aus der Stadt. In dieser schwierigen Lage wendet sich Felicitas von Selmenitz in einem persönlichen Schreiben an Martin Luther. Der Antwortbrief an die ‚Wittben zu Halle, meiner lieben Freundin in Christo‘ vom 1. April 1528 ist uns erhalten. Martin Luther rät ihr abzuwarten und spricht ihr Trost zu. Aber sie verlässt noch vor Empfang des Antwortbriefes mit ihrem Sohn Georg und dessen Lehrer Melchior Kling die Stadt Halle und nimmt Quartier am Markt zu Wittenberg. Georg von Selmenitz wird 1529 an der Wittenberger Universität immatrikuliert. Felicitas unterhält enge Kontakte zu den Wittenberger Reformatoren und ihren Familien. In der Familienbibliothek derer von Selmenitz, die um 1580 in die Marienbibliothek der Hauptkirche ‚Unser lieben Frauen‘ in Halle als erste große Schenkung eingeht, finden sich aus dieser Zeit Bücher mit handschriftlichen Widmungen an die ‚erbare tugentsame Frawen und liebe Gevattern Felicitas von Selmenitz‘ von Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Justus Jonas und Martin Luther. Felicitas hat das Septembertestament von 1522, Luthers ‚Erst buch Mose sampt einem Unterricht, wie Mose zu lernen sei‘ aus dem Jahr 1527 und die erste vollständige Bibelübersetzung von 1534 mit einem Schenkungsvermerk Martin Luthers akribisch studiert und uns ihre Lesespuren hinterlassen. Das sind Unterstreichungen, handschriftliche Wiederholungen von Textstellen und ein eigenes ‚Bildprogramm‘, das sich durch die von ihr gelesenen Schriften zieht. Wir können ablesen, welche Themen sie besonders interessierten, in welchen Texten sie als Witwe und allein erziehende Mutter Trost fand, welche Ängste sie umtrieben, mit welchen Hoffnungen sie leben lernte.
Die Bibel von 1534 mit Luthers eigenhändigem Schenkungsvermerk für Felicitas von Selmenitz wurde bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts am Reformationstag in der Marktkirche zu Halle benutzt. Heute wird sie in der Marienbibliothek als große Kostbarkeit aufbewahrt.
Bei Ausbruch der Pest verlassen Felicitas und Georg von Selmenitz die Stadt Wittenberg und folgen der Universität 1535 nach Jena. Hier wohnen sie bei einer Schwester von Felicitas, einer ehemaligen Nonne, die in Jena verheiratet ist. 1539 müssen sie erneut vor der Pest fliehen und finden Aufnahme bei Melchior Klings Schwager in der Nähe von Freiberg. Im November 1546 verabschieden sich Felicitas und Georg von Selmenitz endgültig von Wittenberg. Nach einem kurzen Aufenthalt in Magdeburg und Zerbst finden wir sie ab September 1547 wieder in Halle.
1550 wird Georg von Selmenitz Kanzler des Grafen Gebhard von Mansfeld und heiratet 1551 die wohlhabende Witwe des erzbischöflichen Kanzlers Christoph Türck, Ursula Türck, geb. Keller, aus Leipzig. Wahrscheinlich beziehen sie in diesem Jahr das Passendorfer Gut, das Georgs Frau mit in die Ehe gebracht hat.
Am 1. Mai 1558 stirbt Felicitas von Selmenitz. Sie wird am 2. Mai auf dem Stadtgottesacker zu Halle, im Bogen 2 (heute 12), begraben. Ihr Sohn Georg hat ein wertvolles Epitaph zum Andenken an seine Familie in Auftrag gegeben. Unter einer Kreuzigungsszene knien Wolf von Selmenitz mit vier Söhnen und Felicitas mit zwei Töchtern, flankiert von den Familienwappen derer von Selmenitz und derer von Münch.
Felicitas von Selmenitz ist eine Frau, die nie in der ‚ersten Reihe‘ der Protestanten gestanden hat, sich aber nicht scheute für ihr Bekenntnis einzustehen und die Sache der Reformation auch gegen Widerstände zu vertreten. Mit ihrem Brief an Martin Luther und ihrem Entschluss, die Stadt Halle zu verlassen, hat sie Mut, Entscheidungskraft und Gottvertrauen bewiesen.
Ihr Wirkungsbereich erstreckte sich zunächst auf ihre große Familie. Unter den schweren Schicksalsschlägen, die sie als Mutter und Ehefrau durchleiden musste, fand sie durch intensive Beschäftigung mit der Bibelübersetzung Martin Luthers und den ihr zugänglichen Reformationsschriften in eine große Gemeinde hinein, die ihren Glauben bestätigte und festigte.
Nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes öffnet sich Felicitas von Selmenitz der lutherischen Lehre und nimmt sie an. Begleiter auf diesem Weg waren ihr Schwager Bastian von Selmenitz und Thomas Müntzer. In Wittenberg traf sie auf die Familien der Reformatoren. Angeregt durch die Gespräche im vertrauten Kreis las sie die Bibeltexte und reformatorischen Schriften, die sie von den ‚Wittenbergern‘ geschenkt bekam. Für uns heute ist es eindrucksvoll zu sehen, mit welchem Interesse sie die Texte las. Unterstrichen hat sie alles, was Witwen und Waisen angeht, was Leid und Bedrängnis betrifft und was Liebe und Nächstenliebe für sie bedeuten. Das von ihr gezeichnete Herz als Sinnbild der Liebe können wir immer wieder an den Seitenrändern entdecken. Der kunstvolle Einband der Predigten Martin Luthers ‚Uber das Erst buch Mose‘, Wittenberg 1527, dokumentiert mit der umlaufenden Schrift CHRISTVS IST ALLEIN VNSER SELIGKEIT ihr Bekenntnis. Dieses Bekenntnis ist ihre Lebensgrundlage, ihr Halt als Witwe in den wirren Zeiten der Glaubensspaltung, der Pest, der Sorge um ihren einzigen Sohn.
Die Widmungseinträge der Wittenberger Reformatoren zeigen uns, dass sie diese Frau ernst genommen, ihre Kommentare geschätzt und ihr persönliches Leid mitgetragen haben. Bis zum heutigen Tag wird Felicitas von Selmenitz als eine der ersten evangelischen Christinnen in Halle verehrt. Seit 1998 trägt eine Straße im Süden von Halle, ganz in der Nähe der Lutherkirche, den Namen dieser tapferen frommen Frau. Ihr Vermächtnis ist ihre Büchersammlung, die seit mehr als vier Jahrhunderten in der Marienbibliothek in Halle aufbewahrt und erhalten wird.