Obwohl Johannes Calvin zu den bedeutendsten Reformatoren des 16. Jahrhunderts zählt, ist von seiner einzigen Frau Idelette de Bure nur wenig bekannt. Sie war flämischer Herkunft und stammte vermutlich aus dem wohlhabenden Bürgertum. Sie war Tochter von Lambert de Bure dem Älteren, Kaufmann in Lüttich (Liège), und von Isabelle Jamaer, Tochter von Antoine Jamaer und dessen Frau Ydelecte. Die Familie de Bure hatte vermutlich schon in den 20er Jahre Kontakte zu reformatorischen Kreisen.
Während Idelettes Vater unter dem Druck der Verfolgung der reformatorischen Lehre abschwor, verlor ihr Bruder Lambert de Bure 1533 bei der Vertreibung der Protestanten aus Lüttich seine dortigen Besitzungen und floh nach Straßburg. Idelettes erster Mann Jean Stordeur musste damals mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls Liège verlassen, weil er zu den Täufern gehörte. Jean Stordeur und Idelette de Bure gelangten daraufhin nach Genf, wo sie vermutlich zum ersten Mal Calvin begegneten. Allerdings wurden die Anhänger der Täufer im März 1538 aus Genf verbannt, sodass beide zu Idelettes Bruder Lambert nach Straßburg flohen. Auch Calvin musste 1538 Genf verlassen. Er wurde Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg. Dort gelang es ihm, Idelette und Jean Stordeur 1539 vom Täufertum abzubringen. Beide schlossen sich Calvins Gemeinde der französischen Flüchtlinge an. Im Frühjahr 1540 starb Stordeur an der Pest. Durch die Vermittlung des Straßburger Reformators Martin Bucer heirateten Idelette de Bure und Johannes Calvin im August 1540. Calvin beherbergte damals in seinem Haus eine Anzahl französischer Gäste und Flüchtlinge. Eine ältere Dame, Madame du Verger, führte das Haus, bis schließlich Idelette mit ihren beiden Kindern ins Haus einzog und die Geschäfte übernahm.
Als Calvin im September 1541 nach Genf zurückkehrte, folgte seine Frau ihm wenig später zusammen mit ihrer Tochter Judith aus erster Ehe. Ihr älterer Sohn, dessen Name nicht bekannt ist, blieb zunächst in Deutschland. Durch die Bemühungen Calvins gelang es jedoch, ihn nach Genf zu holen. Allerdings bestand Calvin darauf, dass er von seiner täuferischen Gesinnung Abstand nahm. Idelette dagegen hätte es lieber gesehen, wenn ihr Sohn der Konfession seines leiblichen Vaters hätte treu bleiben können.
Gemeinsame Kinder hatten Calvin und Idelette nicht; der einzige Sohn Jacques lebte nur wenige Tage. Idelette war seit der Geburt und dem Tod des gemeinsamen Sohnes im August 1542 gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich davon nie mehr richtig. Am 29. März 1549 starb Idelette in Genf an „Schlafkrankheit“. Ihre letzten (und einzigen überlieferten) Worte waren: „O glorreichÊẅ Auferstehn! O Gott Abrahams und aller unserer Väter, schon seit Jahrhunderten haben alle Gläubigen auf dich gehofft; und keiner ist getäuscht worden; so harre denn auch ich deiner!“ sowie „Beten, beten, betet alle für mich!“ (Calvin, Briefe II, 464). Calvin versprach Idelette auf dem Sterbebett, sich um ihre beiden Kinder zu kümmern. Idelettes Tochter Judith heiratete 5 Jahre nach dem Tod ihrer Mutter. Calvin selbst hat sie getraut und ihren Sohn getauft. Doch zum großen Kummer Calvins wurde sie 1562 des Ehebruchs angeklagt; die Ehe wurde geschieden.
Ein Jahr nach Idelettes Tod widmete Calvin dem Genfer Arzt BenoÈt Textor seinen Kommentar zum 2. Thessalonicherbrief mit der Begründung, dass er seine Frau Idelette einmal nach schwerer, gefährlicher Krankheit geheilt hatte und an ihrem Sterbebett keinen Versuch unterlassen hatte, ihr zu helfen (Calvin, Briefe II, 522).
Von Idelettes Tätigkeit an der Seite Calvins ist nur wenig bekannt. Sie dürfte sich um den umfangreichen Haushalt und die zahlreichen Gäste Calvins gekümmert haben. Außerdem ist bekannt, dass sie des Lateinischen mächtig war und mit anderen Reformatorenfrauen in Korrespondenz stand. Außerdem machte sie gelegentlich Krankenbesuche. Calvin selbst richtete in zahlreichen Briefen Grüße seiner Frau aus. Kurz nach ihrem Tod schrieb Calvin an seinen Freund Pierre Viret in Lausanne: „Genommen ist mir die beste Lebensgefährtin. Wäre mir etwas Schlimmes widerfahren, sie hätte nicht nur willig Verbannung und Armut mit mir geteilt, sondern auch den Tod. Solange sie lebte, war sie mir eine treue Helferin in meinem Amt. Von ihr ist mir nie auch nur das geringste Hindernis in den Weg gelegt worden“ (Calvin, Briefe II, 465).
Idelette war wie Calvin Opfer der Protestantenverfolgung. Beide lebten im Straßburger und Genfer Exil und waren sich darüber im Klaren, dass ihnen auch dort erneute Vertreibung drohte. Idelette war offenbar bereit, mögliche Konsequenzen mitzutragen. Als ehemalige Täuferin hatte Idelette Sympathien und Verständnis für täuferische Ansichten und dürfte Calvins Auseinandersetzung mit diesen Gruppen beeinflusst haben. Bemerkenswert ist, dass Idelette in ihren letzten Worten bei Abraham und den Vätern des Alten Bundes Zuflucht suchte (und nur indirekt bei Christus). Offenbar hat sie Calvins Anschauung von der Einheit des Bundes, die er in Auseinandersetzung mit den Täufern entwickelt hatte, voll geteilt.
Leider hat Idelette ihr intellektuelles Potenzial und ihre Möglichkeiten in Genf aufgrund ihrer Krankheit und ihres frühen Todes nicht voll ausschöpfen können. Aus dem Wenigen, was wir durch Calvin wissen, lässt sich aber erahnen, dass Idelette eine wichtige Wegbegleiterin der Genfer Reformation war. Da es von Idelette selbst keine Zeugnisse gibt (z.B. einen ihrer Briefe), ist ihr Lebensbild ganz aus den Mitteilungen und Erinnerungen Calvins geschöpft. Diese Informationen sind aber überaus dürftig und natürlich auch subjektiv bzw. interessegeleitet – so z.B., wenn Calvin Idelette posthum als „Frau von einzigartigem Beispiel“ („singularis exempli femina“ [in: CO 8, 73 = Calvini Opera quae supersunt omnia, ed. W. Baum u.a., 8. Bd.]) bezeichnet. Was Calvin mit dieser „Einzigartigkeit“ meint, bleibt verborgen. Ist es der verklärte Rückblick eines Witwers? Hatte Idelette besondere Fähigkeiten außerhalb der Rolle als Pfarrfrau? Meint Calvin eine spezielle Frömmigkeit Idelettes oder Eigeninitiativen, die sie ergriffen hat? Meint er schlicht den Umstand, dass sie ihm den „Rücken frei gehalten hat“? Oder hat sie ihn beraten, seine Texte Korrektur gelesen? Hat sie mit ihm über theologische und kirchenpolitische Fragen diskutiert oder gestritten?