Ilse Margreth Kulow

Eine Theologin im 20. Jahrhundert: Kampf – Verletzungen – Stärke
Persönliche Stärke und fester Glaube Hanna Strack
Lebensdaten
von 1922 - bis 1998
Unter weiteren Namen bekannt als:
Ilse Margreth Kleiminger
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Copyright Privat
Beziehungen

Das Leben von Ilse Margreth Kulow war geprägt, begrenzt und verletzt durch den Krieg, die Politik der DDR und der androzentrischen, hierarchisch strukturierten Kirche. Dennoch hat sie für die Menschen gekämpft, den Glauben verkündigt und sie hat die theologischen Voraussetzungen erarbeitet für ihren Beruf der Pastorin.

Das Leben dieser Frau war vollkommen verwoben mit dem von Männern bestimmten politischen und kirchlichen Schicksal ihrer Zeit. Sie lebte in Mecklenburg, einem Land, das gesellschaftlich von einer agrarischen Feudalstruktur geprägt war. Das lässt sich heute noch ablesen an den Gebäuden und Anlagen der Dörfer: Ein Gutshaus inmitten eines Parks, Dorfkirche mit Pfarrhaus, Schule und entlang den Straßen einstöckige Katenhäuser der Landarbeiterfamilie, dazwischen ein Schnitterhaus, in dem die polnischen Schnitterinnen und Schnitter in der Erntezeit schliefen. Die Kirche war den Ständen, die sich aus den Gutsherren zusammensetzten, verbunden. Die Pfarrfrauen bildeten das Bindeglied zwischen Obrigkeiten und den Familien des Gesindes. Im 19. Jahrhundert hatte der lutherische Theologe und Oberkirchenratspräsident Theodor Kliefoth der Kirche ein restauratives Gepräge gegeben. Das ist auch der Hintergrund ihres Kampfes um den Beruf der Pastorin.

Ilse Margreth Kulow wurde am 16. Juni 1922 als zweites von 9 Kindern im Pfarrhaus von Walkendorf, eines solchen Gutsdorfes, geboren. Ihr Vater bekam bald die Pfarrstelle an der Schelfkirche in Schwerin, so dass sie in der Stadt aufwuchs, in der Kriegs- und Nachkriegszeit aber wieder in die typische Sozialstruktur eines Dorfes eingebunden war.

Im Kreis der Geschwister erlebte sie eine fröhliche Kindheit und wurde schon früh zu Aufgaben im Haus herangezogen. Mit 13 Jahren war sie Jungmädelführerin. Mit 17 Jahren bekam sie das Abitur geschenkt, weil sie sich zum Arbeitsdienst gemeldet hatte. Später hat sie das dort in der Landwirtschaft Gelernte als Landpfarrfrau gut verwenden können.

„Entscheidend für meinen Berufswunsch war eine große Mädchenfreizeit auf dem Zingsthof an der Ostsee. Die Bibelarbeiten wurden von zwei Vikarinnen gehalten. Ja, so was möchtest Du auch mal machen“ (Kulow: Niederschrift). Sie dachte, es seien Gemeindehelferinnen. Doch für die Ausbildung war sie noch zu jung und wurde deshalb Lehrerin, nachdem sie ihre Lehrerinausbildung in Hannover abgeschlossen hatte. Mit 19 Jahren bekam sie ihre erste Stelle in der Volksschule in Thurow bei Ratzeburg. Bei einer Kaffeeeinladung für verwundete Soldaten erlebte sie eine neue Seite ihrer Vitalität: „Als ich dann Lieder von Zarah Leander und andere gängige Schlager singen ließ, staunten wir, wie die Verwundeten plötzlich versuchten, nach den Liedern zu tanzen. Die Soldaten merkten dabei, dass Tanzen mit Beinprothese möglich war und lebten richtig auf.“ (Kulow: Niederschrift)

In dieser Zeit verlobte sie sich mit dem Soldaten und Vikar Max Kulow, der sich wegen einer Verletzung in Mecklenburg aufhielt. Am 13. April 1944 heirateten sie, zogen in die Pfarre Neuenkirchen bei Neubrandenburg. Ihr Mann musste ins Lazarett zurück, bekam keinen Urlaub mehr, besuchte noch einmal heimlich seine Frau und sie ihn umgekehrt, nach drei Wochen kam noch ein Brief, seither war er verschollen, so dass Ilse Margreth Kulow ihren Mann, mit dem sie ein paar Tage verheiratet war, nach vielen Jahren für tot erklären lassen musste.

Wirkungsbereich

In Vertretung ihres vermissten Mannes und in den Wirren der Kriegszeit betreute sie 4 Kirchen, 4 Friedhöfe, Kassenbücher, den großen Garten, Kirchenacker, hielt Lesegottesdienste, Konfirmandenkurse, Kinder- und Jugendkreise, Nottaufen, Beerdigungen, wurde ohne jede Vorbereitung zu Hebammendiensten gerufen. Es kamen die großen Trecks aus dem Osten mit tausenden von Flüchtlingen. Für den ärztlichen Rat, sich zu schonen, blieb keine Zeit, sie erlitt eine Fehlgeburt. 1996 wurde sie zur 50 Jahr-Feier der Dorfschule von Neuenkirchen eingeladen. Eine große Dankbarkeit schlug ihr entgegen von all denen, die sie als Kinder von der Straße geholt und mit dem Evangelium vertraut gemacht hatte.

Vor der Front musste sie schließlich nach Schwerin fliehen, wo sie Orgelunterricht nehmen konnte.

Im August 1945 wollte sie nach Neuenkirchen als Pfarrfrau in die Pfarre ihres vermissten Mannes zurück. Auf dem Fußweg wurde sie vor den Augen der Schwiegermutter vergewaltigt.

Dort wirkte sie nun als Grundschullehrerin und dann als Rektorin. Nebenher war sie wieder mit allen oben zitierten Aufgaben betraut. Höhepunkte waren die kirchlichen Feste und die Dorfmissionswochen. Als der Staat sie auf Grund ihrer kirchlichen Verbundenheit als Lehrerin für unzumutbar hielt, berief die Kirche sie auf die Stelle der Kreiskatechetin für den Bezirk Stargard. Mit einem Kurzkursus bereitete sie sich darauf vor. Gelegentlich hörte sie noch, dass Kinder früher gelernt zu beten: „Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Hitler allein.“ Ihre Aufgabe war es, die Katechetinnen und Katecheten auf sechs Propsteikonventen theologisch und pädagogisch zu schulen, zu beraten und zu besuchen, ein Gebiet von 100 mal 30 km per Fahrrad bei Wind und Wetter.

Nachdem ihr als Kreiskatechetin bewusst wurde, dass sie mehr von Theologie verstehen sollte, hat sie in Naumburg an der kirchlichen Hochschule evangelische Theologie studiert.

Ilse Margreth Kulow hat 1996 wieder eine Neubelebung des Konventes der Theologinnen und Pastorinnen in Mecklenburg angeregt und unterstützt. Ihre Botschaft an die jungen Kolleginnen lautete: „Möge der Herr uns davor bewahren, aus den Theologumena Götter zu machen, die uns wichtiger sind als die Verkündigung des Evangeliums! Möge er uns Theologinnen vor einem Amtsdünkel bewahren, wie ihn manche Amtsbrüder pflegen!“ (Kulow: Stellung)

Am 20. Dezember 1970, mit 48 Jahren, wurde Ilse Margreth Kulow ordiniert und konnte, nachdem sie als Rektorin das katechetische Seminar auflösen musste, 1972 bis zu ihrem Ruhestand Pastorin in Schwerin-Lankow werden.

Dort feierte sie auch den Weltgebetstag an der Basis, nachdem sie sowohl als Gründungsmitglied als auch viele Jahre Mitglied im Weltgebetstagskomitee der DDR mitgearbeitet hat. Sie bekam dadurch Kontakte zum In- und Ausland und konnte in der DDR-Zeit in die USA als Teilnehmerin einer ökumenischen Welttagung reisen. Zurückgekehrt wurde sie von der Stasi nach ihren Eindrücken gefragt und bemerkte: „Es sollten viel mehr Menschen aus der DDR in die USA reisen, denn dort weiß man nichts von der Mauer!“

Ein anderer wichtiger Wirkungsbereich war der Gesamtkonvent der Theologinnen, der jährlich in Ostberlin stattfand, sowie ganz besonders ihre Mitwirkung an den Theologinnengesetzen, eines Kampfes, den sie zusammen mit ihren Kommilitoninnen ausfocht:

 

1. Theologinnengesetz 1954

Zu ihrer beruflichen Zukunft schreibt sie: „Mecklenburg hatte seit dem 2.12.1954 wohl als erste Landeskirche ein Vikarinnengesetz verabschiedet, das andere Landeskirchen voll überrascht hatte und was sie bewundert hatten.“ (Kulow: Niederschrift) Der §1 des Vikarinnengesetzes lautete: „Das Amt der Vikarin in der ev. Luth. Landeskirche Mecklenburgs umfasst, je nach persönlicher Eignung, einzelne oder alle Aufgaben des geistlichen Amtes […]. Die Vikarin führt ihr Amt selbständig im Rahmen einer vom Oberkirchenrat jeweils erlassenen Dienstanweisung, sie wird eingesegnet und beauftragt zur Hilfeleistung in der jeweiligen Kirchgemeinde und scheidet im Falle der Verheiratung aus dem Dienst der Landeskirche aus. Ausnahmen sind möglich.“

Da Ilse Margreth Kulow als Theologin ohne Predigerseminar, das damals nur Männern offen stand, eine Sonderstelle zugewiesen bekommen musste, war sie von 1958 bis 1972 zunächst Dozentin und dann Leiterin des katechetischen Seminars in Schwerin. Am 7. Februar 1962 legte sie das 2. Examen ab und wurde am 31. Oktober 1962 eingesegnet.

In dieser Zeit musste sie die Basis ihres Pastorinnenberufes durch ihre Grundlagenarbeit am Theologinnengesetz erst einmal selbst schaffen. Als Synodale gehörte sie zunächst der Gruppe Laien an. Nach ihrer Ordination jedoch musste sie in der Gruppe der Geistlichen gewählt werden. Dabei erlebte sie folgende Szene: „Mein Name erschien diesmal auf der Liste der Geistlichen, aus der die Geistlichen der ganzen Landeskirche zu wählen waren. Ich wurde mit einem recht hohen Stimmenanteil als geistliches Mitglied in die Landessynode gewählt, war aber nicht ordiniert, sondern nur eingesegnet. Für viele Synodale war das wohl gar kein Problem, sie akzeptierten in den meisten Fällen die Gleichstellung der Theologin. Aber am Abend der 1. Synodensitzung besuchte mich Landessuperintendent Pflugk und bat mich, doch bitte zu Hause zu bleiben. Meine Wahl könne nicht ohne weiteres anerkannt werden, man müsse erst juristisch prüfen und exakt vorgehen, das habe man 1934 versäumt, darum seien die ‚Deutschen Christen‘ in die Synode gekommen. Nach dem 1. Verhandlungstag kam er wieder und sagte, ich dürfe nun doch als geistliches Mitglied an der Synode teilnehmen. Wie dieses Problem gelöst wurde, weiß ich bis heute nicht.“ (Kulow: Niederschrift)

2. Theologinnengesetz 1963

„Aus den Hochlutherischen Kreisen wurden Stimmen laut, dass die von Frauen vollzogenen Amtshandlungen ungültig seien, da die Ordination ungültig sei. Sie wollen eine solche Taufe mit der Nottaufe auf eine Ebene stellen und als ordinierte Amtsträger selber wiederholen.“ (Kulow: Stellung)

Ilse Margreth Kulow arbeitete nun mit an den biblischen und dogmatischen Grundlagen eines neuen Theolgoinnengesetzes. Sie argumentierte: „Die biblische Theologie der Geschlechter kann ihren Ausgang nur in der neuen Schöpfung, die in Christus begonnen hat, nehmen. Christus ruft Mann und Frau zur Gotteskindschaft und damit zu einer neuen Partnerschaft auf der Ebene der Gleichbegnadung. Von dieser Linie muß die patriarchalische Ordnung des AT und des NT interpretiert werden, damit sie nicht gesetzlich missverstanden wird. Die Gleichbegnadigung wird darin deutlich, daß Männer und Frauen in gleicher Weise mit dem heiligen Geist begabt sind. […] Frauen sind die ersten Zeuginnen der Auferstehung Christi. Frauen werden zwar nicht zu Aposteln berufen, da diese ja die 12 Stämme des Gottesvolkes verkörpern, aber auch sie werden nach Pfingsten aktiviert (Röm 16,1ff). Man denke nur an Lydia, Priscilla (Apg. 18,2ff), Phoebe usw. D.h. Männer und Frauen sind durch Christus gleich verantwortlich für die Verbreitung des Evangeliums – wie sie nach Gen 1+2 auch gleich verantwortlich sind für das Untertan machen und Bewohnen der Erde. Während das soziologische Weltbild der Bibel wandelbar ist, da es eine menschliche Ordnung widerspiegelt, ist allerdings die Schöpfungsordnung göttliche Ordnung (ius divinum), die unabänderlich bestehen bleibt.“ (Kulow: Stellung) Sie betont nun die Verschiedenartigkeit der Geschlechter und fährt dann fort: „Wo die frühe Kirche beginnt, ihre Ämter zu ordnen, kennt sie kein Verkündigungsamt der Frau. Aber sie weiß, dass es Frauen gibt, die durch den heiligen Geist getrieben werden zu prophetischer Rede (1.Kor. 11). Außerdem kennt sie die Dienstleistungen in der Gemeinde, die durch Frauen ausgeübt werden (Witwen usw.). Die Kirche hat für diese Frauen einen Einweisungsakt mit Handauflegung gekannt (Ordination genannt). Diese begegnet uns noch in den Apostolischen Konstitutionen um 370. In der Westkirche verschwindet sie bald, im Osten sehr viel später. Die katholische Kirche führt dann die 7 Weihestufen ein, die nur für Männer gelten. Die Reformation hebt diese wieder auf und reduziert die Aufgaben auf das eine ‚ministerium ecclesiasticum‘ von CA V., auf das Amt – besser den Dienst – der Wortverkündigung und der Sakramentspflege. Die Übernahme des ‚ministeriums‘ erfolgte ursprünglich durch die Introduktion in der Gemeinde, – später – seit 1535 – durch eine Ordination […]. Seine Verleihung an Frauen wird von Luther nicht für unmöglich gehalten.“Nach einem Hinweis auf das Amt der Diakonisse fragt Ilse Margreth Kulow: „Was ist denn nun die Ordination? Nach CA XIV ist es die ordentliche Berufung durch die Kirchenleitung in das Amt der Kirche […].“Und weiter nach dem Hinweis auf den „character indelebilis“ in der katholischen Kirche: „Dieses lehnt die Evangelische Kirche ab. Aber man fragt doch, ob durch die Ordination nicht etwas Unvergängliches mitgegeben wurde, das man ohne verletztes Gewissen nicht aufgeben kann. Man spricht von dem ‚mandatum indelebilis‘, dem unaufgebbaren Auftrag.“Und hier klingt die Diskussion in der Synode und den Ausschüssen durch: „Wie aber könnte man den der Frau geben, der man die Heirat nicht verbieten will? Bei uns in der Synode wurde es nun so formuliert: Nicht zurücknehmbar ist nach der Ordination die ‚vocatio externa‘ – die öffentliche Berufung – und die ‚benedictio‘, die Segnung und Kraftzuwendung, die im Fürbitteakt geschehen ist. Variabel ist allerdings die ‚missio‘, die Sendung. Sie kann für ein Lehramt, für ein Pfarramt oder für einen diakonischen Dienst gegeben werden. Um dieser variablen missio willen kann die Frau ordiniert werden, da die Sendung im Falle ihrer Verheiratung zur Ruhe kommen könnte, ohne dass das ‚mandatum indelebile‘ verletzt würde.“ (alle Zitate aus Kulow:Stellung) Das Ergebnis formuliert sie so: „Die Frage, ob einer Frau das ministerium ecclesiasticum übertragen werden kann, ist also auch vom Wesen der Ordination her nicht eindeutig zu beantworten, sondern von der biblischen Theologie und von der Gemeindepraxis her.“ (Kulow: Stellung)  

Die weiteren Ausführungen in dem Vortrag über die Stellung der Theologin in Mecklenburg von 1966 klingen die Angriffe und Verletzungen durch, die eine Gruppe von Kollegen dem Bischof vortrugen mit dem Hinweis, sie müssten den Amtsbrüdern die Abendmahlsgemeinschaft verweigern, die diesem Gesetz zustimmen: „Während viele Theologen den Unterschied zwischen Einsegnung und Ordination wohl nur in dem Unterschied der Beauftragung und deshalb gering sehen und sie das Gemeinsame der Segnung, der öffentlichen Berufung und der In-Pflichtnahme mehr betonen, sehen andere sehr viel mehr auf die Unterschiede. […]“Gegen die Überlegungen, für Frauen ein besondere Einsegnung einzuführen, schreibt sie weiter:Zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung gehört die Ordination. Da die grundsätzlichen Erwägungen gezeigt haben, dass der Frau die Ordination nicht unbedingt vorenthalten werden muß, soll sie auch die volle Ordination erhalten können.“ (Kulow: Stellung)

Das so erarbeitete Gesetz wurde nicht zur Abstimmung vorgelegt, sondern in letzter Minute zurückgezogen, erstens um der Ökumene willen und zweitens um der Brüder willen, die nicht Ja sagen konnten zum Amt der Frau. Einige von ihnen hatten den „status confessionis“ ausgerufen. Die Theologinnen arbeiteten weiter illegal.

In den folgenden Jahren entstand ein Gewohnheitsrecht, nach dem viele Vikarinnen auch die Sakramente verwalteten, um dem Ortspastor tatsächlich eine Hilfe sein zu können.

3. Theologinnengesetz 1965

Wieder arbeitete Ilse Margreth Kulow an einem Theologinnengesetz mit. Anlass war, dass eine eingesegnete Vikarin von Geistlichen in die Synode gewählt wurde. Die illegalen Zustände sollten aufgehoben werden. Die Theologin soll nun auch, es ist das Jahr 1966, ein Predigerseminar besuchen. „Um des brüderschaftlichen Zusammenlebens willen führt man man die Kurse für Männer und Frauen getrennt durch.“ (Kulow: Niederschrift) Je 10 Pfarrvikarinnen- und Pastorinnenstellen werden eingerichtet, für den Dienst in der Gemeinde soll die Theologin ordiniert werden. Rechtlich und finanziell sind sie den Männern gleichgestellt. Mit ihrer Verheiratung scheidet die Theologin in der Regel aus dem Dienst aus.

Kulow hält in ihrer autobiografischen Niederschrift fest: „Als ich mich bei Landesbischof Niklot Beste für das Ergebnis des Theologinnengesetzes bedankte, besonders dafür, dass wir nun ordiniert werden dürften, sagte er: Solange ich im Dienst bin, werde ich mein Veto einlegen, als Nachfolger von Oberkirchenrat Kliefoth (1810-1890) kann ich nicht anders, das mag mein Nachfolger tun.“ Kulow führt weiter aus: „Es gibt empörte und besorgte Stimmen in der EKD, die uns vorwerfen, dass unser Theologinnengesetz einer gefährlichen Entwicklung Raum gegeben hätte, da es die Einsegnung und die Ordination für Theologinnen vorsieht,

– dass wir gleich zwei neue Amtsbezeichnungen nebeneinander führen, nämlich Pfarrvikarin und Pastorin,

– dass wir mit dieser Lösung zweigleisig fahren und einen ‚clerus major“ und einen ‚clerus minor‘ einführen.

Es stimmt. Wir haben eine Doppellösung geschaffen. […] Aber wenn auch die Gesetze heute klarer sind als vor 12 Jahren, so sind die Probleme der partnerschaftlichen Zusammenarbeit noch lange nicht gelöst. Da werden auf beiden Seiten noch Fehler gemacht. Wir leben in einer Übergangszeit.“ (Kulow: Stellung)

4. Theologinnengesetz 1972

Ilse Margreth Kulow hatte auch bei dem letzten der vier Theologinnengesetze mitgewirkt, diesmal im Ausschuss zusammen mit dem späteren Bischof Dr. Rathke: „Ich habe alle vier Theologinnengesetze mit bearbeitet und durchlitten, zuerst als sog. Laie, dann als eingesegnete Pfarrvikarin und zuletzt als ordinierte Pastorin. Als Vertrauenstheologin holte ich vor jeder Synode meine Kolleginnen zusammen, um ihre Sorgen und ihre besonderen Anliegen der Synode vorzutragen.“ (Kulow: Niederschrift)

Reformatorische Impulse

Ilse Margreth Kulows Kampf für den Pastorinnenberuf führte sie auf dem Boden der Bibelexegese. Und mit Luther war ihr hermeneutischer Ansatz „was Christum treibet“. Die patriarchalische Ordnung ist Gesetz, die „Gleichbegnadigung“ ist Evangelium. Von hier aus sind auch die lutherischen Glaubensbekenntnisse und die Berufung auf den Theologen Theodor Kliefoth (1810-1889) kritisch zu lesen. In ihrem Beruf als Pastorin verstand sie sich als theologische Beraterin. Sie war im Sinne des Priestertums aller Gläubigen ein Mitglied der Gemeinde und sah ihre Aufgabe darin, die Gespräche immer wieder auf Christus, das Zentrum der Verkündigung, zurückzuführen.

Ihr starker Glaube an Christus begleitete sie bis zum Sterben. Das zeigen die letzte Worte ihres Lebenslaufs und ihr letztes Abendmahl, wie es ihre Schwester schilderte.

„Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, muss ich eigentlich staunen, was ich alles erlebt und geleistet hab, und frage mich wie ich das konnte. Aber mit den Aufgaben sind die Kräfte gewachsen. Ich hab in so vielen Funktionen gewirkt, dass ich nicht sagen kann, welche die wichtigste und die gesegneteste war, für mich waren sie alle wichtig. Auch wenn ich manches versäumt und falsch gemacht hab, so möchte ich doch keine missen und bin Gott dankbar, dass ich auf vielerlei Weise Christus verkündigen durfte“ (Kulow: Niederschrift). So schließt Ilse Margreth Kulow ihr auf Tonband gesprochene Autobiografie.

In ihrem Ruhestand erkrankte Ilse Margreth Kulow an Krebs. Sie lebte neun Jahre länger als die ärztliche Prognose vorhersagte. Sie war angstfrei aus der Kraft Christi heraus und sie war verletzt aber nicht verbittert. Als sie den Tod nahen spürte, lud sie den Hauskreis ihrer ehemaligen Gemeinde und Verwandte ein zu einem Abendmahl rund um ihr Bett. Das Bild, das ihr Leben begleitete, Marc Chagall‘s Elia, zu dem der Engel sagt „Steh auf und iss!“, stand im Mittelpunkt der Andacht. Nach dem Mahl lud sie alle zu einem Eisessen ein. So verband sie noch einmal geistliches und körperliches Wohlergehen.

Sie starb am 5. August 1998. Bei der Trauerfeier sagte ein Kollege: „Sie hat viel von dem Geschick Jesu an ihrem eigenen Leibe erfahren und so möge es nun auch jetzt sein, dass sie mit Christus das Wunder der Auferstehung erlebt.“

Kommentar

Das Leben von Ilse Margreth Kulow war geprägt, begrenzt und verletzt durch Krieg, Politik der DDR und der androzentrisch-hierarchischen Lutherischen Kirche. Diese Ereignisse sind auf ihren Leib geschrieben. 

Dennoch hat sie gekämpft, hat die theologischen Voraussetzungen erarbeitet für ihren Beruf der Pastorin. Immer wusste sie Christus an ihrer Seite, denn der Glaube war für sie befreiend und stärkend, er war Evangelium, nicht Gesetz. In ihrer Zeit war es noch nicht möglich, doch heute können wir sie uns gut als Bischöfin vorstellen.