Klara Hunsche wurde am 5. Februar 1900 in Nova Petropolis, einer kleinen Urwaldgemeinde in Rio Grande do Sul/Südbrasilien, als Tochter des aus Westfalen stammenden Pfarrers Theodor Hunsche und seiner Frau Clara geboren. Klara Hunsche durfte aufgrund der Zölibatsklausel für Lehrerinnen und Theologinnen nicht heiraten. „Sie war mit ihrem Beruf verheiratet“, wie es ihre Nichte Gisela Hunsche 1990 bei einem Gespräch mit mir ausdrückte. Geprägt waren Hunsches Beziehungen und Lebensorientierungen vor allem durch ihre Familie. Ihr Vater Theodor kam aus Westfalen und war Pfarrer, genauso wie ihr Großvater und auch der Vater und Großvater ihrer Mutter Clara. Der Pfarrberuf hatte also Tradition in der Familie. Die Eltern waren fest verwurzelt in der Frömmigkeit der westfälischen Erweckungsbewegung. Die Tochter wurde von ihr genauso geprägt wie von der preußisch konservativen Gesinnung der Eltern. Klara Hunsche war die älteste Tochter der Familie. Sie hatte noch drei Schwestern und einen Bruder, der ebenfalls Theologie studiert hat. Schwester und Bruder haben sich während ihrer Studienzeiten theologisch intensiv ausgetauscht. Zurzeit des Nationalsozialismus gründeten sich Hunsches kollegiale Beziehungen vor allem auf den Kreis der Bekennenden Kirche (BK). Er hatte sich 1934 auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung konstituiert und wehrte sich gegen die Vereinnahmung des christlichen Glaubens durch die nationalsozialistische Ideologie. Auch nach dem Krieg hielt Klara Hunsche kollegialen und freundschaftlichen Kontakt beispielsweise zu ihren ehemaligen Kollegen Martin Alberts, Kurt Scharf und Helmut Gollwitzer. Darüber hinaus sammelte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1979 vor allem in privat organisierten Bibelkreisen Freund_innen und Weggefährt_innen um sich.
Nachdem die Familie 1912 nach Deutschland in die Mark Brandenburg zurückgekommen war und Hunsche 1919 die Reifeprüfung bestanden hatte, besuchte sie die Seminarklasse des Oberlyzeums in Herrmannswerder bei Potsdam. Dort legte sie 1920 ihr Lehrerinnenexamen ab. Danach arbeitete sie zunächst als Hauslehrerin. Aufgrund der hohen Lehrerarbeitslosigkeit fand sie keine andere Anstellung. Sie entschied sich schließlich Theologie zu studieren, als sie die Hoffnung aufgegeben hatte, noch eine Anstellung als Lehrerin zu erhalten. Am 9. November 1928 schrieb sie sich als Theologiestudentin in Berlin ein. Wenige Tage später wurde ihr doch noch eine Anstellung als Lehrerin angeboten. Hunsche trat darauf eine Stelle als Lehrerin in der Nähe von Berlin an und verband fortan beides miteinander: Morgens stand sie als Lehrerin vor Schulklassen, und nachmittags studierte sie alte Sprachen und Theologie. Diese Doppelbelastung hielt sie von einigen Beurlaubungen abgesehen bis zu ihrem Ersten Theologischen Examen durch. Damit waren bereits in ihrem Studium die Weichen dafür gestellt, dass sie die beiden Arbeitsbereiche von Schule und Gemeinde, Pädagogik und Theologie im Laufe ihres Lebens stets zusammen gedacht hat. Auch konzeptionell und inhaltlich waren die beiden Bereiche für Klara Hunsche aufeinander bezogen und ergänzten sich gegenseitig. Sie schärften ihren fachlichen Doppelblick, der ihren Horizont weitete.
An der Universität wurde Klara Hunsche schon früh argwöhnisch gegenüber der NSDAP. Sie setzte sich mit den Schriften des nationalsozialistischen Lehrerbundes auseinander, dem sie trotz Druck nie beitrat. Für sie war allein das Bekenntnis zu Jesus Christus Maßstab ihres Handelns. Gleichzeitig behielt sie die in ihrem Elternhaus erlernte konservative Grundhaltung bei.
Im Jahr 1933 las sie als Theologiestudentin mit Begeisterung die Christologie von Dietrich Bonhoeffer und kam früh mit Aufsätzen von Karl Barth und anderen Vertretern der dialektischen Theologie in Berührung. Diese theologischen Grundlagen prägten sie maßgeblich. Bereits im August 1934 trat sie der Bekennende Kirche (BK) bei und verpflichtete sich auf die Barmer Theologische Erklärung. Dabei hatte sie 1933 zunächst nichts gegen die Wahl von Hitler einzuwenden gehabt. Ihre preußisch konservative Erziehung machten sie empfänglich für manche Versprechungen der Nationalsozialisten. Zudem vertraute sie wie viele andere darauf, dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland trotz aller ideologischen Propaganda in ihrer Autonomie nicht angetastet würden. Doch sie sollte schon bald merken, dass sie sich getäuscht hatte. Hunsche empörte sich bereits Anfang 1934 darüber, wie die Nationalsozialisten versuchten, die Leitungsfunktionen der beiden christlichen Kirchen zu besetzen und christliche Inhalte gleichzuschalten oder im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie auszuhöhlen. Genauso beunruhigt beobachtete sie, wie auch die öffentlichen Schulorgane Schritt für Schritt mit nationalsozialistischen Parteimitgliedern besetzt wurden. Im März 1935 legte sie ihr Erstes Theologisches Examen vor der Prüfungskommission der BK in Berlin ab. Sie arbeitete danach weiterhin als Lehrerin im öffentlichen Schuldienst. Gleichzeitig begann sie als Vikarin bei D. Burkhart, dem Schulreferenten des Bruderrats der BK, zu arbeiten. Außerdem lud sie in ihrer Wohnung zu regelmäßigen Treffen mit Gemeindegliedern der BK ein. Dieser Kreis wurde schon bald von der Schulleitung verboten. Sie selbst wurde als Lehrerin versetzt. Ab November 1935 arbeitete sie nur noch für die BK und ließ sich dafür unentgeltlich vom Lehrberuf beurlauben. Sie kümmerte sich seelsorgerlich um Lehrer_innen, die trotz des Drucks der Nationalsozialisten evangelische Christen bleiben wollten. Am 14./15 April1937 bestand Klara Hunsche ihr Zweites Theologisches Examen in Berlin vor den Prüfungsorganen der BK. Danach kehrt sie nicht mehr in den Schuldienst zurück. In ihrer Abschlussarbeit setzte sie sich programmatisch mit der Unvereinbarkeit zwischen christlichem Glauben und neuheidnischer Weltanschauung der Nationalsozialisten auseinander. Sie zeigte den fundamentalen Widerspruch zwischen Gottes Auftrag und dem Auftrag der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda auf. In ihrer Arbeit lehnte sie daher den Anspruch des totalen Staates ab, Religion, Kultur, Erziehung und Familie gleichzuschalten (Hunsche: 1949). Hunsches Examensarbeit stellte ihr klares Bekenntnis zu Jesus Christus als alleiniger Ausgangs- und Orientierungspunkt ihres Nachdenkens und Handelns heraus. Sie kritisierte die Gleichschaltungspolitik der NSDAP und verortete ihre Arbeit eindeutig in der Traditionslinie der BK. Der Begriff der theologischen Existenz, der in ihrer Examensarbeit so etwas wie einen roten Faden markiert, hatte sie aus einem Aufsatz von Karl Barth zitiert (Barth: 1933) und wurde ihr Leitmotiv. Hunsche trug mit ihrer Examensarbeit und mit ihrer darauf aufbauenden theologischen und pädagogischen Tätigkeit bei der BK maßgeblich dazu bei, die Barthianische Theologie konsequent in den Bereich der religiösen Erziehung zu übersetzen. Damit leistete sie einen wichtigen Beitrag zur Ausgestaltung einer evangelischen Christenlehre, dem christlichen Altersstufenplan der BK, in Abgrenzung zu nationalsozialistischen Lehrplänen.
Am 24. Juni 1937 wurde Klara Hunsche gemeinsam mit vier weiteren Vikarinnen von Pfarrer von Rabenau in Berlin eingesegnet. Die Ordination war den Theologinnen damals noch nicht erlaubt. Klara Hunsche kritisierte diese Ungleichbehandlung zu ihren männlichen Kolleginnen und setzte sich mit ihren Kolleginnen im Verband evangelischer Theologinnen für ihre Gleichbehandlung ein. Ihre Hauptaufmerksamkeit galt allerdings weiterhin den Schulangelegenheiten der BK. Denn sie bekleidete seit ihrer Einsegnung eine wichtige Stelle im Schulamt des Bruderrats der BK in Berlin, und ihre Arbeit machte ihr Freude. Hunsche war verantwortlich für die Schulangelegenheiten der BK, übernahm zahlreiche Vorträge, Schulungen und Bibelarbeiten. Anlässlich eines solchen Vortrags vor evangelischen Lehrer_innen wurde sie am 16. August 1937 für 24 Stunden verhaftet und bekam Vortragsverbot. Ihr wurde der Verstoß gegen das Sammlungsgesetz vorgeworfen. Privat organisierte sie auch danach weiterhin Bibelkreise und Diskussionsgruppen. Klara Hunsche war Mitglied des Provinzialverbandes der BK in Berlin, zugleich gehörte sie als Fachvertreterin der Schulkammer der Kirche der Altpreußischen Union (APU) und der Vorläufigen Kirchenleitung an. Hunsche arbeitete in der Folgezeit mit an einem evangelischen Gesamtkatechumenat für die BK. So entstanden eine Reihe von Hilfsbüchern für den Religionsunterricht, die auch für interessierte Eltern und Laien vorgesehen waren. 1943 ist diese Arbeit von der NSDAP verboten worden.
Im November 1938 übernahm Klara Hunsche parallel zu ihrer Arbeit in der Schulkammer die Arbeit als Religionslehrerin an der „Familienschule Oranienburger Straße“. Da am 9. November 1938 alle sogenannten „nicht arischen“ oder „halbarischen“ Kinder aus öffentlichen Schulen verwiesen wurden, mussten für sie andere Schulen gefunden werden, oder sie wurden in jüdische Schulen integriert. Die Familienschule richtete sich an alle „nicht arischen“ oder „halbarischen“ christlich getauften Kinder. Der Einsatz der BK bezog sich also nicht auf die unrechtmäßige Entlassung jüdischer, „nicht arischer“ und „halbarischer“ Kinder aus öffentlichen Schulen. Stattdessen war es ein Aufbegehren der BK gegen den Unterricht von „nicht arischen“ oder „halbarischen“ christlich getauften Kindern in jüdischen Schulen. Nicht die Vorstellung vom Verlust der Menschenrechte für jüdische und „nicht arische“ Kinder war für sie handlungsleitend, sondern die befürchtete jüdische Erziehung christlicher Kinder. Diese lehnten sie ab. Klara Hunsche hat diese menschenverachtende Engführung der Motive der BK nach dem Krieg selbstkritisch eingeräumt und zutiefst bedauert.
Die Familienschule entstand aus einem Anfang 1939 gegründeten privaten Schulzirkel in der Wohnung des Pfarrer Grüber. Später konnte die Familienschule in Räume in die Oranienburgerstraße 20 umziehen. Klara Hunsche war maßgeblich beim Aufbau der Schule beteiligt und versuchte die Schule in die Arbeit der BK einzugliedern. Sie unterrichtete dort bis zu 100 Schüler_innen in evangelischer Religion. Der Unterricht fand in verschiedenen provisorischen Räumen und Gebäuden statt. Sie mussten häufiger umziehen und waren gleichsam ein mobiles Provisorium. Nach dem Krieg nannte sie die Schule „eine Insel, die eine Weile Schutz geboten hat, bis die Sturmflut über sie hinrollte, ein kleines Licht im Dunkel, eine kurze Weile Geborgenheit vor und in dem Sturm, ein klein wenig Halt für diesen Weg ins Leben oder in den Tod.“ (Hunsche: 1963). Nach der Schließung der Schule 1942 wurden viele der Kinder und Lehrer_innen zwangsdeportiert und ermordet. Einige Kinder konnten immerhin aufgrund der guten ökumenischen Kontakte ins Ausland geschleust und gerettet werden. Klara Hunsche wurde 1941 aus der Schule zwangsabgerufen. Es lag ein geheimer Himmlererlass vor, der die „illegalen Theologinnen“, die bei der BK ihr Examen abgelegt hatten, zu „nutzbringender Arbeit“ heranziehen sollte. Hunsche wurde als Sachbearbeiterin im Heereswaffenamt eingesetzt. Dennoch leitete sie privat weiterhin einen Bibelkreis und unterrichtete die Oberstufe der Familienschule in ihrer Wohnung, bis sie auch dort verraten wurden. 1943 wurde die Arbeitsstelle des Berliner Bruderrats ausgebombt. Sie flohen nach Wittenberg. Hunsche schrieb von dort aus bis nach Kriegsende einmal im Monat einen Rundbrief als Hausgottesdienst.
Nach dem Krieg übernahm sie als Theologin die Kirchengemeinde ihres Bruders in Großmutz in der Mark Brandenburg. Ihr Bruder war noch nicht aus dem Krieg zurück. Bis Oktober1946 verrichtete sie dort alle Amtshandlungen zur Verwaltung, obwohl sie nicht ordiniert war und als Frau angeblich gar nicht dazu in der Lage war. Klara Hunsche wäre gerne in der Gemeinde ihres Bruders geblieben, musste aber die Arbeit aufgeben, nachdem ihr Bruder zurückgekehrt war. Viele ihrer Kolleginnen machten ähnliche Erfahrungen. Spielräume, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit da waren, schlossen sich sofort wieder, als die Pfarrer aus dem Krieg zurückkamen und ihre angestammten Plätze in den Gemeinden wieder einnahmen. Gerade noch mögliche Arbeitsbereiche wurden den Theologinnen in der Folge bis weit in die sechziger Jahre hinein wieder verschlossen. Klara Hunsche ging zurück nach Berlin und wurde von der Schulkammer später Erziehungskammer in Westberlin angestellt. Dort blieb sie bis zu ihrer Pensionierung mit 60 Jahren. Da es aber keinen Nachfolger gab, konnte sie ihren Beruf noch acht Jahre lang weiter ausüben. Noch bis zu ihrem Tod im Jahr 1979 leitete sie privat einen Bibelkreis in ihrer Wohnung. Mit 62 Jahren wurde ihre Einsegnung nachträglich als Ordination anerkannt. Eine späte Genugtuung.
Zwei reformatorische Impulse sind für Klara Hunsches Lebensweg leitend: a.) Die Betonung des „solus Christus“ hat sie argwöhnisch sein lassen gegenüber anderen Verheißungen. Zudem hat sie dem Aspekt der Bildung einen großen Stellenwert in ihrem Leben eingeräumt, genau wie das auch die Vertreter_innen der Reformation vor allem in der Anfangszeit getan haben.
b) Die Tatsache, dass Klara Hunsche bereit war ihre eigene Position und Haltung nach der Zeit des Nationalsozialismus zu überdenken und auch zugeben konnte, dass sie einiges falsch gemacht hat, ist ein reformatorischer Impuls. Diese kritische Selbstreflexion als reformatorische Haltung und Fähigkeit gibt sie uns mit auf den Weg.
Klara Hunsche war Zeit ihres Lebens eine leidenschaftliche Lehrerin und Theologin, Theologin und Lehrerin. Sie verband beide Arbeitsbereiche selbstverständlich und praxisnah. Durch ihre kontinuierliche und engagierte Doppelperspektive interpretierte sie beide Berufe interdisziplinär und undogmatisch. Sie prägte dadurch die evangelische Unterrichtsgestaltung der BK und später der evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg konzeptionell, inhaltlich und theologisch bis weit nach dem Krieg maßgeblich mit. Dieser eigenständige Beitrag im Hinblick auf religionspädagogische Arbeit ist meines Wissens in der Literatur in keinster Weise angemessen gewürdigt worden. Von ihr gingen wichtige emanzipatorische und auch reformatorische Impulse aus: Sie hat als Theologin und Lehrerin religionspädagogisch konzeptionell und inhaltlich Impulse gesetzt und dennoch die praktische und basisnahe Arbeit vor Ort nie vernachlässigt. Sie hat andere ermutigt und ermächtigt ihren christlichen Glauben auch in den schwierigen Zeiten des Nationalsozialismus beizubehalten. Auch sie selbst hat gemeinsam mit anderen für ihren Glauben und für ihre christlichen Überzeugungen gekämpft.
Aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Kindern und Jugendlichen aus der Familienschule Oranienburger Straße setzte sie sich nach dem Krieg kritisch mit ihrer eigenen Rolle und mit der der BK im Nationalsozialismus auseinander. Sie scheute diese Auseinandersetzungen nicht und bedauerte nachträglich manche Entscheidung und Handlungsweise aus ihrer Vergangenheit. Gleichzeitig unterstrich sie, dass sie im Unterricht mit den „nicht arischen“ und „halbarischen“ Kindern und Jugendlichen angesichts der provisorischen Unterrichtsstätten und der verzweifelten politischen Lage persönlich viel gelernt hat. Der Schutz- und Inselcharakter der Schule, um den sich alle Beteiligten bis zur Auflösung bemüht hatten, berührten sie und prägten sie bis zu ihrem Tod. Klara Hunsche war eine engagierte, kluge und bescheidene Frau, die sich in den sechziger und siebziger Jahren sehr für die kirchliche Friedensarbeit eingesetzt hat. Martin Albertz, Helmut Gollwitzer und Kurt Scharf waren einige ihrer Weggefährten auf diesem Weg. Ihr Motto: „Sich einmischen. Man muss doch was machen. Das müssen wir doch wenigstens gelernt haben!“ (Söderblom: 1996)