Ludämilia Elisabeth Gräfin und Fräulein zu Schwarzburg und Rudolstadt, geboren am 7. April 1640, war die zweite Tochter von Graf Ludwig Günther zu Schwarzburg (1581-1646) und der Ämilia Antonia (Emilie Antonie), Gräfin von Oldenburg-Delmenhorst (1614-1670) und durchlebte noch die letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges. Ihr erster Vorname setzte sich aus den Namen ihrer Eltern zusammen, deren Ehe durch eine starke Liebe und einen festen evangelischen Glauben geprägt war. Sie wurde von ihrem Lehrer, dem jungen Theologen Johann Heltwig, später Pfarrer in Königssee, und von ihren Geschwistern, so dem Bruder Albert Anton, und ihrer Schwägerin Ämilia Juliana zur Dichtung angeregt. Der Pietist Ahasverus Fritsch (1629-1701), seit 1657 der Hofmeister und seit 1687 Kanzler unter ihrem Bruder, der 1662 die Erbschaft bzw. Herrschaft der Familie übernommen hatte, übte auch einen Einfluss auf sie aus. Ludämilia und ihre Schwestern verbrachten seit dem Tod des Vaters im Jahr 1646 ihr Leben zusammen mit ihrer Mutter auf dem Witwensitz Friedensburg zu Leutenberg (südlich von Saalfeld). Nach deren Tod 1670 zog sie mit ihren Schwestern zurück zur Residenz ihres Bruders in Rudolstadt. Am 20. Dezember 1671 verlobte sie sich, aus religiösen Bedenken mit etwas Widerstreben, mit Graf Christian Wilhelm von Schwarzburg-Sondershausen (1647-1721), aber sie starb bereits am 12. März 1672 an den Masern, die sich zu der Zeit epidemisch verbreitet hatten. Ludämilie hatte sich intensiv der Pflege ihrer älteren Schwester Sophie Juliane hingegeben, in der Hoffnung, sich nicht selbst anzustecken, weil sie in der Kindheit bereits diese Krankheit überstanden hatte. Sophie Juliane starb jedoch am 14. Februar, rasch gefolgt von Ludämilia und Christiane Magdalena, die beide am gleichen Tag verschieden. Die Leichenpredigt erschien unter dem barocken Titel Unverwelckliche Myrten-Krone : als erst Die Hochgeborne Gräfin und Frau/ Fr. Aemilia, Gräffin zu Schwartzburg und Hohenstein/ … Hiernechst auch Dero Drey Fräulein Töchter/ Die Hochgebornen Fräulein/ Fr. Sophia Juliana, Fr. Ludoaemilia Elisabeth, Und Fr. Christiana Magdalena, Gräffin[n]e und Fräulein zu Schwartzburg und Hohnstein/ … nach Dero/ am IV. Decembris Anno 1670 am XIV. Febr. und XII Martii Anno 1672. … aus dieser Welt genommenen Abschiede/ in das HochGräffliche Begräbnüß-Gewölbe bey der … Rudolstädtischen Stadt-Kirche … eingesencket wurden.
Ihre gesammelten Hymnen, die z.T. unter dem Einfluss von Martin Opitz und Angelus Silesius entstanden waren und deutlich pietistischen Geist atmeten, erschienen 1687 unter dem Titel Die Stimme der Freundin, Das ist: Geistliche Lieder, welche aus brünstiger und biß ans Ende beharrter JESUS Liebe verfertigt und gebraucht Weiland die Hochgebohrne Gräfin und Fräulein Frl. Ludämilia Elisabeth, Gräfin und Fräulein zu Schwartzburg und Hohenstein u.s.w. Christseligen Andenckens, gedruckt von Benedict Schultz. Veranlasst wurde dieser Drucke durch ihre Schwägerin Ämilia Juliana, den Kanzler Fritsch und wahrscheinlich auch durch den hoch angesehenen Generalsuperintendenten Justus Söffing (1624-1695). Fritsch hatte bereits eines ihrer Lieder in seiner Sammlung Jesuslieder von 1668 aufgenommen; andere erschienen im Rudolstädter Gesangbuch von 1682 (auf zwölf vermehrt in der dritten Aufl. von 1704); 1675 veröffentlichte Johann Georg Roth eine Auswahl, Der Gräfin Ludämilia Elisabeth von Schwarzburg-Rudolstadt geistliche Lieder: in einer Auswahl nach dem Originaltexte und mit einer kurzen Lebensbeschreibung der Verfasserin (Rudolstadt: Durch Freyschmid- und Königsbergrischen Druck; eine parallele Textedition von Roth erschien ebenfalls dort 1675 unter dem Titel Süsse Gnaden-Milch und kräfftiges Trost-Honig: Aus Gottes Holdseligen Munde und Lieb-vollen Hertzens-Grunde/ über Ephraim geflossen/ Hernach aufgefangen/ und Trost-begierigen Seelen . . . vorgetragen); in der Liedersammlung Tägliche Morgen-, Mittags- und Abendopfer von 1685 waren bereits 18 ihrer Texte eingeschlossen, und andere Kirchengesangbücher anerkannten ihre poetischen Leistungen ebenfalls. Wilhelm Thilo druckte aber erst 1856 ihre gesamten Werke nach unter dem Titel Die Stimme der Freundin. Geistliche Lieder Ludämiliens Elisabeths, Gräfin etc. etc. Vornemlich deutschen Frauen zum Lebensgeleite (Stuttgart: E. G. Liesching). Im gleichen Jahr erschien eine Anthologie, Der Gräfin Ludämilia Elisabeth von Schwarzburg-Rudolstadt geistliche Lieder: in einer Auswahl nach dem Originaltexte und mit einer kurzen Lebensbeschreibung der Verfasserin, hg. von Johann D. Sarnighausen (Halle: Fricke, 87 Lieder).
Ihre Lieder fanden sich seitdem sogar häufiger in Gesangsbüchern sowohl in Deutschland als auch in der englischsprachigen Welt, z.B. im Kirchen-Gesangbuch für Evang.-Lutherische Gemeinden: ungeänderter Augsburgischer Confession, darin des seligen Dr. Martin Luthers und anderer geistreichen Lehrer gebräuchlichste Kirchen-Lieder (1847), im A Hymn and Prayer-Book: for the use of such Lutheran churches as Use the English language (1795) oder im Gesangbuch der Evangelischen Kirche: herausgegeben von der Deutschen Evangelischen Synode von Nord-Amerika (1908) (für zahlreiche weitere Beispiele siehe http://www.hymnary.org/person/SchwarzburgRudolstadt_LE).
Ende des 19. Jahrhunderts interessierte sich auch die Forschung zunehmend für Ludämilia, wie verschiedene biographische Skizzen und Abhandlungen andeuten, und Anemüller veröffentlichte 1884 in der Allgemeinen Deutschen Biographie die bis heute gültige biographische Skizze der Dichterin. Seitdem scheint sie aber weitgehend wieder aus dem Gesichtskreis der Literaturwissenschaft verschwunden zu sein, taucht ja ihr Name kaum noch in den einschlägigen Lexika oder Enzyklopädien auf und existiert fast keine moderne kritische Untersuchung ihrer Texte. Ebenso gibt es keinen Eintrag für sie im Projekt VD 17, dem Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (nur Süsse Gnaden-Milch ist dort aufgenommen, jedoch ohne ihren Namen). Vgl. dazu immerhin Brigitte Edith Zapp Archibald: German Religious Poet: Ludämilia Elisabeth, in Women Writers of the Seventeenth Century, hg. Katharina M. Wilson und Frank J. Warnke. Athens, GA, 1989, S. 483-486.
Der Herausgeber ihrer Werke, Thilo, nannte sie “JesusFreundin” (LXI). Die Lieder gliedern sich in die folgenden Themengruppen: Von der Zukunft Christi, Von der Geburt Christi, Von der Beschneidung Christi, Von der Offenbarung Christi, Auf das Fest Mariä Reinigung, Am Tage der Verkündigung Mariä, Vom Leben und Sterben Jesu Christi, Am grünen Donnerstag, Am Charfreitage, Auf das heilige Osterfest, Aufs Fest der Himmelfahrt, Auf das Pfingstfest, Auf das Fest Trinitatis, Am 8. Johannistage, An Mariä Himmelfahrt, Von der Buße und Beichte, Vom heiligen Abendmahl, Vom Christlichen Leben und Wandel, Vom Kreuz, Trübsal und Leiden, Vom Trost im Kreuz, Trübsal und Leiden, Lob- und Danklieder, Morgenlieder, Abendlieder, Am Geburtstage, Von wichtigen Vorhaben, Vor und nach der Krankheit, Waisenlieder, Donnerlieder, Reiselieder und Von den letzten Dingen.
Ludämilia positionierte sich in radikaler Opposition zur traditionellen, zu der Zeit bereits orthodoxen protestantischen Kirche und widmete sich vollkommen der geistigen Verehrung Christi, dessen Anwesenheit in ihrem eigenen Herzen eine mystische Dimension für sie ausmachte, wie die Vorliebe für Begriffe wie “Herzensschrein, Herzensthür, Herzensräumelein, Herzerbarmen, Herzbegier, Herzandacht, Herzenschifflein, Herzensgärtlein etc.” deutlich anzeigt. Die emotionale Komponente ihrer Glaubensbekenntnisse zeichnen Ludämilias Gedichte ganz besonders aus, so wenn sie in “HÖr, dein Küchlein und Schäflein, das schreiet” (Nr. 56) mittels des Vergleichs zu Haustieren, die Essen vom Tisch erbetteln, ihre Beziehung zu Gott umschreibt: “Weide dein Schäflein, o frommer Hirt! heute. / weid mich mit deinem herzstärkenden Wort, / Speyse mich mit deinem Leibe, begleite, / JEsu! zum frischen Trost=Waßer mich fort” (2, 1-4). Viele protestantische Gesangbücher enthalten bis heute Lieder von Ludämilia.
Ludämilias Lieder/Gedichte betonen stets die unmittelbare Nähe zu Gott bzw. die emotionale Verbindung zwischen der Seele und Christus. In “Um Genießung des Leidens Christi“ (Nr. 16) fleht sie ihn an, ihr einen der Nägel oder der Dornen zuzuwerfen, damit ihr eigenes Herz davon geritzt werde, was die Gemeinschaft mit Gott stärken könne. Sie dürstet nach seinem Trost und bezeichnet Christus als ihre “Lebens = Sonne“ (10, 3). In “Ein anderes” (Nr. 18) beschreibt sie Christus als denjenigen, der sich in seinem eigenen Leiden der Menschen erbarmt. Gerne evoziert die Dichterin für Gott das Bild des Hirten, der sich fürsorglich seiner Schäfchen annimmt (Nr. 52). Zugleich entdecken wir eindeutig mystische Elemente, so wenn sie in “Vor dem heiligen Abendmahl, ein Lied” (Nr. 53) Christus als ihren “Bräutigam“ bezeichnet, der nach seinem “Mahl = Schatz”, d.h. nach seiner “Braut“ schreit (4, 3). Ludämilie geht es darum, eine neue Stufe der religiösen Innigkeit zu erreichen, wenn sie in “Ein anderes” (Nr. 65) darüber jubelt, dass sie und Gott eins geworden, dass Jesu Herz in ihr eigenes gekommen sei: “mein Freud ist mein, ich sein” (1, 8). Das religiöse Erlebnis findet seinen Ausdruck in der Metapher vom gemeinsamen Mahl mit Gott und vom “Liebestrunk” aus seiner Seite (3, 4). Während das bisherige Leben der Dichterin bzw. des Menschen schlechthin wegen der zahllosen Sünden von Taubstummheit und Blindheit geschlagen gewesen sei, bedeute die Gotteserfahrung, wie wir in “Ein anderes” (Nr. 68) erfahren, dass diese Qualen aufgehoben werden und Heilung eintrete, was Ludämilia in erstaunlich konkret medizinischer Weise umschreibt: “Es wich auf sein Zureden / die Sündenschwulst und Gicht” (5, 1-2). Reformatorisch gedacht fleht sie in “Um den wahren Glauben” (Nr. 70) Christus an, ihr Einsicht in den wahren Glauben zu vermitteln und die tiefsten Geheimnisse der Heiligen Trinität aufzudecken, was durch Barmherzigkeit und Erbarmen seitens Gottes und durch Vertrauen ihrerseits möglich wäre. Die Lieddichterin benutzt ihre Texte dafür, um an Gott zu appellieren, ihr Lehren zu vermitteln und Hilfe zu verabreichen, damit sie ein gut christliches Leben führen könne (“Um des Heiligen Geistes Leitung”, Nr. 71).
Die poetische Aussagekraft ihrer Lieder besteht in der pietistisch geprägten Beziehung zu Christus, dessen Verehrung sie völlig verinnerlichte. Ludämilia setzte sich aber nicht mit kirchenpolitischen Dingen auseinander und suchte, was eventuell dann doch als indirekte Kritik aufzufassen wäre, die unmittelbare Berührung mit Gott in einer fast als mystisch zu nennenden Ausdrucksweise. Ihre religiöse Perspektive war stark individualistisch geprägt und extrem gefühlsbetont. Inwieweit sie sich mit der protestantischen Kirche als Organisation auseinandersetzte, lässt sich heute nicht bestimmen; fest liegt jedoch, dass sie stark darum bemüht war, mittels ihrer religiösen Lieder das Kirchenjahr hymnisch zu realisieren. Zugleich empfand sie das Leben als mühsam und oftmals trostlos, was im Kontext des Dreißigjährigen Krieges und des frühen Tod ihres Vaters zu beurteilen ist. Indem sie jedoch im poetischen Text ihre Zuflucht fand, konnte sie offensichtlich ihre innere Identität stärken und sich pietistisch ganz auf Gott verlassen.