Marguerite de Navarre wurde 1492 in Angoulême als Tochter eines mit dem französischen Königshaus entfernt verwandten Grafen von Angoulême geboren. Zwei Jahre später kam ihr Bruder Franz zur Welt, der als König den Thron 1515 besteigen sollte. 1509 heiratete sie den Herzog von Alençon. Die Ehe blieb kinderlos. Nach der Thronbesteigung ihres Bruders wurde sie die leitende Dame des Hofes, da die Königin Claude die repräsentativen Pflichten nicht zu erfüllen vermochte. Nach ihrem Tod 1524 übernahm Margarete die Erziehung der königlichen Kinder. Als König Franz 1525 nach der verlorenen Schlacht von Pavia von Kaiser Karl V gefangen genommen wurde, eilte sie nach Spanien, um vom Kaiser die Freilassung ihres Bruders zu erreichen. Ihr erster Gatte, der Herzog von Alençon, starb nach der Schlacht von Pavia und 1527 heiratete sie den zwölf Jahre jüngeren König von Navarra, Heinrich von Albret. 1528 kam ihre Tochter Jeanne zur Welt, zwei Jahre später gebar sie einen Sohn, der als Kleinkind starb. Das Ehepaar blieb am französischen Hof bis 1534, danach zogen Heinrich von Albret und Margarete nach Nérac in Südwestfrankreich, wo sie wieder einen humanistischen Hof aufbauten. Dort sollte sie bleiben bis zu ihrem Tod 1549.
Die engsten Beziehungen waren die zu ihrer Familie. Schon als kleines Mädchen war ihr Bruder die wichtigste Person in ihrem Leben. Ihr Vater starb früh (1496) und die Mutter setzte alle ihre Hoffnungen auf Franz. Als Ludwig XII einsehen musste, dass er „nur“ der Vater von Töchtern werden würde, holte er Franz an den Hof und vermählte ihn mit seiner Tochter Claude. Er ließ ihn im humanistischen Geiste ausbilden; aber noch mehr als ihr Bruder profitierte Margarete von diesem Unterricht. Ihr Leben lang hing sie sehr an ihrem Bruder: zusammen mit ihrer Mutter wurden sie – wegen ihrer innigen Beziehung – „die Dreieinigkeit“ genannt.
Wahrscheinlich war der Bruder ihr wichtiger als ihre Ehemänner. Über den Herzog von Alençon wissen wir wenig. Allerdings stand Margarete ihrer Schwiegermutter, eine zutiefst religiöse Frau, sehr nah. Schon in jungen Jahren, vielleicht von der Schwiegermutter beeinflusst, entwickelte sie eine innige Frömmigkeit. Ihr zweiter Ehemann, der König von Navarra wurde als ein Held verehrt, als sie ihn 1527 heiratete. Er war wie Franz I bei Pavia gefangengenommen worden, aber es war ihm gelungen sich zu befreien. Er war ein schöner Mann, zwölf Jahre jünger als Margarete. Aus dieser Ehe stammen ihr Kinder: 1528 wurde ihre Tochter Jeanne geboren, zwei Jahre später gebar sie einen Sohn, der früh starb. Danach folgten eine Reihe von Fehlgeburten und vielleicht auch eine Scheinschwangerschaft.
Die Damen der königlichen Familie wurden nach dem Willen des Königs vermählt. Ludwig XII hatte 1509 die Ehe Margaretes mit dem Herzog von Alençon arrangiert. Als sie verwitwet wurde, beschloss Franz I, sie mit Heinrich von Albret zu verheiraten, weil dieser sein Herrschaftsgebiet in den Pyrenäen hatte und damit Frankreichs Grenze zu Spanien verteidigen sollte. Heinrich von Albret paktierte jedoch mit den Spaniern und Margarete musste sehen, wie sie ihre Loyalität zu ihrem Gatten mit der zu ihrem Bruder in Einklang bringen konnte.
Ihre Tochter sah sie kaum. Margarete war die Erzieherin der königlichen Kinder, ihre Tochter gab sie in die Obhut zu ihrer besten Freundin und schließlich bestimmte Franz I, wo Mutter und Tochter sich aufzuhalten hatten. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens, als Jeanne geheiratet hatte, kam sie öfters nach Béarn und Nérac und entwickelte eine innigere Beziehung zu ihrer Mutter.
Als Schwester des Königs und später als Königin von Navarra war sie immer eine öffentlich wirkende Persönlichkeit. Das gab ihr einerseits einen Wirkungsbereich, wo sie große Möglichkeiten zu gestalten besaß und Einfluss nehmen konnte, ihren persönlichen Vorlieben konnte sie jedoch höchstens in ihrer Privatsphäre nachgehen.
Der französische Historiker Lucien Febvre hat gezeigt, wie sie in ihren Jugendjahren am Hof tief religiöse Gedichte verfasste und einen langen Briefwechsel mit ihrem Seelsorger, der Bischof Briçonnet, führte, als ältere Frau Liebeskomödien und das Heptameron, eine Novellensammlung, die vor allem die Liebe in allen ihren Schattierungen darstellte, verfasste. In Wirklichkeit blieb sie wohl dieselbe, mit einer nach außen gekehrten herrschaftsgemäßen Persönlichkeit und einer tiefen Religiosität im Innern, die sich teils in Gedichten, teils im Heptameron, äußerte (siehe meinen Artikel: Erzählte Theologie – Theologie als Erzählung auf www.reformiert-info.de).
Franz I war an Kunst und Architektur sehr interessiert. Er brachte z.B. Leonardo da Vinci nach Frankreich. Im Tal der Loire baute er Schlösser und ließ sie prachtvoll ausstatten. Margaretes Aufgabe war es, einen prächtigen Hofstaat um ihn herum aufzubauen und für Geist und Kultur am Hofe zu sorgen. Die Humanisten und Dichter, die zu dieser Zeit am Hofe verkehrten, verehrten sie alle.
Sie war Mäzenin für diese Literaten. In späteren Jahren sorgte sie dafür, dass Übersetzungen aus dem Italienischen und von antiken griechischen Schriften gemacht wurden, u.a. das Dekameron von Boccaccio und die platonischen Schriften. Ein junger Dichter, Clément Marot, wurde ihr Sekretär und verfasste witzige, elegante Gedichte an sie. Dafür half sie ihm, als er der Ketzerei bezichtigt wurde, indem sie ihn nach Italien zu ihrer Cousine Renée von Ferrara schickte.
Der älteste und wichtigste der Humanisten, Lefèvre d´Etaples (= Faber Stapulensis) hatte sich zuerst mit Aristoteles Schriften auseinandergesetzt. Als er älter wurde, wandte er sich der heiligen Schrift zu und übersetzte sie direkt vom griechischen Urtext ins Französische. Die konservativen Theologen der Universität von Paris hielten an der traditionellen lateinischen Bibelübersetzung, Vulgata genannt, als einziger verbindlicher Bibelübersetzung fest und klagten ihn wegen Ketzerei an, da sie es als Ketzerei erachteten, die Bibel in der Landessprache zu lesen. Margarete stellte ihn als Hauslehrer der königlichen Kinder ein und nahm ihn später mit nach Guyenne, wo er in Ruhe sterben durfte.
Unter den Bibelhumanisten war ein Theologe, Gerard Roussel, der ihr Hofprediger wurde. Er kam auch mit nach Béarn, wo sie ihn zum Bischof von Oloron ernannte. In jungen Jahren war er ein Freund Calvins gewesen, aber er war der katholischen Kirche treu geblieben, sehr zum Verdruss Calvins. Als Bischof von Oloron konnte er die katholische Kirche von Innen reformieren und die Missstände, die sich eingeschlichen hatten, beseitigen. Wenn später so viele in Südfrankreich reformiert wurden, geht dies auch zu einem großen Teil auf das Wirken von Roussel zurück, der für eine reformatorische Gesinnung den Boden bereitet hatte.
Margarete gehörte ihr Leben lang dem Reformkatholizismus an. Dennoch war ihre Religiosität stark von der reformatorischen Lehre geprägt, wie man es aus dem Heptameron sehen kann (vgl. ausführlich: http://www.reformiert-info.de/side.php?news_id=5444&part_id=0&navi=4 ). Den Schritt zum reformierten Glauben hat sie nie vollzogen, unter anderem, weil sie sich ihrer Position als Schwester und Tante der katholischen Könige bewusst war. Als Franz I einmal gefragt wurde, ob sie Hugenottin werden würde, erwiderte er, dass sie ihn viel zu sehr lieben würde, um einen solchen Schritt zu vollziehen.
Margarete half jedoch denjenigen, die der neuen Lehre anhingen. Wenn jemand als Ketzer angeklagt worden war, bat sie beim König für sein Leben. Vielen, unter anderen dem oben erwähnten Dichter Marot und Calvin, wurde ermöglicht, nach Ferrara zu flüchten. Französische Glaubensflüchtige und reformierte Pfarrer konnten immer auf sie bauen. Der Reformator Capito in Straßburg widmete ihr seinen Hosea-Kommentar.
Für die Reformatoren war es freilich ein Problem, dass Margarete nicht ganz rechtgläubig reformiert war. Sie hatte spiritualistische Tendenzen und lud Freidenker an ihren Hof ein. Sowohl der Reformator von Straßburg, Martin Bucer als auch der Genfer Reformator Calvin ermahnten sie in langen Briefen diesbezüglich. Margarete ließ sie in ihrem Antwortschreiben wissen, dass sie sich nicht einmischen sollten. Daraufhin schrieb ihr Calvin, dass er wie ein Hund bellen würde, wenn sein Herr (natürlich Gott) angegriffen sei.
Am Ende ihres Lebens empfing sie das Sterbesakrament nach katholischem Ritus, obwohl zu der Zeit schon viele Reformierte – auch diejenigen, die zu Lebzeiten es nicht offen gezeigt hatten – auf ihrem Todeslager den Beistand des Priesters verweigerten.
Für uns interessant war ihre Unterstützung der Frauen – auch in religiöser Hinsicht. Ihre Liebesgeschichten im Heptameron sind oft tragisch, weil es in ihnen keine erfüllte Liebe gab. Die Frauen sollten ihre Tugend bewahren, während die Männer sich anstrengten, sie zu verführen. Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen, so gab es keine Möglichkeit in einer Ehe die Liebe auszuleben, während außereheliche Beziehungen verpönt waren. Aus diesem Sachverhalt ergab sich, dass die Frauen in ihren Erzählungen oft tragische Figuren sind.
In der Religion hatten sie freilich Möglichkeiten, erfüllt zu leben. Die Genfer Reformatorin Marie Dentière schrieb an Margarete, dass Frauen die Möglichkeit haben sollten, miteinander zu sprechen, um sich gegenseitig im Glauben zu erbauen. (vgl. dazu auch die Biografie zu Marie Dentière auf http://www.reformiert-info.de/side.php?news_id=3565&part_id=0&navi=5 ).
Margarete ging einen Schritt weiter: im Heptameron ließ sie in der Rahmenhandlung eine ältere Frau auftreten, die Dame Oisille. In der Forschung wird angenommen, dass diese Dame die Mutter Margaretes sei, Louise von Savoyen. Dabei wird nicht bedacht, dass Dame Oisille ganz deutlich reformatorische Züge hat – im Gegensatz zu Louise von Savoyen, die seit ihres Lebens streng katholisch blieb – und was vor allem interessant ist: sie hält morgens Andachten für Männer und Frauen, die von der Gruppe begeistert aufgenommen werden. Die Dame Oisille legt u.a. den Römerbrief aus, diesen reformatorisch bedeutsamen Text. Schon in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts war es verboten für Laien, die heilige Schrift zu lesen und schon gar nicht in Konventikeln, in kleine Gruppen, Auslegungen zur heiligen Schrift zu geben.
Damit hat Margarete eine fiktive Frau geschaffen, die ihre Bibel lesen und für andere – sowohl für Männer als auch für Frauen – auslegen kann.
Das Heptameron wurde nur in Manuskriptform vervielfältigt. Ihre Tochter, Jeanne d´Albret besorgte 1559 die erste Druckausgabe. In dieser Ausgabe wurden alle reformatorischen Ansätze gelöscht, in der Edition dieser Schrift, herausgegeben von Nicole Cazauran und Sylvie Lefèvre (Gallimard 2000), sieht man, wie längere Passagen gestrichen worden sind. Das Heptameron hat keine Breitenwirkung entfaltet, es bleibt jedoch festzuhalten, dass in diesem Roman Frauen eine bedeutende Rolle in der Verkündigung gespielt haben.
In Margarete von Navarra begegnen wir einer klugen, ja intellektuellen Frau von tiefer, wenn auch unorthodoxer Religiosität. Nach außen hin bestand ihre Wirkung in ihrem Mäzenentum für die Humanisten und ihrem Schutz der Reformierten in Südwestfrankreich. Weniger bekannt war ihr Hauptwerk, das Heptameron, das erst im vorigen Jahrhundert von der Forschung „entdeckt“ worden ist. Heute werden die Erzählungen im englischsprachigen Raum vor allem in „Women‘s studies“ gelesen.