Jugend und Studium
Maria Hermann wurde am 7. April 1925 in die Familie des Pfarrers Johannes Hermann in Schlat im Kreis Göppingen geboren. Schon bald nach ihrer Geburt übernahm der Vater die Leitung der evangelischen Gemeinde in Calw. Hier besuchte Maria das Gymnasium. Pfarramt und Pfarrhaus prägten den Alltag der Familie. Maria erlebte im Kreis ihrer Familie die Offenheit gegenüber Menschen mit unterschiedlicher Lebensart und unterschiedlichem Denken. In der Zeit des Nationalsozialismus waren die Eltern Vorbild und Wegweisung. Sie sagt: „Der aufrechte Gang meiner Eltern zeigte uns Kindern den Weg. Ich musste keine eigenen Entscheidungen treffen“ (Ansprache Trauerfeier Ulrich Widmann, 2001).
(zum Bild: Maria-Hermanns Elternhaus in Ulm; Copyright: privat)
Nach dem Abitur studierte Maria Hermann Theologie in Tübingen. Über ihre theologischen Lehrer, die Professoren Gerhard Ebeling, Mitglied der Bekennenden Kirche und Hanns Rückert, Kirchenhistoriker, äußert sie später, dass diese ihr nicht nur theologisches Wissen vermittelten, sondern sie lehrten, die Kirche zu lieben.
(zum Bild: Maria Hermann, zweite von rechts, im Kreis ihrer Familie; Copyright: privat)
Alter und Tod
Maria Hermann wurde 1988 in den „Ruhestand“ verabschiedet. Sie zog in das Feierabendhaus der Diakonie-Schwesternschaft Herrenberg-Korntal. Dort gründete sie eine Hospizgruppe. Sie fand Frauen und Männer, die gemeinsam mit ihr sterbende Menschen begleiteten.
Sie kümmerte sich um ihre Nichten und Neffen und sie schrieb Briefe, bis eine schmerzhafte Krebserkrankungsie belastete. Den Text für ihre Trauerfeier wählte sie selbst aus: Matthäus 11, 28-30: „Jesus spricht: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Am 5. Juli 2001 ging ihr erfülltes Leben zu Ende. Die Trauerfeier fand in der Mutterhauskirche Herrenberg statt.
Württemberg, Wien und Ulm
Maria Hermann begann 1950 ihren Dienst als Pfarrerin in Ludwigsburg, dann wechselte sie in die Gemeinde Göppingen. Als sie einmal im Kirchenbezirk Esslingen eine Vertretung übernahm, meinte ein Kirchenmitglied: „I bin zwar absolut gegen Frauen auf der Kanzel, aber die derf“ (Ansprache Trauerfeier Ulrich Widmann, 2001).
Es folgte die Berufung als Direktorin an die Evangelische Frauenschule in Wien. Hier wurden Gemeindehelferinnen und Katechetinnen ausgebildet. Pfarrer Ulrich Widmann, Frau Hermanns Neffe, schreibt: „So ein Posten ist nur mit einer gehörigen Portion Flexibilität und Standfestigkeit zu bewältigen“ (Ansprache Trauerfeier Ulrich Widmann, 2001). Es war eine Diasporasituation, in der Maria Hermann mit „einer gehörigen Portion Flexibilität und Standfestigkeit„ tätig sein musste. „Sie füllte ihr Amt der Frau Direktor mit sehr persönlicher Prägung aus“ (Ansprache Trauerfeier Ulrich Widmann, 2001). Für die Schülerinnen sei sie auch Seelsorgerin gewesen.
Die erste Stelle als Gemeindepfarrerin erhielt Maria Hermann 1972 an der Pauluskirche in Ulm an der Donau. Sie war die die erste Frau auf einer Kanzel der evangelischen Kirchengemeinde in Ulm, die bereits um 1530 die Reformation eingeführt hatte. Maria Hermanns predigten waren anschaulich und einprägsam, so habe ich sie in Erinnerung. In einem Zeitungsartikel vom September 1972 wird Maria Hermann wie folgt zitiert: „Das Interessante an meiner neuen Aufgabe ist, daß es für mich als Frau darin fast keine Vorbilder gibt, daß ich versuchen muß, meinen eigenen Stil in diesem Amt zu finden.“ Und weiter heißt es: „Man muß der Frau in ihrem Bewußtwerdungsprozeß helfen“ (http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Ulm-Neu-Ulm-vor-40-Jahren;art4329,1625620). Frau Hermann verstand sich als überzeugte Predigerin und Seelsorgerin, für die Jugend, für ihre Gemeinde.
(zum Bild: Pauluskirche; Copyright: privat)
In der Pauluskirche, wo ich sie erlebte, konnte sie Menschen überzeugen, die meinten, nur Männer hätten die Gabe zu predigen. Ihre zugewandte Art zeigte sich auch außerhalb der Gottesdienste. Sie lud die, die „im Dunkeln stehen“ in ihr Haus ein und deckte ihnen den Mittagstisch mit selbstzubereiteten Speisen. Wenn nötig, nahm sie Hilfesuchende in ihrer Wohnung auf, war für sie da. Einmal blieb ein finnisches Aupairmädchen für ein knappes Jahr bei ihr, weil sie in ihrer „Gastfamilie“ unglücklich war.
Eine Freundin hat mir berichtet, wie sie Frau Hermann kennen lernte, als sie allein bei ihrer sterbenden Mutter im Hospiz wachte. Sie schreibt: „Ab wann Frau Herrmann dazu kam, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß auch nicht mehr, wer sie verständigt hatte und warum. Aber dem Bethesda (Klinik in Ulm, EDB) war wohl bekannt, dass ich die einzige nächste Angehörige bin. Vielleicht wusste es auch jemand von der Martin-Luther-Kirche, weil ich in diesem Bezirk wohnte und Frau Hermann dort arbeitete? (…) An diesem Abend jedenfalls war Frau Herrmann die rettende Seele, wie hätte ich es sonst durchgestanden? Sie sprach wenig, war einfach da, hatte eine warmherzige, freundliche Art und war mir ein großer Trost! So war ich nicht alleine beim Warten auf den Tod. Meine Mutter ist erst mitten in der Nacht gestorben“ (aus einem persönlichen Brief an die Autorin).
Für „die Tippelbrüder“ aus dem Obdachlosenhaus in der Nähe der Pauluskirche hatte sie auch ein offenes Ohr. Nicht wenige von denen, die dort übernachteten, fanden den Weg nicht nur vor, sondern in die Kirche. Diese und psychisch Kranke und Heimatlose durften sich am Sonntag nach dem Gottesdienst an ihren Mittagstisch setzen und sich satt essen. Meiner Meinung nach gab Frau Hermanns private Initiative, Bedürftigen einen Mittagstisch zu bereiten, den Anstoß für die bis heute existierende Vesperkirche.
Maria Hermanns Nachfolger, Pfarrer Reinhard Müller, hat 1996 in der Zeit um Fassnacht, zusammen mit vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, begonnen, Obdachlosen und Bedürftigen eine warme Mahlzeit in der Kirche anzubieten. Dann waren die Türen der Pauluskirche um die Mittagszeit geöffnet. Der Ort, wo sich sonntags die Gemeinde zum Gottesdienst versammelte, wurde ein „Speisesaal“. Die „Vesperkirche“ war entstanden.
Auch im Jahr 2015 werden vom 15. Januar bis 11. Februar die Türen der Pauluskirche geöffnet sein für alle Hungrigen und Bedürftigen.
Maria Hermann blieb sieben Jahre Pfarrerin an der Pauluskirche, dann wechselte sie in die Klinikseelsorge. Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Sorge um die an Leukämie erkrankten Kinder und ihre Eltern. Schwestern, Pfleger und Ärzte suchten das Gespräch mit ihr. Wer allein bei seinen sterbenden Angehörigen war, fand bei Frau Hermann Trost und Begleitung.
Aus dieser Arbeit entstand ein Förderkreis, der seit 1991 das „Maria-Hermann Elternhaus“ in der Eythstraße unterhält. Hier können Eltern und Geschwisterkinder in der Nähe der kleinen Patienten wohnen. Für die vielen Jahre engagierter Arbeit erhielt Maria Hermann 1985 das Bundesverdienstkreuz.
Frau Hermann war eine gefragte Theologin. Sie gab ihr Wissen in theologischen Schriften, Seminaren und Büchern weiter. Ihre Predigten waren Zeugnisse ihres theologischen Wissens, ihrer Einfühlsamkeit und ihrer menschlichen Wärme. Maria Hermann war eine der ersten feministischen Theologinnen. In den Frauengestalten des Alten und Neuen Testaments erkannte sie ihre Vorläuferinnen. Sie sagt: „Es hat keinen Sinn, in allem den Männern nachzustreben“ (siehe: http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Ulm-Neu-Ulm-vor-40-Jahren;art4329,1625620). Sie meint, Frauen sollten sich ihrer eigenen Fähigkeiten und Stärken bewusst werden.
Die Frauengestalten der Bibel waren für Frau Hermann Beispiele eines unabhängigen selbstbewussten Lebenswegs. In ihrer Schrift: „Mache dich auf! Lebenswege in der Bibel“ nennt sie Sara „Die Mutter ganzer Völker“. Dazu schreibt sie: „…ich lerne, daß Frauen für Gott wichtig sind.“ …“Das gibt mir Mut, mich für die Würde von Frauen jeden Alters einzusetzen…“ (Hermann 1991: 11). Die „Vesperkirche“ in Ulm steht, wie ich meine, auch in der Tradition der Reformation. Martin Luther und seine Frau Käthe hielten Tischgemeinschaft nicht nur mit der eigenen Familie. An ihrem Tisch saßen auch Freunde, Studenten und Reisende, und sie gaben Gott ihren Dank. Auch in der Pauluskirche wird vor der Mahlzeit gebetet. Die Gespräche bei Tisch geben Raum, Sorgen zu äußern; und die Alltagsnöte finden ein offenes Ohr und vielleicht Trost für die Seele.
(zum Bild: Buchcover des Buches „Mache Dich auf“)
Frauen wie Maria Hermann verdanken wir, dass die Vorbehalte gegenüber Frauen auf der Kanzel weitgehend verstummt sind. Sie scheinen heute nicht mehr nachvollziehbar. Ohne die Pfarrerinnen würden in unserer Zeit viele Kanzeln der evangelischen Kirche nicht besetzt werden können.
Allerdings habe ich beobachtet, dass in der Freikirche, zu der meine Freundin gehört, nur Männer predigen. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, dass nach der Schrift Frauen nicht berechtigt seien, das Wort Gottes auszulegen, und sie zitiert 1. Korinther 14,34: „…sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden…“.
Ich halte mich an Catherine Booth, die Predigerin der Heilsarmee, die mit ihrer Schrift „Das Recht der Frau zu predigen“ Bibelstellen zitiert, in denen Frauen sehr wohl das Recht haben, Gottes Wort zu verkündigen (vgl. Booth 2000).
Im November 2008 sagte Bischof July In seiner Rede zur Feier „40 Jahre Frauenordination in Württemberg“, im Ulmer Münster: „Der Dienst der Theologin und der Dienst des Theologen sind gleichwertig“. Er erwähnte die Priesterinnen des Alten Testaments und zitierte aus dem Neuen Testament Apostelgeschichte 2,17: „…eure Söhne und Töchter sollen weissagen…“. Er hob hervor, wie wichtig es sei, die positiven Erfahrungen mit ordinierten Theologinnen, die im Dienst der Landeskirche stehen, über die Grenzen hinaus bekannt zu machen.