Maria Weigle

Lehrerin der Heiligen Schrift
Lehrerin der Heiligen Schrift Beate Hofmann
Lebensdaten
von 1893 - bis 1979
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Copyright FrauenWerk Stein
Beziehungen

Maria Weigle gehört zur ersten Generation von Theologinnen in Bayern. Sie wurde am 15. Februar 1893 als rheinische Pfarrerstochter geboren. Durch eine schwere Krankheit als Jugendliche wurde Maria Weigle jahrelang am Schulbesuch gehindert und besuchte erst 23-jährig nach dem Tod der beiden Brüder das Gymnasium, um nach dem Abitur Lehrerin zu werden. Im Studium beschloss sie unter dem Eindruck Adolf Schlatters in Tübingen, sich intensiver der Theologie zu widmen. Nach 3 Jahren Arbeit als Lehrerin in Opladen bekam sie 1926 eine Arbeitsmöglichkeit bei der Evangelischen Reichsfrauenhilfe, wo sie ab 1933 Ausbildungskurse für Bibelarbeit mit Frauen durchführte und 1936 Leiterin der neuen Bibelschule der Reichsfrauenhilfe wurde. 1930 wurde sie in Potsdam als nebenamtlich in einer Gemeinde tätige Vikarin eingesegnet.

Die prägende Beziehung im Leben von Maria Weigle war die Freundschaft zu Antonie Nopitsch , der Gründerin des Bayerischen Mütterdienstes. Kennengelernt haben sich die beiden bei einer von Nopitsch organisierten Tagung für ehrenamtliche Helferinnen der Frauenarbeit im Januar 1936. Obwohl die „Bayerin“ Nopitsch und die „preußische Vikarin“ anfangs große Vorbehalte gegeneinander hatten, verband sie bald eine Freundschaft, die ihr Leben lang halten sollte und dem Mütterdienst die kontinuierliche Mitarbeit von Weigle einbrachte. Unter dem Eindruck der Kriegsereignisse holte Nopitsch Weigle im Frühjahr 1945 nach Bayern und brachte sie in einem Erholungsheim des Mütterdienstes in der Nähe von Nürnberg unter. Weigle stieß dort auf zwei junge, theologisch interessierte Frauen und begann, die beiden zu unterrichten. So legte sie das Fundament für eine neue Bibelschule. Diese Schule, später „Gemeindehelferinnen-Seminar“ genannt, wurde 1946 vom Mütterdienst, der Inneren Mission und dem Jugendwerk gegründet und nahm ihre Arbeit unter der Leitung von Maria Weigle zuerst im Allgäu und dann in Stein bei Nürnberg auf dem Gelände des Bayerischen Mütterdienstes auf.

Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1961 regierte Maria Weigle als strenge, aber auch liebevolle „Ma­triarchin“ ihre Schule. Sie teilte ihr Leben  mit ihren Schülerinnen und wohnte – wie viele Mitarbeiterinnen des Mütterdienstes – auf dem Gelände in Stein. Maria Weigle starb am 28. Juni 1979.

Wirkungsbereich

Von 1946 bis 1961 leitete sie das Gemeindehelferinnenseminar auf dem Gelände des Bayerischen Mütterdienstes in Stein bei Nürnberg. Dort bildete sie Generationen von kirchlich engagierten Frauen aus und prägte ihr Denken und ihren Glauben durch ihre dialogische Bibelexegese und ihre Frömmigkeit.

Maria Weigles Leben ist geprägt von der Leidenschaft für die Bibel und für die Arbeit mit Frauen. Aus dieser Kombination erwuchs eine eigenständige Methode der Bibelarbeit, die Generationen von haupt- und ehrenamtlich in der Kirche tätigen Frauen einen eigenen Zugang zur Grundurkunde des christlichen Glaubens ermöglicht hat.

1938 veröffentlichte Maria Weigle zwei Bücher über ihre Methode der Bibelarbeit. Darin beschreibt sie kurz zusammengefasst, wie eine Bibelarbeit vor sich gehen sollte:

„Der Text wird vorgelesen, die Teilnehmerinnen an der Bibelarbeit lesen ihn ganz in der Stille noch einmal für sich durch und merken sich dabei, was sie nicht verstehen und was sie zum Verständnis des Textes fragen müssen, die Leiterin läßt sich diese Fragen sagen, ergänzt sie und beginnt dann ein Gespräch, indem die Fragen in gemeinsamer Arbeit aus dem Text selbst und aus dem Ganzen der Schrift heraus beantwortet werden. Es wird dabei aller Nachdruck darauf gelegt, daß der Text und, was er sagt, gehört wird, damit er verstanden wird und in das Bewußtsein und in das Gedächtnis der Frauen eingeht, um dort zu seiner Zeit und nach Gottes Willen sein Werk im Leben des Alltags ausrichten zu können.

Was brauchen wir, um eine solche Bibelarbeit tun zu können? Zweierlei: Zunächst einmal ist es nötig, daß wir selbst den Text recht verstanden haben, mehr noch, daß wir von dem, was er sagt, erfaßt sind, so erfaßt, daß es uns brennt, es weiterzusagen und so auch den anderen zum rechten Verständnis des Wortes zu helfen. Zum anderen brauchen wir Liebe zu den Menschen, mit denen wir es in der Bibelarbeit zu tun haben, den offenen Blick für ihre Lage, für ihr Fassungsvermögen und seine Grenze, für ihre Not und für ihre Fragen. Dazu den Willen, so zu reden, daß sie uns verstehen können. Das Wort und die Menschen, die es hören und lesen sollen, – dies beides muß uns am Herzen liegen, muß uns bewegen“ (Weigle 1938: 10).

Das Besondere an dieser Bibelarbeit war nicht die Theologie, die dahinterstand, sondern dass hier die Fragen der Teilnehmenden und damit sie selbst ernstgenommen wurden. Das mäeutische Vorgehen Weigles entsprang nicht so sehr einem methodischen Interesse am Gespräch von Mensch zu Mensch als vielmehr dem Wunsch, „den Menschen ins Gespräch mit dem Wort Gottes zu bringen, damit dieses Wort mit ihm reden könnte“ (Nold in „Briefe an Maria Weigle“, 1953,  S. 1).

Der Theologieprofessor Helmut Gollwitzer sieht die praktisch-theologische Bedeutung von Weigle darin, dass sie als erste eine Methodik für Bibelarbeit entwickelt hat, die diese deutlich von der Predigt und deren monologischer Struktur abhob (Gollwitzer, „Briefe an Maria Weigle“, 1953, S. 13). Die neue Methode verfehlte ihre Wirkung nicht. Viele ehemalige Schülerinnen oder Pfarrfrauen beschreiben, daß Weigle ihnen die Schrift „geöffnet“ habe. Doch Weigles Bedeutung liegt auch darin, dass sie die Frauen ermutigte und durch ihre Form des „Selbst-Lesen-Lernens“ befähigte, diesen Umgang mit biblischen Texten, dieses Hören auf Gottes Wort in Freizeiten und Gemeindekreisen an andere Frauen weiterzugeben. Als Grundlage dienten dabei die Bibelarbeiten Weigles aus den „Laetare“-Arbeitshilfen, die der Bayerische Mütterdienst publizierte.

Reformatorische Impulse

Maria Weigle war eine fromme Frau, durchdrungen von der Aufgabe, sich und anderen die Bibel zu öffnen, darin einseitig, beharrlich und leidenschaftlich. In einem Geleitwort zu ihrem 1979 neu herausgegebenen Buch zur Bibelarbeit mit Frauen schreibt sie rückblickend:

„Daß ich durch die mancherlei Fragen und besonderen Nöte der zwanziger und dreißiger Jahre dazu genötigt wurde, biblische Texte in den verschiedensten Kreisen von Frauen zu erarbeiten und zu besprechen, ist der Reichtum und das große Geschenk meines Lebens geworden. Nie kann ich dafür dankbar genug sein. In der Arbeit hat es sich bewahrheitet, daß wir nur das Wort, so gut und sorgfältig wir es können, weiterzusagen haben und daß Gott dann das Entscheidende dazu tut, sein Wort lebendig und wirksam werden läßt. (…) Ich habe den unerschöpflichen Reichtum des biblischen Wortes erfahren und kann nur wünschen und bitten, daß die Gabe weitergeht und immer neu ihre Fülle öffnet“ (Geleitwort in M. Weigle: Bibelarbeit mit Frauen, 1959, S. 7).

Im Nationalsozialismus hatte die von Weigle entwickelte Methode der Bibelarbeit eine wichtige aufklärerische Funktion:

„Im Dritten Reich haben wir die entsprechenden positiven und negativen Erfahrungen gemacht. Wo durch Bibelarbeit das Urteils- und Unterscheidungsvermögen geweckt und geübt war, verfiel man den nationalsozialistischen Ideen und dem Mißbrauch ‚christlicher Vokabeln’ viel seltener, als wo das nicht geschehen war. Die kirchlichen Frauengruppen, in denen schon seit dem Ende der zwanziger Jahre die Bibelarbeit zum festen Arbeitsprogramm gehört hatte, leisteten bis zuletzt Widerstand gegen den Einbruch des Nationalsozialismus in das kirchliche Leben ihrer Gemeinde, oft genug im Gegensatz zu ihrer kirchlichen Führung“ (Weigle in Nold, Am Leben lernen, 1959, S. 119).

Maria Weigle trat nicht als große Kämpferin für die Rechte der Frau in Kirche und Gesellschaft in Erscheinung. Sie eröffnete ihren Schülerinnen einen neuen Blick auf die Rolle der Frauen in der Bibel und vermittelte ihnen, dass Jesus sie von allen Beschränkungen befreit habe. Den Schritt in die politische Umsetzung überließ sie dann anderen.

Das galt auch für ihre Funktion als Vorsitzende des Verbandes Evangelischer Theologinnen Deutschlands, die sie von 1939 bis 1951 innehatte. In der damals in allen Landeskirchen intensiv geführten Diskussion über die Frauenordination vertrat Maria Weigle die Schaffung eines geistlichen Amtes „sui generis“ für Frauen und nicht die gleichberechtigte Teilhabe am traditionellen geistlichen Amt. Es sollte eigenständig sein, Wortverkündigung und Seelsorge enthalten und den besonderen Gaben der Frau gerecht werden.

Weigle selbst verzichtete 1947 bei ihrem Wechsel in die bayerische Landeskirche auf die weitergehenden geistlichen Rechte (z.B. die Sakramentsverwaltung), die sie in Potsdam innehatte. Ihre Kollegin Christine Bourbeck schreibt dazu:

„Du hast es bei unseren Zusammenkünften gelehrt und hast es in Deinem eigenen Tun bewiesen, daß es zuerst um den Dienst und nicht um den Rang geht“ ( Briefe an Maria Weigle“, 1953. S.6).

Der Dienstgedanke war für Weigle zentral. Für sie war entscheidend, dass sie sich von Jesus in den Dienst gestellt wusste. Dies gab ihr die Freiheit, ihre Gabe in der Kirche zu entfalten, auch ohne Ordination. Obwohl eine solche Haltung das Ringen um die Zulassung der Frau zum geistlichen Amt nicht befördert hat, so wirkte sie doch angesichts der damaligen Diskussionslage befreiend. Bourbeck schildert, dass Weigles „Schritt von der Problematik zum Dienst“ für viele Theologinnen eine große Hilfe gewesen sei (a.a.O.). 

Kommentar

Eine Frau beschließt dreiundzwanzigjährig, das Abitur nachzuholen, studiert 1920 ohne jede Stellenaussicht Theologie, siedelt als „preussische Vikarin“ nach Bayern um und verzichtet dort auf ihre Ordinationsrechte, gründet und leitet eine theologische Ausbildungsstätte für Frauen und erhält schließlich zu ihrem 65. Geburtstag die theologische Ehrendoktorwürde für ihre Bibelauslegung für und mit Frauen – das ist die beeindruckende Karriere der Maria Weigle. Weigle verriet in ihrem Aussehen und Auftreten eine eigenwillige Mischung aus Konvention und Originalität: Sie trug ihre Haare zeitlebens im Knoten, hatte einen Pudel und rauchte, was bei ihren Schülerinnen großes Erstaunen erregte. In ihrer Theologie war sie traditionell, in ihrer Methodik revolutionär und damit eine Türöffnerin zur eigenständigen Lektüre der Bibel für Generationen von evangelischen Frauen.

(Zum Foto: Maria Weigle mit ihren Schülerinnen; Copyright: FrauenWerk Stein)