Zum Bild: Statue Mikael Agricolas, des Ehemannes von Pirjo Olavintytär, vor dem Dom zu Turku. – Copyright: Copyright Dr. Michael Peters Juni 2016
Die historischen Quellen geben über Pirjo Olavintytärs verhältnismäßig langes Leben lediglich fragmentarische Inhalte preis. Wiederholte Stadtbrände an ihrem Wirkungsort Turku haben die alten Kirchenbücher und Schriftwechsel im Domarchiv Turku vernichtet. Pirjo Olavintytärs Name ist allerdings in Zusammenhang mit ihren „Erbbesitztümern“ im Schwedischen Kammerarchiv, Stockholm, unter Nr. 42, im „Lehensregister von Finnland pro anno etc. 1593 und 1594“ in der Rubrik (Akt) „Frauen und andere Frauenvolk-Personen“ nachgewiesen. Fest steht, dass Pirjo Olavintytär als Gemahlin des ersten finnischen Bischofs, „der verehelicht gewesen war“ (Gummerus: 113f.)], eine herausragende gesellschaftliche Position im frühneuzeitlichen Finnland bekleidete. Als Ehefrau des großen finnischen Reformators und Bibelübersetzers sowie finnischen Sprachschöpfers Mikael Agricola (um 1507-1557) – ihren Geburtsnamen nach altem schwedisch-finnischen Namensrecht beibehaltend –, nahm Pirjo Olavintytär zudem eine besonders ranghohe „soziale Stellung“ in Finnland ein. Ob eventuell zwischen den beiden Ehepartnern Pirjo Olavintytär und Mikael Olavinpoika, wie sich Mikael Agricola eigentlich nannte, eine weit entfernte Verwandtschaftsbeziehung bestand? Ihr Ehemann Mikael Agricola war um das Jahr 1507 in Torsby bei Pernaja an der alten Königstraße von Turku nach Viipuri (Wyborg) als Sohn des Großbauern Olof Simonsson geboren und in der dem Heiligen Michael geweihten alten Feldsteinkirche von Pernaja getauft worden. Kannte das alte Finnland als einzige größere Städte lediglich die Bischofssitze Turku und Viipuri. Turku bildete das einzige Erzbistum Finnlands, das dem Erzbistum Uppsala unterstand. Zum weiteren Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass Finnland seitens Schwedens (kirchen)politisch dominiert wurde. Denn der schwedische König Eerik Pyhä – Erich der Heilige – hatte um das Jahr 1155 vom Bischofssitz Uppsala aus große Teile Südwestfinnlands in einem Kreuzzug erobert. Um das Jahr 1525 – als in Turku erste reformatorische Impulse an das Tageslicht gelangten – höchstwahrscheinlich in Südwestfinnland geboren, hat Pirjo Olavintytär bei Jahresbeginn 1550 Mikael Agricola geehelicht – „Vuonna 1550 Agricola meni naimisiin Birgitta Olavintyttären kanssa“ –, und sie hatten einen am 11. Dezember 1550 geborenen Sohn Kristian († 19.2.1586 in Reval).
Pirjo Olavintytärs Ehemann Mikael Agricola war zuerst Schulrektor in Turku und vermutlich Kirchenschreiber 1539-1548, sodann Domkirchengeistlicher („kaniikki“) von 1539 bis 1554, und von 1554 bis 1557 Bischof von Turku (vgl. Paarma: 447). Mikael Agricola war Schüler Luthers und Melanchthons und war am 11. Februar 1539 an der Universität Wittenberg zum Magister promoviert worden. Wie Katharina von Bora (vgl. Stjerna: 67) war auch Pirjo Olavintytär mit einem religiösen „Weitblick“ beschenkt. Deshalb steht außer Zweifel, dass Pirjo Olavintytär als „Erste Kirchenfrau“ Finnlands ihren Ehemann, später ihren Sohn Kristian Agricola, welcher im Jahre 1583 in Uppsala zum Bischof von Reval (Tallin) geweiht worden war, als auch nach Mikael Agricolas Tod 1557 ihren zweiten Ehemann, Magister Henricus Jacobi, (seit 1559) expressis verbis in kirchlichen Belangen unterstützt hat. Auf seiner letzten Reise im Winter 1556/1557 anlässlich einer vom schwedischen König Gustav Wasa „angestrengten“ „Friedensmission“ aber hat Pirjo Olavintytär ihren Ehemann nicht mehr begleiten können. Denn bei der außerordentlich anstrengenden Winterreise war Mikael Agricola auf dem Rückweg am 9. April 1557 den stark zehrenden Reisestrapazen erlegen. Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes Mikael Agricola 1557 hat Pirjo Olavintytär zum zweiten Mal geheiratet, und zwar im Jahre 1559 den „Kirchenmann“ und „angehenden“ Schulrektor in Turku Henricus Jacobi. Sie führten eine fast fünfundzwanzigjährige Ehe. Henricus Jacobi starb wahrscheinlich 1582, auf jeden Fall vor dem 11. September 1584. Er war seit 5.1.1554 an der Universität Wittenberg immatrikuliert und war zudem 1557 an der Universität Jena „eingeschrieben“. Jacobi war seit 18. Mai 1559 Schulrektor in Turku und dann „Kirchenherr“ an der Domkirche vom 18. September 1562 bis 20. Mai 1581 (vgl. Paarma: 451). Der dem Katholizismus verbundene schwedische König Johann III. hatte Jacobi aus seinem Kirchenamt entlassen, weil Jacobi, vermutlich darin bestärkt von seiner Gemahlin Pirjo Olavintytär, die neue königliche Gottesdienstordnung – das sogenannte Rote Buch [niin sanottua Punaista kirjaa] – ablehnte (zum Widerstand Jacobis gegen die neue königliche Liturgie König Johanns III. vgl. O. und S. Nikula: 572). Der zum zweiten Mal verwitweten Pirjo Olavintytär wurde eine Rente zugestanden, die sie aber erst 1593-1594 erhielt, als sie sehr „alt und mittellos“ geworden war. Pirjo Olavintytärs Rente bemaß sich vor allem auch nach den Reichtümern und Gütern ihres verstorbenen ersten Ehegatten Mikael Agricola. Die Rente richtete sich an 24 Tonnen Getreide, an 44 Talern und 24 Öre Geld jährlich aus. Mutmaßt gleichsam der finnische Historiker Tarkiainen, daß Mikael Agricola kein geringerer Mann als Gustav Wasa war – „joka ei ollut vähempi mies kuin kuningas Kustaa Vaasa“ (Tarkiainen: 102). Beim Tode Mikael Agricolas war Pirjo Olavintytär auch Eigentümerin von zwei Gütern im Kirchdorf Rusko etwa zehn Kilometer nördlich von Turku, die namentlich Lukkarla und Keskikylä hießen und die König Gustav Wasa seinem Bischof Mikael Agricola vor dessen Tode geschenkt hatte. Möglicherweise gehörte der Bischofswitwe auch noch ein Gut in Skattegård bei Torsby. Pirjo Olavintytär verstarb um das Jahr 1595. Bevor später „Schweden mit dem Luthertum als Staatskirche eine unauflösliche Allianz eingegangen“ (Esther Wipfler) war, ist Pirjo Olavintytär der im Rahmen der versuchten Rekatholisierung Schwedens aufflammenden konfessionellen Konfrontationen noch „gewärtig“ geworden.
Wir möchten nicht unerwähnt lassen, dass der Hauptwirkungsort der Bischofs-Ehefrau Pirjo Olavintytär, die alte Domstadt Turku, politisch bereits seit dem 14. Jahrhundert von deutschstämmigen Bürgern im Stadtrat von Turku – ähnlich wie in Viipuri – bestimmt worden war. Zu Lebzeiten Pirjo Olavintytärs war die deutschstämmige Dominanz im Stadtrat von Turku allerdings nicht mehr vorhanden, wie uns etwa eine zweibändige Stadtgeschichte von Turku mitteilt. Wir möchten noch erwähnen, dass in Turku „Schwedisches Stadtrecht“, das sogenannte „Björköer Stadtrecht“, benannt nach dem alten Handelsplatz „Birka“, galt, nicht das lübische Stadtrecht (vgl. Paloposki: 29). Nach lübischem Stadtrecht, das etwa auch in Reval gültig war, hatte die „Geschlechtsvormundschaft“ der Frau bis zum Jahre 1869 gegolten (vgl. Ennen: 147].
Die Reformation in den skandinavischen Ländern hatte den „Pastorenfrauen“ eine sichtbare und sozial akzeptable Rolle in der evangelischen Amtskirche eingeräumt (vgl. Stjerna: 37). Wiederholt sind auch Frauen während der Reformationszeit „mit Meisterschaft und Brillanz in die religiösen Streitigkeiten ihrer Zeit eingetaucht“, teils „im Sinne einer reformierten Befreiung der Frauen“ (Graesslé: 27). Über die Rolle der Frau in der finnischen Gesellschaft gibt es mehrere respektable Veröffentlichungen. Die finnische Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Kaari Marjatta Utrio (geb. 1942) hat bereits 1984 ihr Buch „Evas Töchter. Die weibliche Seite der Geschichte“ – „Eevan tyttäret: Eurooppalaisen naisen, lapsen ja perheen historia“ – veröffentlicht, das schon 1994 in siebter Auflage erschien und auch ins Deutsche übersetzt wurde (1991). Wir möchten im folgenden einige Gedanken zur Rolle der Frau im frühneuzeitlichen Finnland beisteuern. Bereits im Spätmittelalter hatte im Jahre 1316 der sogenannte „Karelische Frauenfrieden“ – ein Landfriede für Frauen – die besonderen Schutzrechte für Frauen festgeschrieben. Genannt waren in der lateinisch geschriebenen Urkunde Witwen, Nonnen und Jungfrauen – „leskiä, nunnia tai neitsyitä“. In Yninge von König Birger Magnusson am 1. Oktober 1316 erlassen, sollte der „Frauenfrieden“ vor Gewalt schützen. Kein Geringerer als Zar Alexander I. († 1825) hat später diese Rechte bestätigt. Ungeachtet dessen sah „Das osteuropäische System“, zu dem auch Finnland zählte, „keine Unverheirateten vor“. Ein Grundbesitzer konnte etwa einen Bauern bestrafen, welcher „erwachsene unverheiratete Töchter besaß“ (Utrio 1991: 112). In Finnland heirateten „praktisch alle Menschen“. Die Frau bildete in Finnland wie in Rußland gleichsam den Familienmittelpunkt: „Wem Gott ein tugendsam Weib beschert, die ist viel edler denn das köstlichste Edelgestein, sie wird ihres guten Gewinns nicht ledig werden… Sie ist wie ein Kaufmannsschiff, das seinen Reichtum von ferne bringt“. Ebenfalls im Spätmittelalter hatte die „Heilige Birgitta von Schweden“ vielen Frauen als „Vorbildfunktion“ eines gottgeweihten Lebens gedient ( vgl. Stjerna: 13). So galt auch das Birgittinenkloster in Naantali (gegründet 1438) als bahnbrechende „offizielle Kulturinstitution für Frauen“. Heute gibt es in unserer vollends säkularisierten Welt eine weibliche „Rückbesinnung“ vor allem auf die protestantischen „Klosterwelten“ (vgl. dazu Bingener: 3).
Bereits zu Zeiten der Kindheit von Pirjo Olavintytär begann sich die Reformation in Turku Bahn zu brechen. Bis zum Jahre 1540 war das „päpstliche Öl“ – paavillinen öljy – aus der Domkirche von Turku verschwunden. Der schwedische König Gustav I. Wasa († 1560) hatte die Reformation in Schweden-Finnland zu einer Art „Chefsache“ erklärt, doch war vor allem Mikael Agricola – vermutlich darin erheblich bestärkt von seiner Ehefrau Pirjo Olavintytär – bei der Einführung der neuen Religionslehre mit umsichtiger und besonders vorsichtiger Hand verfahren. Auch Martin Luther hatte sich in einem vom 14. März 1528 datierten Schreiben für die „Beibehaltung der Messe und Meßgewänder“ sowie „des Bilderschmucks im Gotteshause“ ausgesprochen und den denkwürdigen Satz formuliert: „Summa, nullos magis odi, quam eos, qui… necessitatem ex libertate faciunt“ (kurzum, Niemanden hasse ich mehr, als diejenigen, welche Freiheit in Zwang verwandeln)! Später hat auch Pirjo Olavintytär ihrem zweiten Ehemann, Henricus Jacobi, den Rücken gestärkt, als im Gefolge seiner Rekatholisierungsmaßnahmen der schwedische König Johann III. 1581 im Begriff stand, die neue königliche Gottesdienstordnung zu erlassen.
Pirjo Olavintytär war eine selbstbewußte und in biblischer Demut lebende Frau. Sie hat maßgeblich die theologische Arbeit ihres Ehemannes Mikael Agricola, ihres Sohnes und Theologen Kristian Agricola, welcher von 1578 bis 1583 Schulmeister in Turku war, am 12.5.1584 geadelt wurde und in Reval am 19.2.1586 starb, sowie ihres zweiten Gemahls Henricus Jacobi inhaltlich bereichert und unterstützt. In der Frage der Einführung der neuen evangelisch-lutherischen Lehre in Turku und darüber hinaus wirkte Olavintytär mit behutsamer Hand an der Seite ihres Ehemannes Mikael Agricola. Pirjo Olavintytär stand bereits wie ihr Ehegemahl, der in Wittenberg den das Kopernikanische, heliozentrische Weltsystem verbreitenden Magister Georg Joachim Rheticus gehört hatte, der sich seit etwa 1540 durchsetzenden neuen astronomischen Lehre nahe (vgl. Burmeister: 59). In ihrer zweiten Lebenshälfte stellte sich Pirjo Olavintytär der Rekatholisierungsmaßnahmen einleitenden schwedischen Krone ablehnend gegenüber.