Sophie-Charlotte zu Stolberg-Wernigerode, geb. Gräfin zu Leiningen-Westerburg, gilt neben ihrem Ehemann Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode (1691-1771) als eine der wichtigsten Begründerinnen des Pietismus in ihrer Grafschaft. Geboren am 22. Februar 1695 und nach einer von Verlusten und Trennungen geprägten Kindheit heiratete sie den, im Sinne des Pietismus erzogenen, jungen Grafen im Jahre 1712 und begleitete ihn nach der Hochzeit nach Wernigerode. Dort baute sich das junge Paar seinen ständigen Regierungssitz aus und machte die Grafschaft Wernigerode zu einem der wichtigsten pietistischen Zentren des 18. Jahrhunderts.
Sophie-Charlotte, die in ihrer Kindheit ebenfalls pietistisches Gedankengut vermittelt bekommen hatte, verkehrte nicht nur mit den einflussreichsten Adelshäusern dieser Zeit, wie zum Beispiel der preußischen oder dänischen Königsfamilie. Sie hatte unter anderem intensiven Kontakt zu den Adelsgeschlechtern Sachsen-Coburg, Reuß-Köstritz oder Solms-Laubach sowie Castell-Remlingen oder Anhalt-Köthen. Ebenso korrespondierte sie mit den bekanntesten Vertretern und Vertreterinnen des Pietismus in ihrer Zeit. Um die Frömmigkeitsbewegung in ihrer Grafschaft einzuführen und zu manifestieren, holte die Gräfin sich zusammen mit ihrem Mann nach Regierungsantritt 1714 geeignete Lehrer und Theologen an ihren Hof und in die Grafschaft. Erste Kontakte, die zur Durchführung des Vorhabens von Bedeutung waren, knüpfte das Paar nach Halle. Dort lebte und wirkte einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Frömmigkeitsbewegung – August Hermann Francke (1663-1727). Nachdem erste Verbindungen geschaffen waren, intensivierte sich die Kommunikation mit Halle recht schnell und es kam zu einem regen Austausch zwischen der Grafenfamilie und Francke sowie seinen Anhängern, die weit über Halle hinaus verstreut lebten. Die Beziehungen wurden genutzt, um sich zur gegenseitigen Erbauung Bücher, musikalische Kompositionen und Predigten zu schicken, oder sich, wenn es möglich war, persönlich in Wernigerode oder Halle auszutauschen. Sophie-Charlotte informierte sich regelmäßig über die neuesten Entwicklungen in der Gewinnung neuer Pietisten, d.h. der „Erweiterung des Reichs Gottes“ und tauschte ihre Gedanken rund um den Pietismus und seine Frömmigkeitspraxis mit ihren Korrespondenzpartnern, wie z. B. Johann Siegmund Ulitsch (1702-1762), Johann August Seydlitz (1704-1751), Anton Heinrich Wallbaum (1696-1753) oder später Gotthilf August Francke (1696-1769) aus. Dazu verschickte die Gräfin eigens niedergeschriebenes Gedankengut, das sie immer wieder nach dem Anhören von Predigten oder nach markanten Lebensereignissen, wie Geburt, Hochzeit oder Tod verfasste, um es mit den Briefpartnern zu besprechen. Im Gegenzug ließ sie sich vor allem Gedichte, Aufsätze, Predigten oder auch Leichenpredigten zusenden.
Eine entscheidende Begegnung erfuhr die Gräfin am Ende der 1720er Jahre mit dem pietistisch geprägten Theologen Johann Liborius Zimmermann (1702-1734), der im Zuge der aktiven Frömmigkeitsarbeit des Paares in der Grafschaft für einige Aufenthalte gewonnen werden konnte. Er war gebürtiger Wernigeröder und kam während seiner Studienzeit in Jena intensiv mit den pietistischen Lehren in Kontakt. Seine Predigten in der Schlosskirche und die darauf folgenden Gespräche mit der jungen Gräfin führten dazu, dass Sophie-Charlotte sich ein Stück weit von ihrer offensichtlichen Last befreien konnte, die sie seit ihrer Kindheit verspürte. Nicht nur einmal hatte sie sich die Frage gestellt, wie man eine fromme, sittsame und bescheidene Pietistin sein könne und trotzdem gleichzeitig auch eine gute Landesmutter. Der Prediger riet ihr, an die Liebe Gottes zu glauben und sich ihm als Wegweiser hinzugeben. Diese Worte lösten schließlich bei ihr in der „stürmischen Nacht“ des 10. September 1728 im sogenannten Sophienhof in Ilsenburg die ersehnte Erweckung als einen der wichtigsten Ereignisse im Leben eines Pietisten oder einer Pietistin aus.
Die wohl wichtigste Beziehung, die zur Durchsetzung der Ziele der Gräfin von Bedeutung war, war die zu ihrem Mann. Durch eine „Arbeitsteilung“ des Ehepaares, gelang es ihnen, das „Reich Gottes“ in ihrer Grafschaft zu erweitern – also den Pietismus durch herrschaftliche Direktive einzuführen und zu manifestieren. Beide sahen darin das oberste Ziel ihrer Herrschaft als bekennende Pietisten an. Daneben fungierten weitere Familienmitglieder, wie der von 12 Kindern einzig überlebende Sohn Heinrich-Ernst und die drei Töchter Louise Christiane (1713-1796), Ferdinande Adriane (1718- 1787) sowie Christine Eleonore (1723-1786) ebenso als „Werkzeuge Gottes“, um die Frömmigkeitsbewegung weiter zu festigen.
Da Sophie-Charlotte ebenso wie ihr Mann nicht nur an der „inneren Missionierung“ der Grafschaft interessiert waren, pflegten sie Beziehungen zu den Missionaren, die durch die Initiative Halles oder Dänemarks nach Nordamerika oder Ostindien ausgesendet wurden, um dort den Pietismus zu verbreiten. Durch die Ordination und Vokation einiger Missionare in Wernigerode wurde das Grafenpaar persönlich mit ihnen bekannt gemacht. Es folgten zahlreiche Briefe und Berichte, aber auch Geschenke an Sophie-Charlotte und Christian Ernst aus der Ferne, die den Erfolg der „äußeren“ Mission widerspiegeln sollten.
Möchte man sowohl den Weg der Gräfin in die Grafschaft, als auch ihr pietistisches Wirken betrachten, so ist dies bis heute nur schwer möglich. Trotz der Bedeutung dieser Frau für den Pietismus im 18. Jahrhundert, ist ihre Biografie bis heute nur sehr lückenhaft überliefert. Eine Partizipation der Gräfin an der Regierung ihres Mannes und vor allen Dingen an der pietistischen Prägung der Grafschaft kann jedoch eindeutig nachgewiesen werden. Das Wirken der Gräfin war stark von ihrer Kindheit geprägt. Sophie-Charlotte wurde am 22. Februar 1695 in Wetzlar geboren, wo sie zusammen mit ihrem Bruder aufwuchs. Ihr Vater Johann Anton zu Leiningen-Westerburg (1655-1698) bekleidete dort das Amt des Präsidenten des Reichskammergerichts. Er starb, als Sophie-Charlotte erst das vierte Lebensjahr erreicht hatte. Die gräfliche Mutter und Witwe Christiane Luise von Sayn-Wittgenstein-Vallendar (1673-1745) hatte sehr mit diesem Verlust zu kämpfen und zog sich nach dem Tod des Ehemannes aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Sie begann, sich stärker mit ihrem Glauben und speziell mit der Begnadigung vor Gott auseinanderzusetzen. Sie vertrat dabei die Meinung, dass man jene in ihrem hochadligen Stand, mit seinen herrschaftlichen und repräsentativen Aufgaben, nicht erreichen könne. Ihr damaliger Hofprediger Jakob Bierbrauer bestärkte sie jedoch in dem Glauben, dass „Begnadigung an keinen Stand gebunden sei“. Eine Thematik, die sich später in Sophie-Charlottes Lebensbeschreibungen immer wieder findet und das Handeln der Gräfin in vielen Dingen geprägt hat. Die pietistische Gräfin befand sich ständig in einem inneren Kampf zwischen ihrer repräsentativen Stellung als Landesmutter und ihrem frommen Leben als Pietistin. Dies bewog sie wohl auch zum Teil zu einem bescheidenen Leben am Hof und einem stark ausgeprägten caritativen Engagement.
Christiane Luise ging schließlich die Ehe mit ihrem Hofprediger ein, jedoch ohne die Zustimmung der Vormünder ihrer Kinder, die für Sophie-Charlotte und vor allem für den Sohn eine standesgemäße Erziehung forderten. Nach langer Diskussion entließ Christiane Luise den Sohn schließlich aus ihrer Obhut. Da sie jedoch ein sehr enges Verhältnis zu Sophie-Charlotte besaß und ihre Tochter nicht auch noch weggeben wollte, ging sie auf Wunsch ihres Mannes mit ihm und Sophie-Charlotte nach Emmerich an der holländischen Grenze. Die junge Gräfin genoss in dieser Zeit eine Ausbildung durch ihren Stiefvater, die unter anderem auch die Unterrichtung der Fächer Mathematik und Chemie beinhaltete. Diese Phase ihres Lebens war von der Bescheidenheit eines kleinbürgerlichen und weltlichen Lebens geprägt – ein Aspekt, der ebenso ihr späteres Wirken als Gräfin beeinflusst haben könnte.
Nachdem die junge Sophie-Charlotte einige Jahre in Emmerich verlebt hatte, trennten die Vormünder Sophie-Charlotte letztlich doch von ihrer Mutter, um sie für eine „standesgemäße“ Erziehung nach Frankfurt zu holen. Dort lebte sie zwar ihrem Stand entsprechend, zog sich jedoch stark vom Hofleben zurück. Es wurde ihr ein „seperatistisch-pietistischer Sinn“ nachgesagt und ihre Vormünder bemühten sich nicht, wie vorher angedacht, um die Erziehung der jungen Gräfin. Die Obervormundschaft für Sophie-Charlotte übernahm Graf Ludwig Christian zu Stolberg-Gedern (1652-1710), der Vater ihres späteren Ehemanns. Der Graf weigerte sich wohl auch aufgrund des Rufes der jungen Frau, Sophie-Charlotte nach Gedern an seinen Hof zu holen. Er vermutete höchstwahrscheinlich einen schlechten Einfluss der Gräfin auf seine Kinder. Eine Hofdame brachte das junge Mädchen im Jahre 1708 trotzdem mit an den Hof in Gedern, wo sie entgegen aller Bedenken aufgenommen wurde. Die junge Gräfin lebte sich schnell ein, besaß aber Probleme damit, dass sie von allen als Pietistin bezeichnet wurde. In später verfassten Lebensbeschreibungen äußerte sie dazu, dass sie sich ihrem Glauben und ihrem Stand zu dieser Zeit noch nicht recht bewusst gewesen sei.
Als Sophie-Charlotte einige Zeit am Hof verlebt hatte, verlobte sie sich, vermutlich auf Initiative der zukünftigen Schwiegermutter, mit Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode. Das Paar heiratete am 31. März 1712. Kurz darauf folgte die 15-jährige Gräfin ihrem Mann nach Wernigerode, nachdem der Graf mit Beendigung der Renovierung des Schlosses dort seinen ständigen Regierungssitz von Ilsenburg aus hin verlegt hatte. Daraus ergibt sich, dass Sophie-Charlotte nicht, wie bisher angenommen, von ihrer Schwiegermutter und wegen ihrer guten pietistischen Erziehung nach Gedern geholt worden war. Sophie-Charlotte wurde zwar früh durch ihre Eltern und später auch in Frankfurt mit dem Pietismus vertraut gemacht, sie bildete aber erst im Umfeld des gederischen und später des wernigerödischen Hofes, wohl auch in starker Verbindung mit ihrem Mann, ihren Glauben aus und trug ihn in die Grafschaft weiter.
Mit der „inneren“ Missionierung begonnen wurde zunächst in der Familie. Eines der wichtigsten Anliegen der jungen Gräfin und des Grafen war dafür die Einsetzung geeigneter Lehrer für ihre Kinder, allen voran für Heinrich-Ernst zu Stolberg-Wernigerode. Ein Theologiestudent aus Halle sollte ihren Sohn nicht nur „zum göttlichen Wort“ bringen, sondern ihn auch Lesen und Schreiben sowie Latein lehren. Daran lässt sich erkennen, nach welchen Maßstäben die beiden schon die Fundamente eines pietistischen Lebens in ihren Kindern zu setzen vermochten. Dabei passierte es immer wieder, dass Theologen auf dem Schloss in Wernigerode predigten.
Mit 33 Jahren erfuhr Sophie-Charlotte ihre Erweckung – ein Schritt, der von entscheidender Bedeutung für ihr weiteres Leben und Handeln war und auch ihr Wirken als Mutter und Gräfin beeinflusste. Sie nutzte ihren nun gefestigten Glauben dafür, um sich in ihrer Stellung für ihre Grafschaft zu engagieren und beispielsweise geeignete Prediger und Lehrer auch für die Gemeinden der Grafschaft Wernigerode zu empfehlen. Somit nahm sie aktiv an der Personalpolitik ihres Mannes teil. Zeitgenossen beschreiben sie sogar als eigentliche Impulsgeberin zum Austausch von ungeeignetem Personal in Stadt und Land. Ebenso besuchte die Gräfin neben ihrem Mann aktiv die Konferenzen auf dem Schloss, die regelmäßig an christlichen Feiertagen dort stattfanden und in denen Pietisten aus der Grafschaft sowie von außerhalb zusammenkamen, um sich gegenseitig zu erbauen und über den Fortschritt in der „Erweiterung des Reichs Gottes“ zu berichten. Zudem forcierte womöglich Sophie-Charlotte den Bau eines neuen und größeren Waisenhauses in der Grafschaft. Denn sie reiste nach Halle, um das dortigen Waisenhaus zu besichtigen und sich Impressionen zu holen. Zusammen mit ihrem Mann förderte sie die Stiftung des Waisen- sowie Armenhauses und unterstützte ihn in diesem Punkt aktiv in seiner Sozialpolitik.
Die Konsolidierung des Glaubens in und um Wernigerode wurde nochmals durch den Kontakt Sophie-Charlottes sowie einem Großteil der Grafenfamilie nach Halle intensiviert, nach dem August Hermann Franckes im Jahre 1727 verstorben war. Denn nunmehr begann eine lange und nachhaltige Korrespondenz der Gräfin und anderer Familienmitglieder mit dessen Sohn Gotthilf August Francke (1696-1769). Zusätzlich festigte Christian Ernst die Beziehung, indem er ihm versichert, dass er dem Nachfolger genauso viel Vertrauen entgegenbringen würde wie seinem Vater zuvor. Eine gute Beziehung der beiden sei wichtig, um die „Vermehrung des Reichs Gottes“ weiter voranzutreiben. Es lägen immer noch viele Orte und Familien im Argen, was bei ihm „zuhause“ vorher auch noch der Fall gewesen sei. Diese Worte des Grafen deuten an, was er als Hauptbestandteil der Arbeit des Paares ansah: Das Reich Gottes sollte nicht nur in der Grafschaft, innerhalb Europas, sondern auch auf anderen Kontinenten vorangetrieben werden.
Eine wichtige Zusammenarbeit zwischen dem pietistischen König in Dänemark, dem pietistischen Grafenpaar in Wernigerode und einem wichtigen Wirkungsort der Pietisten in Halle bezog sich auf die „äußere“ Mission. Unter anderem erfolgte die „Ordination und Vokation“ vieler hallescher Missionare durch das Konsistorium in Wernigerode. Das Paar unterstützte so aktiv die Mission und nahm sehr gerne persönlich an der entsprechenden Einführung eines Missionars teil. Zu bemerken ist, dass Sophie-Charlotte als wohl ebenbürtige Vertreterin ihres Mannes dessen Amtsgeschäfte auch während seiner Abwesenheit weiterführte und unter anderem selbst die Einführung neuer Missionare veranlasste und daran aktiv teilnahm. Des Weiteren war die Gräfin auch hier in die Sozialpolitik ihres Mannes einbezogen. Sie kümmerte sich um die Verwaltung der Spenden, die für die Mission, unter anderem in Wernigerode, gesammelt wurden, denn auch ihr war es wichtig, die Mission voranzutreiben und zu unterstützen, was sie im Briefwechsel mit Gotthilf August Francke stets betonte.
Es lässt sich schließlich festhalten, dass sowohl die Handlungen und Erfolge in der „inneren“ als auch in der „äußeren“ Missionierung durch das Wirken der Gräfin Sophie-Charlotte zu Stolberg-Wernigerode entscheidend mitgestaltet und erreicht worden sind.
Der Pietismus zählt zu den bedeutendsten religiösen Reformbewegungen nach der Reformation. Durch seine weitreichende räumliche und zeitliche Ausdehnung entwickelte er sich im 17. und 18. Jahrhundert zu einer populären Bewegung in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Ziel war es, eine Weiterführung der Reformation der Lehre durch eine „Reformation“ des Lebens zu erreichen. Im Vordergrund stand auf der einen Seite die Forderung nach einer Erneuerung des Frömmigkeitslebens. Auf der anderen Seite intensivierten sich vor allem die Bußpraxis sowie die religiöse Selbstbeobachtung. Damit sollte eine innere und äußere Bekehrung der Christen erreicht werden. Ausgehend vom deutschen Protestantismus strahlte der Pietismus in weite Teile des protestantischen Europa und auch darüber hinaus aus.
Viele namenhafte Vertreter des Pietismus, wie beispielsweise August Hermann Francke bezogen dabei auch eine Position zu Frauen und ihrer Rolle in der Bewegung. Die Aussage, dass „Gott besonders zu den Herzen von Frauen reden könne“ spiegelt dabei in vielerlei Hinsicht die Auffassung Franckes über das weibliche Geschlecht im Pietismus wider. Sie gibt Anhaltspunkte, dass Frauen gerade im Pietismus mehr Anerkennung und Handlungsspielraum erreichen konnten. Unter dieser Prämisse könnten demnach auch die reformatorisch-pietistischen Impulse der Gräfin Sophie-Charlotte zu Stolberg-Wernigerode betrachtet werden. Neben einer von ihr maßgeblich mitgestalteten „inneren“ Missionierung, engagierte sie sich ebenso an einer „äußeren“ Missionierung im Sinne des Pietismus. Sie setzte pietistische Lehrer für ihre Kinder ein, hielt intensiven Kontakt zu den einflussreichsten Pietisten ihrer Zeit und veranstaltete Konferenzen und Konventikel auf dem Schloss, um über die Entwicklung des Pietismus zu sprechen. Somit nutzte sie ihre Stellung als regierende Landesmutter, um auch eigene Vorstellungen von Religiosität und Frömmigkeitspraxis zu verbreiten und zu konsolidieren. Dabei bediente sich Sophie-Charlotte der caritativen und missionarischen Arbeit und baute das Waisenhaus in Wernigerode aus oder sammelte Spenden für die hallesche Mission. Die „Vokation und Ordination“ von Missionaren wurde bei Abwesenheit ihres Mannes gleichberechtigt von ihr veranlasst und betreut. Außerdem pflegte sie ihr über viele Jahre aufgebautes Netzwerk zu adligen und bürgerlichen Pietisten und nahm so aufmerksam am pietistischen Diskurs ihrer Zeit teil. Viel mehr noch war sie, wie ihr Mann und ihr Sohn, bis zu ihrem Tod 10. Dezember 1762 ein Teil davon.
Insgesamt schuf sich die Gräfin in ihrer adligen Stellung und als streng gläubige Pietistin neue Handlungsräume, die für hochadlige Frauen dieser Zeit nicht selbstverständlich waren. Nicht zuletzt war es das gemeinsame Ziel des Grafenpaares, die Konsolidierung des pietistischen Glaubens innerhalb und außerhalb der Grafschaft, die es der Gräfin ermöglichten, ihre Kompetenzen auszudehnen und erfolgreich zu nutzen.
Obwohl Sophie-Charlotte zu Stolberg-Wernigerode eine der einflussreichsten Pietistinnen ihrer Zeit war und sie als wichtige Mitbegründerin eines herrschaftlichen Pietismus in Wernigerode angesehen werden muss, existieren zu ihr bis heute nur sehr wenige bis gar keine Forschungen. Es ist vielmehr ihr Mann Christian- Ernst, der als Begründer eines Pietismus „von oben“ in seiner Grafschaft Erwähnung findet. Doch es waren die beiden gemeinsam, die ihren Glauben in Wernigerode einführen und konsolidieren wollten. Im Sinne Heide Wunders kann das Grafenpaar also auch als „Arbeitspaar“ im hochadligen Kontext angesehen werden. Jeder besaß verschiedene Partizipations- und Handlungsmöglichkeiten, um den Pietismus in sich selbst, in ihrer Familie und letztlich auch innerhalb und außerhalb der Grafschaft zu verbreiten. Die Wege, die Sophie-Charlotte dabei nutzte, waren vielfältig und nachhaltig. Sie partizipierte an der Personal-, Bildungs- oder Sozialpolitik ihres Mannes sowie an dessen Außenpolitik. Sie sah sich als „Werkzeug Gottes“ an, dessen Aufgabe es in ihrem Stand als regierende Gräfin nur sein konnte, den Pietismus weiter zu manifestieren. Leiten ließ sie sich dabei offensichtlich durch ihren festen Glauben an die pietistischen Lehren und die damit verbundene Frömmigkeitspraxis.
Nicht nur aus diesem Grund ist es notwendig, Sophie-Charlotte und ihre Leistungen für den Pietismus und als hochadlige Gräfin näher zu beleuchten. Die Landesmutter steht beispielhaft für die Räume, die eine hochadlige Frau in ihrer Zeit über den Glauben schaffen und nutzen konnte.