Sybille Schwarz

Talentierte Dichterin und fromme Tochter
Talentierte Dichterin und fromme Tochter Miroslawa Czarnecka
Lebensdaten
von 1621 - bis 1638
Unter weiteren Namen bekannt als:
Sybilla Schwarzin, die Schwartzin, Sibyllae Schwartzen, Sibyllae Schwarzern
Sibylla_Schwarz_Bild.jpg
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Beziehungen

Sybille Schwarz, geboren am 14. Februar 1621, stammte aus einer bekannten und vermögenden Patrizierfamilie der Stadt Greifswald, in der Handelsmänner und Gelehrte seit zwei Generationen im Stadtrat agierten. Ihr Vater Christian Schwarz (1581-1648), Sohn eines erfolgsreichen Kaufmanns und einer Bürgermeisterstochter, studierte Jura in Greifswald, Helmstedt und Jena und wurde 1603 Doktor der Rechte. Er war Stadtrat sowie geheimer fürstlicher Rat des Herzogs Bogislaws XIV in Stettin, seit 1631 Bürgermeister von Greifswald. Ihre Mutter Regina Völschow (1582-1630), die Tochter eines Greifswalder Ratsherrn und einer Professorentochter, war Witwe des Greifswalder Bürgermeisters Jochen Brunnemann. In der Ehe mit Christian Schwarz (1606) gebar sie 7 Kinder, wovon 1 Sohn frühzeitig verstarb. Sybille, das jüngste Kind, hatte zwei Schwestern: Regina (1607-1680), in der zweiten Ehe verheiratet mit dem Pastor an der Greifswalder Nicolaikirche Barthold von Krakevitz, und Emerentia (1617-1690), die nach dem Tod des ersten Ehemanns Hermann Queren, Professor für Beredsamkeit der Universität Greifswald, Peter Kirchain, den Greifswalder Professor der Rechte heiratete. Daneben hatte Sybille zwei Brüder sowie einen Halbbrüder: Christian (gest. 1679), der nach dem Studium in Holland und Frankreich Doktor der Rechte, Ratsherr und Bürgermeister in Stralsund wurde und 1671 – geadelt mit dem Namen von Schwarzern – die Landratswürde erhielt. Der zweite lebende Bruder war Joachim (1612-1660), der eine Kaufmannslaufbahn einschlug. Der Halbbruder Peter konnte dank der  Unterstützung des Stiefvaters in Holland studieren.

Über den Bildungsweg der Dichterin lässt sich feststellen, dass sie weit über das Elementarschulniveau gebildet war, denn sie las antike Literatur, etwa Mythologie, die Werke Ovids und Homers, war mit den barocken Poetiken von Martin Opitz und August Buchner vertraut, sowie mit dem poetischen Werk Opitz’, beherrschte Latein und Holländisch und war in der Bibel und theologischen Erbauungsschriften bewandert. So kann man sagen, dass sie das barocke Paradigma der weiblichen Gelehrsamkeit erfüllte. Von einem geregelten Schulbesuch haben wir keine Überlieferungen. Sybille konnte offensichtlich vom Privatunterricht ihrer Brüder und autodidaktisch von den Beständen der väterlichen Hausbibliothek profitieren. Nach dem bekannten Bildungsmuster für Töchter gelehrter Väter, konnte sie sich besonders in den Wirkungs- und Interessenbereichen des Vaters und des Bruders Christian entwickeln. Da die Beiden selbst auch poetisch veranlagt waren, wurde ihr poetisches Talent zu Hause nicht gehemmt, sondern mit Verständnis und Liebe aufgenommen. Nach dem frühen Tod der Mutter, die der lutherischen Lehre gemäß die erste Lehrerin ihrer Kinder war und ihnen das religiöse Gedankengut und den Tugendkatalog beigebracht hatte, hatte sich der Vater um die Weiterbildung der Tochter gekümmert, was der Leichenprediger Sybilles besonders betonte, als sie am 31. Juli 1638 plötzlich und innerhalb von nur 2 Tagen an den Folgen der Ruhr im Alter von nur 17 Jahren starb. Weitere Bildungsimpulse kamen vom Bruder Christian, der Sybille mit Werken aus der holländischen und französischen Literatur vertraut machte. Aus Holland schickte er ihr Jacob Cats’ „Alle Wercken, so ouden als nieuwe“ und Daniel Heinsius’ „Nederduytsche Poemata. Bye en vergadert et uytgegeven Door, die sie als Vorlage ihrer Übersetzungen und Nachdichtungen: „Betrachtung der Welt. Mehrer theils auß dem Niderlendischen verteutscht“, „Lob der verständigen und Tugendsamen Frauen/ verdeutschet auß dem Niederländischen“, „Eine Tochter säuget ihre Mutter. Auß dem Holländischen“ benutzte. Laut Sybilles Selbstaussagen im Gedicht “Auff Die Ankunfft auß Franckreich Ihres Herrn Bruders D.Christian Schwarzern“ motivierte Christian sie auch zur Beherrschung des Lateins:

„Er macht eß / daß ich nicht allein darff bey der deutschen Sprache bleiben / er will mich zum latein auch treiben“ (II, L3r).

Ihre Übersetzung und Umdichtung des „Daphne“-Fragments aus dem ersten Buch von Ovids „Metamorphosen“ legte Zeugnis von einer erstaunlich guten Beherrschung der lateinischen Sprache ab. Für die ständige Unterstützung und Förderung danke Sybille dem gelehrten Bruder mehrmals, wie etwa in der Vorrede zu ihrem „Susanne“-Drama :

„Meine Leyer / Geehrter Herr Bruder / hat den halben Teil ihrer Wohlfahrt / dir zu dancken / dieweil sie /… vohn dem klahren Licht deiner Liebe / zur Poeterey/ oder vielmehr zur Tugend ist erleuchtet / und biß dahero erhalten worden“ (II, M3r).

Für ihren Werdegang als Dichterin und gelehrtes Fräulein haben außer dem Vater und Bruder Christian auch andere gelehrte Männer eine wichtige Rolle gespielt. Aus dem ihr gegenüber freundlich eingestellten Bekanntenkreis, der sich unschwer aus den Paratexten und Adressen ihrer Kasualpoesie rekonstruieren lässt, ist vor allem auf Johannes Schöner zu verweisen, ein europaweit berühmter Professor der Medizin an der Greifswalder Universität, dem Sybille 3 Gelegenheitsgedichte widmete. Die Bekanntschaft der jungen Dichterin mit diesem großen Gelehrten, der ihr poetisches Talent wohlwollend wahrnahm, musste ihr Selbstwertgefühl offensichtlich stärken und sie zur weiteren dichterischen Arbeit anregen. Als Förderer ihrer Dichtung gilt vor allem aber Samuel Gerlach (1609-1683), Theologe, Lehrer und spätere Verleger ihrer Gedichte. Zu Lebzeiten Sybilles war er bis 1632 Erzieher und Privatlehrer, dann Feldprediger unter Gustav Adolf, 1633 -1634 Pfarrer in Daufeld, 1635 Hauslehrer in Lübeck, 1638 Hofprediger in Eutin. Die in der Forschung seit Gassens Monographie von 1921 gängige Annahme, dass Gerlach ihr privater Lehrer gewesen war, konnte weder von ihm noch von anderen Quellen bestätigt werden. Er war mit der Familie Schwarz bekannt und – selbst Dichter – konnte er das poetische Talent der jungen Sybille erkennen und ihr Mentor werden, indem er sie auf die Gedichte Opitz’, auf dessen „Buch von der teutschen Poeterei“ (1624) verwies und sie wohl auch auf den anderen Opitianer und Autor einer Poetik August Buchner aufmerksam machte. Im Brief vom 10. April 1637 an Gerlach bittet ihn Sybille um Neuerscheinungen von Martin Opitz:

„[…] dafern aber noch etliche Gedichte die Opitz oder anderen Poeten einer ausgehen lasen / bey den Hn. M. S. Gerl. Anzutreffen / sollte s mich eine sonderbar Frewde seyn / wen ich dieselben lesen mögte e/ weil ich nichts lieber wünsche/ als nur solche Sachen zu lesen.“ (I, Av)

Sybille ist in der deutschen Literatur die erste Autorin, die das Opitzsche Metrum und seine poetischen Muster übernommen hatte und somit soll sie zu der Gruppe der Opitianer angerechnet werden. Sie hat sich mehrmals in ihren Gedichten zu Martin Opitz als ihren Meister bekannt:

„Mein Opitz stehet mir mit seinen Schriften bey/

Daß ein Poeten-Feind nicht Weißheit würdig sey“ (II, H4r).

Auch ihre Zeitgenossen erkannten in dem jungen poetischen Talent deutliches Nachwirken Opitz, so schrieb der Danziger Prediger Michael Albinus in seinem Widmungsgedicht „Namens-Wechsel“:

„Hört die Leyer dieser Zeit

 Wie so wol gestimmt sie klinget

Voller Kunst und Liebligkeit;

Wie dem Opitz sie nachsinget

Dessen Ruhm und Nahmens Zier

Groß wird bleiben für und für.

Er hätt selbst ihr, solt er leben

Unvergänglichkeit gegeben“ (I, B1r).

Wirkungsbereich

Man kann den Wirkungsbereich der Sybilla Schwarz als einen doppelten beschreiben. Als eine standesgemäß erzogene Tochter, die von klein an auf die künftige Rolle der Ehefrau und Hausmutter vorbereitet wurde, wirkte sie primär im innenhäuslichen, privaten Raum. In diesem Interieur spielte die Mutter eine vorherrschende Rolle als erste Lehrerin und Vermittlerin des Tugendkatalogs für ihre Kinder. Nach dem frühen Tod der Mutter waren wohl die beiden älteren Schwestern Leitfiguren für Sybille und von ihnen lernte sie des Weiteren die Töchterpflichten im Haushalt auszuüben. Als sie nach dem Befehl des Vaters dann 1638 den Haushalt selbst führen sollte, war sie dazu durchaus gut vorbereitet. In der Leichenrede auf Sybille Schwarz heißt es:

„Demnach auch derselbe jüngst seine mittelste Tochter, so bißhero seiner Haußhaltung vorgestanden, zum Stande der heiligen Ehe berathen, hat er diese Selige Jungfraw zur solcher Auffsicht und Pflege wiederumb destiniret, welche sich auch der Oeconomie und Küchenversorgung mit sonderbarer Mühe angenommen, und zu ihrer Information, allerhand Observationes Culinarias nach dem Alphabet schrifftlich zusammen getragen und unter ihrer Hand nachgelassen, damit sie dem Vater, bey seiner schweren Ampts Bürde, desto besser gefallen machen und treffen möchte“ (Hagen: 31).

In den Nebenstunden entwickelte sie ihre Neigung zur Poesie und Lektüre. Als vorbildliches, frommes Frauenzimmer konnte sie in ihrem durchorganisierten Alltag nur schwer freie Zeit für das Dichten finden und behaupten. Nicht selten, wie etwa im Falle des Schäferspiels „Faunus“ schrieb sie in der Nacht: „[…] weil die Nacht/ darin ich dieses zu beschreiben entschlossen/ fast über die helffte verflossen/ und ich also die Frühestunde wohl werde mit zu Hülffe nehmen müssen […]“ (II, A1r).

Zum privaten Gebrauch als praxis pietatis verfasste sie – typisch für schreibende Frauen im 17. Jahrhundert – religiöse Gedichte, Buß- und Kirchenlieder, womit sie sowohl ihre Rechtgläubigkeit und Frömmigkeit als auch ihre Kenntnisse der heiligen Schrift und anderer theologischen Erbauungsbücher unter Beweis stellte. Besonders schätzte sie diesbezüglich Philipp Nicolais „Buch vom ewigen Leben“, 1599, das gängige Motive des contemptus mundi und der Vergänglichkeit enthält. Für Familienmitglieder und Bekannte verfasste sie seit ihrem 13. Lebensjahr Gelegenheitsgedichte: Hochzeits-, Geburts-, Reise- Begräbnis, Gratulations-, Abschieds- und Bewillkommnungsgedichte und Epigramme.

Neben dem Familienhaus in Greifswald besaß die Familie seit 1628 ein Gutshaus in dem nahegelegenen Fretow, das ihr Zufluchtsort vor dem Kriegsgeschehen, das Greifswald von 1627 bis 1631schwer bedrängte, war. Hier bildete Sybille ein Zentrum der Geselligkeit für ihre Jugendfreunde. Sie schreibt von „der Schar der Schwäger und der Schwägerinnen“, die in Fretow zusammen kamen. Zeitweise hielten sich hier auch die beste Freundin Sybilles Judith Tanck (1622-1650) und ihre Schwester Dorothea, Pastorentöchter aus Greifswald, auf. Fretow wurde durch die Dichterin zum Helicon stilisiert, zum magischen Ort der Geselligkeit und des Freundschaftskults. Sybille Schwarz konnte hier dichten, fühlte sich von Musen umgeben, denn es wurde gemeinsam musiziert und gedichtet. Wie Niefanger erläutert, wird Fretow in der laus ruris Dichtung der Sybille Schwarz seiner lokalen Bezüge enthoben und zum symbolischen Ort, zur Metapher der freundschaftlichen Geselligkeit erhoben, in der Freundschaft als humane Tugend, die das Menschenleben bestimmen soll, verstanden und gepflegt wurde: „Wer keine Freundschaft liebt / der lebt / und lebt auch nicht“ – konkludiert Sybille Schwarz programmatisch in ihrem bekannten Gedicht: „Von wahrer Freundschafft“ (II, O1r).

Für Judith Tanck,  die 1639 einen Pastoren aus Stralsund heiratete, schrieb Sybille 15Gedichte, darunter die berühmtesten Freundschaftslieder und Liebessonette, die in den Kanon der barocken Lyrik eingegangen sind: „Von wahrer Freundschafft“, „Ist Lieb ein Feuer, und kann das Eisen schmiegen”, „Liebe schont der Götter nicht”. Es sind zumal gelungene Beispiele petrarkistischer Sonette, die Freundschaft als amicitia-Ideal und Liebe als Tugend und auch als Leidenschaft verherrlichen und dabei das bekannte Repertoire petrarkistischer Motive, wie etwa Liebeskrankheit, Schmerz der unerfüllten Leidenschaft, Angst vor der Zurückweisung durch die Angebetete, innere und äußere Schau der Geliebten enthalten. Sybilles Lehrer in der Kunst petrarkistische Liebessonette zu schreiben war offensichtlich Martin Opitz, der aus dem Werk des Italieners 3 Sonette ins Deutsche übertragen hatte. Vielleicht wirkte auch das Werk Daniel Heinsius‘ hier inspirierend. Bei aller genialer Nachahmung des Metrumschemas und der Motive zeigt Sybille Schwarz hier ihre Originalität in der für deutsche Literatur bislang völlig neuen weiblichen Perspektive auf die geliebte Frau. Greber interpretiert diese Gedichte, die neben dem humanen Freundschaftsideal auch Leidenschaft und Liebesdiskurs mit einbeziehen, als Beispiele homoerotischer Lyrik im Konzept des lesbischen Petrarkismus. Judith, die Hauptadressatin der petrarkistischen Gedichte, und ihre Schwester Dorothea Tanck waren – gemäß dem letzten Wunsch Sybilles – an ihrem Sterbebett anwesend.

Obwohl Sybille bereits als Autorin von Kasualpoesie im Umkreis der Familie und nächsten Bekannten berühmt war, kann man ihren öffentlichen Auftritt erst mit dem Panegyricus „Als J.F.G. von Croya und Arschott zu Greiffswald studieren halben angelanget“ auf den jungen Neffen des Herzogs Bogislaw XIV aus dem Anlaß seines Studienbeginns in Greifswald auf das Jahr 1634 datieren. Nicht zuletzt ist hervorzuheben, dass sie den privaten und öffentlichen Wirkungsbereich verbinden konnte, und zwar durch ihre Arbeit als Schreiberin von Amtsdokumenten für ihren Vater. Er wusste sowohl ihre hausökonomischen als auch ihre intellektuellen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu schätzen und fand sie vertrauenswürdig. In ihrer Leichenpredigt hebt der Pastor Hagen besonders hervor:

„Sonst hat die offtgedachte Selige Jungfraw eine bey dem weiblichen geschlchte fast vngewöhnliche vnd zierliche Handt geschrieben, auch durch tägliche Abschreibung allerhandt Supplicationum vnd Missiven sich im stylisieren dermassen geübet, daß sie es manchem Advocaten vnd Cantzleyverwandten wol gleich thun vnd selbst eine förmliche Missive vnd Supplication verfassen können“ (Hagen: 31).

Zu Lebzeiten der Sybille Schwarz wurden ihre Gedichte nicht gedruckt. Samuel Gerlach konnte die zweibändige Ausgabe ihrer Dichtung erst 12 Jahre nach ihrem Tod dank finanzieller Unterstützung der Familie Schwarz zu Wege bringen. Bis heute ist das die einzige Ausgabe der Werke von Sybille Schwarz. Die meisten Gedichte sind gelungene Beispiele der poetischen Arbeit der jungen Autorin, zum Teil sind sie jedoch recht handwerklich im Sinne der Stilübungen zu beurteilen. Zugleich weist sie mit ihren Freundschaftsliedern und Liebessonetten durchaus formvollendete und ausdrucksstarke Verse, die der jungen Opitianerin den Zugang in den Kanon der deutschen Barocklyrik verschaffen konnten. Sowohl in der Wahl der Formen und Themen als auch in der Autorhaltung orientiert sie sich völlig an den männlichen Kanon und die durch Opitz vorgeprägte normative Poetik. Darüber hinaus konnte sie religiöse Lieder verfassen, die sich in die reformatorische Tradition des Kirchenliedes einordnen lassen. Mit ihrem „Susanne“-Fragment, nach dem aus den alttestamentlichen  Apokryphen bekannten Stoff über die keusche Susanne, lieferte sie ein Drama, das sich wiederum in die Tradition des seit dem 16. Jahrhundert bekannten protestantischen Dramas mit didaktisch-erbaulichen Funktion einordnen lässt. Im Gefolge Opitz‘ verfasste sie auch die Schäferekloge „Faunus“, und mit „Daphne“ lieferte sie eine gelungene Übersetzung aus dem Lateinischen, die eine interessante Bearbeitung des Stoffes aus den „Metamorphosen“ Ovids‘ darstellt. In ihren Werken zeigt sich Sybille Schwarz als eine fleißige Schülerin von Martin Opitz. Zugleich zeichnen sich ihre Texte durch eine originelle weibliche Perspektive aus, die ihren Standort in der deutschen Literaturgeschichte als einer der ersten Dichterinnen, die das weibliche Ich als Autorin zum Ausdruck gebracht haben, mitbestimmen.

Reformatorische Impulse

Die Reformation hat den Frauen neue Wirkungsräume geöffnet, sie im familiären Bereich aufgewertet und zugleich ihr Lebensziel als Mutter und Gattin bestimmt. Da Sybille frühzeitig starb, bevor sie diese Rolle ausfüllen konnte, kann nur angenommen werden, dass sie darauf von klein auf gut vorbereitet wurde. Zunächst wirkte die Mutter für alle drei Töchter vorbildlich und nach ihrem Tod fand die 9-jährige Sybille in ihren beiden älteren Schwerstern Orientierungsfiguren vor, da sie der Reihe nach die Haushaltsführung übernommen hatten. Man kann annehmen, dass im Hause Schwarz das reformatorische Vorbild der frommen Hausmutter mit ihrem symbolischen Kapital das Leben der Frauen und die Geschlechterrelationen bestimmte. Es wurde zwar kein Gedicht Sybilles über oder an ihre eigene Mutter überliefert, doch belegen ihre Gelegenheitsgedichte, dass ihre Vorstellung von der Mutter der lutherischen Lehre vom Mutteramt völlig entspricht und eine hohe Achtung vor der Wichtigkeit der Mutter in der Familie ausdrückt.

Aus der Leichenpredigt auf Sybille geht eindeutig hervor, wie sie das Gebot der Nächstenliebe im Almosendienst erfüllte. Sie war zum eifrigen Gottesdienst in der Kirche und in der Hauskirche angehalten, wovon der Prediger berichtet und was ihre religiöse Lektüre bezeugt. Sicherlich kann man im Falle unserer Dichterin annehmen, dass das bildungsfreundliche protestantische Milieu zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit als Autorin beitrug. Wie viele gelehrte Eltern im protestantischen Milieu, hat auch Christian Schwarz selbst Erbauungstexte verfasst, die zum privaten Gebrauch in den familiären Andachtsstunden gedient haben. Diese fromme und verantwortungsvolle Haltung des Vaters musste auf seine dichtende Tochter freilich anregend wirken. Sie begriff  ihr Dichten als Deoglorie-Aufgabe und damit setzt sie die mittelalterliche Tradition weiblicher Dichtung fort, die auch noch im 17. Jahrhundert durch viele Frauen repräsentiert war, wie etwa durch die größte Dichterin des deutschen Barock Catharina Regina von Greiffenberg.

Das reformatorische Zeitalter hatte auch negative Auswirkungen auf das Leben und Wirken der Sybille Schwarz, denn der Dreißigjährige Krieg wütete in Pommern. Als Kind war sie der Kriegsgefahr unmittelbar ausgesetzt, als die kaiserliche Armee Greifswald 1621 eingenommen hatte und erst 1631, durch Schweden besiegt, abrücken musste. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Sybille Schwarz in ihrem schulpflichtigen Alter wegen Kriegsgeschehen in Greifswald am Schulbesuch verhindert war. Pommern besaß infolge der Reformation bereits seit 1558 einen Schulerlaß für Mädchen. In Greifswald galt der Lehrplan des Gymnasialrektors aus Treptow Johann Bugenhagens, nach dem Mädchen innerhalb von max. zwei Jahren täglich vier Stunden Schulunterricht in Lesen, Rechnen, Katechismus und Grundlagen der Musik haben sollten. Die Kriegszeit hinterließ traumatische Spuren im Welt- und Menschenbild der jungen Dichterin, schärfte ihre Beobachtungsfähigkeit und ihr Urteilsvermögen. Viele Gedichte enthalten Andeutungen oder sogar längere Passagen über das Kriegsgeschehen. Im Trauerspiel über die Einäscherung ihres geliebten Fretows durch die Schweden Ende 1637 Anfang 1638 projiziert sie dagegen das traumatische Erlebnis ins Phantastische, indem sie mythologische Figuren der Kriegsgötter einführt. 

Kommentar

Für den Bildungsdiskurs der Frühen Neuzeit steht heute fest, dass beim Ausschluss von Frauen aus dem akademischen Bildungsweg die doppelte Privilegierung von Frauen (die bekannte These von Barbara Becker-Cantarino) – d.h. die Herkunft vom Adel oder aus gebildetem Milieu, eine bildungsfreundliche Einstellung der männlichen Autoritätsfiguren, wie Vater oder Ehemann, sowie gute Gesundheit der Frau und der Bildungswille ihre Bildungschancen erhöhen konnte. Sybille Schwarz war in der deutschen Kulturgeschichte eine der frühesten Benefizientinnen dieses doppelten Privilegs. Dabei wurde das geltende Paradigma der weiblichen Gelehrsamkeit erfüllt, nach dem die Erziehung zu christlichen und häuslichen Tugenden die Voraussetzung für intellektuelle Bildung und Vervollkommnung der Frau war. Nichtsdestotrotz liefert Sybilles Leben Informationen darüber, wie ihre Transgression der geschlechtlichen Zuweisungen und Räume kultureller Aktivität mit Restriktionen, Exklusionen und Verleumdungen verbunden waren. Im vorästhetischen Raum musste sie – wie andere Dichterinnen – vor allem ihre Identitätskrise überwinden, die durch die Diskrepanz zwischen der traditionellen Rollenzuweisung, nach der sie von klein auf ihre Rolle als Gattin und Mutter vorbereitet werden sollte, und dem Wunsch zu schreiben entstand. Konnten verheiratete oder verwitwete Frauen ihre schriftstellerische Tätigkeit mit bereits erfüllten Pflichten legitimieren, so verfügten junge Frauen als Töchter eigentlich über ein sehr begrenztes Argumentationsrepertoire, das allerdings ohne Zeugenschaft von Dritten kaum relevant werden konnte. In der Erziehung der Töchter aus dem Adel und aus dem Bürgertum war die Beschäftigung des Geistes und der Hände ein Gebot, das die negativen „genuinen“ Eigenschaften des weiblichen Geschlechts, wie sie in der Querelle des Femmes seit der Antike tradiert wurden, disziplinieren und kontrollieren sollte. Die Vermeidung des Müßigganges war eine harte Regel in dem restriktiven Erziehungsmodell für Mädchen und galt auch für die drei Töchter im Hause Schwarz. Sibylles Beschäftigung mit der Literatur wurde, wie wir anhand ihrer Selbstaussagen annehmen können, durch die Umgebung missbilligend aufgenommen. Die intensiven Beteuerungen der jungen Autorin, dass sie durch Lesen und Schreiben ihre Pflichten im Haushalt nicht vernachlässigt, reichten wohl nicht aus, um das negative Urteil zu entkräften. Sicherlich trug der frühe Tod der Mutter und die ständige längerfristige Abwesenheit der Vaters im Hause, der als Rechtsgelehrter im Diplomatischen Dienst beansprucht war, dazu bei, dass die junge unverheiratete Tochter unter dem kontrollierendem Blick der Umgebung viel stärker als in jedem intakten Haus zu leiden hatte. In diesem Kontext ist der Neid, wovon Schwarz fast obsessiv in ihren Gedichten schreibt, sicherlich auch als eine Reaktion der Gesellschaft auf den aus der Norm gerutschten Habitus der jungen Frau zu verstehen. Die Rechtfertigung der schriftstellerischen Arbeit mit Argumenten der gelebten Rechtgläubigkeit und des christlichen Dienstes für die Mitmenschen war im Falle der religiösen Dichtung ausreichend für allgemeine Akzeptanz, zumal ihre Gedichte völlig dem evangelischen Glaubensbekenntnis verpflichtet waren und im Offenbarungs- und Bekenntniszusammenhang standen. Der Leichenprediger Hagen zitiert am Ende seiner Predigt das letzte von Sybille schon im Sterbebett verfasste Lied, als Beweis ihrer lutherischen Gesinnung. Anders war es wohl mit ihren weltlichen Gedichten, die sie nicht nur im Kreise der Nächsten, sondern auch in der Öffentlichkeit der Stadt Greifswald berühmt machten. Neben Lob und Anerkennung erntete die junge Dichterin auch Verleumdung und Ablehnung. Die gesellschaftliche Akzeptanz der schriftstellerischen Tätigkeit der Frau ohne religiösen Bezug, ohne eindeutige Rechtfertigung mit Argumenten des „Deoglori“ oder der praxis pietatis war sehr begrenzt, auch in den gebildeten Kreisen. Der schmerzlich empfundene Neid und Missbilligung der Umgebung für ihre schriftstellerische Arbeit führte dazu, dass die junge Sybille Schwarz sich geweigert hatte, ihre Gedichte unter eigenem Namen zum Druck zu geben und sich ein recht zungenbrecherisches Pseudonym ausgedacht hatte. Sie schrieb darüber im Brief an Gerlach vom 10. April 1637:

„Ob der Edle Liebhaber der Teutschen Poesey das überschickte Ehrengedichte will den öffentlichen Druck undtergeben / stell ich zwar in seinen eignen Gefallen / weil aber der gemeine Pöbel und der Neidt auch etwas / das der guthen Meinung zu wiedern / davon unzeitig urtheilen möchte / hielt ich für rathsam / das nur der Nahme etwas verkehret / oder gar ausgelassen / und an dessen stat ein anderer gesetzet würde“ (I, Av).

Samuel Gerlach konnte sie noch überreden, sich als Autorin vor der Welt nicht zu verstecken. Die Rolle Samuel Gerlachs als Mentor der jungen Dichterin und Förderer des Druckes ihrer Gedichte muss im Kontext der gelehrten Frauenkultur im 17. Jahrhundert gesehen werden, die ihren Ausgangspunkt zumeist in persönlichen Beziehungen hatte. Als wichtige Kulturpraktik von schreibenden Frauen muss man die Beziehungen zwischen den Autorinnen und Autoren hervorheben. Die Männer sind meistens Förderer des Druckes von Frauentexten gewesen, sie rekommandierten ihre Gedichte und Erbauungstexte indem sie Vorreden, Widmungsgedichte und Lobverse beisteuerten. Im literarischen Feld im 17. Jahrhundert konnte sich allmählich ein immer größeres und dichteres Netzwerk wechselseitiger Beziehungen und Kommunikation zwischen Autoren und Autorinnen herausbilden, das die sich formierende Ich-Identität der Autorin entscheidend mitbestimmte. Aus den Gedichten und Briefen von Sybille Schwarz an Gerlach oder ihren gelehrten und in der Poesie bewanderten Bruder Christian geht deutlich hervor, wie sie sich nach Einweisungen und Richtlinien der männlichen Autoritätskollegen richtete. Dabei ist ihr emotional-intuitiver Zugang zur Schriftkultur als genderspezifisch hervorzuheben. Im Vorwort zu „Susanne“-Fragment erklärt sie – mit topischen Elementen der humilitas – ihrem Bruder Christian:

„so ist auch gegenwärtige Werk nicht etwan / um eine Hand voll Gunst oder Ehre dadurch zuerjagen / angefangen / sondern aus Liebe zuhr Geschicht/ aus Reitzung zur Poeterey / und Lust zuhr Ubung in derselben / und im übrigen meine Schwesterliche Liebe und Pflicht damit an den tag zu geben…“ (II, M4v).

War das elitäre Konzept des poeta doctus für schreibende Frauen im 17. Jahrhundert unerreichbar, so gebrauchen viele von ihnen Motive, die diesem Konzept inhärent sind, wie etwa Gloria der Poeten und Auffassung von der Poesie als höchster Schönheit und vom Dichtertum als höchstem Amt. In Anlehnung an Martin Opitz und sein Bild des Poeten, der – im Gegensatz zum Pöbel die „Erdenschwere“ los werden kann und sich in die höchsten Geistessphären über der Erde erheben kann, schreibt Sybille Schwarz in ihrem Gedicht „Poëten gehn dem unadelichen Adel weit vohr“: „wird der Poëten Volck doch immer oben stehn“. Dem Gloriamotiv schließt sich bei ihr immer das Neidmotiv an, wie in dem berühmten „Ein Gesang wider den Neidt“.Mit diesem programmatischen Gedicht des weiblichen Selbstverständnisses als Autorin ordnet sich die junge Sybille Schwarz in eine genealogische Tradition weiblicher Gegendiskurse über die Ausgrenzung von Frauen aus der Schriftkultur ein. Diese Tradition geht bekanntlich auf Christine de Pizan und die Autorinnen der italienischen und französischen Renaissance zurück und wird im Europa des 17. Jahrhunderts durch immer mehr Frauenstimmen fortgesetzt. Für die deutsche Schriftkultur des Barock ist die Stimme Sybille Schwarz‘ eine der frühesten. In ihrem Argumentationsmuster findet sich primär die Bezogenheit ihrer Dichtung auf Gott als Zweck und Sinn ihres Schreibens, dann sowohl die – für die weiblichen Gegendiskurse traditionell gebrauchte – Berufung an die „Ahnfrauen“, wie etwa Sappho oder Cleobuline und Schurmann und wiederum traditionelle Hervorhebung der primären Frauenpflichten, deren Erfüllung erst die Voraussetzung für die poetische Arbeit der Autorin ist, als auch neue, denn zeitgemäße Erfahrungen der Exkluse von Frauen aus der Schriftkultur und ihrer Bildungsdefizite. Hatte Sybille Schwarz von ihrer Poesie bescheiden und voll Demut gesprochen, und in diesem Sinne das Paradigma des christlichen Dichters erfüllt, so scheute sie sich zugleich nicht vor radikal formulierten Argumenten, mit denen sie ihre dichterische Arbeit vor den Verleumdern verteidigte. Für eine deutsche Autorin in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts steht sie mit ihren programmatischen Versen der weiblichen Selbstpräsentation als Autorin exemplarisch und einzeln da. Erst 1641 wird Dorothea Eleonora von Rosenthal mit ihren in Breslau gedruckten „Poetischen Gedancken“ wiederum selbstreferenziell das Thema der Dichtung aus der Perspektive einer schreibenden Frau aufnehmen. In der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts und an der Schwelle zum 18. Jahrhundert sind in diesem Diskurs über Grenzen und Anspruchsmöglichkeiten der weiblichen Poesie immer mehr Frauen vertreten, wie etwa Catharina Regina von Greiffenberg, Susanna Elisabeth von Zeidler, Marianne von Bressler, Marianne von Ziegler oder Sidonia Hedwig von Zäunemann.