Am 1.1.1965 wurde Ulrike Benita Joswig in Freiburg im Breisgau als zweite Tochter ihrer Eltern, Heiner und Annelie Joswig, geborene Welsch, geboren.
Nach dem Abitur 1984 leistete Benita Joswig ein soziales Jahr in Portugal in einem ökumenischen Entwicklungsprojekt der presbyterianischen Kirche. Sie begann 1986 evangelische Theologie für das Pfarramt in Heidelberg zu studieren und nahm 1989 noch das Studium der Bildenden Kunst in Kassel auf. 1996 beendete sie ihr Referendariat in Kassel als Religions- und Kunstlehrerin. In den Jahren 2003 bis 2005 machte sie in Hamburg berufsbegleitend das Vikariat, um Pfarrerin im Ehrenamt zu werden. Davor hatte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Evangelischer Theologie an der Universität Paderborn zum Thema Altäre promoviert. Bevor sie 2006 nach Heidelberg an die Elisabeth-von-Thadden-Schule als Lehrerin und Pastorin ging, war sie Hochschulassistentin am Institut für Praktische Theologie an der Universität Hamburg.
Neben ihren formalen Ausbildungen begann sie früh als Künstlerin und Theologin eigene Projekte zu realisieren, die sie in Deutschland bekannt machten und sie nach Bosnien, die Schweiz, die USA und Nicaragua führten. Zu ihrem vielfältigen Schaffen gehörten neben dem Verfassen von Artikeln und Gedichten Raum- und Klang-Installationen, Videoproduktionen, Glaskunst und ein internationales Handschriftenprojekt: books writing.
Die Eltern förderten Benita sehr und setzten auch hohe Erwartungen an ihre Tochter. Mit 17 Jahren verließ Benita das Elternhaus und beendete die Schulzeit in einer Hermann-Lietz – Schule, im Internat Schloss Bieberstein. Ihr fiel es sehr leicht, Beziehungen und Kontakte zu knüpfen, da sie offen und interessiert auf andere zuging. Freundinnen und Freunde an der Seite zu haben war für sie ein Lebenselixier. Ihre warmherzige Art, ihr ätherisches Wesen und ihr besonderer Blick für das Eigentliche sorgten dafür, dass sie mit vielen Menschen verbunden war. Privates und Berufliches vermischten sich häufig. Enge menschliche Beziehungen beeinflussten ihre theologische und künstlerische Arbeit wie auch umgekehrt. Besonders erwähnenswert ist die enge fruchtbare Zusammenarbeit mit der Frankfurter Künstlerin Barbara Bux, die schon zu Studentinnenzeiten begann. Aus dieser Freundschaft und kollegialen Zusammenarbeit gingen verschiedene gemeinsame Kunstprojekte hervor, die Benita Joswigs Kunstverständnis als Austausch- und Spiegelungsprozess deutlich machen, z.B. grüne Ohren, talking eyes (vgl. www.benita-joswig.de, www.buxwerke.de).
Als Theologin und Künstlerin war sie Mitglied verschiedenster Organisationen, z.B. der European Society of Women in theological Research (ESWTR), dem Verein Grenzgängerin, dem Arbeitskreis für Theologie und Populäre Kunst.
Sie war dreimal verheiratet, als Studentin mit einem Mann aus Portugal, später mit einem Mann, der aus dem Kongo stammte. Sie war aber auch mit Frauen liiert. 2010 erkrankte Benita Joswig an Krebs und rang um ihr Leben. In dieser Zeit heiratete sie zum dritten Mal. Ihr Mann, Michael Moll, hat zwei jüngere Kinder und eine erwachsene Tochter.
Sie begann mit Beginn ihrer Erkrankung einen intensiven E-Mail-Verkehr mit ihrem großen FreundInnenkreis. Dadurch fühlte sie sich in ein großes Beziehungsnetz eingebettet, das ihr half, in der Zeit der Krankheit intensiv zu leben. Die FreundInnen wiederum berichteten, dass Benitas Briefe sie tief berührt und ermutigt haben. Am 2.10.2012 starb Benita Joswig auf der Palliativstation eines Heidelberger Krankenhauses.
Zum Bild: Benita Joswig beim Malen (Copyright: Thomas Hirsch-Hüffell).
Benita Joswig hat zum einen als Lehrende in öffentlichen Einrichtungen gearbeitet – in der Universität sowie in der Schule, wo sie eine begrenzte Öffentlichkeit erreicht. Als freie Künstlerin und Theologin jedoch, die interdisziplinär und international arbeitete, gewann sie einen größeren Wirkungsbereich.
Theologie muss in Praxis verwandelt werden. Das war ihr großes Anliegen. Sie stand als Wissenschaftlerin im Austausch mit den Menschen, die sie umgaben, und war sensibel für historische, gesellschaftliche und politische Fragestellungen.
Sie entwickelte beispielsweise 1999 mit Studierenden eine Klanginstallation in der Paderborner Kaiserpfalz zum Thema „Antworten – Heimat, Fremde, Flucht, Asyl“. Menschen, deren Lebenssituation von Armut, Ausgrenzung und Abhängigkeit geprägt war, wurden interviewt und die Interviews wurden in der Kaiserpfalz vom Band abgespielt. Menschen, eher am Rand der deutschen Mittelklassegesellschaft, kamen an diesem traditionsreichen Ort zu Gehör.
2003 promovierte sie zum Thema: „altäre: Interdependenzen zwischen Tisch und Altar“. Darin analysierte sie ein eigenes, 1994 in Kassel durchgeführtes Projekt. Die Altäre waren rund hundert Tische aus Privathaushalten, die für drei Tage auf einem „städtebaulichen Un-Ort“, dem Messeplatz, installiert wurden. „Dort verbargen sich Trümmer und Reste der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Unterneustadt. Durch die ausgeliehenen Tische bzw. Altäre entstand eine unsichtbare Verbindung zwischen Häusern und Häusern.“ (www.benita-joswig.de)
Fragen nach Integration und Ausgrenzung (am Tisch/Altar) sowie Deutungen zur Macht der Erinnerung und die Wechselwirkung zwischen Profanität und Sakralität leiteten dieses Projekt.
Ihre Theologie stand in enger Verbindung mit Bildender Kunst. Da sie als Person beides in sich vereinte, entwickelte sie herausragende theologische und künstlerische Arbeiten, die durch Tausch-, Erinnerungs- und Spiegelprozesse gekennzeichnet waren und in Deutschland ihresgleichen suchen. Für ihre vielseitige Arbeit erhielt sie mehrere Preise. Mit dem Filmdenkmal „Cologne in the Mirror of Stari Most“, das sie und Viola Michely schufen, wurde sie 2002 Preisträgerin der Königinnenwege der maecenia-Stiftung (Frauen in Kunst und Wissenschaft). „Inhalt des Filmdenkmals ist die Zerstörung der Alten Brücke von Mostar, die am 9. November 1993 von kroatischen Truppen im bosnisch-kroatischen Seperationskrieg zerstört wurde. Die Brücke stand für ein kulturelles Miteinander von islamisch-orientalischen, orthodox-östlichen und römisch-katholischen Strömungen in Europa.“ (www.benita-joswig.de) Das Denkmal besteht aus dem Bild der Brücke von Mostar, unter dem Szenen auf der Hohenzollernbrücke in Köln – allerdings verkehrt herum – abgespielt werden. Es wirkt so, als ob der Rhein nahtlos in die Neretva fließt und die Menschen in Köln Kopfstehen angesichts der Zerstörung. Mit diesem Kunstprojekt reiste Benita Joswig 2001 zu einem Kulturfestival nach Mostar und präsentierte es später in verschiedenen deutschen Städten.
Ihre Arbeit wurde öffentlich mehr und mehr geschätzt. So arbeitete sie seit 1999 regelmäßig beim Deutschen Evangelischen Kirchentag mit. 2001 nahm sie eine Einladung als „Visiting Scholar Artist in Residence“ ans Union Theological Seminary in New York an, wo sie zwei Jahre später einen Lehrauftrag inne hatte. Weitere Lehraufträge erhielt sie in Marburg und Heidelberg.
Ihr internationalstes und größtes Projekt war books writing, an dessen Entstehen Studierende in New York und Marburg beteiligt waren. Zu Anfang gab es nur zehn leere Bücher mit je einem Titel: warten, Stadt, ich, Blut u.a. Die Buchtitel, von den Studierenden ausgewählt, erschienen als Kapitelüberschriften in allen Büchern wieder. Acht Jahre reiste Benita Joswig mit den Büchern durch Deutschland, die Schweiz, Ungarn, die USA und 2010 sogar nach Nicaragua. Sie bat Menschen, mit ihrer Hand Texte in die Bücher zu schreiben. Über die Jahre entstand eine handschriftliche Mikrobibliothek im Zeitalter der Digitalisierung, ein Dokument der transatlantischen und menschlichen Vernetzung. Seit Mai 2012 stehen die Bücher von books writing in der Handschriftensammlung der Heidelberger Universität und sind öffentlich zugänglich. Das Besondere an ihnen ist nicht nur die Handschrift, die als Medium des öffentlichen Wortes wert geschätzt wurde. Das Besondere ist auch, dass alle, die wollten, unabhängig von Bildung, Alter und Geschlecht etc., hinein schreiben durften. Laut Benita Joswig ist kein Text banal, denn sie sind alle miteinander verbunden.
Als Künstlerin wurde sie in den letzten Jahren durch ihre Glaskunst bekannter. Eine renommierte Glasmalerei aus Deutschland bot ihr kurz vor ihrem Tod an, sie zu fördern und ihre Glasarbeiten, international zu vertreiben. Seit 2004 entwickelte sie einen eigenen Stil in der Glasmalerei. Texte von Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg, Teresa von Avila und Gertrud von Helfta inspirierten sie zu Wortbildern, die sie auf Fensterscheiben für einen begrenzten Zeitraum in kirchlichen Häusern malte. In dünn aufgetragene Farbfiguren schrieb sie Zitate der Mystikerinnen, die sie bewegten. Im Roncallihaus in Magdeburg 2008 konnte sie ein Fenster malen und brennen lassen. Darauf steht auf dunkelrotem Hintergrund: Gott bückt sich. Und nur, wenn die Betrachterin sich selbst bückt, kann sie diese Zeilen lesen. Benita Joswig nannte das „eine kleine moderne Bußübung mittels künstlerischer Mittel“.
In ihrer Glaskunst setzte sich Benita Joswig auch mit der Suche nach Gott und dem Hadern an dem verborgenen Gott auseinander. Für die Woltersburger Mühle, einem Tagungshaus bei Uelzen, gestaltete sie 2011 auf vier großen Glasfenstern die Offenbarung Gottes vor Mose im brennenden Dornbusch. Als Übersetzung des Gottesnamens wählte sie: Ich bin da.
Ihr letztes Kunstwerk war eine Glastür für die Bibliothek des Instituts für Kirchenbau und Kirchliche Kunst in der Gegenwart in Marburg 2012. Darauf schrieb sie u.a. mit ihrer unverkennbaren Handschrift: Frech achtet die Liebe das Kleine und komm’ schwimm. Letzteres war für sie eine Erklärung für die Taufe. Aber auch zwei Begriffe tauchen auf, die für ihre Arbeit zentral waren: Religion und Alltag.
Benita Joswig versuchte, die Distanz zwischen Kunst bzw. Theologie und Leben zu überwinden. In Zusammenarbeit mit ArchitektInnen, KunsthistorikerInnen, anderen KünstlerInnen und TheologInnen entstanden Disziplinen übergreifende Arbeiten. Im Sinne einer Archäologie der Gegenwart war ein Schwerpunkt ihres Wirkens die Frage, inwiefern Orten der Geschichte, besonders Orten der Gewalt, mit künstlerischen Mitteln begegnet werden kann.
Sie hatte einen genauen Blick auf die Welt und entwickelte spannende und anstößige Ideen, um Sehgewohnheiten zu durchbrechen, Blicktraditionen und übliche Deutungsmuster in Frage zu stellen sowie die Welt neu zu inszenieren. Mit ihren Werken irritierte sie, regte zum Lachen und zum Nachdenken an. Sie entzifferte die Welt neu und reizte zur Auseinandersetzung. Dabei sprudelte sie vor Ideen und lockte andere aus Teilnahmslosigkeit und Scheu. Manchen öffnete sie den Blick für die eigene Kreativität. Häufig zog sie Menschen in ihre Kunst-Werke ein und ließ andere direkt daran teilhaben. Das „Risiko der Partizipation“ ging sie bewusst ein. Das war Auftrag und zugleich Kennzeichen ihrer Professionalität.
Ihr Theologieverständnis baute darauf, dass Theologie außerhalb von Erfahrung nicht zu denken ist und immer einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit der Tradition bedarf. Benita Joswigs Rede von dem Göttlichen, auch von traditionellen theologischen Termini, war manchmal befreiend undogmatisch. Sie hielt an einem personalen Gottesbild fest, um so die Nähe und Vertrautheit des Göttlichen im Leben deutlich zu machen. Gott fand sie an der Seite der Schwachen und in der Ohnmacht, nicht in Herrschaft. In der Einleitung im Buch Worte wachsen leise schrieb sie zu den Texten aus Nicaragua, Gottes Handschrift sei in ihnen gut lesbar. „Unverfälscht zeigt Gott darin das Unrecht, benennt die Gewaltstrukturen neu. Gott macht sich Notizen, schreibt auf, hält fest und findet in denjenigen Stimme, die sich für die Rechte der Menschen einsetzen“ (Fünfsinn/Joswig 2012: 8).
Gleichzeitig blieb ihr das Göttliche Geheimnis und Quelle aller Suche und Transformierung. In einem Vortrag erörterte sie die Frage, wie sich Gott zeigt, wenn ein Mensch leidet. Sie verheimlichte nicht, dass diese Frage einen existentiellen Bezug hatte, da sie schon unter Krebs litt. „Eine abstrakte oder rein dogmatische Rede von Gott macht hier keinen Sinn. Was zählt, ist der Pulsschlag, darin pocht Gott, der Atem, in ihm wird Gott. Wir atmen im Schmerz. Gott betet im Körper. In diesem Sinn verstehe ich Gertrud von Helfta, ihren sinnlich zu erfahrenden Gott, ganz körperlich, konkret erlebbar. Gleichzeitig jedoch nicht zu fassen“ (Joswig 2011: 30).
Besonders die Gottesrede der Mystikerinnen, die das Göttliche sinnlich nah erfuhren, als honigfließendes Angesicht – melli fluum vultuum (Gertrud von Helfta) oder fließendes Licht (Mechthild von Magdeburg), und die ihre Gottesliebe mit engagierter und konkreter Menschenliebe verbanden, beeinflussten Benita Joswigs Nachdenken und Reden von Gott. Sie nutzte ihre künstlerische Begabung und gestaltete eine „Bildtheologie“. Manchmal nur für kurze Zeit ließ sie auf Glasfenstern im Spiel mit Licht und Schatten, theologische Inhalte – als Text oder/und als Bild – erschienen. Auf Glas gebetet nannte sie ihre Werke.
Wie sollen, wie können wir von Gott reden? Benita Joswig lädt uns durch ihre Kunst und ihre Art Theologie zu treiben dazu ein, furchtlos und unfertig von und natürlich zu Gott zu sprechen. „Wagt, stammelt und redet von Gott – bringt Gottes Fäden ins Spiel. […] Ich bete. Nehme das Wort bei der Hand und entlasse es durch meine Poren, ohne Punkt und Komma, erlaube mir Unvorgefertigtes, riskiere im Fahrwasser der männlichen Gottesrede unterzugehen, küsse die Muse und trommle die Worte zusammen, die Übriggebliebenen, Ausgewaschenen, Verwaschenen […]“ (aus: Gott ins Spiel bringen, in: G. Matthiae/B. Joswig, Dokumentation, Frauen- Studien- & Bildungszentrum, Gelnhausen 2005, 9).
Sie ging sehr mutig in den Tod, vielleicht auch neugierig. Dabei trug und stärkte sie das Vertrauen, dass Gott mit ihr war.
Schon früh hatte sie sogenannte „Schlafboote“ gemalt und sogar geschrieben. Bei den geschriebenen handelte es sich um Dichtung, die mit dem Bild des Bootes arbeitete. Diese künstlerische Textform war eine Bootschaft, ein Gefährt und eine Erfahrung, die sie viele Jahre begleitete. Im Schlafboot zu sein hieß für Benita Joswig, sich bei Gott aufgehoben zu fühlen und davon auszugehen, dass Gott in uns schläft, damit wir aufwachen.
Wir sind entliehene Falter
Gefaltete
durchs Licht ins Offene
einen Tag lang
(Benita Joswig: Schlafboote, München 2011, S.117)