Walpurga wurde am 1. Mai 1500 – am Walpurgistag – in Torgau geboren. Die ihr Leben am stärksten prägende Beziehung ist die zu dem reformatorischen Theologen Johannes Bugenhagen. Die ersten den Zölibat aufkündigenden Priester bewegten sich in den frühen zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit ihrer Eheschließung in einem rechtsfreien und gesellschaftlich noch nicht anerkannten Raum. Zugleich war sie ein nicht ganz ungefährlicher öffentlicher Bekenntnisakt und erforderte ebensoviel Mut wie Risikobereitschaft von beiden Partnern. Das gelang nur starken Persönlichkeiten. Walpurga gehörte zweifellos zu ihnen. Sie ließ sich auf das noch unerprobte Wagnis der Zweisamkeit an der Seite eines Theologen ein. Der ersten Verlobten Bugenhagens hatte es noch an solchem Mut gefehlt. Denn diese zog ihr Jawort mit der Begründung zurück, sie wolle kein „Pfaffenweib“ werden. Ähnelte die neue evangelische Pfarrfrau doch der verachteten Priesterkonkubine noch allzu sehr. In dieser Lage galt es, die Nähe Gleichgesinnter zu suchen und sich gegenseitig den Rücken zu stärken. In Wittenberg gab es Ende 1522 außer Bugenhagen mit Bartholomäus Bernhardi, Andreas Bodenstein von Karlstadt und Justus Jonas drei weitere verheiratete Priester. Caspar Cruciger folgte ihrem Beispiel 1524; und Luther bildete mit seiner Hochzeit im Juni 1525 vorerst das Schlusslicht.
So gab es für Walpurga damals in Wittenberg genügend Austauschmöglichkeiten mit anderen Frauen in vergleichbarer Lage. Besonders nahe scheinen sich Walpurga und Katharina von Bora gestanden zu haben. Als 1527 die Pest in Wittenberg wütete, rückten beide Familien im ehemaligen Augustinereremitenkloster zusammen. Zudem waren beide Frauen schwanger und sahen ihrer Niederkunft im Dezember entgegen.
Von der Ansteckungsgefahr abgeschottet, brachten sie zwei gesunde Kinder zur Welt. Die ebenfalls schwangere Hanna Rörer, Bugenhagens Schwester, überlebte die Pest nicht. Der Tod der Schwägerin dürfte Walpurga besonders hart getroffen haben.
Auch zu Elisabeth Cruciger, die nach ihrem Klosteraustritt einige Zeit im Hause Bugenhagen Aufnahme fand, hatte Walpurga näheren Kontakt. Während ihres Aufenthaltes in Lübeck 1530-1532 korrespondierten beide Frauen miteinander. Innerhalb weniger Jahre verflüchtigte sich die Skepsis gegenüber der Pastorenehe. War bei Bugenhagens Berufung an die Hamburger Nikolaikirche im Jahre 1524 noch seine Ehe ein Hauptgrund für das Veto des Magistrats, so wurden er und seine Frau mit Tochter Sara im Oktober 1528 geradezu fürstlich empfangen. Und beim Weggang im Juni 1529 erhielt Walpurga zum Dank für die hilfreiche Begleitung ihres Mannes während der Ausarbeitung einer reformatorischen Kirchenordnung für die Hansestadt eine Ehrengabe von 20 Gulden. Damit gehörte sie auch zum Beziehungsgeflecht ihres Mannes und konnte selbst nach dessen Tod darauf zurückgreifen. Das lässt sich einem am 5. Dezember 1563 in ihrem Namen an die Kurfürstin Anna gerichteten Gnadengesuch für einen Wilddieb entnehmen. Darin erinnert sie die dänische Prinzessin an die Verdienste ihres Mannes um die dänische Kirche. Näheres über diesen Vorgang ist nicht bekannt.
Walpurga starb 28. Juli 1569 in Wittenberg.
Mit der Eheschließung war Walpurgas Wirkungsbereich vorgegeben. Denn in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter zueinander hat es durch die Reformation keine Änderung gegeben. Die Reformatoren haben auch die überkommene Rollenverteilung in der Ehe nicht angetastet. Wie eine in Luthers Tischreden überlieferte Anekdote zeigt, soll Bugenhagen gleich in den ersten Tagen des gemeinsamen Lebens seiner Frau ihre Grenzen aufgezeigt haben, indem er ihr die häusliche Schlüsselhoheit zubilligte, sich selbst aber die Schwertgewalt vorbehielt. Dessen ungeachtet war die Rolle der Theologenehefrau neu und verlangte gerade von der ersten Generation ein hohes Maß an Überzeugungskraft. Allerdings war Walpurgas Handlungsspielraum zusätzlich dadurch eingeengt, dass die in der Regel für nur einen Priester bemessene Pfründe für eine wachsende Pfarrfamilie nicht ausreichte, ganz zu schweigen von der gänzlich unzureichenden Witwenversorgung. Deshalb war hausfrauliches und erzieherisches Geschick doppelt gefragt. Wobei die Wittenberger als Universitätslehrer vergleichsweise gut dastanden. Dennoch musste Luther den sächsischen Kurfürsten immer wieder an Gehaltsaufbesserungen auch seiner Professoren erinnern, oft sogar nötigen. Zum Zeitpunkt der Verheiratung verfügte Bugenhagen als akademischer Lehrer noch über kein festes Einkommen. Erst im Herbst 1523 konnte er mit Luthers Hilfe das Pastorat an der Wittenberger Stadtkirche St. Marien übernehmen. In seinen Kirchenordnungen hat Bugenhagen dann überall durch die Einrichtung von Schatzkästen die Pfarrvergütung neu zu sichern gesucht. Und 1553 ließ er sich von seinem dänischen Gönner Christian III. schriftlich versichern, dass die ihm gewährte jährliche Zuwendung von 50 Talern auch nach seinem Ableben an Walpurga fortgezahlt werde.
Walpurgas häusliche Schlüsselgewalt beinhaltete zu allererst die Aufzucht der gemeinsamen Kinder. Philipp Melanchthon brachte die Lebensleistung seiner Frau einmal so auf den Punkt: „Meine Frau trug … die Sorge für die ganze Haushaltung, sie zog die Kinder auf, versorgte die Kranken, linderte mit Worten meinen Kummer und brachte den Kindern Gebete bei.“ Dem hätte auch Bugenhagen beipflichten können.
Soweit wir wissen, brachte Walpurga sechs lebende Kinder zur Welt, von denen zwei im Kleinkindalter starben; ferner hatte sie eine Totgeburt zu beklagen. Die älteste 1525 geborene Tochter Sara, eine weitere Schwester und der Sohn Johannes erreichten das Erwachsenenalter. Letzterer (gest. 1594/98?) trat als Theologieprofessor in die Fußstapfen des Vaters. Tochter Sara, in zweiter Ehe mit dem Juristen und einflussreichen kursächsischen Politiker Georg Cracow (1525-1575) verheiratet, starb 1563 im Kindbett.
Der Hauptwirkungsort blieb nach ihrer Heirat am 13. Oktober 1522 mit Johannes Bugenhagen Wittenberg. Allerdings begleitete sie ihren Mann seit 1528 während zahlreicher Auswärtseinsätze zur Einführung oder Konsolidierung der kirchlichen Neuordnung, so dass sie mit der ganzen Familie oft monatelang, im Falle der Kirchen- und Universitätsreform in Dänemark (1537-1539) sogar zwei Jahre lang von Wittenberg abwesend war. Beide kehrten aber immer wieder zurück. Diese für eine Frau damals eher unübliche Mobilität dürfte ihr einen beachtlichen Erfahrungsvorsprung verschafft und ihren Horizont erweitert haben, sie verlangte aber auch ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft – zumal bei den damaligen Reisebedingungen. Diese nahm Walpurga bereitwillig in Kauf, weil ihr daran lag, den Berufsalltag ihres Mannes weiterhin zu teilen, mitzutragen und gelegentlich auch mitzugestalten.
Soweit ich sehe, sind von Walpurga Bugenhagen – im Unterschied etwa zur schriftstellernden und predigenden Pfarrfrau Katharina Schütz-Zell (1497/98-1562) in Straßburg – keine spezifisch reformatorischen Impulse ausgegangen, es sei denn, man wertet ihr Auftreten an der Seite ihres Mannes als solche. Denn nicht nur Katharina von Bora, sondern auch sie hat der noch konturenlosen evangelischen Pfarrfrau ein Gesicht gegeben. Das war neben ihrer Ehefrauenrolle vielleicht ihr wichtigster Beitrag zur Stabilisierung der Reformation.
Walpurga Bugenhagen ist eine Ermutigung für alle, die sich beherzt auf neue, noch nicht ausgetretene Wege begeben.