Birgit Löwe – Vorstandsmitglied des Diakonischen Werks Bayern

Tutzing, 5.7.2012

– es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen,

bei meinen Erfahrungen, die ich in den vergangenen Jahren in der Arbeit in der bayerischen Diakonie

machen durfte, komme ich je nach dem, aus welchem Blickwinkel ich sie betrachte, je nach dem, mit

welchem Impetus ich sie betrachte, zu einem anderen Ergebnis. Aber, es bleiben immer die gleichen

Zahlen und in dieser Hinsicht immer die gleichen Aussagen:

– So sind z.B. 75 % der Mitarbeitenden in der Diakonie weiblich. Ich kann auch sagen, 25 % der

Mitarbeitenden in der Diakonie ist männlich.

– Ich kann sagen, wir haben ein Frauenproblem, ich kann aber auch sagen, wir haben ein

Männerproblem.

– Ich kann sagen, wir haben ein Teilzeitproblem, da viele der Mitarbeiterinnen in Teilzeit

arbeiten. Während viele Mitarbeiter in Vollzeit arbeiten.

Je nach dem, aus welcher Perspektive ich dies nun betrachte, ist es entweder gut oder weniger gut,

hat es Potential oder hat kein Potential. Das ist insofern interessant, da aus meiner Erfahrung, die

Welt in dieser Hinsicht früher einfacher war. Als noch klar war, Frauen brauchen besonderes

Augenmerk und Unterstützung, weil sie aus einer Position herauskommen, aus der sie es – in

beruflicher Hinsicht und darauf will ich mal den Fokus legen – schwer haben, da konnte man eine

Frauenbeauftragte einsetzen. Da ist klar gewesen, man setzt eine Frauenbeauftragte ein, die dafür

zuständig ist, dass Frauen es in diesem Berufsfeld leichter haben oder das Veränderungen zur

Verbesserung der Situation von Frauen als Arbeitnehmerinnen angestrebt werden. Mit einem

geschlechtersensiblen Ansatz oder Gendermainstreaming oder einer Genderbetrachtung wird das

Ganze etwas schwieriger und auch differenzierter.

Lassen Sie mich kurz eine persönliche Anmerkung machen: Wenn ich so auf meine Leben

zurückblicke, dann kann ich mit Freude und auch ein bisschen Stolz sagen, dass mir in meinem Leben

Menschen begegnet sind – Männer und Frauen -, die mein Potential im ganz positiven Sinne

gesehen, wahrgenommen und entdeckt, die mich begleitet, gefördert und immer mal wieder gestubst

haben, und viel dazu beigetragen haben, dass ich hier stehe. Und die viel dazu beigetragen haben,

dass es für mich persönlich nie eine Frage gewesen ist, ob es Frauen oder Männer schwerer oder

leichter in Führungspositionen haben. Dafür bin ich sehr dankbar, da so für mich – auf den Ebenen,

auf denen ich nun mal arbeite – manche Gedanken und manches Gerangel vielleicht gar nicht

entstehen und entstehen müssen. Möglicherweise kann ich es auf meinem persönlichen Hintergrund

auch anders wahrnehmen und einordnen.

Und dennoch, wenn ich mal von meiner persönlichen Erfahrung und Situation absehe, erlebe ich

natürlich, dass gerade für Führungs- und Leitungspositionen – nicht so sehr auf der „unteren Ebene“,

nicht so sehr auf der „mittleren Ebene“, denn da ist Diakonie sowieso weiblich – mit hoher

Verantwortung es auch sehr schwierig ist, Frauen für diese Aufgabe zu finden, Frauen für die Tätigkeit

zu motivieren und Frauen für diese Aufgaben zu motivieren. Und Männer möglicherweise auch dafür

gewinnen zu können, Frauen eben auch diesen Platz zu lassen.

Ich möchte an dieser Stelle auf etwas eingehen, was nicht ganz hierher passt, aber mich dennoch – auch im Zusammenhang mit der Frage einer geschlechtersensiblen Arbeit in der Diakonie – zur Zeit sehr beschäftigt.

Die Diskussion, die wir in den letzten Wochen und Monaten um das Betreuungsgeld hatten, erschreckt mich sehr. Nicht wegen dem Inhalt des geplanten Betreuungsgeldes, da kann man verständlicherweise sehr unterschiedlicher Meinung und Haltung sein. Nach meiner Einschätzung wird die Diskussion um das geplante Betreuungsgeld auf dem Hintergrund geführt, ob die Kinder zu Hause (von der Mutter) erzogen werden oder werden sie außerhalb erzogen (und wenn außerhalb, dann schlecht). Damit werden ein Rollenverständnis und eine Verantwortung transportiert, die aus meiner Sicht individualisiert und – meiner Wahrnehmung nach – zu einem Frauenproblem gemacht werden. Ich dachte, wir wären in dieser Haltung in unserer Gesellschaft schon weiter und könnten diese Frage tatsächlich geschlechtersensibel diskutieren. So erfüllen mich diese Diskussionen mit großer Sorge – sowohl für die Frauen als auch für die Männer.

Welche Herausforderungen begegnen uns nun auf dem Hintergrund der skizzierten Erfahrungen? Aus dem Blickwinkel der Diakonie und des diakonischen Handels sehe ich drei Punkte für die Zukunft.

1. Es muss ein Ruck durch unsere Gesellschaft in der Frage gehen, welchen Wert hat soziale Arbeit in unserer Gesellschaft, welchen Stellenwert soll sie in Zukunft haben und was ist es uns als Gesellschaft wert – materiell und immateriell, uns dafür zu engagieren.

2. Es muss uns gelingen, junge Menschen für die soziale Arbeit und für einen sozialen Beruf, den sie auch dauerhaft ausführen, zu gewinnen. Junge Menschen dafür zu begeistern, welch ein Reichtum und Schatz es sein kann, mit Menschen zu arbeiten – bei allen Problemen und Schwierigkeiten, die einem in der Arbeit mit und für Menschen auch immer wieder begegnen. Es muss uns auch gelingen, soziale Berufe und deren Wert entsprechend zu vergüten.

3. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine der Zukunftsfragen für die Arbeitnehmenden, aber und insbesondere auch für die Unternehmen. Da sind wir in unserem Lande – auch in Bayern – auf einen guten Weg, aber dennoch am Anfang. Auch in den Fragen der Vereinbarkeit erlebe ich immer wieder, dass die auch damit verbundenen Probleme individualisiert und nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe bzw. Verantwortung wahrgenommen werden. Unverständlich – aus meiner Sicht – wird doch die Familienfreundlichkeit eines Unternehmens einer der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren bei der Personalfindung und –bindung sein.

Und so komme ich zu meinen Visionen. Lassen Sie mich diese in einem Dreiklang referieren, unter dem sich dann alle weiteren Fragestellungen subsumieren ließen.

Ich möchte, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der der Einzelne bzw. die Einzelne, seine bzw. ihre Lebenssituationen, sowie seine bzw. ihre Lebensentwürfe geschätzt und wertgeschätzt werden. Das uns Leben wert ist. Ich möchte, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der der Einzelne bzw. die Einzelne individuelle – auch finanzielle – Angebote, Unterstützung und Hilfe bekommt. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der adäquate Rahmenbedingungen ein gelingendes Leben inmitten der Gesellschaft ermöglichen.

Meine Vision ist: Wertschätzung – individuelle Unterstützung – gesellschaftliche Verantwortung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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