Oldenburg, 31.10.2012
Guten Abend,
ich freue mich außerordentlich, heute Abend hier dabei sein zu können. Ich komme eben erst von einer zweitägigen Konferenz der Ev. und Katholischen AkademieleiterInnen zurück. 90 % Männeranteil, zwei männliche Referenten, die sich in ihren Vorträgen nicht ein einziges Mal dazu durchringen konnten, auch nur eine Frau zu zitieren.
Vielen Dank für Ihre Einladung zu diesem Frauenmahl!
Als Akademieleiterin bin ich zugleich Beauftragte für Mission und Ökumene. Eine ungewöhnliche Kombination von Aufgabenfeldern, die mir allerdings ganz recht ist – auch wenn es manchmal drunter und drüber geht.
Ich erachte diese Komplexität als Chance, weil sie mich daran erinnert, etwas zusammen zu halten, was in Akademie und akademischen Zusammenhängen allzu schnell auf der Strecke bleibt: die kritische Reflexion von Kirche in Gesellschaft und die praktische Aktion der Christengemeinden vor Ort und weltweit, konkret (u.a.) in unseren Partnerkirchen in Westafrika.
Als Akademiemitarbeiterin versuche ich der Herausforderung gerecht zu werden, öffentliches Nachdenken über gesellschaftlich relevante Fragen und Probleme im Deutungshorizont von Kirche anzustoßen. Und als Ökumene- und Missionsbeauftragte, versuche ich, die ökumenische Praxis der Gemeinden und unsere Projekte in Westafrika zu begleiten und zu stärken.
Ich erwähne das, weil ich meine, dass wir mit diesen Arbeitsbereichen schon eine der aktuellen Herausforderungen unserer Kirche heute in Augenschein nehmen: die solidarische Offenheit mit und in einer Gesellschaft (von der die Kirche ein Teil ist), der im Zuge der neoliberalen Globalisierung eine immer größer werdende Spaltung in Arme und Reiche droht. Der soeben erschienene Reichtums- und Armutsbericht der
Bundesregierung dokumentiert dies. Ich erspare uns hier und heute Abend das Zahlenmaterial, das Frauen neben Jugendlichen, Alten und Migranten als die besonders vom Prekariat Bedrohten ausweist. Der gleichzeitig erschienene, deutlich kritischere Armutsbericht der Nationalen Armutskonferenz (nak) singt ein Lied davon.
Nicht Zahlen und Fakten sollen mein Statement bestimmen, sondern eine Melodie und meine damit einhergehende Message für heute Abend. Ein Grundmotiv der Idee des Frauenmahls besteht ja in dem erklärten Willen, Politik(debatten) und Genuss miteinander zu verbinden. Dazu habe ich ein Lied mitgebracht:
„Brot und Rosen“, ein Lied, das nordamerikanische Frauen geschrieben haben als Ausdruck ihrer Solidarität mit den streikenden Minenarbeitern.
Brot und Rosen
Musik: R. Fresow, Text: P. Maiwald
Wenn wir zusammen gehn,
geht mit uns ein schöner Tag,
durch all die dunklen Küchen
und wo grau ein Werkshof lag,
beginnt plötzlich die Sonne
unsre arme Welt zu kosen
und jede hört uns singen: Brot und Rosen.
Wenn wir zusammen gehen,
kämpfen wir auch für den Mann,
weil unbemuttert kein Mensch
auf die Erde kommen kann.
Und wenn ein Leben mehr ist als nur
Arbeit, Schweiß und Bauch,
wollen wir mehr: gebt uns das Brot,
doch gebt die Rosen auch.
Wenn wir zusammen gehen,
gehen unsere Toten mit.
Ihr unerhörter Schrei nach Brot
Schreit auch durch unser Lied.
Sie hatten für die Schönheit,
Liebe, Kunst, erschöpft nie Ruh.
Drum kämpfen wir ums Brot
und wollen die Rosen dazu.
Wenn wir zusammen gehen,
kommt mit uns ein bessrer Tag.
Die Frauen, die sich wehren,
wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei: dass die kleinen Leute
schuften für die Großen.
Her mit dem ganzen Leben:
Brot und Rosen!
[Lied der streikenden Textilarbeiterinnen, USA Lawrence / Massachusetts, 1912, nach: Vamos (Hg.), Jacke wie Hose, 1997, S. 5]
Das Lied, auch wenn es alt ist und aus einem „weltlichen“ Konfliktzusammenhang hervorgegangen ist, bringt für mich entscheidende Stichworte, wenn nicht sogar Essentials auf den Punkt:
– es benennt die Bedürftigkeit des Menschen nach Gemeinschaft
– es benennt darüber hinaus die Verletzbarkeit von uns Menschen
– es benennt unsere Fähigkeit visionär zu leben: die Fülle einzufordern:
Brot u n d Rosen !
Warum beziehe ich mich auf ein so altes Lied?
Auch weil ich es vor Jahrzehnten in einer Gemeinschaft von Theologinnen kennengelernt habe und seitdem singe. Damit deute ich auch eine Herausforderung für Theologie und Kirche an: Sie/wir TheologInnen sollten immer auch unseren persönlichen Erfahrungshorizont und die damit verbundenen Interessen benennen. Auch Theologie ist, genau wie andere Wissenschaften, nicht interessen- und geschichtslos.
Aber genauso wichtig wie meine subjektive Geschichte mit dem Lied ist die Tatsache, dass es uns „objektiv“ helfen kann, wenn wir über den Anspruch, mit dem wir hier und heute zusammensitzen, nachdenken, nämlich, wie wir Liturgie und gutes Leben für alle zusammenhalten wollen.
In dem Glauben daran, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, müssen wir Kirchenfrauen und Männer uns fragen (lassen), wie wir auf die gesellschaftliche Ungleichverteilung von Ressourcen reagieren?
Und damit denke ich nicht an die karitative Zuwendung unsererseits zu den arm Gemachten! Sondern meine Frage und die damit einhergehende Herausforderung an Kirche besteht darin, in der eigenen Politik und den gesellschaftlichen Strukturen tatsächlich spürbar und hörbar zu machen – dass der Mensch nicht vom Brot allein, aber auch nicht ohne Brot leben kann!
Unser Frauenmahl stellt sich ja auch explizit in die Tradition der Religionsgespräche zwischen Zwingli und Luther. Anknüpfend an diese Streitgespräche zum Abendmahl möchte ich zum Abschluss eine reformatorische Anfrage formulieren:
Wie können wir in Zukunft verantwortlich Abendmahl feiern: also an die Befreiung aller Menschen aus Unterdrückung und jeglicher körperlichen Erpressbarkeit erinnern, wenn wir zugleich darum wissen, dass „wir das Brot, das wir am Tisch Gottes teilen und das Brot, das wir den Armen vorenthalten, nicht voneinander trennen“ können (vgl. Fachstelle für Feminist. Theologie http//feministischetheologie.ch)?