Brigitte Lösch MdL – Vizepräsidentin des Landtags Baden-Württemberg (Die Grünen)

Karlsruhe, 24.06.2012

Durlacher Frauenmahl

Welche Spielräume haben Politikerinnen gesellschaftliche Veränderungsprozesse nachhaltig zu gestalten?

Was wird aus Hoffnungen, Ideen und Visionen – (für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung) – durch die Rahmenbedingungen und Zwänge des Alltags?

Welche Ideen beflügeln sie für einen lebendigen politischen Diskurs in der Gesellschaft, der Kreise ziehen sollte?

Diese Fragestellung stellt eine richtige Herausforderung dar, all die Punkte in der gebotenen Kürze darzustellen.

Ich möchte eingangs auf die Hoffnungen, Ideen und Visionen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eingehen und wie sie durch die Rahmenbedingungen und Zwänge des politischen Alltags umgesetzt werden können.

Interessanterweise sind das genau die gleichen Fragen, die das Wissenschaftsjahr 2012 auch in den Mittelpunkt seines Programms "Zukunftsprojekt Erde " stellt, nämlich:

Wie wollen wir leben – wie müssen wir wirtschaften – und wie können wir unsere Umwelt bewahren?

Genau richtig kommt da der aktuelle im Mai erschienene Bericht des "Club of Rome", der vor 40 Jahren mit seinem aufrüttelnden Bericht über "die Grenzen des Wachstums" berichtet hat.

Der neue Bericht "2052" deutet darauf hin, "dass die Menschheit nicht überleben wird, wenn sie ihren bisherigen Weg der Verschwendung und Kurzsichtigkeit fortsetzt", heißt es auf der Homepage vom Club of Rome, der Vereinigung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik.

Und genau das ist überspitzt gesagt auch für mich die zentrale Frage, vor der sich unser politisches Handeln bewegt.

Gelingt es uns hier im reichen Baden-Württemberg die Dimension von Nachhaltigkeit klarzumachen und mit einer Debatte über einen anderen Wohlstandsbegriff und einem anderen Wirtschaften, erfolgreich zu sein.

Es rückt dabei eine mehr oder minder über alle Parteigrenzen hinweg ausgeprägte Wachstumsgläubigkeit in die Kritik.

Der politische Spielraum ist eng, denn spätestens 2020 gebietet die neu in die deutsche Verfassung aufgenommene Schuldenbremse, dass auch für die Länder keine Neuverschuldung mehr möglich ist. Deshalb steht das Land vor der schwierigen Aufgabe ein strukturelles Haushaltsdefizit von 2,5 Milliarden Euro bis dahin schrittweise abzubauen.

Die jetzt anstehenden Haushaltsplanberatungen stehen unter dem Motto "Konsolidieren, Sanieren und Investieren". Dies alles unter dem Vorzeichen von finanzieller Nachhaltigkeit, denn eine andauernde hohe Staatsverschuldung verschiebt die Lasten der Krise auf künftige Generationen.

Für uns bedeutet das, sowohl Ausgaben einzusparen, als auch zusätzliche Einnahmen zu erzielen.

Auch bei den geplanten Investitionen soll Nachhaltigkeit ein zentrales Entscheidungskriterium sein.

Nachhaltigkeit ist kein Begriff aus der Öko-Offensive, sondern ein Begriff, der alle Politikfelder betrifft und dabei ökologische Erneuerung mit sozialer Gerechtigkeit paart.

Zu Nachhaltigkeit gehört nämlich mehr als nur die ökonomische Seite – die Gewichte zwischen Staat, Markt und Bürgergesellschaft müssen anders verteilt werden müssen. Und für Wirtschaft und Politik gilt, dass die Zivilgesellschaft auf Augenhöhe beteiligt sein muss.

Deshalb sind auch für mich Themen „Bürgerbeteiligung – Energiewende und Bildungsaufbruch“ im Mittelpunkt der Debatten.

Die Schaffung gleicher Bildungschancen ist mir ein Herzensanliegen – gute Bildung darf nie vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.

Aber auch in der Bildungspolitik sind die finanziellen Spielräume eng geworden, deshalb ist es wichtig, dass die sogenannte demografische Rendite im Bildungssystem bleibt. Das heißt auch wenn die SchülerInnenzahl geringer wird, die LehrerInnenstellen nicht abzubauen. Und es geht darum, dass wir uns nicht verzetteln in zu viele unterschiedliche Bereiche: im Mittelpunkt steht der Ausbau der Ganztagesschulen und der Gemeinschaftsschulen.

Dabei geht es um die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Teilhabegerechtigkeit und Chancengleichheit sind tragende Prinzipien unserer Gesellschaft.

„Baden-Württemberg ist ein gesegnetes Land" – hat der Bundespräsident Gauck bei der Festveranstaltung zu 60 Jahre Baden-Württemberg im Landtag gesagt, aber trotz alledem ist auch in Baden-Württemberg das Armutsrisiko deutlich gestiegen.

Armut bedeutet hier im Land aber nicht nur keine Arbeit zu haben, sondern deutliche Einschränkungen im Bereich der Teilhabe sowohl Einsamkeit und soziale Isolation.

Kirchen und Sozialverbände berichten über eine wachsende Zahl von Hilfsbedürftigen. Um richtig darauf zu reagieren, um Armut zu bekämpfen und zu vermeiden hat das Landesparlament mehrheitlich beschlossen einen Armut- und Reichtumsbericht zu erarbeiten.

Neben Nachhaltigkeit ist es vor allem der Begriff der Teilhabe, der Partizipation, der Beteiligung, der mich in meiner politischen Arbeit beflügelt.

Im grün-roten Koalitionsvertrag heisst es dazu: "Wir wollen eine Gesellschaft, in der jede Bürgerin und jeder Bürger die Möglichkeit und das Recht hat, auf allen Ebenen an Entscheidungen mitzuwirken."

Das beinhaltet zum einen natürlich den Prozess die repräsentative parlamentarische Demokratie mit Instrumenten aus der direkten Demokratie zu ergänzen (Volks- bzw. Büregerbegehren) und zum anderen aber auch die Partizipationsmöglichkeiten beispielsweise von Jugendlichen oder auch von Frauen in der Politik zu verbessern.

Mit einem Frauenanteil von 18,1 % im Parlament sind wir bundesweit das Schlusslicht. Schon in der vergangenen Legislaturperiode war der Frauenanteil im Parlament mit 23,7 % der niedrigste im ganzen Bundesgebiet – aber dass der jetzt noch unterboten wird, konnte ich mir nicht vorstellen.

Der Frauenanteil in politischen Gremien in Baden-Württemberg verharrt seit Jahrzehnten auf einem extrem niedrigen Stand. Nur langsam steigt die Partizipation in kommunalen Ratsgremien an, von durchschnittlich 18 Prozent Frauenanteil in den Gemeinderäten in 1994 auf 22 Prozent bei der letzten Kommunalwahl in 2009. Besonders dramatisch stellt sich die Situation in den Kreistagen dar, hier liegt der Frauenanteil unter den Kreistagsmitgliedern im Landesdurchschnitt bei 16 Prozent.

Alle Maßnahmen, wie die finanzielle Förderung eines Monitoring-Programms für Frauen, Initiativen der Frauenverbände, der Parteien, alle Appelle, mehr Frauen auf die Wahlvorschlagslisten zu setzen, erwiesen sich nicht als geeignet, mehr Frauen in die Gemeinderäte und Kreistage zu befördern. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir gesetzliche Regelungen brauchen, indem wir das Kommunalwahlgesetz ändern und paritätisch besetzte Listen vorschreiben. So wie das jetzt beide Parteien Grüne und SPD beschlossen haben.

Ich habe in der FAZ vor einiger Zeit einen sehr interessanten Beitrag von Professor Dr. Vorländer, einem Politikwissenschaftler, gelesen. Daraus möchte ich gerne noch einen Satz zitieren. Unter der Artikelüberschrift "Spiel ohne Bürger" sagt Professor Vorländer:

"Eine demokratische Ordnung kann nur dann als legitim bezeichnet werden, wenn die Bürger den Eindruck haben, am demokratischen Leben hinreichend beteiligt zu sein." Weiter sagt er: "Daran fehlt es zur Zeit."

Man muß diese Einschätzung nicht teilen. Aber an der Erkenntnis, dass die repräsentative Demokratie in Deutschland, in Baden-Württemberg durch mehr Bürgerbeteiligung und Einbeziehung direktdemokratischer Elemente nur gewinnen kann, führt glaube ich, kein Weg mehr vorbei.

Dies ist übrigens finde ich, nicht nur eine Erkenntnis für die Politik – sondern muss auch ein Anstoss sein für gesellschaftliche Verbände und Organisationen, wie beispielsweise die Gewerkschaften – aber auch die Kirchen und Jugendverbände über bessere Beteiligung nachzudenken.

„Wir haben die Erde nur von unseren Kinder geborgt“ lautet einer meiner wichtigen Leitsätze.

Dafür, dass dieser Satz nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, sondern dass Kinder und Jugendliche tatsächlich die Möglichkeit haben sich zu beteiligen, ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Lebensgrundlagen mit zu gestalten, ist für mich ein wichtiges Ziel. Dazu gehört die Beteiligungsrechte von Kinder und Jugendlichen zukünftig verbindlich in den Gemeindeordnungen zu verankern und das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre abzusenken.

Jugendpartizipation ist nämlich auch eine Frage der GenerationenGerechtigkeit.

Das was wir unter dem Stichwort „Demographischer Wandel“ verstehen, bedeutet ja , dass der Anteil der Jugendlichen immer stärker zurückgeht und die zahl der Älteren zunimmt.

Aber gerade Fragen der nachhaltigen Entwicklung müssen doch auch von denen, die es einmal maßgeblich betrifft, mitbeantwortet werden.

Eine stärkere Beteiligung der Menschen an wichtigen Entscheidungen ist Aufgabe für Politik und Kirche, deshalb schließe ich meine Tischrede mit dem gleichen Appel, mit dem auch der deutsche evangelische Kirchentag im letzten Jahr in Dresden zu Ende gegangen ist, nämlich mit dem Appell zu mehr Bürgerbeteiligung und demokratischer Mitsprache und Schluss mit der ‚Von-Oben-Politik‘.

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