Bundesministerin Schavan: Eltern von behinderten Kindern dürfen nicht unter Druck geraten
Berlin (epd). Der Bundestag arbeitet derzeit an einer neuen gesetzlichen Regelung von Gentests an Embryonen nach künstlicher Befruchtung. Damit reagiert das Parlament auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Jahr zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) tritt für ein Verbot der PID ein. Über ihre Position zur PID und über das geplante Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sprach Jutta Wagemann mit Schavan.
epd: Der Bundestag will im April erstmals über die Gesetzentwürfe zur Präimplantationsdiagnostik beraten. Sie haben sich frühzeitig für ein Verbot ausgesprochen. Was hat Sie so sicher gemacht in Ihrer Entscheidung?
Schavan: Bioethische Fragen bedeuten immer eine Abwägung zwischen sehr ernsthaften unterschiedlichen Gesichtspunkten. Es gibt in der Regel gute Gründe der Befürworter und der Gegner. Man macht sich eine solche Entscheidung nicht leicht. Es gab für mich ein ausschlaggebendes Argument: Ich möchte nicht, dass Eltern mit behinderten Kindern unter Rechtfertigungsdruck kommen. Wenn erst einmal die PID zugelassen wird, wird es ganz schwer sein, Grenzen zu ziehen. Die Entscheidung hat eine fundamentale Bedeutung für die Humanität in unserer Gesellschaft, für den Umgang mit Krankheit und Behinderung.
epd: Ein Gesetzentwurf sieht vor, die PID nur zu erlauben, wenn es um die Auswahl nicht-lebensfähiger Embryonen geht bzw. um Kinder, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im ersten Lebensjahr sterben. Ist das keine Option für Sie?
Schavan: Nein, ich werde in diesen Tagen den Verbotsantrag der Abgeordneten Johannes Singhammer (CSU) und Andrea Nahles (SPD) unterschreiben. Egal, ob ich die Zulassung der PID an der Lebensfähigkeit des Embryos, der Benennung eines Zeitraumes oder an schweren Erbkrankheiten festmache, kann ich angesichts des steten medizinischen Fortschritts schwer begründen, warum dann dort die Grenze liegt und nicht anderswo. Zumal die Frage nicht unumstritten ist, ob zu einem so frühen Zeitpunkt die Lebensfähigkeit prognostiziert werden kann.
epd: Was antworten Sie einer Frau, die bereits Tot- oder Fehlgeburten hinter sich hat und sich sehnlichst ein Kind wünscht?
Schavan: Bei allen Fragen, die mit dem menschlichen Leben am Anfang und am Ende zu tun haben, muss man sich auch mit verzweifelten Situationen befassen. Ich würde dieser Frau meinen Weg zu meiner Position erläutern, in Respekt vor ihren anderen Erwartungen. Doch ein Gesetz ist immer eine allgemeine Regel. Ein ethisches Dilemma kann nicht mit einem Gesetz allein beantwortet werden. Die Ärzte erwarten jedoch zu Recht eine allgemeine Regel. Notwendig ist aber auch ein gesellschaftliches Klima, das nicht geprägt ist von Machbarkeit und Perfektionsdrang, sondern von Unterstützung, Beratung und Hilfe in Notlagen.
epd: Es gab in jüngster Zeit mehrere Stellungnahmen zur PID ohne eindeutige Position: Sowohl der Deutsche Ethikrat als auch die Evangelische Kirche in Deutschland haben Argumente für ein Verbot und für eine begrenzte Zulassung geliefert. Sind solche Stellungnahmen hilfreich?
Schavan: Die überzeugendsten Stellungnahmen sind diejenigen, in denen eine Debatte ehrlich wiedergegeben wird. Auch für die Abgeordneten sind das ganz wichtige Grundlagen, um dieses breite Spektrum der ernst zu nehmenden Argumente wahrzunehmen und sich mit dem eigenen Ringen wiederzufinden. Es wäre eigentümlich, wenn der Eindruck entstünde, es könne bei diesem Thema nur eine Meinung. geben. (epd-Gespräch mit Jutta Wagemann, Ev. Pressedienst, 16. März 2011)