Christina Bergmann – Pfarrerin, Arnsberg

Bremen, 06.11.2013

Mein Name ist Christina Bergmann, aber das war nicht immer so. Früher hieß ich Christoph und war ein Mann. Heute lebe ich als Frau und arbeite als Pfarrerin im Sauerland. Mein Bei-trag zum Thema Identität und Toleranz berührt also die Vielfalt der Geschlechtlichkeiten, der Geschlechtsidentitäten und der geschlechtlichen Orientierungen. Meine Transsexualität (oder Transidentität) ist dabei eigentlich nur ein Beispiel dafür, mit Gott zu sich selbst zu finden, und das eigen Leben aus dieser Gottestiefe heraus anzunehmen, zu gestalten und auch zu lieben.

Es ist ein sehr langer Weg gewesen bis heute, wo ich mich im Einklang fühle zwischen mir selbst, meinem Innen und Außen, meiner Rolle in der Gesellschaft und mit meinem Gott. Toleranz ist nicht eben das, was mich geprägt hat. Es war eher die Moral und die unglückliche Trias von Angst, Scham und Schuld. Geschämt habe ich mich, weil ich anders war. Schuldgefühle hatte ich, weil ich mit meinem Weiblichfühlen gegen den Schöpferwillen ver-stoßen habe (Dtn 22,5: „und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen, denn wer das tut, ist ein Gräuel vor dem Herrn“). Und panische Angst hatte ich, dass irgendjemand das entdeckt. Zog ich mir heimlich einen Rock an, fühlte ich mich „ganz“ und „richtig“, aber es war ja falsch, und so schämte ich mich, fühlte mich schuldig und hatte Angst, dass plötzlich jemand hereinkommt und mich sieht. Hat übrigens niemals einer geschafft. Im Verbergen war ich echt gut!

Meine Identitätsfindung war zum einen bestimmt durch ein Gottesbild, das am besten mit „den Leuten“ zu umschreiben ist. „Was sollen die Leute denken?“ Das Leben bestand aus dem Bestreben der Selbst-Rechtfertigung, um mit dem eigenen Verhalten und Anstrengun-gen „den Leuten“ zu gefallen, vor ihnen zu bestehen, sie gnädig zu stimmen. Ganz unevangelisch! Und zum anderen mit dem, was ich das einfache Evangelium des Morali-schen nenne: „Gott hat dich als Mann geschaffen, dann lebe gefälligst auch so. Du besudelst nicht nur deine Kleider, sondern auch deinen Schöpfer und deine Familie. Wie kannst du uns so etwas antun? Was sollen die Leute denken? Lass es bleiben, kehre um, tu Buße, du musst eben ein Opfer bringen. Nimm dein Kreuz auf dich und trage es in Demut. Gott wird es dir dann einmal lohnen.“

All die Zerrissenheiten und inneren Spaltungen meiner Identität habe ich vergeblich zu the-rapieren und auch zu integrieren versucht. Sie schließlich zu akzeptieren war eine Erfahrung in einem Kloster, in der unmittelbaren Begegnung mit meinem Gott. Da wurde ich nicht fest-gelegt, schon gar nicht als Gräuel vor dem Herrn, sondern angenommen als jemand, die in der Auseinandersetzung mit Gott existenzielle Antworten für sich sucht. Das ist der wahre Freiraum der Kirche in der Welt!

Hier durfte ich in das Geheimnis hineinwachsen, das der Mensch vor Gott immer schon ist. Papst Franziskus sagt: „Die Verkündigung der heilbringenden Liebe Gottes muss der morali-schen und religiösen Verpflichtung vorausgehen.“ Und: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben. […]Man muss immer die Person anschauen. Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein.“

Ich habe erfahren, dass Gott mich liebt und annimmt, wie ich bin, und im Licht dieser Liebe fallen Angst, Scham und Schuld ab. Jene Gelassenheit wird wachgeküsst, die sich geliebt und geschützt weiß. Dieser Liebe folge ich nun, und nicht der Angst. Eine Liebe zu allem, was ist. Ich muss nicht werden, wie mich „die Leute“ haben wollen, sondern kann Gott nachfolgen in meiner Einmaligkeit. Nachfolge ist nämlich nicht moralisch, sondern eine Liebesbeziehung: „Zieh mich dir nach, so wollen wir laufen!“ heißt es im Hohenlied Salomos.

Wir leben in einer Vielfalt, die Gott so gewollt und geschaffen hat. Den Auftrag der Kirche in der Gesellschaft beschreibe ich gerne mit dem ersten Petrusbrief: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“, und das „mancherlei“ aus Luthers Übersetzung heißt im griechischen Urtext poikilos, nämlich „bunt“. (1 Petr 4,10)

Die bunte Gnade Gottes und die Vielfalt ihrer Identitäten und deren Geheimnis ist keine Be-lastung oder Bedrohung, sondern eine wunderbare Bereicherung, eine „diversity“, die wir weder schaffen noch verhindern sollen, sondern die längst schon da ist und die wir als solche wahrnehmen und achten. Ich setze mich für eine Kirche ein, die hier nicht wie ein Wächter vor dem Grabe steht und das Leben verhindert, sondern für eine Kirche, die wie eine Hebamme dem zum Leben verhilft, was leben will. Barmherzig und liebevoll. Selbstwerdung im wunderbaren Freiraum unter Gottes Angesicht. (Im Hebräischen sind „Angesicht“ [panim] und „das Innere“ [penim] ein- und dasselbe Wort.)

Ich danke den Organisatorinnen für ihren Mut, mich einzuladen. Als Zumutung und Ermuti-gung. Mut kommt etymologisch von „muot“, der Kraft des Denkens, Empfindens und Wol-lens. Diesen heiligen, befreienden, reformatorischen Mut zu sich selbst, Gott und anderen, den wünsche ich uns allen von Herzen.

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