Claudia Dillier – Sozialpolitikerin

Stans (Schweiz), 27.01.2012 

Sei was du bist   

Gib was du hast        Rose Ausländer

Was bin ich? Ah, das war doch der Titel der Ratesendung mit Robert Lembke in den 70er Jahren. Mit Fragen musste herausgefunden werden, welchen Beruf die Kandidatin, der Kandidat hat.

Bin ich, was ich beruflich mache?

Als Sozialpolitikerin bin ich an dieses Frauenmahl eingeladen worden. Ja, das ist wahr, Sozialpolitik interessiert mich – und betrifft mich. Prägend war dafür die Geburt meines ersten Sohnes David.

Sei was du bist – ich war mit 17 Jahren eine unverheiratete, unmündige Mutter im 2. Lehrjahr. Für mich und auch für meine Eltern eine schwierige Situation – der Start für mein Lebensmotto – das Beste aus schwierigen Situationen zu machen.

Bei der Vorbereitung meiner Tischrede bin ich auf die Kopie meiner ersten Kündigung gestossen – am 21. Juni 1981 geschrieben an Erziehungsdirektor Alfred von Ah in Sarnen,

„Die Gründe für die Kündigung meiner Stelle liegen ausschliesslich bei den Anstellungsbedingungen und dem Lohn. Ich bin zu einem Stundenlohn von Fr. 12.— angestellt, mit welchem alle Ansprüche abgegolten sind. Mit dieser Regelung komme ich auf einen monatlichen Nettolohn von rund Fr. 820.— Sicher sehen auch Sie ein, dass dieses Gehalt für die Lebenskosten plus Wohnungsmiete für zwei Personen nicht ausreicht. Erkundigungen bei den Vorgesetzten haben ergeben, dass eine Umwandlung dieser Stelle mit Monatslohn nur schwer zu erreichen wäre…… Ich möchte Ihnen für die angenehme Zusammenarbeit bestens danken und meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass in Zukunft Voll- und Teilzeitbeschäftigte beim Kanton Obwalden gleichgestellt werden.“

Ich habe bereits mit 19 Jahren aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht! Auf den Tag genau vier Jahre später habe ich meinen jetzigen Mann geheiratet, hatte meine Zweitausbildung als Sozialarbeiterin abgeschlossen und bin nach Stans gezügelt.

Sei was du bist – in Stans bin ich als verheiratete Frau mit neuem Namen. Das neue Eherecht war wegen dem Referendum der SVP noch nicht in Kraft gewesen, ich habe meinen angestammten Namen gar nicht behalten können. Ich habe einen neuen Lebensabschnitt gestartet. Ganz rasch bin ich vom Frauen- und Mütterverein für die Mitgliedschaft angefragt worden – und bin bis heute nicht beigetreten. Weil ich nachtragend bin! Weil ich in Sachseln als unverheiratete Mutter während sechs Jahren nie angefragt wurde und kaum bin ich verheiratet – bin ich gefragt. Ich bin die gleiche Person – nur der Zivilstand hat geändert.

Meine Zeit als alleinerziehende Mutter hat mich  für soziale Themen geprägt.

– nur die halbe Kinderzulage zu erhalten, weil ich Teilzeit arbeite,  um mein Kind auch selber betreuen zu können

– obwohl ich meine Mutter als Beiständin für meinen Sohn angegeben habe, wird mein Vater von der Gemeinde bestimmt

– bei unveränderten finanziellen Verhältnissen von mir und meinen Eltern werden in einem Jahr Stipendien gesprochen, im nächsten Jahr wird das Gesuch abgewiesen – begründet mit den gleichen Gesetzesparagraphen. Was ist passiert? Die Zusammensetzung der Stipendienkommission hat gewechselt. Auf meinen Rekurs hin, wurde der Stipendienbetrag wieder gesprochen. Offenbar wollte die Kommission kein Verfahren riskieren.

– die Gemeinde machte jährlich einen Kontrollbesuch bei meine Mutter als Betreuungsperson und bei meiner Tagesmutter. Sie verweigert jedoch jede Hilfestellung beim Alimenteninkasso, obwohl dies gemäss dem neuen Kindesrecht vorgesehen wäre.

Die Wahl meiner Zweitausbildung war neben dem Zweck einen Beruf mit Existenzsicherung und Teilzeitarbeitsmöglichkeiten zu haben,  auch eigentliche „Hilfe zur Selbsthilfe“ im Schweizer Sozialwesen gewesen.

 

Gib was du hast

Wenn ich etwas verändern will, muss ich mich auch engagieren. Ich wurde und werde immer wieder reich beschenkt mit meinem Engagement.

– ich lerne neue Menschen kennen, neue Sachgebiete und mache wichtige Erfahrungen.

Die Sozialpolitik wird durch Menschen geprägt.

Auch mit diesem Abend wurde ich beschenkt – Rose Ausländer kenne dich durch ihre Posie. Die mich berüht. Die mir gefällt.

Aber eigentlich weiss ich sozusagen nichts über sie und habe mich im Internet umgesehen. Ihre Biographie, ihre Gedichte entdeckt und die Rose-Ausländer-Stiftung. Und diese bietet genau in der Juniwoche dieses Jahr eine Reise nach Czernowitz an. Genau in dieser Juniwoche, in der ich Ferien eingegeben habe, jedoch noch nichts geplant. Ich packe diesen Zufall und habe mich bereits für diese Reise angemeldet.

Danke für diese Einladung, welche mir einen interessanten Abend und mir eine Reiseidee geschenkt hat. Danken möchte ich mit einem Gedicht von Rose Ausländer.

Ja sagen

zum Leben

Das mit dir

und deinen Worten

spielt

Wortspiele

voller Heimlichkeit

Tücken und Wunder


Lust- und Trauerspiel

deines Daseins

Rose Ausländer

[Rose Ausländer, Ja sagen. Aus: dies., Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976. © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984 – mit freundlicher Genehmigung des Verlages.]

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