„Das ist so gruselig!“

Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende von EFiD, über den Rechtsruck in Deutschland, unterfinanzierte Frauenhäuser und Prostitution. | Interview: Anne Lemhöfer


Frau Kahl-Passoth, Sie waren bis zu ihrem Ruhestand 2013 elf Jahre lang Diakonie-Chefin von Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz. Später waren Sie unter anderem stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates – und seit zehn Jahren sind Sie Mitglied im Präsidium von EFiD. Sie haben also jahrzehntelang für Frauenrechte und Gleichberechtigung gekämpft. Was würden Sie sagen, an welchem Punkt steht der Feminismus gerade?

Ich habe seit den 1970er Jahren viel mitbekommen, was die Entwicklung der Gleichberechtigung von Frauen in Gesellschaft und Kirche betrifft. Ich war eine der ersten
Frauen, die in Westberlin mit allen Rechten ordiniert wurden. Es war keine einfache Zeit, aber wir haben einiges erreicht. Was derzeit passiert, wenn es um das Thema Frauen in der Gesellschaft geht, stimmt mich überhaupt nicht optimistisch. Das Frauenbild der AFD bereitet mir Sorgen. Ich muss leider zugeben: ich blicke ziemlich pessimistisch in die Zukunft. Früher war die Botschaft: Kämpfen lohnt sich immer, auch wenn es mal zwei Schritte vor und dann wieder einen zurück ging. Jetzt denke ich nur noch: Oh je.

Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit war immer das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Ist es ein Hoffnungsschimmer, dass wenigstens das Gewaltschutzgesetz noch unter der Ampel-Koalition verabschiedet werden konnte?

Ja, das war ganz wichtig und hat mich sehr gefreut. 1978 wurde ich eine der so genannten öffentlichen Frauen im ersten Berliner autonomen Frauenhaus. Ein Jahr zuvor hatte ich eine Gemeindepfarrstelle übernommen. Es war gar nicht so leicht, im kirchlichen Umfeld Spenden für die Frauenhausarbeit zu sammeln. Es gab öfter die Ansicht „Naja, die Frauen sind doch selbst schuld“. Es ist uns aber gelungen, den Erlös von einen Gemeindebasar für die Arbeit des Frauenhauses zu bestimmen. Da kamen immerhin 15.000 Mark zusammen, das war nicht wenig! Das erste Frauenhaus war damals in Dahlem. Natürlich blieben Auseinandersetzungen mit der Nachbarschaft nicht aus, die Polizei musste immer wieder anrücken, weil Ehemänner die Adresse ausfindig gemacht hatten und vor der Tür randalierten.

Heute, 47 Jahre später, gibt es immer noch viel zu wenige Plätze in Frauenhäusern. Frustriert Sie das?

Ja, sehr. Die existierenden Frauenhäuser sind völlig überfüllt, viele Frauen bekommen nicht mal einen Beratungstermin am Telefon. Das ist schlimm.

Im Deutschen Frauenrat waren Sie lange Sonderbeauftragte für das Thema Prostitution. Innerhalb der Evangelischen Kirche herrscht noch immer keine Einigkeit, was das so genannte „Nordische Modell“ angeht – also ein Verbot des Kaufs von Sexarbeit, das Freier bestrafen soll. Sie waren immer eine Gegnerin des Modells. Was spricht dagegen? Was müsste stattdessen getan werden?

Man muss das Thema Prostitution einfach sehr differenziert betrachten. Jede Form der Kriminalisierung der Prostitution schadet den Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. Prostitution und Menschenhandel oder Zwangsprostitution müssen getrennt betrachtet werden. Es gibt Frauen, die selbstbestimmt mit Prostitution ihr Einkommen verdienen. Das müssen wir respektieren. Menschenhandel hingegen ist eine Verletzung der Menschenrechte. Heute können Polizei und Sozialarbeit in gewerblichen Räume zeigen, dass sie ansprechbar sind. Mit einem Sexkaufverbot würde Prostitution in Räume verlagert, wo die betroffenen Frauen nur schwer erreicht werden könnten. Im Deutschen Frauenrat waren wir uns übrigens immer sehr einig. Ich selber habe mir ein Großbordell in Berlin durch Vermittlung einer Freundin angesehen.

Sie wollten sich also selbst ein Bild vor Ort machen?

Genau. Ich war sehr beeindruckt, wie professionell alles ablief. Und auch, wie gut sich um die Frauen gekümmert wurde. Das war durchaus fürsorglich. Es ist ein Geschäft, in dem Frauen auch selbstbestimmt und freiwillig arbeiten können. Das ist etwas ganz anderes als Zwangsprostitution und Menschenhandel, die viel intensiver verfolgt werden müssen.

Das klingt nach einem eindrücklichen Erlebnis.

Der Eindruck von den Arbeitsbedingungen dort hat mich beeindruckt.. In der Kirche ist das ja nach wie vor ein schwieriges Thema.

Wie erleben Sie denn im Moment die politische Stimmung in Ostdeutschland?

Es macht mir Angst, wie sich dort wie auch in vielen anderen Regionen Europas das Frauenbild der Rechten und ihre rassistische Weltanschauung immer mehr ausbreiten. In Berlin geht es ja noch, aber sobald Sie nach Brandenburg rausfahren, wird es ganz gruselig.

Können Sie sich erklären, warum die AFD dort so viel Zuspruch bekommt?

Ich glaube, es ist alles viel zu schnell gegangen damals nach der Wende. Die Menschen mussten Demokratie neu lernen, und wurden in vielen Punkten gar nicht beteiligt. Ihre Sorgen wurden nicht ernst genommen. Die politischen Umwälzungen haben die Menschen nicht mitgenommen. Alles wurde auf einen Schlag anders, von der Regel, wie Mülleimer geleert werden, bis hin zu den politischen Parteien, die es auf einmal gab. Es wurde nicht gut mit den Menschen umgegangen. Ich kann natürlich trotzdem nicht verstehen, wie man die AFD wählen kann!

Tut die Kirche genug, um dem entgegenzuwirken?

Die Kirche tut eine ganze Menge. Es gibt viele engagierte und mutige Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, haupt- und ehrenamtlich, die durchaus unter bedrohlichen Umständen arbeiten. Gerade im ländlichen Raum spielt die Kirche mit ihren Strukturen und Netzwerken eine wichtige Rolle in der Zivilgesellschaft. Aber ich sage auch ganz ehrlich: Da müssen jetzt die Jüngeren ran!