Dr. Alexa Brum – Leiterin der I.E. Lichtigfeld-Schule im Philanthropin, Frankfurt

Marburg, 30.10.2011 

Ein Frauenmahl – ein abendliches Mahl unter Frauen halten
wir. Und auch, wenn es ausdrücklich heißt: Das Frauenmahl ist kein Abendmahl,
so drängt sich diese Assoziation doch auf: Abendmahl – der letzte Seder des
Wanderlehrers und – predigers Jeschua. Wie alle Juden hat er an diesem Abend
des Auszugs aus Ägypten gedacht, ihn gefeiert, als sei er selbst dabei gewesen.
Denn eigentlich geht es gar nicht um den Auszug, sondern um das Geschenk der
Freiheit, das jedem versklavten Hebräer an diesem Tag gegeben wurde.

Wurde diese Freiheit nur den Hebräern geschenkt? Der
Midrasch[1] berichtet, Gott habe die
Offenbarung allen Völkern angeboten. Sie lehnten es damals ab – die Hebräer
griffen eben zu. Es ging ihnen so schlecht, dass sie wagten ihre ganze Hoffnung
auf Gott zu setzten. Die Sicherheit des Elends und der Versklavung verschlang
ihre Seelen. In ihrer Not waren sie bereit fürs Risiko. Das Angebot aber blieb
und bleibt zu allen Zeiten für alle
Menschen
bestehen.

Nach dem ersten Schritt, dem Aufbruch voller Kraft und Elan,
kam die Zaghaftigkeit: das Volk der Hebräer wollte zwar die Freiheit, aber
irgendwie – bitte sehr – eine bequeme Variante. Die gibt es nun mal nicht! 40
Jahre Wanderschaft durch die (auch innere) Wüste reduzierte die Bedürfnisse auf
das, was wirklich zählt, auf die Essenz: die Gebote, die ein behutsames
Miteinander auf dieser Erde ermöglichen sollen, zwischen Mensch und Mensch,
Mensch und Mitkreatur, dem Tier, Mensch und Natur, verantwortet vor DEM, der
alles geschaffen hat. Im Judentum nennen wir dieses Prinzip „Tikkun olam“[2], Heilung der Welt. Handle
so, dass das, was in der Welt schief läuft, geheilt wird.

Es ist ein schwieriges Geschenk, wie es sich auch damals
schon zeigte. Freiheit bedeutet: sich nicht abhängig machen, nicht erpressbar
sein, Druck widerstehen, Mangel aushalten; wenn ich es will, wenn ich meine
Freiheit nicht für die „Fleischtöpfe Ägyptens“ hergeben will. Es kann sein,
dass ich für diese Freiheit gegen den Strom schwimmen muss und Nachteile
erleide.

Ohne die Unterstützung seiner Schwester Myriam hätte Mosche
es nie geschafft, sein Volk all diese Jahre durch die Wüste zu führen. Sie war
da, wusste, wie es dem Volk ging, machte Mut, beriet den Bruder, forderte und
förderte ihn und brachte sich voll ein.

Es erinnert mich an heute: Wieder brechen Menschen auf,
verlassen die Sicherheit des Elends, fliehenunter Lebensgefahr und gehen auf die Straße um die Mindestansprüche der
von Gott allen Menschen geschenkten Freiheit herauszuschreien und einzufordern.
Das Elend treibt zu Mut, Tatkraft, Opferbereitschaft und Gemeinsamkeit – auch
zwischen den Geschlechtern! Wir haben es dieses Jahr wieder beim so genannten
Arabischen Frühling erlebt: Frauen stehen mittendrin, stehen ein für die
Forderung nach dem, das allen Menschen zusteht – nach Freiheit für ihre
Familien, die Zukunft ihrer Kinder und meistens zuletzt erst für sich selbst.

Und wenn dann der Neuaufbau beginnt, sind es wieder die
Frauen, die zupacken, wie wir es nach jedem Krieg, jeder Hungersnot beobachten
können. Sie leisten doppelt und dreifach, verrichten härteste Arbeit, halten
die Familien zusammen und ziehen die Kinder groß. Überwiegend sind sie es, die
die Basis für eine neue Zivilgesellschaft legen. Und sie sind es, die diese
Gesellschaften stabilisieren: als Mütter, Lehrerinnen, Ärztinnen, Pflegerinnen,
Trösterinnen und überall dort, wo sie gebraucht werden und wo sich eine Nische
für sie öffnet.

In allen diesen Tätigkeiten haben sie Begegnungen mit
anderen Frauen. Ich arbeite seit fast 40 Jahren überwiegend mit Frauen zusammen
und bin dankbar für die vielen Momente unausgesprochener Übereinstimmung,
gegenseitiger selbstverständlicher Hilfeleistung, gemeinsamer zäher Kämpfe,
plötzlichen übermütigen Gelächters und einem grundsätzlichen Einverständnis
darüber, dass wir alle dieselben Freuden und Nöte kennen, egal, woher wir
kommen, welche Religion wir haben und welchen gesellschaftlichen Stand.

Wir sind es, die der künftigen Gesellschaft ihr Gesicht
geben, indem wir unseren Kindern Menschlichkeit, Neugier auf den anderen, der
nicht der Fremde bleiben soll, Tatkraft, Hilfsbereitschaft und Mut zur
Ehrlichkeit vorleben und es ihnen abfordern sollen.

Und trotzdem müssen wir noch um Partizipation ringen, wie
die gesellschaftliche Realität in Verbänden, Politik, Kirchen und der Industrie
zeigt, überall – völlig unabhängig von Religion und Ideologie.[3] Diese Freiheit sollen wir
uns alle nehmen, auch wenn es nicht immer bequem ist. Aber Freiheit einfordern
ist niemals einfach.

Ich wünsche allen arabischen Staaten, die den Aufbruch aus
der Sklaverei gewagt haben, dass sie sich die Zeit für 40 Jahre Wüstenwanderung
gönnen um heraus zu finden, welche Regeln des Zusammenlebens für sie und die
Welt gedeihlich sind und dass sie dabei nicht die Stärke ihrer Frauen
verdrängen, sondern sie sich zum Wohle der Gesellschaft entfalten lassen.

Für die Frauen bedeutet das einen dreifachen Kampf. Nach der
errungenen bürgerlichen Freiheit müssen sie nun weiter für die Freiheit ihres
Geschlechts streiten und dabei sicherlich oft auch noch gegen ihre anerzogene Prägung
ankämpfen.

Und uns im freien Westen lebenden Frauen wünsche ich Lust am
In-Frage-Stellen. Dass wir nicht allzu satt in unserem bequemen Leben über
fehlende Freiheiten hinweg sehen, sondern für sie zu streiten bereit bleiben.



[1] Ein
Midrasch ist eine talmudische Lehrerzählung zur Verdeutlichung religiöser
Gebote.

[2] Nach
jüdischer Auffassung hat Gott die Welt in 6 Tagen geschaffen, aber nicht zu
Ende gestaltet. Die Ausgestaltung obliegt dem Menschen.

[3] Die
meisten Systeme wurden von Männern gestaltet. Es gibt im Judentum hervorragende
Bibelwissenschaftlerinnen, auch streng orthodoxe. Die Regeln der Orthodoxie
gesteht ihnen wohl große Anerkennung und sogar Professorate zu, aber niemals
die Ordination zur Rabbinerin. Das ist bei konservativen und liberalen Juden
anders. Hier sehe ich Parallelen in Christentum und Islam.

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