Dr. Annette Maleika – Chefärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe der GRN-Klinik Schwetzingen

Heidelberg, 27.Oktober 2013

Wie kann die Gesellschaft mit diesen Möglichkeiten umgehen?

Welche beruflichen Erfahrungen haben Sie in diesem
Zusammenhang geprägt?

Frauenmahl – das gibt es auch neuerdings in der Medizin.
Vor 2 Wochen war ich auf einem Kongress zu einem Womens Surgeon Lunch
eingeladen. Am Ende stand eine kleine chilenische Ärztin auf und erzählte: Ich
bin eine Frau, klein und zierlich. Meine Patienten möchten gerne, dass ich mich
um sie kümmere, ihnen die OP erkläre- aber operiert werden wollen sie nur von
einem Mann. Was kann ich tun?

Darauf antwortete die Chefin der Moskauer Frauenklinik:
Hören Sie auf, über sich nachzudenken oder an Ihnen zu zweifeln! Tun Sie Ihren
Job und das Beste für die Patientin!

Das erscheint mir eine ganz wichtige Einstellung zu sein,
wenn Frauen in der Medizin aber auch in der Gesellschaft etwas bewegen und
verändern möchten.

In meinem Fachgebiet stellen sich Behandlungsbedürfnisse
von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bis hin zum Tod. Richtlinien für
ethische Entscheidungen finden wir in den Gesetzen, bei Hippokrates, in der
Bibel und in unserer weiblichen Intuition.

Ich möchte drei Beispiele für umstrittene Möglichkeiten
ärztlichen Handelns in meinem Fach skizzieren:

Das erste ist die Präimplantationsdiagnostik. Mit der
Verordnung des Bundeskabinetts 2013 wird die genetische Untersuchung der
pluripotenten Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer,
trotz eines grundsätzlichen Verbots, in Ausnahmefällen und innerhalb enger
Grenzen für nicht rechtswidrig erklärt.

Dann können Paare ab 2014 nach einer künstlichen
Befruchtung zu der Methode greifen, wenn ihre Genanlagen eine Tot- oder
Fehlgeburt oder schwere Krankheit des Kindes wahrscheinlich machen. Für die
Betroffenen und die Ärzte stellt sich vor einer möglichen Durchführung der PID
die Frage nach der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Dabei
wird die Entscheidung zugunsten des Embryonenschutzes oder zugunsten einer
voraussichtlich gesunden Nachkommenschaft fallen.

Das auswählende Vorgehen kann bereits bei der Anwendung
der pränatalen Diagnostik fragwürdig und ethisch bedenklich sein. Bei
Medizinern und Patienten es gibt nämlich auch das Bedürfnis nach Perfektion.

Die Aufgabe der Medizin wird gelegentlich nicht nur darin
gesehen, Leben zu erhalten, sondern es zu vervollkommnen. „Das perfekte Baby“,
damit wirbt z.B. eine amerikanische Samenbank.

Auch das Problem, dass genetisch belastete drei Tage alte
Embryonen im Rahmen der PID abgetötet werden, führte dazu, dass die Kirchen die
Methode ablehnen.

Pränatale Diagnostik wird aber nicht ausschließlich mit dem
Ziel durchgeführt, Embryonen mit einer genetischen Krankheit abzutreiben,
sondern sie hat durchaus auch lebenserhaltende Motivationen.

Es geht hier in meinen Augen nicht um die Frage von
Krankheit und Gesundheit, von behindert und nicht behindert, von „lebenswert“
und „nicht lebenswert“, sondern um „Lebensfähigkeit und Lebensunfähigkeit“. Und
nur in diesen Fällen würde die IVF in Verbindung mit der PID allein dem Ziel
dienen, Leben zu ermöglichen.

Eine weitere Herausforderung ist die Behandlung krebskranker
Menschen. Im Altertum mussten die Menschen Infektionen, Krebs und andere
Erkrankungen oft als unheilbar annehmen.

Mittlerweile haben wir Operationen und Medikamente, mit
denen wir Krankheiten nicht nur lindern sondern auch heilen können. Die Natur
einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin liegt darin, die Grenzen des
Machbaren stets zu expandieren.

Vor dem Hintergrund der unantastbaren Menschenrechte
setzt sich in der Moderne auch der Grundsatz individueller Selbstbestimmung
durch. Im informed consent sind wir gefordert, mit dem Patienten den für ihn
bestmöglichen Behandlungsweg zu finden. Dazu wurde in diesem Jahr ein sogar
Patientenrechtegesetz verabschiedet, das verschiedene Rechtsansprüche des
Patienten gegenüber Ärzten und Sozialinstitutionen bündelt.

Oft sind krebskranke Patienten angesichts einer
lebensbedrohlichen Erkrankung bereit, sich wissenschaftsgläubig an jeden
therapeutischen Strohhalm zu klammern. Die moderne Medizin wird oft die
Grundlage für die vielleicht letzte Hoffnung.

Als onkologisch tätige Ärztin würde ich manchen
Patientinnen gerne die Strapazen einer wiederholten Operation oder einer
Chemotherapie ersparen, wenn es keine Aussicht auf Verbesserung gibt. Das kann
aber dazu führen, dass Patientinnen sich aufgegeben fühlen und das
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerbricht.

Andererseits haftet der modernen Medizin der Ruf an, sie
betreibe Lebensverlängerung des wehrlosen Patienten um jeden Preis.

Deshalb wurden Patientenverfügungen installiert, die die
Patienten vor vermeintlich selbstherrlich entscheidenden Ärzten schützen soll.
Dennoch entbindet sie uns Ärzte aber nicht von der Pflicht, in
der konkreten Situation den vermeintlichen Willen des Patienten zu ergründen.

Warum brauchen wir heute ein Patientenrechtegesetz oder
Patientenverfügungen?

Jeder Arzt, jede Ärztin fällt ständig ethische
Entscheidungen. Bereits vor zweieinhalb Jahrtausenden verpflichtete der
griechische Arzt Hippokrates die Ärzte im Hippokratischen Eid bereits darauf,
das Wohl der Leidenden, der Patienten, ins Zentrum zu rücken und die eigenen
Interessen dahinter zurücktreten zu lassen.

In unserer modernen Medizin tritt an die Stelle einer
paternalistischen Verfügung des Arztes über den Patienten ein partnerschaftliches
Gegenüber von Arzt und Patient – auch von Pflegekräften und Angehörigen –, in
dem alle Seiten in Entscheidungen einbezogen werden und auch Verantwortung
tragen. Die Gesundheitsverantwortung des Patienten gewinnt ebenso an Bedeutung
wie die Informationspflicht des Arztes.

Aber ist nicht Vertrauen wichtiger als Verträge?
Vertrauen entsteht durch Anteilnahme. Die Medizin ist ein Anwalt des Lebens und
der Arzt ein Anwalt des Patientenwillens im Leben und Sterben.

Ärztinnen und Ärzte sind gemäß Hippokrates dem Leben
verpflichtet. Aber zu ihrer humanen Verantwortung gehört es eben auch, dem
Sterben Raum zu geben, wenn es an der Zeit ist und den Patienten zu begleiten.

Die Bibel macht uns gewiss, dass Gott den Menschen zu
seinem Ebenbild geschaffen hat. Das ist eine enorme Wertschätzung eines jeden
Menschen.

Doch trotz dieser Hochschätzung wird an vielen Stellen
auf Krankheit und Leid hingewiesen. Der Mensch ist letztlich ein verletzliches
Geschöpf, das sich seiner Endlichkeit immer wieder bewusst wird.

Meine Erfahrung ist, dass Patientinnen, die einen Glauben
haben, sich viel leichter tun in ihren gesundheitlichen Entscheidungen von
Pränataldiagnostik über Therapieentscheidungen bis hin zur Formulierung des
letzten Willens. Sie sind gewiss, dass sie ihr Leben Gott verdanken und ihr
Leben in Gottes Hand gut aufgehoben ist.

Dieses Leben ist nicht immer von uns planbar. Leben lässt
sich vor Leid und Tod nicht schützen. Gott hat sich in Jesus selbst dem Leid
ausgesetzt und es auf sich genommen. Und das bedeutet: Auch im Leid und beim
Scheitern von Plänen und Hoffnungen ist Gott den Menschen nahe. Wer glaubt, der
kann hoffen.

Glaube, Liebe und Hoffnung sind die besten Medikamente
für Patienten und Grundvoraussetzung ärztlicher Heilkunst.

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