Dr. Aurica Nutt – Arbeitsstelle Feministische Theologie und Genderforschung, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Münster

Marburg, 30.10.2011

Sehr geehrte Damen, liebe Organisatorinnen,

danke für die Ehre, hier heute sprechen zu dürfen. Mein
Arbeitsplatz – das haben sie soeben gehört –ist die „Arbeitsstelle feministische Theologie und Genderforschung“,
womit zugleich ein Themenfeld benannt ist, dem ich mich auch in meiner Freizeit
mit Überzeugung widme. Genderforschung in der Theologie, geschlechterbewusste
oder geschlechtersensible Theologie, was ist das, was bedeutet sie mir
persönlich und warum könnte sie für Sie alle interessant sein?

Um darüber reden zu können, muss ich erst von
feministischer Theologie sprechen. Was verbindet mich mit ihr? Auch von anderen
Frauen kenne ich den Satz, der für mich gilt: Vor allem wegen der
feministischen Theologie bin ich hauptberuflich Theologin geworden und
geblieben. Sie ist mir wissenschaftliche und spirituelle Heimat. Dafür gibt es
vier Gründe, wobei ich wegen ihrer Vielfalt lieber von Theologien spreche:

-Erstens:
Feministische Theologien sind erfahrungsgesättigt. Sie sind natürlich nicht die
einzigen Theologien, die sich aus Erfahrungen speisen und dies auch
reflektieren, aber für mich sind viele von ihnen diejenigen Ansätze, in denen
ich mich sowohl mit meinen Schwächen als auch meinen Stärken wiederfinde.
Außerdem bringen sie mir die Erfahrungen anderer Frauen nahe, erklären diese
für theologisch relevant und fordern mich dadurch in meiner Selbstbezogenheit
heraus.

-Zweitens:
Feministische Theologien haben in Zusammenarbeit vieler Frauen aus der ganzen
Welt Gottesbilder entwickelt, die mich an-sprechen. In meiner Promotion habe
ich mich vor allem mit der US-amerikanischen Theologin und Ordensfrau Elizabeth
Johnson befasst, die im Dialog mit der Tradition weibliche Gottesbilder
formuliert hat. Diese nennt Johnson „Sie die ist“ und „Sie die einwohnt“. Wie
Johnson weiß ich, dass wir Gott nicht erkennen können und dass er/sie/es kein
Geschlecht hat, dennoch hat mich diese Form der Gottesrede bereichert und
ermutigt. Denn Johnson entwirft ein Bild Gottes, die (!) mit den Leidenden
mitfühlt. Und sie hat die Frauen darin bestärkt, dass sie in gleichem Maße wie
die Männer gottebenbildlich sind – mit allen Konsequenzen.

-Drittens:
Feministische Theologien leben von Vernetzung. Sie werden von vielen Frauen
betrieben, die ich als Personen und Denkerinnen schätze. Zum einen kenne ich
diese Frauen über die Zeitschrift „Schlangenbrut“, in deren Redaktion ich seit
etwa 10 Jahren mitarbeite, aber auch über meine Erwerbsarbeit an der Uni
Münster habe ich mit vielen klugen und sensiblen Frauen zu tun, die um eine
zeitgemäße Theologie ringen. Einige sind älter, anderejünger als ich. Von einigen lerne ich,
anderen bringe ich vielleicht etwas bei, aber der Vorgang ist nie einseitig.

-Und viertens:
Feministische Theologien sind (überwiegend) bereit zur Korrektur und
Veränderung, wie die Schlange, die der „Schlangenbrut“ den Namen verliehen hat
und die sich regelmäßig häutet. Wichtige Debatten, die nicht spurlos an diesen
Theologien vorübergegangen sind, waren die um Antijudaimus und Rassismus. In
den letzten Jahren haben viele Theologinnen erneut gelernt und ihren
Blickwinkel erweitert, indem sie eine Offenheit für kritische Männerforschung
in der Theologie entwickelten.

Soeben habe ich vier Facetten feministischer Theologien
skizziert: ihren Reichtum an Erfahrungen, ihre ermutigenden Gottesbilder,
intensiven Vernetzungen und die Bereitschaft zur Veränderung. Wenn sich nun feministische
Theologinnen mit Theologen austauschen, vernetzen und verbünden, die ihr
Mannsein kritisch reflektieren, was entsteht dann Neues? Es entsteht eine
geschlechtersensible oder geschlechterbewusste Theologie, deren Eigenschaften
ich auch anhand der vier Themen „Erfahrung, Gottesbilder, Vernetzung und
Veränderung“ andeuten möchte.

-Die
zahlreichen und höchst diversen Erfahrungen von Frauen, welche sowohl schöne,
als auch schwierige geschlechtsspezifische Erlebnisse beinhalten, werden „in
ein neues Licht“ gesetzt durch die schönen, aber auch schwierigen Erfahrungen,
die Männer mit ihrem Mannsein gemacht haben. Beides ist theologisch höchst
bedeutsam.

-„Wenn Gott
männlich ist, ist das Männliche Gott.“ Dieser Satz von Mary Daly fordert
Theologinnen und Theologen heraus. Die Theologinnen insofern, als es umgekehrt
auch nicht um eine Dominanz „des“ Weiblichen – was immer das ist – gehen kann.
Und die Theologen, weil sie sich fragen müssen, inwiefern sie von der langen
und dominanten Geschichte eines fast ausschließlich männlichen Gottesbildes
profitieren. Aber auch für ihre Leidensgeschichten mit diesem Gott muss es Raum
geben, und für männliche Gottesbilder, mit denen Männer etwas anfangen können.
Es stellen sich jedoch weitere Fragen: Schließt ein weibliches Gottesbild denn
Männer aus, wie so oft befürchtet wird? Und ist jedes männliche Gottesbild
problematisch für Frauen? Oder bedürfen sie nicht vielmehr der gegenseitigen
Ergänzung und Bereicherung? – Und auf einer anderen, grundlegenden Ebene:
Scheinbar selbstverständliches Mannsein und Frausein bedarf der Dekonstruktion,
die auch für unsere Gottesbilder durchzubuchstabieren ist, wie es Gisela
Matthiae längst eindrucksvoll mit der „Clownin Gott“ getan hat.

-Zum Thema
Vernetzung meine ich, dass es beides geben muss: Sowohl Orte, an denen
ausschließlich Frauen sich treffen, austauschen, zusammen denken und feiern –
so wie wir heute Abend! Aber es braucht auch das Gespräch und das Schmieden von
Koalitionen mit Männern, die ihr Mannsein kritisch reflektieren.

-Die
Herausforderung, sich zu verändern, stellt sich allen Geschlechtern. Hier
müssen wir sensibel sein, nicht nur für die Herausforderungen, welche Mann- und
Frausein mit sich bringen – oder etwas drittes -, sondern auch das „homo“ oder
„hetero“ sein – oder etwas anderes–, und das evangelisch oder katholisch,
jüdisch oder muslimisch oder gar nichts von alledem Sein.

Für die Zukunft wünsche ich mir und uns, dass sich sowohl
der innerchristliche als auch der interreligiöse Dialog geschlechterbewussten
Perspektiven öffnen. Dies setzt voraus, dass in allen Konfessionen und
Religionen Frauen und Männer darüber nachdenken, inwiefern ihr Glaube sie auf
eine scheinbar eindeutige Geschlechts- und sexuelle Identität festlegt, die
problematisch sein kann. Und inwiefern sie innerhalb ihrer Gemeinschaft von
festen Vorstellungen und deren religiöser Überhöhung profitieren – oder
darunterleiden.

Wenn wir über diese Erfahrungen ins Gespräch kämen,
unsere Gottesbilder unter dieser Perspektive befragten, uns daraufhin
vernetzten und uns veränderten… So wünsche ich mir einen offenen Austausch, der
unsere Glaubensgemeinschaften verändert und uns wirklich einander näher bringt.

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