Dr. Aurica Nutt – Feministische Theologin Universität Köln

Tischrede beim Frauenmahl in Gelsenkirchen am 14. September 2017
 

Guten Abend und guten Appetit, meine Damen!

Ich freue mich über die Einladung zu dieser schönen Veranstaltung – danke dafür!
Über das Thema „Zusammenleben gestalten“ habe ich mir aus Sicht einer feministischen Theologin Gedanken gemacht und möchte dazu in zwei Schritten etwas sagen.

1.Was ist überhaupt feministische Theologie oder – wie viele heute eher sagen würden – theologische Geschlechterforschung?
2.Warum ist das Thema wichtig für die Frage nach der Gestaltung unseres Zusammenlebens?

Zum 1. Punkt:
Feminismus ist für viele ein Reizwort – meiner Meinung bezieht sich das auf überholte Vorstellungen, was Feminismus ist. Für mich bedeutet Feminismus, dass der Situation von Frauen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird: Inwiefern sind sie gesellschaftlich benachteiligt und wie kann das geändert werden? Zum Beispiel sind Frauen nach wie vor stärker bestimmten Klischees unterworfen, wie sie auszusehen und sich zu verhalten haben; sie sind häufiger von Armut bedroht und Opfer sexualisierter Gewalt. Und – das müssen sich die christlichen Kirchen, aber auch die anderen Religionen fragen – inwiefern sind die Benachteiligungen von Frauen mit Argumenten begründet oder zumindest geduldet, die aus dem Glauben stammen oder vorgeben, dort ihre Wurzeln zu haben?
Das Anliegen des Feminismus außerhalb und innerhalb der Religionen ist es jedenfalls, die Situation von Frauen zu verbessern. Insofern ist Feminismus nicht neutral, sondern politisch engagiert und dabei parteiisch für Frauen.

Feministische Theologie analysiert die Frage nach der Benachteiligung von Frauen in den Religionen und aus Sicht dieser Religionen. In meinem Fall hinterfrage ich also vor allem kritisch das Christentum, genauer gesagt die römisch-katholische Kirche, zu der ich gehöre. Ich arbeite aber auch mit Frauen anderer christlicher Kirchen, zum Beispiel Protestantinnen, und mit Frauen anderer Religionen, zum Beispiel Muslimas, zusammen.

Haben sie es gemerkt? Bisher habe ich ausschließlich von Frauen gesprochen, aber nicht von Männern, dabei sind Männer in Bezug auf fehlende Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ja nicht nur „Teil des Problems“, wenn ich das so sagen darf, sondern auch Teil der Lösung. Ein Ende des Sexismus ist ohne Männer, die umdenken und die sich selbst aus festgefahrenen Vorstellungen von Männlichkeit befreien, nicht zu erreichen. Beispiele fallen Ihnen selbst genug ein, denke ich!

Und wenn wir so allgemein „Frauen“ sagen, die – wir – sind ja auch nicht alle gleich, im Gegenteil! Und auch unter Frauen gibt es Ungerechtigkeit. Die schwarz-weiße Vorstellung eines „Patriarchats“, in dem die einen nur die unschuldigen, weiblichen Opfer sind und die anderen die männlichen Täter, wurde von Feministinnen selbst längst stark differenziert. Und diese Differenziertheit und Vielfalt entspricht auch unseren höchst unterschiedlichen Erfahrungen. Jedenfalls stelle ich mir vor, dass Sie auch jetzt wieder reichlich Beispiele vor Augen haben.

Inzwischen werden auch andere Bezeichnungen alternativ zum Wort „Feminismus“ gebraucht – gerade weil dieses sich so stark vor allem auf Frauen zu beziehen scheint. Darum ist jetzt auch häufig von „Geschlechterforschung“ die Rede, von Theologischer Geschlechterforschung in Bezug auf mein Fach, die Theologie. Oder von „geschlechterbewusster oder geschlechtersensibler Theologie“. Andere wiederum sagen, dass diese Begriffe zu „nett“ sind, zu harmonisch und darum halten manche bewusst am unbequemen Wort „Feminismus“ fest. Also auch hier sehen wir eine große Vielfalt.

Zum 2. Punkt
Nun komme ich zur Frage nach der konkreten Relevanz dieser Überlegungen: Ist das nicht alles Theorie? Ich denke, nein, denn unsere Begriffe prägen unsere Wahrnehmung und damit unsere Handlungen, und wir können Unrecht, aber auch Perspektiven zu seiner Beseitigung nur wahrnehmen, wenn wir dafür eine Sprache haben. So bezeichnet zum Beispiel das, erstmal sperrige Wort „Heteronormativität“ die Tatsache, dass unsere Gesellschaft in hohem Maße darauf ausgerichtet ist, dass ein Liebespaar aus einem Mann und einer Frau besteht. Wenn dies anders ist, beginnt Diskriminierung – von der mangelnden Begeisterung der Eltern, wenn ihnen der schwule Sohn oder die lesbische Tochter den neuen Partner/die neue Partnerin vorstellt, bis zur verbalen und körperlichen Gewalt an Schwulen und Lesben. Auch diese Thematik gehört zur Geschlechterforschung, denn „Geschlecht“ meint nicht nur unsere Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht, sondern auch unsere Geschlechtlichkeit, unsere Sexualität und wie wir sie leben,
Gerade in Bezug auf sexuelle Vielfalt hat auch die Theologie noch viel Arbeit vor sich: Was sind die religiösen Wurzeln bestimmter Normen und Werte? Welchen Beitrag leistet die – in meinem Fall christliche, katholische Tradition zur Diskriminierung? Bietet sie Perspektiven für eine Verbesserung der Situation an?
Ich bin davon überzeugt, dass die Ursachen der von mir angerissenen Herausforderungen in der Religion zu finden sind – auch bei Menschen, die sich gar nicht mehr als religiös verstehen, aber von diesem oder einem anderen Kulturkreis geprägt sind.: in ihren Vorstellungen, wie ein Junge, ein Mann zu sein hat, wie ein Mädchen und eine Frau. Und wen diese Menschen lieben dürfen und wen nicht.
Und ich bin davon überzeugt, dass unsere Überzeugungen sich unmittelbar auf unser Zusammenleben auswirken. Ich jedenfalls wünsche mir – und uns – von unserem Zusammenleben, dass alle Menschen in Bezug auf ihr Geschlecht und ihre Geschlechtlichkeit ohne Angst und Scham so leben können, wie sie wollen. Wir alle haben es in der Hand, im Privatleben aber auch im kirchlichen und politischen Bereich, wenn wir mutig und solidarisch öffentlich Stellung beziehen. Die Religion kann uns dazu ermutigen, zum Beispiel mit dem großartigen Satz aus dem Johannesevangelium, als eine Ehebrecherin gelyncht werden soll und Jesus sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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