Dr. Beate Hofmann – Bischöfin der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck

Bischöfin Dr. Beate Hofmann Witzenhausen
Frauenmahl 14.5.2022
„homeoffice oder home – Retraditionaliserung

Liebe Frauen,

ich sehe sie noch gut vor mir, diese Situationen, wo meine Referentin und ich eine wichtige Sitzung vorbereitet haben und der siebenjährige Sohn neben dem Computer mit seinem Lego spielte. Er wurde zunehmend ungnädig, die Störungen kamen in immer kürzeren Abständen, die Nerven aller Beteiligter wurden immer dünner. Zwei Frauen aus meinem Stab hatten diesen Jonglierakt zwischen Homeoffice und Homeschooling. Bei beiden sind die Ehemänner auch im homeoffice gewesen, aber die Legotürme sind eher bei uns umgefallen.

Ich selbst hab keine Kinder, aber Eltern. Im Lockdown war mein Vater im Krankenhaus, ich mit digitaler EKD-Synode bei meiner dementiell erkrankten Mutter. Das hat Spuren in der Beziehung hinterlassen…

Besonders unvergessen die Fernsehreportage über eine alleinerziehende Pharmareferentin mit dreijährigen Zwillingen. Die schlief kaum noch, um ihren Job irgendwie zu meistern. Was ist aus der Frau geworden? Ist sie jetzt arbeitslos? Krank? Haben die Kinder die Zeit ohne tiefere Folgen überstanden? Ist diese Frau vom typisch deutschen Rabenmuttersyndrom geplagt?

Das Wort gibt es nur in der deutschen Sprache, das Phänomen verdanken wir der intensiven Bemühung der Nationalsozialisten, den Frauen ihre primäre Aufgabe als Mütter klar zu machen und sie aus dem Arbeitsleben herauszuholen. In den 50er Jahren hat das noch mal geklappt.

Und wie kam es dazu in der Pandemie? Für sehr viele Frauen in Deutschland gehört es heute selbstverständlich dazu, sich um Kinder zu kümmern und einen Beruf zu erlernen, und zwar einen, der sie interessiert. Die Kompatibilität mit Familie spielt zwar bei der Berufswahl noch eine Rolle, aber sie ist nicht mehr ausschlaggebend. Und für viele Männer ist klar, dass sie sich an der Sorgearbeit in der Familie beteiligen und wenn Kinder kommen, beruflich für einige Zeit etwas zurückstecken. Familienbilder haben sich gewandelt, auch in der Kirche.

Trotzdem arbeiten eher die Frauen in Teilzeit als die Männer. Unterschiedliche Lohnniveaus sind ein Teil der Begründung, unterschiedliche Haltungen zu Sorgeverantwortung, unterschiedliche Leitbilder von gutem Leben vermutlich weitere Gründe. Meist funktioniert die Balance von Arbeit und Familie halbwegs gut – bis die Krise kommt. Jetzt hatten wir die Krise und fragen uns: was lernen wir daraus?

Darüber müssen wir politisch ins Gespräch kommen. Ein wichtiges Stichwort in diesem Diskurs in der Pandemie war die Frage nach der Systemrelevanz. Waren 2008 in der Bankenkrise manche Banken systemrelevant und erhielten dafür Millionen, und andere nicht, so waren es jetzt eher bestimmte Berufe. Manche Berufe waren systemrelevant, d.h. die Arbeit dieser Menschen war wichtig, um das Funktionieren zentraler Lebensbereiche unserer Gesellschaft zu garantieren. Krankenhäuser, Pflege, Kindertagesstätten, Müllabfuhr, Energie- und Wasserversorgung und die Lebensmittelversorgung. Schule hat anfangs nicht dazu gehört, Friseure auch nicht. Wer in einem systemrelevanten Beruf arbeitete, hatte das Recht auf Mobilität und auf Kinderbetreuung, musste aber auch zur Arbeit, egal, wie gut der Hygieneschutz war, ob es schon Masken und Schutzkleidung gab oder nicht. Den Haushalt hat diesen Mitarbeitenden niemand gemacht, auch die Pflege eigener Angehöriger nicht, Millionen gabs auch nicht.

Noch ein Wort zur Systemrelevanz aus kirchlicher Sicht…. Dass Pfarrer*in kein systemrelevanter Beruf ist, hat viele gekränkt.
Umgekehrt: Eine Kirche, die systemrelevant ist, hat ihren Auftrag verfehlt – in kritischer Distanz zum System sein.
Wolfgang Huber sprach von Existenzrelevanz, z.B. im Blick auf unser Reden über Tod und Trauer, unsere Hoffnung, unsere Carearbeit als Frauen?

Späte Entdeckung in der Vorbereitung auf Omikron: Kirche ist Teil der relevanten Infrastruktur: Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere erhebliche Folgen eintreten würden. Dazu zählen im Blick auf die Kirche: Gottesdienste und Seelsorge Welche Folgen hat Systemrelevanz?

Am Anfang haben wir die Systemrelevanten beklatscht, vor allem in der Pflege, und dann, so sagen mir viele Pflegekräfte: erst wurden wir beklatscht, dann bekamen wir die Klatsche. Die Diskussion um Zugänglichkeit von Pflegeeinrichtungen, um sinnvolle Regeln und Kontaktsperren, die hohe Belastung durch Coronaausbrüche in den Häusern, die ständige Angst, sich oder andere zu infizieren, der Streit um Regeln in Teams und mit Angehörigen oder Bewohner*innen. Bei vielen Pflegekräften hat das tiefe Spuren der Erschöpfung hinterlassen, viele haben sich eine andere Arbeit gesucht, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben, gerade weil sie ihren Beruf lieben.

Für mich heißt das: wir müssen als Gesellschaft neu über den Wert von Sorgearbeit nachdenken und Sorgearbeit anders organisieren. Systemrelevanz darf nicht nur beklatscht werden, sie muss so organisiert werden, dass Menschen nicht am Familienspagat zerbrechen. Denn in einer Gesellschaft, in der alte Menschen nicht mehr versorgt werden, Kranke sich selbst überlassen bleiben und Kinder zu wenig Aufmerksamkeit und Anregung haben, in so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben. Ich möchte aber auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der Frauen, aber auch Familien an diesem Spagat zerbrechen, weil die Bewältigung der Verbindung von Familie und Beruf ihnen persönlich überlassen wird. Der Blick in andere Länder zeigt: Nicht alle haben diese tiefen Konflikte. Vielerorts ist Kinderbetreuung anders organisiert, selbstverständlicher und ohne ideologische Konflikte übe Rabenmütter und elterliche Verantwortung.

Auch Pflege muss neu gedacht werden, im Mix aus Familie, Nachbarschaft, Ehrenamt, Technologie und professioneller Pflege. Geld allein wird es nicht regeln. Der Pflegebonus ist krachend schief gegangen, weil er entsolidarisiert und noch weiter ökonomisiert.

Aus meiner Sicht hat die Pandemie gezeigt: Im Zweifelsfall sind wir Frauen weiterhin der Notnagel, der Familien oder auch Gesellschaft zusammenhält, die das Leben in die Hand nehmen, zwischen Telefon und Kochlöffel, zwischen Videokonferenz und Bauklötzen jonglieren. Aber wenn sich die Gesellschaft einfach darauf verlässt, dass die Frauen es schon richten werden und die ungelösten Fragen ausbaden, dann läuft etwas gewaltig schief. Damit sich etwas ändert, müssen wir den Mut haben, diese Fragen als politische Fragen zu erkennen, nicht nur als persönliches Problem. Wir müssen miteinander Sorgearbeit als Basis unseres Zusammenlebens erkennen und organisieren, alle miteinander, nicht nur wir Frauen.

Das Persönliche ist und bleibt politisch, auch hier. Und deshalb müssen wir darüber reden, hier beim Frauenmahl, in den Familien, in den Betrieben und Büros, in den Parteien und Parlamenten und auch in der Kirche.

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