Dr. Beate Vollmer – Psychologin i.R.

Tischrede Dr. Beate Vollmer bei dem Frauenmahl am 29. Oktober 2015 in Groß-Umstadt

Welches Frauenbild hat mich geprägt?
 
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Frau Claar-Kreh, vielen Dank für Ihre freundlichen Einführungsworte. Der Titel meiner Ausführungen soll sagen, dass mich insgesamt andere Bilder geprägt haben, als wohl die meisten meiner Altersgenossinnen, was ganz besonders für die Rolle der Frau in Ehe und Familie zutrifft.

Das fing schon mit meiner Großmutter an: Sie verlor ihren Mann als sehr junge Frau und kehrte mit ihren beiden kleinen Mädchen – meine Mutter war damals gerade 3 Monate alt – in ihr Elternhaus zurück, aber nicht, um dort als behütete Tochter zu leben, sondern – man stelle sich das im Jahr 1890 vor – um eine Konditoren-Lehre zu beginnen.

Am Vorbild ihrer Mutter, die einen so ungewöhnlichen Weg gegangen war, orientiert, und von dieser sehr unterstützt, machte meine Mutter 1908 in Wuppertal – Barmen als Externe Abitur und studierte anschließend in Berlin Philosophie, Anglistik und Religionswissenschaft für das Lehramt an höheren Schulen. Um als Frau studieren zu können, brauchte sie damals eine Ausnahmegenehmigung des preußischen Kultusministers.

Wie die allgemeine Stimmung gegenüber „studierten“ Frauen bis weit in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein war, können Sie einer anonymen Zuschrift an meine Eltern im Jahr 1920 entnehmen: Darin fand sich als Reaktion auf die Geburtsanzeige meiner älteren Schwester, aus der der Doktortitel meiner Mutter hervorging, folgender Wortlaut : „Pfui! Sie haben den Staat jahrelang um viel Geld beschissen, um jetzt kleinen Kindern die Ärsche zu wischen.“

Nun, i c h habe meine Mutter nicht in erster Linie als „Ärsche wischende“ Frau erlebt, sondern als diejenige, die mit ihrer Tätigkeit als Lehrerin unsere wirtschaftliche Existenz sicherte, besonders in der Hitlerzeit, als mein Vater durch vielfache Verhaftungen häufig abwesend war.

Es war für mich als Kind nichts Besonderes, dass wir uns in allen wirtschaftlichen und finanziellen Fragen an unsere berufstätige Mutter wenden mussten. Ebenso selbstverständlich erschien mir die Rolle meines Vaters als Hausmann, der kochte, wusch, die Wohnung sauber hielt, wenn er denn in den Verhaftungsintervallen zu Hause war.

Wie er aber darüber hinaus unsere Mutter emotional stützte, wie er uns Kinder ernst nahm, wie überhaupt meine Eltern uns eine sehr gleichwertige Aufgabenverteilung vorlebten, ist eine der prägendsten Erfahrungen meiner Kindheit und hat in mir schon früh das Bild einer sehr partnerschaftlichen Rollenverteilung der Geschlechter in Ehe und Familie entstehen lassen:
Dieses Bild hat auch meinen eigenen Lebensentwurf bestimmt.

So war ich fest entschlossen, obwohl ich meinen Mann schon lange vor Beginn des Studiums kannte, vor einer Heirat mein Abschlussexamen zu machen, vor allem, um meinem Mann, der als Arzt unbeschadet aus dem 2. Weltkrieg heimgekehrt war, als gleichberechtigte Partnerin gegenüber treten zu können.

Natürlich hielt das Leben auch für uns Konflikte auf den verschiedensten Feldern bereit, zumal bei uns Berufliches und Familiäres eng verzahnt war: Wir wohnten in dem Haus, in dem sich auch unsere Praxis befand. Aber für meinen Mann und mich stand immer eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Konfliktlösung an oberster Stelle.
Damals habe ich gedacht, dass nichts diese meine Lebenshaltung würde erschüttern können. Doch darin hatte ich mich getäuscht.

Als mein Mann 65 Jahre alt wurde, ermutigten uns meine hiesigen Kinder, im Alter bei ihnen zu leben.
So zogen wir 1991 in eine Wohnung im Haus unserer Kinder.
Und nun wohnen sie mit einer jungen Frau zusammen, die sie zwar schon mehrere Jahre kennen, mit der sie aber noch nie zusammen g e l e b t haben, mit einer jungen Frau , die in manchen, vielleicht sogar in vielen Lebensbereichen andere Vorstellungen hat als sie selbst, mit einer jungen Frau, die dynamisch ihre Aufgaben in Familie und Haus mit Bravour meistert, während sie selbst Mühe haben, ihre täglichen Angelegenheiten auf die Reihe zu bringen. Da fällt es echt schwer, das Gegenüber als „gleichberechtigt“, gar als „gleichwertig“ anzuerkennen.
Es wäre unwahr, wenn ich behaupten würde, dass diese Zeit ohne Spannungen und Konflikte abgegangen wäre.

Ein eher trauriger Anlass gab bei uns den Dingen eine Wende: Wie meine Schwiegertochter mit Tatkraft und Umsicht die häusliche Pflege meines schwerkranken Mannes erst ermöglichte, wie sie mit liebevollem Zuspruch Schweres leicht machte und mich nach dem Tod meines Mannes fühlen ließ, dass ich nun nicht einsam sei, ließ alle Vorbehalte schwinden, ja, ich lernte im Lauf der Zeit eigene Sichtweisen zu hinterfragen und Manches durch die Brille der Jugend neu zu sehen.

Wenn Sie mich nun fragen würden, ob ich Ihnen allgemeingültige Regeln für gelingendes Miteinander nennen könnte, müsste ich diese Frage verneinen. So verschieden wir Menschen sind, so unterschiedlich wird die Herangehensweise des Einzelnen an Probleme des Lebens sein.

E i n e Voraussetzung halte ich allerdings in allen Lebenslagen für unerlässlich: Das intensive fortlaufende Miteinander Im – Gespräch – Sein.
Scheuen Sie sich nicht, Veränderungswünsche oder Konflikte offen anzusprechen, kehren Sie Probleme und Schwierigkeiten keinesfalls unter den Teppich, sie werden mir umso größer, je länger sie dort liegen. Nur offenes und öffnendes Sprechen führt zu Lösungen, die a l l e n Teilen gerecht werden.

Das – und damit komme ich zum Schluss – wusste schon der Dichter Jean Paul vor rund 200 Jahren, als er treffend formulierte: „ Ein Gespräch ist das Fenster zur S e e l e des Menschen“.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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