Dr. Bettina Paust – Künstlerische Direktorin Museum Schloss Moyland

Kalkar, 03.02.2012

Zunächst ganz herzlichen
Dank für die Einladung zum heutigen Frauenmahl, bei dem ich Ihnen „Christus als
Erfinder der Dampfmaschine“[1] vorstellen möchte.

Mit Ihrer Einladung an mich
als Künstlerische Direktorin der Stiftung Museum Schloss Moyland war ja fast
schon vorprogrammiert, dass ich über die Verbindung von Kunst und religiösem
Denken am Beispiel des Künstlers Joseph Beuys sprechen werde.

Dass „Christus der Erfinder
der Dampfmaschine“, wie Beuys eines seiner Auflagenobjekte nannte, sein soll,
verwirrt zunächst und lässt vielleicht sogar allzu voreilig Joseph Beuys den
Stempel des etwas ungewöhnlichen Künstlers aufdrücken. Derartige
Klassifizierungen sind dann rasch zur Hand, wenn das Werk eines Künstlers sich
nicht auf die Schnelle und nicht vordergründig sichtbar im ästhetisch
Vertrauten in all seinen Dimensionen erschließt.

Man muss sich die Tiefe des
Denkens von Joseph Beuys vergegenwärtigen und sich sein Streben nach
Veränderung der Gesellschaft durch Kunst ─ fast schon im Sinne eines
missionarischen Weltverbesserers ─ vor Augen halten.

Bei seinem Ringen, das
traditionelle Kunstverständnis zu erweitern, was in der Biografie von Joseph
Beuys in den 1950er Jahren nicht zuletzt zu einer schweren Krise führte, ging
es dem Künstler um ein neues Kunstverständnis, das nicht mehr am materiellen
Kunstwerk haftet, sondern auf jeden einzelnen Menschen zu beziehen ist, und das
zugleich ein holistisches – also ein ganzheitliches – Weltbild umfasst. Und
dies mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verändern, damit folglich also vor allem
politisch wirksam werde.

Die simpel scheinende Formel
von Joseph Beuys, die Sie sicherlich alle kennen „Jeder Mensch ist ein
Künstler“, besagt eben nicht, dass jeder Mensch im traditionellen Sinne
Leinwand und Pinsel zur Hand nehmen solle, sondern dass in jedem Menschen
kreative Potentiale schlummern, die es zu reaktivieren gelte und zwar zur
Veränderung, zum Wohle der Gesellschaft. Hiermit ist auch schon das
immaterielle, theoretische Hauptwerk von Joseph Beuys, die Soziale Plastik, umrissen.

Und mit Gesellschaft meinte
Joseph Beuys vor allem westliche Industriegesellschaften in der Mitte des 20.
Jahrhunderts, in denen – nach Beuys – der Mensch durch den Materialismus von
rationalem Denken bestimmt sei und das Spirituelle, das Transzendente, das
Übersinnliche – also alles, was nicht wissenschaftlich begründ- und beweisbar
ist – eine untergeordnete oder gar keine Rolle mehr spiele.

Indiesem neuen Kunstverständnis sollten eben
jene geistigen Schichten im Menschsein wieder aufgedeckt und bewusst gemacht
werden.

Joseph Beuys wuchs hier am
Niederrhein in Rindern in einem sehr bürgerlichen, katholischen Milieu auf,
erlebte die Zeit des Dritten Reiches in Kleve, wo er die Schule besuchte,
meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst, überlebte im Zweiten Weltkrieg als
Bordfunker mehrfache Abstürze seines Flugzeuges, geriet in britische
Gefangenschaft und kehrte im August 1945 nach Rindern zurück. Ein Jahr später
begann er sein Kunststudium an der Kunstakademie Düsseldorf und der Weg führte
ihn nach Studiumsende Mitte der 1950er Jahre für einige Zeit zurück nach Kleve.
Schließlich trat er in den 1960er Jahren aus der Kirche aus[2],
nachdem er 1961 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf geworden war und
seitdem in der Landeshauptstadt lebte.

Doch beschäftigten ihn
gerade Anfang der 1950er Jahre christliche Thematiken in besonderem Maße, wie
in den zahlreiche Zeichnungen und kleinen plastische Arbeiten ersichtlich wird,
die vor allem Kreuzes-, Pietà- und Auferstehungsdarstellungen zeigen und die insbesondere
in der Sammlung des Museums Schloss Moyland in großer Anzahl vorhanden sind[3].

Diese Phase seines Werkes
bezeichnete Beuys selbst als einen Versuch, sich „ … an das spirituelle Ganze
erst einmal von einer Seite heranzutasten, die einem von der Tradition her
geläufig sei“[4].
Das seien eben rückblickend Versuchsreihen in der traditionellen Motivik
gewesen, v.a. Darstellungen des Todes und der Auferstehung Christi.

Doch war Joseph Beuys
relativ schnell klar geworden, dass er über diesen abbildenden Weg mit der
Christus-Figur, wie er sagte, das Christliche nicht erreichen könne.

Für Beuys wurde Christus,
auch in Anlehnung an den Anthroposophen Rudolf Steiner zu einem zwar religiös
begründeten, jedoch außerkonfessionellen „geistigen Wärmeelement“.

Das aus der christlichen
Tradition entwickelte Thema der Transformation, also des Todes Christi und
seiner Auferstehung und des Erleidens von Golgatha als Bedingung des neuen
Lebens bezeichnete Beuys als „christliche Substanz“, als „Christusimpuls“[5].
In Jesus Christus vereint sich für Beuys jenes Mysterium der Menschwerdung
sowie der Transsubstantiation mit seinem Bestreben nach areligiöser
transzendenter Öffnung einer durch materialistisch-rationales Denken geprägten
und in seinen Augen in ihrem Fortbestand gefährdeten Gesellschaft, bei der sein
Konzept der Sozialen Plastik vorrangig ansetzt.

Denn die Transzendenz der
Glaubenserwartung, die Anbetung des Gottessohnes und die messianische Hoffnung
verlagert Beuys in die Immanenz einer „christlich/göttlichen“, energetischen
Kraft in jedem Menschen[6], der wiederum aus eigenem
Antrieb und in eigener Verantwortung die Erlösung von den aktuellen
gesellschaftlichen Missständen bewirken und vollziehen könne.

„Christus als Erfinder der
Dampfmaschine“ ist ein Auflagenobjekt aus dem Jahr 1971, das ein
Herz-Jesu-Bildchen aus Neapel zeigt und das Beuys mit diesem metaphorischen
Titel versah: Christus also als außerkonfessionelle Kraft, die
wissenschaftliches Denken und Spiritualität im Sinne der Beuys’schen
Gesellschaftsutopie der Sozialen Plastik in sich vereint. Die Christus-Symbolik
von Beuys wendet das alte Motiv des „Christus Medicus“, des Heilers der
Menschheit, in das archetypische Modell eines „Christus Aestheticus“, des
Urbildes des eigen-schöpferischen Menschen[7].



[1] Andreas Schalhorn: Der Erfinder
der Dampfmaschine. Eine Anmerkung zum Christusimpuls im Denken und Werk von
Joseph Beuys, in: Mönig, Roland (Hg.): Joseph Beuys –
Spiritualität und Kunst, Natur und Politik, (Tagungsprotokolle –
Institut für Kirche und Gesellschaft Iserlohn) Iserlohn 2003, S. 77-79.

[2] Stüttgen, Johannes: Der ganze
Riemen. Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der
Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966-1972, Köln 2008, S.
302.

[3] Vgl. Museum Schloss Moyland:
Museumsführer, hg. v. der Stiftung Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau 201.

[4] Mennekes, Friedhelm: Beuys zu
Christus. Eine Position im Gespräch, Stuttgart 1989, S. 12.

[5] Mennekes, Friedhelm: Joseph
Beuys: „Die Götter haben genug investiert … “ – Theologische Anmerkungen zum
Christusimpuls, in: Joseph Beuys Symposium Kranenburg 1995, hg. v. Förderverein
„Museum Schloss Moyland e.V.“, Basel 1996, S. 229-232.

[6] Maur, Karin von: Joseph Beuys und
der „Christusimpuls“, in: Bastian, Heiner (Hg.): Joseph Beuys. Skulpturen und
Objekte, Ausst.-Kat. Martin-Gropius Bau Berlin, München 1988, S. 45-46.

[7] Wils, Jean-Pierre: Mythos und
Transzendenz. Über die Aufhebung des Christlichen im Frühwerk von Joseph Beuys,
in: Beuys: Energieplan, hg. v. der Stiftung Museum Schloss Moyland, Ausst.-Kat.
Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau 2010, S. 173.

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