Halle, 18.10.2013
Bild der Frau – Rollen- und Frauenbilder
Konsequente Gleichbehandlung und angemessene Ungleichbehandlung:
Wir brauchen beides
Gleichstellungspolitik, also der Versuch, Frauen ebenso wie Männer in Führungspositionen
zu bringen, hat etwas Paradoxes: es geht eigentlich nicht – wie häufig unterstellt –
um Gleichheit, sondern um angemessene Ungleichheit. Das scheinbare Paradoxon löst
sich auf, wenn wir auf den Zeitstrahl und den Zusammenhang von Mitteln und Zwecken
schauen: Ungleichheit kann Mittel zur Herstellung von Gleichheit sein. Das klingt jetzt
womöglich etwas theoretisch, aber lassen Sie mich den Gedanken an Beispielen und
Anekdoten von der Art, wie wir sie sicher fast alle kennen, illustrieren.
Erlauben Sie mir dabei, mich nicht auf die Frauen in der Wirtschaft zu beschränken,
sondern zwei Bereiche, die mir ebenso vertraut sind, mit einzubeziehen: Frauen in der
Politik und – mehr noch – Frauen in der Wissenschaft. Zur Wirtschaft, und auch zu den
Gründen, weshalb zumindest bei uns in Sachsen-Anhalt der „Frauennotstand“ dort nicht
ganz so groß ist wie in manchen Bereichen des Öffentlichen Sektors, sage ich dann
später einiges.
Worum geht es nun? Ein Beispiel aus der Universitätswelt: Berufungskommissionen
von Fakultäten entscheiden, wer Professor(in) wird oder nicht. Dort habe ich beispielsweise
folgendes erlebt: eine Frau bewirbt sich, Ende Dreißig, Publikationsliste kürzer
als bei einem gleich alten männliche Bewerber. Was passiert? Die Bewerberin wird
aussortiert – nicht gewürdigt wird, dass sie schon drei Kinder groß gezogen hat. Begründung:
mangelnde Publikations- und Drittmittelstärke. Anderes Beispiel: Bewerberin,
Anfang Dreißig, tolle Publikationsliste, tolle Drittmittelprojekte. Was passiert? Aussortiert.
Mit der Begründung, sie sei karrierefixiert. Meine Damen, es scheint in der Natur
der Menschen zu liegen, dass sie bei Personalentscheidungen Klone von sich selbst
suchen. Solange Auswahlgremien aber hauptsächlich von Männern besetzt werden,
fallen bestimmte weibliche Biografien systematisch durch. Ungleichheit wird hier gerade
nicht angemessen gewürdigt. Gleichheit mitunter aber auch nicht, wo sie angemessen
wäre.
Mitunter scheitern Frauen auch an – durchaus gut gemeinten – Klischees, also an klassischen
Rollenbildern. Diese sind meist Ausdruck unangemessener Ungleichheit. Wieder
ein Beispiel aus einer Berufungskommission – die Gott-sei-Dank – schon lange zurück
liegt und nicht in Sachsen-Anhalt stattfand. Eine weibliche Bewerberin wird von
einem sehr netten, älteren Professor gefragt, ob denn ihr Gatte von ihrer heutigen Bewerbung
wisse, denn falls sie den Zuschlag bekäme, müsse die Familie ja umziehen.
Ich war als Frauenbeauftragte der Fakultät Mitglied der Kommission. Bevor ich die rote
Karte zücken konnte, hatte die Frau die Frage schon so souverän beantwortet, dass
sich eine Intervention erübrigte. Allerdings war es mir ein Vergnügen, den nächsten
Kandidaten – zufällig ein besonders selbstbewusst-männlicher Typ – dasselbe mit umgekehrten
Vorzeichen zu fragen. Seine Antwort war so unverschämt, dass der nette
ältere Professor rote Ohren bekam und jeder begriff, wie unpassend die Frage schon an
die Bewerberin vorher war.
Die für mich spannende Erkenntnis aus solchen Anekdoten ist, was ich eingangs formulierte:
dass wir zwar mitunter einfach „nur“ konsequente Gleichbehandlung brauchen.
Überall, wo biologisch letztlich nicht weg zu diskutierende Unterschiede eine Rolle spielen,
brauchen wir aber auch eine „angemessene Ungleichheit“. Ansonsten bleiben letztlich
Chancen ungleich verteilt. Chancengleichheit ist also komplizierter als man denkt,
weil dazu eben auch Nachteilskompensation gehören kann. Die größten Probleme bei
der beruflichen Gleichstellung haben nicht Frauen sondern Mütter.
Wie kann man hier voran kommen? Zum einen durch weitere Informations- und Bewusstseinsarbeit,
sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Frauen können ihren Karriereweg
mitunter zielorientierter steuern und sich auch unter Karriere- und Einkommensaspekten
überlegen, welche Ausbildung sie wählen und welche Prioritäten zu welchen
Zeitpunkten sie setzen, statt einfach zu hoffen, dass alles auf einmal geht. Und
Männer können lernen, typische weibliche Biografie-Merkmale nicht mehr als Knockout-
Kriterium zu sehen.
Häufig bieten sich aber auch institutionelle Lösungswege. Ein Beispiel: Gerade im öffentlichen
Sektor Sachsen-Anhalts sind Frauen in Entscheidungsgremien stark unterrepräsentiert.
Das hängt oft damit zusammen, dass entsprechende Posten qua Amt
besetzt werden, z.B. durch Regierungsmitglieder. Wenn die aber fast alle männlich
sind, sind auch die Gremien männlich. Das kann man durch eine Reform der entsprechenden
Regelungen ändern. Dann ist halt nicht mehr der Minister oder der Staatssekretär
zu entsenden, sondern eine qualifizierte Vertretung des Ministeriums. Da gibt es
dann einen großen weiblichen Pool. Und dann würde auch eine Quote sinnvoll sein
können.
Ansonsten sind Quoten ein zweischneidiges Schwert. Insbesondere sollten hier der öffentliche
Sektor und die Politik mit gutem Beispiel vorangehen, bevor sie privaten Organisationen
etwas vorschreiben. Bei Eigentümergeführten Unternehmen beispielsweise
wäre ich mit Quoten aus etlichen Gründen vorsichtig. In der KMU-Szene in Sachsen-
Anhalt sind wir mit einem weiblichen Anteil an Führungskräften von etwa einem Drittel
immer schon über dem Bundesschnitt – immerhin. Und Dax-Konzern-Headquarters haben
wir nicht im Land. Für die wäre eine andere Diskussion zu führen; da haben wir im
Unterschied zu den Eigentümergeführten Unternehmen, die sich eine Humankapitalverschwendung
gar nicht leisten können, häufig Strukturen und Seilschaften, die denen
großer öffentlicher Einrichtungen gleichen. Hier ist also auch eine Diskussion über die
Anpassung von Strukturen und Zielquoten sinnvoll und geboten.
Wie sieht die Zukunft aus? In der Wissenschaft wird es langsam besser, aber halt nur
langsam: die Zahl weiblicher Professoren hat sich binnen 10 Jahren verdoppelt (von ca.
4500 auf 8921), prozentual ist sie aber nur von 12 auf ca. 20 Prozent gestiegen (34816
männliche Professoren), und dann natürlich noch sehr unterschiedlich auf die Fächer
verteilt (Spiegel Online 11.7.13)
Es gibt nach wie vor Rückschläge, zum Beispiel auch in Form von gut gemeinten, aber
schlecht gemachten Förderprogrammen. Ein Ärgernis sind beispielsweise schlecht dotierte
Frauenförderstipendien, die dazu führen, dass die Professoren ihre Nachwuchsmänner
auf die gut dotierten Lehrstuhl- und Drittmittelstellen schieben – für die Frauen
sind ja die Stipendien da. Der Nachteil ist klar: erstens die schlechtere Dotierung und
zweitens eine Stigmatisierung im Lebenslauf: Ist ja „nur ein Frauenförderstipendium“.
Andere Finanzierungsarten bedeuten oft ein besseres wissenschaftliches Prestige.
Frauenförderprogramme müssen also wirklich ehrenvoll und attraktiv sein, also „gleicher“
als die üblichen Programme. Oder man sollte es lassen. Das Professorinnenprogramm
des Bundes, das mit einer sehr guten Ausstattung einhergeht, ist ein positives
Beispiel.
Meine Damen und Herren, solange wir nicht wirklich Chancengerechtigkeit erreicht haben,
müssen wir weiter am Ball bleiben und dürfen nicht müde werden, für gute Ideen
und Aufklärung zu werben. Und zwar nicht nur, weil wir hier ein betriebs- und volkswirtschaftliches
Effizienzproblem haben: eine Verschwendung wertvoller Humanressourcen.
Sondern auch, weil wir hier ein echtes Gerechtigkeitsproblem und damit letztlich
ein Grund- und Menschenrechtsproblem haben. Denn das haben wir, solange Chancen
aufgrund des Geschlechts unterschiedlich verteilt sind.