Dr. Brigitte Bertelmann – Referentin für Wirtschaft und Finanzpolotik, Mainz

Bad Homburg, 03.11.2013

Sehr geehrte Damen,

Zur Zukunft von Religion und Kirche – das ist eine sehr weit gefasste Überschrift für diesen Abend, die uns als Rednerinnen größtmögliche Freiheit lässt bei der Wahl des eigenen Themas. Egal was wir jeweils  ausgewählt haben – keines der gewählten Themen war alternativlos.

Das Stichwort haben sie bereits gehört. Das Thema "Große Transformation" bzw. "Nachhaltige Entwicklung" ist nicht nur einer meiner Arbeitsschwerpunkte, sondern auch ein inhaltlicher Schwerpunkt in den Mitgliedskirchen der EKD und damit in vielen kirchlichen Einrichtungen im gerade begonnenen Themenjahr "Reformation und Politik" im Rahmen der Lutherdekade.  Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau gehört einem Kreis von 30 Kirchen, kirchlichen Einrichtungen, Gruppen und Verbänden an, die bereits seit einigen Jahren gemeinsam an diesem Thema arbeiten.
Sie alle gehen davon aus, dass der menschengemachte Klimawandel die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist. 
Sie verweisen in gemeinsamen Veröffentlichungen wie dem Jahrbuch Gerechtigkeit V mit dem Titel "Menschen-Klima-Zunft. Wege zu einer gerechten Welt"  als Ursache auf unser wesentlich auf fossile Energieträger gestütztes, ressourcenintensives Wachstum und auf das zunehmend an kurzfristigen Renditezielen ausgerichtete Wirtschaftssystem. Sie weisen darauf hin, dass unsere Produktions- und Konsumweise und weltwirtschaftlichen Ordnungen so umgestaltet  werden müssen, dass sie national und global soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit ermöglichen. Das bedeutet z. B. dass die Emission von CO2 und anderer  schädlicher Stoffe sowie der Verbrauch nicht nachwachsender natürlicher Ressourcen drastisch reduziert werden muss und dass alle Menschen und alle Länder das Recht auf gleichberechtigte Nutzung der Atmosphäre und der natürlichen Ressourcen der Erde als Gemeingüter der Menschheit  haben.

Die Warnung vor den Folgen einer  kontinuierlichen Übernutzung der natürlichen Ressourcen und der Missachtung der planetarischen Grenzen ist nicht neu. Vor gut 40 Jahren hat der Club of Rome in seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums“, dies schon zum Thema gemacht. Es ist nun nicht so, als sei seitdem nichts geschehen.

Das Umweltbewusstsein ist nicht nur in Deutschland signifikant gestiegen. Es gibt internationale Klimaschutzkonferenzen, Vereinbarungen zum Artenschutz, es gibt die Begrenzung von Emissionsrechten,  die Entwicklung und der Einsatz erneuerbarer  Energie ist in den letzten zehn Jahren schneller als erwartet gewachsen. Sowohl in der Gebäudetechnik als auch im Bereich Mobilität gab es enorme Gewinne an Energieeffizienz – aber trotzdem steigt der absolute Ressourcenverbrauch und die absolute Emission von CO2 jährlich weiter an und vor allem bleibt Wachstum, sowohl für einzelne Betriebe wie für Regionen und ganze Volkswirtschaften das entscheidende Ziel von politischem und wirtschaftlichem Handeln.

Wir wissen, dass dies in absehbarer Zeit zu dramatischen Folgen führen könnte, wenn wir nicht schnell wirksam gegensteuern. Darauf haben zahlreiche Studien in den letzten Jahren bereits hingewiesen. Wir wissen, dass es nicht einfach sein wird, die notwendigen  Änderungen umzusetzen, aber dass wir nicht so weitermachen sollten wie bisher, das wissen oder besser vielleicht empfinden viele Menschen nicht nur in Deutschland.

Das könnte eine wichtige Voraussetzung dafür sein, dass es tatsächlich zu Veränderungen kommt. Es ist wohl eine notwendige, aber offenbar keine hinreichende Bedingung für tiefgreifende Veränderungen. Wie es gelingen könnte, grundlegende Veränderungsprozesse friedlich zu gestalten, das müssen wir gemeinsam lernen.

Deshalb haben wir einen Ökumenischen Prozess Umkehr zum Leben, den Wandel gestalten begonnen. Wir sind überzeugt, dass die Kirchen und kirchlichen Verbände und Einrichtungen hier Verantwortung übernehmen sollen und auch können.  In einem gemeinsamen Such- und Lernprozess sollen kirchliche Gestaltungsoptionen dafür entwickelt werden. D.h. in konkreten Schritten soll an unterschiedlichen Orten, unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen und auf verschiedenen Handlungsebenen die Erfahrung gemacht werden, dass durch gemeinsames Handeln Veränderung möglich ist.
Umkehr zum leben. Den Wandel gestalten als ökumenischer Prozess heißt, wir die Große Transformation auch als eine Herausforderung für Theologie und Kirche verstehen.
Das bedeutet  selbstverständlich nicht, dass dies allein eine kirchliche Aufgabe ist. Es heißt vielmehr, dass wir uns als Kirchen und kirchliche Verbände als Teil dieser Gesellschaft verstehen und in ihr und für sie Verantwortung übernehmen wollen.
Und deshalb fangen wir bei uns an.
Wir wollen in diesem Prozess lernen; lernen was wir als Kirchen und als Christinnen und Christen, die in allen möglichen Arbeitsfeldern, in verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexten leben und aktiv sind, dazu beitragen können, dass der notwendige Umbau in  Wirtschaft und Gesellschaft gelingt und so gestaltet wird, dass die damit verbundenen Belastungen gerecht verteilt und solidarisch getragen werden.

Dafür können wir an zahlreiche bereits begonnene kirchliche Aktivitäten für Klimagerechtigkeit anknüpfen.
Mehrere Landeskirchen und Diözesen haben bereits Klimaschutzkonzepte entwickelt und damit begonnen, Konzepte für ein kirchliches Umweltmanagement umzusetzen;
zusammen mit kirchlichen Werken wurde die entwicklungspolitische Klimaplattform „Klima der Gerechtigkeit“ gegründet.
Es gibt Projekte, die die Grundsätze fairer Beschaffung in den Kirchen und ihren Einrichtungen stärker installieren wollen und dabei den Ehrgeiz haben, weit über das bisherige Niveau hinauszugehen.

Dabei ist es uns als Netzwerk besonders wichtig, dass diese vielfältigen, wichtigen Einzelaktivitäten in den verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern nicht gegeneinander ausgespielt, sondern miteinander verbunden werden.

Weil die globalen Krisen in Zeiten des Klimawandels vielfältige ökologische, soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Dimensionen umfassen, reichen Teillösungen nicht aus. Es muss das Verständnis noch wachsen, dass Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene zusammengehören.

Darum ist es geradezu zwingend und logisch, dass in unserem ökumenischen Pro-zess umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Aktivitäten miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt werden.

Experten, z.B. im Wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderungen (WBGU), der sein Hauptgutachten 2011 der Gestaltung der Großen Transformation gewidmet hat, ebenso wie im Wuppertalinstitut für Klima, Umwelt, Energie oder im Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies  gehen davon aus, dass die technischen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft und eine wirksame Eindämmung des Klimawandels bereits heute vorhanden sind.
Weniger weit entwickelt sind die politischen und institutionellen Strukturen und die kulturellen Voraussetzungen, die dafür nötig sind.
Auch der nicht nur vom WBGU geforderte neue Gesellschaftsvertrag muss erst noch konkrete Gestalt gewinnen.

Wie das geschieht, dafür spielt auch das zugrunde gelegte Menschenbild sowie das Staats- bzw. Gesellschaftsverständnis eine entscheidende Rolle und nicht zuletzt das Selbstverständnis von Kirche in der Welt.

Wir haben auch im Trägerkreis schon die Erfahrung gemacht, wie wichtig und schwierig zugleich es ist, sich nicht nur über gemeinsame Ziele und eine abgestimmte Vorgehensweise zu verständigen, sondern auch über die Begriffe, mit denen wir das, was uns wichtig ist, kommunizieren.

Ein Beispiel, an dem dies besonders deutlich wird, ist der Begriff der großen Trans-formation selbst. Er wird als sperrig, als spröde, als zu wenig selbsterklärend und gleichzeitig sehr  voraussetzungsreich empfunden. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Öffentlichkeitsarbeit sagen oft „das geht gar nicht.“

In die aktuelle Debatte wurde der Begriff, der ursprünglich von Karl Polanyi geprägt wurde, durch den WBGU  wieder eingeführt.
Er hat darin die Erkenntnis zusammengefasst,  dass die wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Veränderungen, die mit dem Klimawandel einhergehen, so komplex, grundlegend und tiefgreifend sind, dass sie mit den durch die Industrielle Revolution ausgelösten Veränderungen vergleichbar sind. Auf keinen Fall sind sie deshalb durch punktuelle, begrenzte Einzelmaßnahmen zu bewältigen, sondern erfordern vielmehr eine langfristige, gesamtgesellschaftliche Anstrengung, gemeinsam getragen von einem handlungsfähigen Staat und einer aktiven, engagierten Zivilgesellschaft.

Für die meisten bleibt der Begriff  Transformation bisher weitgehend diffus und wird ähnlich wie der Begriff der Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich, durchaus auch beliebig und interessegeleitet eingesetzt.

Auch in unserem Kreis werden die Vorschläge des WBGU teilweise als zu technokratisch und direktiv empfunden.
Viele sind der Meinung, dass eine Große Transformation aus christlicher Sicht nur dann akzeptabel sei, wenn sie eine Transformation hin zur Mündigkeit aller und hin zu den notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen darstellt, unter denen Mündigkeit und Selbstverantwortlichkeit sich überhaupt erst entwickeln können.

Wir könnten auch sagen, die Bereitschaft und die Fähigkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe sind eine Voraussetzung für einen gelingenden, friedlichen gesellschaftli-chen Wandel.
Deshalb legt Kirche, legen wir ein ganz besonderes Gewicht auf Bildung auch in diesem Kontext und darauf, dass wir die Menschen, die wir gewinnen wollen, auch erreichen.

Es geht nicht um oberflächliche Werbung für eine kurzfristige Kampagne. Es geht darum, auch im Bewusstsein der Dringlichkeit niemanden zu bedrängen und zu überfordern.  Wir wissen von uns selbst, dass auch wir für viele Schritte noch zeit brauchen.

Es geht darum, bei aller Sorge um die Folgen des Klimawandels, keine Angst zu verbreiten und dabei  Verständnis für die Angst vor Veränderung mit unbekanntem Ausgang zu zeigen.

Es geht darum, auch im Bewusstsein für die Dringlichkeit niemanden zu drängen und zu überfordern. Wir wissen von uns selbst, dass auch wir für viele Schritte noch Zeit brauchen.

Es geht darum, im Bewusstsein aller Schwierigkeiten und angesichts durchaus wahrscheinlicher Rückschritte und des Gefühls von Ohnmacht – die durchaus auch vorhandenen Handlungsmöglichkeiten als erlebbare Realität anschaulich zu machen und in zunächst kleinen Projekten die Möglichkeit vieler guter Erfahrungen zu eröffnen.

Es geht darum, Geschichten des Gelingens zu erzählen und dabei ehrlich auch im Umgang mit unserer eigenen Widersprüchlichkeit  und manchen Brüchen umzuge-hen.

Und es geht schließlich darum, die Akteure und Konzepte auf verschiedenen kirchlichen Handlungsebenen und Handlungsfeldern auf einander zu beziehen, um schließlich gemeinsam den Schalter umzulegen für eine sozial gerechte, klimaneutrale und damit nachhaltige Entwicklung.

Dafür müssen wir in regelmäßigem Austausch miteinander bleiben und in immer stärkeren Austausch auch mit außerkirchlichen Partnerinnen und Partnern treten. Die hohe Komplexität der angesprochenen Probleme bringt gleichzeitig die Versuchung mit sich, einfache Lösungen zu finden. Die Sehnsucht nach einfachen, eindeutigen Antworten ist verständlich aber letztlich meist eine Sackgasse. Wir werden nicht umhin können, uns neben den technischen auch grundlegend mit ordnungspolitischen, verteilungspolitischen und institutionellen Fragen auseinanderzusetzen und vor allem auch mit den Blockaden, die uns hindern, zu tun was wir wissen.

Deshalb bin ich sehr froh über die Möglichkeit, heute Abend hier mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, was die Aufgabe und Rolle von Kirche in diesem Prozess sein kann und wie wir gemeinsam dazu beitragen können, den Wandel zu gestalten. Und ich hoffe, dass ich zumindest ansatzweise deutlich machen konnte, warum die Auseinandersetzung mit den Fragen der Großen Transformation eben doch alternativlos ist.

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