Heidelberg, 27.Oktober 2013
Vision impossible?
Ich finde es mutig von den Einladenden und herausfordernd für die Rednerinnen, so starke Worte wie „Impulse, Potentiale, Perspektiven, Visionen, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Chancen und Risiken“ als Stichworte für die Tischreden anzubieten.
Jedes dieser Worte lässt nämlich eine Fülle an Gedanken, Interpretationen und auf persönlichen Erfahrungen beruhende Ausgestaltungen zu, die die auf sieben Minuten begrenzte Redezeit pro Teilnehmerin zur schon sportlichen Herausforderung werden lassen. Zunächst fühlte ich mich ob der Menge der Bilder, die dadurch in meinem Kopf entstanden, überfordert, und ich muss zugeben, zunächst keinen richtigen Drang zum Beginn des Redeschreibens verspürt zu haben.
Jetzt bin ich jedoch dankbar dafür, diese Gedankenanstöße erhalten zu haben, weil sie mich zum einen in den letzten Wochen zwischendurch immer mal wieder zum Nachdenken anregten und zum anderen in mir die Erkenntnis haben reifen lassen, dass es für mich persönlich eine sehr einfache Antwort auf die speziell mir gestellte Frage als Vertreterin der Wirtschaft gibt, „welche Vision unternehmerisches Handeln mit Blickrichtung auf Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in der heutigen Wirtschaftswelt haben sollte“.
Meine Antwort auf die Fragestellung mag banal klingen, sie ist jedoch meine persönliche Essenz aus einer längeren Beschäftigung mit der Fragestellung, nämlich:
1. Visionen sind unabdingbar für unternehmerisches Handeln.
2. Visionen sollten zu Missionen führen.
3. Missionen können nur gelingen, wenn sie wertbasiert sind, z. B. auf Werten beruhen, wie Gerechtigkeit in der Arbeitswelt zwischen Männern und Frauen.
Im Hinblick auf unternehmerisches Handeln in der heutigen Zeit, mit hohen Managergehältern, aber (noch) ohne flächendeckende Mindestlöhne, mag die enge Bezugnahme auf Gerechtigkeit als Wertmaßstab für unternehmerisches Handeln heuchlerisch klingen. Ist es aber nicht.
Eigentlich ist das Zusammenspiel von Unternehmertum und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage, der unsicheren europäischen Situation und der instabilen Friedenslage in der Welt ein guter Übergang, um auf ein brisantes Thema überzuleiten, nämlich der omnipräsenten Frage, ob Frauen in der heutigen Arbeitswelt, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit oder vielleicht sogar weltumspannend, jemals die Chance haben werden, auf gleicher Augenhöhe mit den Männern zu agieren. Eben in der Arbeitswelt gerecht behandelt zu werden. Nämlich nach ihren Fähigkeiten, ihrer Kraft, ihrer Durchsetzungsfähigkeit und nicht allein nach ihrem Geschlecht. Die Beantwortung dieser Frage ist sicher eine wichtige gesellschaftspolitische Herausforderung unserer Zeit.
Aber darum alleine geht es nicht. Ich wurde nach unternehmerischer Vision im Hinblick auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit befragt.
An dieser Stelle sollte ich festhalten, dass Unternehmertum und Vision für mich untrennbar miteinander verknüpft sind. Ohne Vision bin ich kein Unternehmer, kein Gestalter, keiner, der weiß, wohin es geht. Ein Unternehmer ist der, der weiß, wo sein Ziel ist, egal ob sein Geschäftsumfeld groß oder klein ist. Wer sein Ziel vor Augen hat und darauf zustrebt, hat eine Vision. Der Weg dahin ist seine Mission.
Und eine Mission als Wegstrecke gesehen, gelingt nur dann, wenn man die passenden Fährten und die „Verkehrsregeln“ kennt. Die „Verkehrsregeln“ für Unternehmer sind Werte.
Werte wie: Verantwortung für den Bestand des Unternehmens, Fürsorge für die Mitarbeiter und die Einsicht, dass unternehmerisches Handeln nicht unter der persönlichen Glasglocke stattfindet, sondern ein großes Stück auch dem Allgemeinwohl zu dienen hat. Am Beispiel der Mitarbeiterfürsorge lässt sich das gut erklären und führt mich auf den Punkt der Gerechtigkeit unternehmerischen Handelns zurück.
In Zeiten, des immer enger werdenden Arbeitsmarktes, z. B. im Bereich gut ausgebildeter Fachkräfte, kann es sich kein Arbeitgeber in Deutschland mehr erlauben, große Unterschiede in der Behandlung von Männern und Frauen zu machen. Ich bin ziemlich sicher, dass in 20 Jahren die Gehälter von Männern und Frauen in Deutschland annähernd gleich sein werden bei gleicher Befähigung und gleichartiger Arbeitsplatzbeschaffenheit.
Gerechtigkeit als Unternehmer üben zu wollen heißt aber nicht, auf Gedeih und Verderb die Frauenquote zu befürworten. Denn wenn ich eine Personengruppe aufgrund spezifischer Kriterien, in diesem Fall wegen des Geschlechts, bevorzuge, leiden naturgemäß andere darunter. Das ist gerade nicht gerecht. Gerechtigkeit kann in der Frage der Beschäftigung von Frauen auf gleicher Augenhöhe mit Männern aus meiner unternehmerischen Sicht nur dadurch geschehen, dass wir unsere Töchter, unsere weiblichen Auszubildenden, unsere Mitarbeiterinnen und Partnerinnen dadurch stark machen, dass wir ihnen zeigen, wie sehr wir ihre Arbeit und sie persönlich schätzen.
Denn Augenhöhe heißt auch, geradeaus mit offenem Blick dem Gegenüber zu begegnen, mit aufrechtem und selbstbewusstem Gang zu signalisieren, ich kann das genauso gut wie du und stolz zu bekennen – wie das Männer selbstverständlich artikulieren – dass der gerade eingefahrene berufliche Erfolg auf ganz persönlichem, individuellem Können beruht.
Gerechtigkeit in diesem Beispiel heißt aber auch, dass ich als Unternehmer meine männlichen Mitarbeiter davor zu schützen habe, von allzu forschen Frauen, die es mittlerweile in der Arbeitswelt auch gibt, an die Wand gespielt zu werden, weil nicht wenige junge Männer durch die allgegenwärtige Diskussion über „Frauenpower“ mittlerweile sehr verunsichert sind.
Als Fazit will ich festhalten, dass für mich richtig verstandenes unternehmerisches Handeln untrennbar mit Gerechtigkeit verbunden ist, und zwar genderunabhängig.
Und, was unternehmerische Visionen anbelangt, möchte ich enden mit dem folgenden, leicht abgewandelten Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach:
„Schätze Dich nicht arm, wenn Deine Visionen nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur der (Unternehmer), der nie eine Vision gehabt hat.“